"Bist du kritisch, kannst du nur schuldig sein."

Interview mit Youth HumanRights Movement (YHRM)

in (15.05.2006)

Wir sprachen mit zwei AktivistInnen des Youth Human Rights Movement, Nastya und Dimitri über ihre Arbeit.

Youth Human Rights Movement (YHRM) hat sich 1998 als Jugendorganisation der Moskau Helsinki Gruppe, einer der ältesten Menschenrechtsorganisationen in Russland, gegründet und sind in einem weiten Spektrum von Rassismus und Intoleranz, Studenten/Schülerrechten, Antimilitarismus bis zu Anti-Folter Initiativen aktiv. Seit 2002 sind sie Partnerorganisation von JD/JL. Wir sprachen mit zwei AktivistInnen, Nastya und Dimitri über ihre Arbeit.

In Russland wird zunehmend eine Trend zur staatlichen Kontrolle von politischen Aktivitäten verzeichnet. Wie nehmt ihr diese Kontrolltendenzen wahr?

Nastya: Das Schlimmste ist, dass die staatlichen Autoritäten zivilgesellschaftliche und Menschenrechtsaktivitäten unterdrücken, die nicht für Macht, sondern für wichtige Rechte und Freiheiten kämpfen. Übermannt von ihrer Angst vor einer "Orangenen Revolution" wie in der Ukraine, stehen die Autoritäten allen öffentlichen Aktionen sehr skeptisch gegenüber. Zum Beispiel wurde ein antifaschistischer Marsch in Moskau aus "formalen Gründen" abgelehnt. Ein anderes Beispiel ist der Fall Stalislav Dmitrievsky, Direktor der Russisch-Tschetschenischen Freundschaftsgesellschaft. Dmitrievsky wurde angeklagt wegen "Aufruf zum Hass" - Grund war ein Interview in seiner Zeitung "Pravozaschita" mit dem tschetschenischen Rebellenführer Mashadov, in dem sich Mashadov für ein Ende der militärischen Auseinandersetzungen und Verhandlungen aussprach.

Dmitri: Jede unabhängige Aktivität kann als eine politische interpretiert werden und stellt eine
Gefahr dar, sei es eine öffentliche Aktion, eine Veröffentlichung oder einfach die Gründung einer Studentengruppe. Natürlich sind nicht alle mit Repressionen konfrontiert, aber der Verdacht ist da und wird mehr und mehr ausgenutzt.
Es gibt in Russland keine vom Staat unabhängigen Räume - Wirtschaft, Medien, selbst Gewerkschaften; alle sind eng mit dem Staat verbunden. Politische Opposition ist zu schwach um Einfluss auf die Politik zu haben. Die Regierung hat so viel Angst vor allem Unabhängigen, dass sie eigene quasi-unabhängige Strukturen schafft. Eine kontrollierte Zivilgesellschaft - die "Öffentliche Kammmer", eine Kreml-kontrollierte Jugendbewegung namens "Nashi" sind gute Beispiele. Seit neuestem wird im Kreml die Kreation einer fake- Opposition innerhalb der Regierungspartei diskutiert um alle politischen Spektren zu repräsentieren.

Vor Kurzem wurde ein neues NGO-Gesetz verabschiedet, das Kontrolle über die lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) verschärft. Wie schätzt ihr die Folgen dieses Gesetzes für eure Arbeit ein?

Nastya: Das Gesetz wurde unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung verabschiedet und zeigt
wieder einmal die Angst der russischen Regierung vor einer "Orangenen Revolution". Die allgemeine Annahme ist, dass die Revolution in der Ukraine aus dem Ausland über die ansässigen NGOs finanziert wurde - das möchte man in Russland verhindern.
Die staatlichen Autoritäten werden eine umfassende Kontrolle über die NGO-Finanzen erhalten und können außerdem Ziele und Projekte der Organisationen kontrollieren. Scheinbar gibt es in Inguschetien die ersten NGOs, denen vorgeworfen wird, ihre Projekte seien nicht vereinbar mit den Satzungsziele
und deren Projekte nun verhindert werden. Projektanträge an ausländische Organisationen müssen vor dem Staat begründet werden.
Dmitri: Meiner Meinung nach sind die Details des Gesetzes weniger wichtig. Viel wichtiger ist
das Signal an die Bevölkerung: NGOs arbeiten für den Westen und gegen Russland.
Solange du regierungstreu bist, passiert dir nichts. Bist du kritisch, egal wie gesetzestreu du dich verhältst, kannst du nur schuldig sein. Nach diesem Prinzip funktioniert die Wirtschaft, die Politik, die Medien, die ZivilgesellschaftÂ…

Welche Perspektiven seht ihr denn für die Demokratie in Russland?

Nastya: Es gibt eine gute Metapher in Russland: "Russland ist kein Staat sondern ein
Ölunternehmen" - und wie für jede profitorientierte Organisation haben Werte keine Wichtigkeit.
Die Tendenzen zur totalen Kontrolle der russischen Öffentlichkeit könnten zu Protesten gegen den Abbau von Rechten und Freiheiten führen - deshalb ist eines der Hauptziele unserer Arbeit eine Änderung der Mentalität hin zur Übernahme von Verantwortung.

Dmitri: Ich bin eher pessimistisch. Die Realität ist, dass die Mehrheit der Bevölkerung gewöhnt
ist an das Unternehmensmodell und das Regime akzeptieren. Und solange es keine Öl-oder Gasengpässe gibt, hat Russland Incorporation eine schillernde Zukunft vor sich. Immerhin arbeitet Schröder schon für uns!