Die Agenda ist gesetzt. 2006 kann kommen.

Zur Vorgeschichte der Agenda 2010

in (01.02.2004)

Die Agenda 2010 fiel nicht vom Himmel.Lange bevor Schröder sie im März 2003 dem Bundestag präsentierte, waren ihre Grundsätze von anderen aufgeschrieben worden.

Nach Einschätzung des Wirtschaftsforschungsinstituts ISW (Institut für sozialökologische Wirtschaftsforschung/www.iswmuenchen.de) stammte der erste Vorläufer aus der Feder eines FDP-Wirtschaftsministers, dessen Chef ein SPD-Kanzler war: 1982 verfasste Otto Graf Lambsdorff das so genannte "Lambsdorff-Papier". Dessen wirtschaftspolitische Inhalte bezeichnet ein ISW-Report als "Übersetzung neoliberaler Grundsätze in staatliche Politik". Kurz darauf ließ die FDP Helmut Schmidts Regierung platzen, an der sie als Koalitionspartnerin beteiligt war, und brachte Helmut Kohl (CDU) an die Macht. Lambsdorff blieb Wirtschaftsminister, und sein Papier wurde in weiten Teilen Grundlage der neuen Wirtschaftspolitik. Nicht alles wurde umgesetzt. Gegen manches regte sich Widerstand in CDU und FDP. Dennoch waren Maßstäbe gesetzt. In der Regierungserklärung verdeutlichte Kohl: "Weg von mehr Staat, hin zu mehr Markt (Â…) weg von kollektiven Lasten, hin zur persönlichen Leistung (Â…) weg von verkrusteten Strukturen, hin zu mehr Beweglichkeit, Eigeninitiative und verstärkter Wettbewerbsfähigkeit".
Je reicher UnternehmerInnen sind, desto lieber geben sie Reichtum an Arbeitskräfte ab - dieser Idee folgend, wurden Besserverdienende entlastet, vom Beschäftigungsförderungsgesetz (1985) bis zur Abschaffung der Vermögenssteuer (1997).
Es galt zudem, den Druck auf ArbeitnehmerInnen zu erhöhen: Legalisierung von Arbeitszwang für Sozialhilfe Beziehende (1994), Lockerung von Kündigungsschutz und Lohnfortzahlung (1996), verschärfte Zumutbarkeitsbestimmungen für Arbeitslose (1997). Bis 1998 waren große Teile der Unternehmenssteuern weg gebrochen und die Ausbeutung der Arbeitskräfte erleichtert.

Hoffnungen auf Umkehr weckte der Regierungswechsel. Lafontaine schien einen Kurswechsel einzuleiten. Sein Haushalt sah Ausgabensteigerungen von 6 Prozent, im Sozialetat sogar von 12 Prozent vor. Der Abschied von der Sparideologie währte kurz.
Als Lafontaine zurücktrat und Eichel neuer Finanzminister wurde, setzte sich eine an Kohl anknüpfende Wirtschafts- und Sozialpolitik durch. Das Schröder-Blair-Papier (Mai 1999) liest sich wie eine Vorlage für die Agenda 2010. Es diente als Diskussionspapier der SPD-Rechten zur Beeinflussung des Parteimachtkampfs.
Im Frühjahr und Juni 2003 sprach Schröder vor Fraktion und Parteitag, die mit breiter Mehrheit klatschten. Die SPDLinke war kalt gestellt. Die rot-grüne "Jahrhundertreform" (1999) ist nach Ansicht des ISW das "größte Steuergeschenk aller Zeiten für Konzerne und SpitzenverdienerInnen".
Glücksfall der "Reformer" war der Skandal der Bundesanstalt für Arbeit um geschönte Vermittlungsstatistiken Ende 2001. Mit Florian Gerster (SPD) wurde ein neoliberaler Agenda-Setter an die Spitze der Bundesanstalt berufen, den Schröder gegen Attacken in Schutz nahm. Gleichzeitig wurde die Hartz-Kommission eingesetzt, deren erster Bericht kaum auf Protest stieß.

Denn Hartz war die Wahlkampfwaffe, mit der es gelang, linke wie rechte KritikerInnen auszuschalten. Während erstere aus Angst vor
dem "größeren Übel" mitliefen, war Schröder CDU, FDP und ArbeitgeberInnen so weit entgegen gekommen, dass ihnen ein glaubwürdiges Angriffskonzept fehlte. Nach der Wahl kam ein Wirtschaftsminister, der sofort mit Infragestellung des Kündigungsschutzes von sich Reden machte. Die Rürup-Kommission wurde eingerichtet, das Vorziehen der 3. Steuerreformstufe als Entlastung für alle propagiert. Steuerersparnisse für niedrige und mittlere Einkommen werden jedoch durch Teuerungen an anderer Stelle u. a. dank Rürup neutralisiert. Das Absenken des Spitzensteuersatzes um 6,5 Prozent kostet den Bundeshaushalt nach Berechnungen des ISW auf der anderen Seite jährlich 6 Mrd. Euro. Bessere Grundlagen für weitere Kürzungen und
Forderungen nach billigeren Arbeitskräften gibt es kaum. "Der 14. März ist ein Schicksalstag für Deutschland", hatte der BDI-Chef in der "Wirtschaftswoche" gemahnt. Was bei Kohl unvollkommen blieb, führt Rot-Grün zu ganzheitlichem Ende.

- Dieser Text erschien in der Ausgabe 1/2004 der "Zündstoff" (Regionalausgabe der Tendenz für Rheinland-Pfalz& Hessen)