Das Europäische Parlament hat formal kein Mitentscheidungsrecht bei Militäreinsätzen der Europäischen Union. Dennoch...
...wurde am 22. und 23. März 2006 eine Debatte und Abstimmung über den EU-Militäreinsatz im Kongo durchgeführt, quasi als Einstimmung für die einzelstaatlichen Parlamente. Eine große Koalition von Konservativen, Sozialdemokraten, Liberalen und Rechtsnationalen stimmte für eine EU-Militärintervention in die Demokratische Republik Kongo. Interessant dabei war, dass genau zum Zeitpunkt der Debatte die eigentliche Entscheidung fiel, aber an anderem Ort: Das "Politische und Sicherheitspolitische Komitee" (PSK) votierte für eine Entsendung von damals noch 1.500 Soldaten. Im PSK sitzen die Botschafter der EU-Staaten oder deren für Militärpolitik zuständige Stellvertreter. Formal bestätigte dann – wie üblich – noch der EU-Ministerrat dieses Votum für eine Kongo-Militärintervention.
Anfang Juni gab dann auch der Bundestag, sozusagen als "Grüßaugust", seine Zustimmung. Die Vorbereitungen, die auf EU-Ebene begannen, waren nicht mehr zu stoppen, während der Abstimmung im Bundestag liefen die Vorbereitungen des Militäreinsatzes bereits auf Hochtouren. Sie entfalteten einen enormen Druck für eine parlamentarische Zustimmung und so wurde auch die vorgesehene Mannschaftsstärke erneut heraufgesetzt. Jetzt sollen von insgesamt 2.000 Soldaten 780 aus Deutschland kommen. Am deutschen Oberkommando für den Einsatz und der operativen Verantwortlichkeit Frankreichs in Kinshasa wurde selbstverständlich nicht mehr gerüttelt.
Mit dieser Vorgehensweise wurden nicht einmal minimale demokratische Standards eingehalten. Die EU hat gegenüber Drittstaaten Kriterien für die parlamentarische Kontrolle von Militär aufgestellt. Sie selbst erfüllt diese Vorgaben aber nicht. Die Exekutive und dort ausgerechnet die Botschafter bei der EU oder deren Stellvertreter preschen vor, die einzelstaatlichen Parlamente nicken einen Einsatz ab, der de facto schon läuft.
Deckmantel Wahlhilfe
Offiziell geht es beim geplanten EU-Militäreinsatz im Kongo um die militärische Absicherung der bevorstehenden Wahlen. Die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen wurden mehrfach verschoben. Derzeit ist das Datum der 31. Juli 2006. Die größte Oppositionspartei UDPS boykottiert jedoch die Wahlen, weil es bei der Wählerregistrierung eine Reihe von Unregelmäßigkeiten gegeben hat. Der Wahlsieger steht mit dem autokratischen Präsidenten Joseph Kabila damit praktisch schon fest. Kabila wird von der EU massiv unterstützt, dies obwohl seine Armee für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht wird und er zahlreiche Ressourcen des bitterarmen Landes an Verwandte privatisiert und vergeben hat. Die Wahlabsicherung ist also ein Vorwand, um was geht es tatsächlich?
Der deutsche Verteidigungsminister Franz-Josef Jung sagt ganz offen, dass es „um zentrale Sicherheitsinteressen unseres Landes“ ginge und „wir es mit einem großen Flüchtlingsproblem in ganz Europa zu tun bekommen“, sollte es den Einsatz nicht geben. Und weiter: „Stabilität in der rohstoffreichen Region nützt auch der deutschen Wirtschaft.“1 Gemeint sind strategische Rohstoffe wie Wolfram, Cobalt und Mangan. Das passt auch zum Entwurf des Weissbuchs der Bundeswehr von Franz-Josef Jung, in dem Militärinterventionen zur Rohstoffsicherung verankert wurden.2 Der CDU-Abgeordnete Andreas Schockenhoff schreibt: „Kongo ist eines der ressourcenreichsten Länder der Welt und verfügt vor allem über strategische Rohstoffe, die für Europa wichtig sind: Wolfram, Mangan- und Chromerze, Kobalt, Uran, Erdöl, Coltan, Beryllium. Europa und Deutschland haben ein Interesse daran, dass der Abbau dieser Ressourcen legal und nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten erfolgt. Kongo ist das mit Abstand wasserreichste Land auf dem Kontinent…“3
Schon jetzt wird der geplante EU-Militäreinsatz von vielen zu Recht als Unterstützung des autoritär regierenden Präsidenten Kabila und der War-Lords vor Ort angesehen gegen die Opposition und auch gegen viele in der Bevölkerung. Dazu passt, dass den – von der EU ausgebildeten – kongolesischen Sicherheitskräften zahlreiche Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden.
