Es hagelt Integration. SoziologInnen und PädagogInnen führen den Begriff ihn genauso selbstverständlich im Munde wie die RepräsentantInnen des Medien- und Kulturbetriebs.
Für PolitikerInnen aller Couleur ist Integration inzwischen Ehrensache. Es gibt Integrationsbeauftragte und Integrationsbeiräte, Integrationsprogramme und Integrationskonzepte, von Integrationskursen ganz zu schweigen. Doch je mehr Integration zu einem gesellschaftspolitischen wie medialen Kernthema geworden ist, desto mehr hat der Begriff in der öffentlichen Diskussion eine neue Konnotation bekommen. Wo heute Integration draufsteht, ist in zunehmendem Maße Assimilation drin.
Es gab mal eine Zeit, da war Integration der emanzipatorische Gegenpol zum Gerede von "Gästen", "Toleranz" und Anpassung. Integration richtete sich an die Mehrheitsgesellschaft selbst, an individuelle Einstellungen, aber vor allem auch an gesellschaftliche Strukturen und Institutionen. Sie begnügte sich nicht damit, EinwanderInnen und Flüchtlinge mehr oder weniger notgedrungen zu "tolerieren", also zu (er-)dulden. Ihr ging es darum, sie als gleichberechtigt zu akzeptieren und vor allem zu respektieren.
Von all dem ist der aktuelle Integrationsdiskurs weit entfernt. Unter dem Schlagwort der Integration transportieren Politik und Medien immer stärker die Aufforderung an MigrantInnen, sich "einzufügen". Integration heute ist nichts anderes als die Übertragung von Aktivierung und "fordern und fördern" von Hartz IV auf den Bereich der Zuwanderung. "Integration ist Pflicht" verkündete Schleswig-Holsteins Innenminister Ralf Stegner (SPD). Zuwiderhandeln kann bestraft werden - mit dem Entzug des Aufenthaltstitels oder dem Entzug von Sozialleistungen Beides ist für die allermeisten MigrantInnen immer noch auf fatale Weise eng miteinander verknüpft. Ähnlich wie Erwerbslose werden MigrantInnen dabei vor allem zu defizitären oder gefährlichen Menschen: Integration gilt als Antwort auf islamischen Fundamentalismus, Parallelgesellschaften, kulturelle Rückständigkeit oder Jugendgewalt. Gesellschaftliche Ausgrenzung, soziale und materielle Benachteiligung, Gewalt - das alles bekommt im herrschenden Integrationsdiskurs einen kulturalistischen Touch, wird zum Problem von ethnischer und kultureller Differenz.
Der Integrationsdiskurs und seine kulturalistische Schlagseite werten die bestehende bundesdeutsche Mehrheitsgesellschaft als zivilisatorischen und kulturellen Maßstab auf. Von MigrantInnen wird die Anpassung an eine unhinterfragte deutsche Leitkultur gefordert. Der Einbürgerungstest in Baden-Württemberg war eine inquisitorische Gesinnungsprüfung, die sich gegen Muslime richtete - mit der gleichzeitigen Unterstellung, Homophobie, Frauenfeindlichkeit oder antidemokratisches Verhalten gebe es "unter Deutschen" nicht. In der hessischen Variante wird ein mittelschichtsorientiertes bildungsbürgerliches Trivial-Pursuit-Wissen zum Maß der Dinge. Selbst ein so unverfängliches Thema wie Sprachförderung gerinnt zu einer Diskussion um Deutschpflicht auf Schulhöfen und zur Dominanz der deutschen Sprache. Mit einem Federstrich werden die pädagogischen Erkenntnisse zum Thema Spracherwerb und Mehrsprachlichkeit marginalisiert.
Der kulturalistische Mainstream in der herrschenden Integrationsdiskussion homogenisiert in klare simplifizierte Schubladen: deutsch - nicht-deutsch. Ein Verständnis von kultureller Heterogenität und prozesshafter kultureller Interaktion sind ihm fremd. Noch bedeutsamer in einer Zeit zunehmender sozialer Zerklüftungen und materieller Ungleichheiten (von den ungebrochenen Gewaltexzessen gegen MigrantInnen ganz zu schweigen) ist das, wovon Integration heute überhaupt nicht mehr erzählt: die rassistische Strukturiertheit der Gesellschaft. Dass das Existenzminimum für viele MigrantInnen und Flüchtlinge qua Gesetz um 30 Prozent niedriger ist als das von Deutschen, ist genauso wenig Thema von Integration wie die Entrechtung von Flüchtlingen oder die systematische und gesetzlich organisierte Benachteiligung von MigrantInnen beim Zugang zum Arbeitsmarkt. Nach wie vor sind MigrantInnen überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen oder bekommen kleinere und schlechtere Wohnungen. Gleichzeitig wird ihnen systematisch die Unterstützung entzogen, denn Integrationskurse und andere Maßnahmen sind explizit für "Neuzuwanderer".
Spezifische Beratungs- und Hilfsangebote für so genannte "Bestandsausländer" sind politisch nicht mehr gewollt. "Verweis in die staatlichen Regeldienste" heißt hier das Zauberwort. So gesellt sich zur Integration als Anpassungspflicht zu schlechterletzt auch noch eine gehörige Prise Zynismus.
Doch halt, es gibt Ausnahmen: Mit Zustimmung aller Fraktionen errichtet Hamburg gerade ein "Wellcome Center" für "High Potentials" - direkt in der Handelskammer, auf dass ihnen der Gang zur Ausländerbehörde und eventuelle unliebsame Begegnungen mit SachbearbeiterInnen erspart bleiben. Bezahlt wird das Ganze aus dem Sonderfonds für Standortverbesserung.
aus: ak - analyse & kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis/Nr. 506/19.5.2006