Der „arme, geschundene Kontinent ist auch von den Europäern kaputt gemacht worden,“4 stellte Jungs Vorgänger Peter Struck laut einer Meldung im Tagesspiegel fest, um damit einen Militäreinsatz der EU zu rechtfertigen: „Wer denn, wenn nicht wir, soll dahin?“, fragte Struck.
Der SPD-Politiker Johannes Kahrs meinte zur Stärke des Kongo-Einsatzes: „Das wäre so, als würden 750 Soldaten in Lissabon landen und sagen, damit würden sie ganz Westeuropa stabilisieren.“5 Auch militärisch gesehen macht dieser Einsatz also keinen Sinn. Selbst hochrangige Militärs, wie beispielsweise Generalmajor Jan Oerding, der Chef der neuen EU-Einrichtung "Kommando Operative Führung Eingreifkräfte" in Ulm, konnte keine klare Antwort auf die Frage geben, welchen Erfolg aus militärisch-strategischer Sicht 2.000 im Kongo eingesetzte Soldaten verbuchen können. In den Reihen der deutschen Militärs steigt die Ablehnung gegen diese „reine Show, die das Leben deutscher Soldaten nicht wert ist,“6 wie Bernhard Gertz, Sprecher des Bundeswehrverbands den Kongo-Einsatz in der Welt am Sonntag charakterisierte. Der Wehrbeauftragte Reinhold Robbe hatte indes die Bundesregierung aufgefordert, vor einem etwaigen Kongo-Einsatz der Bundeswehr die Bedingungen genauestens zu klären.
Demonstrierte Interventionsfähigkeit
Nicht einmal die drei wesentlichen internen Bedingungen für den Kongo-Einsatz sind erfüllt.
l Erstens stand am Anfang nicht ein Beschluss der UNO, erst auf ausdrückliche Bitte Frankreichs im UN-Sicherheitsrat wurde die EU zu einer militärischen Intervention im Kongo berufen.
l Zweitens wurde keine wirkliche Anforderung seitens der kongolesischen Regierung ausgesprochen. Präsident Kabila hat lediglich zu verstehen gegeben , dass er nichts gegen einen EU-Militäreinsatz habe, was bestenfalls als Unterstützung, aber keinesfalls als Anforderung zu bewerten ist.
l Drittens fehlt weiterhin eine exakte zeitliche und räumliche Begrenzung für diesen Einsatz. Zur Dauer heißt es: vier Monate oder vielleicht doch länger, und eine räumliche Begrenzung wird in dem Beschluss des PSK nicht festgelegt, auch wenn im Bundestagsbeschluss von einer Beschränkung deutscher Soldaten auf den Raum Kinshasa die Rede ist.
Deutschland wird führend am EU-Militäreinsatz im Kongo beteiligt sein. Das im Potsdamer Einsatzführungskommando bereitgestellte "Operation Headquarter" (OHQ) der EU soll den Einsatz leiten. Das sogenannte "Force Headquarters" (FHQ) dafür, also eine verlegbare Befehlszentrale im Einsatzland wird bei diesem Einsatz das Pariser FHQ sein. Auch Deutschland verfügt seit knapp einem halben Jahr über ein FHQ, dem "Kommando Operative Führung Eingreifkräfte " in Ulm. Dass für den Kongo-Einsatz nun nicht das deutsche FHQ, sondern das französische ausgewählt wurde, ist der politische Deal, der Arbeitsteilung zwischen Deutschland und Frankreich. Das Kommando in Ulm wird für den Kongo-Einsatz mehrere Verbindungsoffiziere in das Potsdamer OHQ abstellen, damit ist Ulm in den Kongo-Militäreinsatz involviert.
Mit dem Kongo-Einsatz will die EU ihre Interventionsfähigkeit beweisen. Das ist auch Teil des neuen "großen Spiels" um Afrika, bei dem EU-Mitgliedstaaten, China und die USA um die Rohstoffausbeute konkurrieren. Die neuen Battle Groups der Europäischen Union, von denen zwischen 2007 und 2010 dreizehn mit einer Starke von jeweils 1.500 Soldaten gebildet werden sollen, haben nach EU-Strategiepapieren Afrika als Hauptziel. Die EU will zeigen, dass „Europas Sicherheitspolitik beginnt, handlungsfähig zu werden,“ denn „dies ist der einzige entscheidende Grund für diesen Einsatz,“ 7 wie es Klaus Naumann, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr und ehemaliger Vorsitzender des NATO-Militärausschusses offen sagt.
Wie human die humanitäre Intervention im Kongo wirklich ist, lässt sich aus folgender Meldung der NZZ vom 28. Januar 2006 ersehen: „Während die UNO in ihrem Spendenaufruf für 2005 47 Millionen Dollar für die Republik Zentralafrika, 40,5 für Cote d’Ivoire und 33 Millionen für Guinea verlangte, versprachen die Geber an der Konferenz für die Hilfe an diese Länder nur je eine Million Dollar. Für die Demokratische Republik Kongo wurden 36,5 von 738 Millionen zugesagt, für den Sudan 106 Millionen von 1,5 Milliarden, für Somalia sogar nur 5 Millionen von den notwendigen 174 Millionen.“ 8 Allein der Bundeswehreinsatz im Kongo wird aber für die ersten Monate 56 Millionen Euro an zusätzlichen Kosten verschlingen.
Die EU-Militärintervention in der DR Kongo schreibt sich in die post-koloniale Tradition der militärinterventionistischen Afrikapolitik europäischer Kolonialmächte ein. Dazu passt, dass Frankreich seine Militärstützpunkte in Afrika, wie in Senegal, Djibouti, Gabun und der Elfenbeinküste europäisieren möchte.9 Während der Kongo-Mission sollen 400 deutsche Fallschirmjäger in Libréville/Gabun auf einem französischen Militärstützpunkt stationiert werden. Mit der EU-Militärintervention in der DR Kongo droht ein Exempel für die Europäisierung französisch/belgischer Hegemonialpolitik in Afrika.
AP schreibt in einer Agenturmeldung vom 07.06.2006: „Der EU-Außenbeauftragte Javier Solana hat den bevorstehenden Kongo-Einsatz europäischer Soldaten als Beispiel für die künftigen Aufgaben der EU bezeichnet.“ Wenn der Kongo das Probebeispiel ist, was soll dann alles noch folgen?
Anmerkungen
1)http://www.bundesregierung.de/Interview/,-975779/dokument.print.htm
2)http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID5519118_REF1,00.html
3)http://www.andreas-schockenhoff.de/politisches/standpunkte?template=detail&entryid=64
4)Tagesspiegel 29.03.2006
5)Deutschlandfunk, 21.03.2006, zitiert nach „Gute demokratische Tradition“, Grüne und Seeheimer Kreis für und gegen Kongo-Einsatz in: ngo-online, 21.03.2006
6)http://www.wams.de/data/2006/03/26/865573.html
7)Osnabrücker Zeitung, 03. April 2006
8)Neue Züricher Zeitung vom 28.01.2006
9)Vgl. http://www.swp-berlin.org/de/common/get_document.php?id=1410
Tobias Pflüger ist Vorstandsmitglied der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. und Mitglied des Europäischen Parlaments, dort Mitglied der Linksfraktion GUE/NGL, des Auswärtigen Ausschusses, des Unterausschusses Sicherheit und Verteidigung und der NATO-Parlamentarier-Delegation.