Einig und geschlossen?

Unternehmer in der politischen Öffentlichkeit

Rolf Schmucker stellt Unternehmerkommunikation in die Öffentlichkeit vor

Man muss kein Marxist sein, um anzuerkennen, dass Unternehmer in kapitalistischen Industriegesellschaften ein gesellschaftlich außerordentlich mächtiges Interesse verkörpern. Angesichts der gegenwärtig zu beobachtenden politischen Kräfteverhältnisse erscheint diese Machtposition so gefestigt wie lange nicht mehr. Die vorgeblichen Zwänge der Globalisierung und ein politisch hegemonialer Marktradikalismus haben die Durchsetzungsfähigkeit politischer Unternehmerstrategien weiter gestärkt. Im Rahmen der voranschreitenden Ökonomisierung des Politischen werden die Verwertungsbedingungen zu einem zentralen Maßstab politischer "Reformprojekte", wie dies nicht zuletzt an der gegenwärtigen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik der Bundesregierung zu erkennen ist.
Der politische Erfolg der Unternehmer in einem parlamentarischen System, in dem formal alle gesellschaftlichen Gruppen gleichen Zugang zu politischen Entscheidungsprozessen besitzen, wird sozialwissenschaftlich häufig auf eine strukturelle Machtposition zurückgeführt, die sich u.a. ergibt "[...] aus ihrem Besitz bzw. ihrer Kontrolle über die Produktionsmittel, über die Arbeitskraft und den Arbeitsprozess sowie aus den Erfordernissen der kapitalistischen Organisation der Ökonomie, die ihnen die Hauptrolle im Wirtschaftsleben zuschreibt. Die Handlungsfreiheit des Staates gegenüber den Unternehmern wird insofern begrenzt, als der Staat als Garant und Reproduzent der generellen Bedingungen des Kapitalismus fungiert". Es zeichnen sich drei Argumentationslinien ab, mit denen die ‚Übersetzung‘ von einer ökonomischen in eine politische Privilegierung begründet wird:
1. Staatliche Entscheidungen bevorzugen tendenziell unternehmerische Interessen. Dies geschieht einerseits, weil eine große Übereinstimmung der staatlichen Eliten mit den Wirtschaftseliten bezüglich politischer und ökonomischer Zielsetzungen existiert, andererseits, weil der Staat auf das Gelingen des Akkumulationsprozesses angewiesen ist.
2. Unternehmer verfügen über privilegierte Handlungsmöglichkeiten zur Durchsetzung ihrer Interessen, weil sie an der Spitze einer Organisation (des Unternehmens) stehen. Damit besitzen sie bereits als individuelle Akteure umfangreiche Entscheidungsbefugnisse und Dispositionsmöglichkeiten, um ihre Interessen zu verfolgen.
3. Mit der Funktion der Unternehmensleitung ist eine Ausstattung mit Machtressourcen verbunden, die der anderer gesellschaftlicher Gruppen überlegen ist. Der Aufbau wirkungsvoller kollektiver Interessenorganisationen ist auf dieser Basis leichter möglich.
Die grundsätzliche Privilegierung von Unternehmern im politischen System beantwortet allerdings nicht automatisch die Frage, mit welchen Positionen sich Unternehmer und ihre Verbände in politische Diskurse einbringen. Schon der Versuch, die Quantität der sozialen Gruppe der Unternehmer zu bestimmen, verweist auf die große Heterogenität des so genannten "Unternehmerlagers": Bezieht man auch kleinere Unternehmen sowie das Top-Management mit ein, kommt man auf etwa 6,5 Mio. unternehmerisch tätige Menschen in Deutschland. Neben der Ressourcenausstattung und den Organisationsbedingungen ist für die politische Durchsetzungsfähigkeit die Existenz gemeinsamer Interessen von großer Bedeutung. Die zuweilen vertretene Annahme, Unternehmer besäßen aufgrund ihrer Position im Unternehmen bzw. ihrer Stellung im Kapitalverhältnis weitgehend einheitliche politische Interessen, lässt sich angesichts der empirisch beobachtbaren Konflikte innerhalb der Unternehmerschaft nicht aufrechterhalten. Im Folgenden sollen daher zwei Fragen diskutiert werden. Erstens: Welche möglichen Ursachen von Interessendifferenzierungen existieren innerhalb der Unternehmerschaft? Dies soll anhand der vorliegenden Literatur zu Kapitalfraktionierungen sowie einigen organisationssoziologischen Überlegungen erörtert werden. Zweitens: Welche unternehmerischen Binnenkonflikte finden sich in der politischen Öffentlichkeit wieder? Diese Frage wird anhand der Ergebnisse einer empirischen Untersuchung des unternehmerischen Diskurses beantwortet.

Homogenität und Fragmentierung

Die umfangreichste Auseinandersetzung mit den möglichen Ursachen von Interessenheterogenität findet sich in Ansätzen zur Kapitalfraktionierung, die v.a. in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts Konjunktur hatten. Als eine der beiden gesellschaftlichen Hauptklassen des Kapitalismus ist die Kapitalistenklasse einerseits herrschende Klasse, der ein gemeinsames Interesse an der Erhaltung des Systems unterstellt wird. "Für die Klassenanalyse ergibt sich aber die weitergehende Frage, wie aus dieser dualistischen Determiniertheit der Klassenstruktur politisch konsequenzenreiche Differenzierungen innerhalb der Klassen erklärt werden können." Der Mechanismus der Konkurrenz verweist auf eine Quelle interner Differenzierungen und Konflikte. "Ihr objektiver Zwang zum gemeinsamen Interesse an der Ausbeutung der Arbeiterklasse setzt sich in der Konkurrenz der Einzelkapitale als Element der Bourgeoisieklasse durch. Lassen sich aber spezifische Widersprüche von Einzelkapitalien bündeln, so knüpft sich daran ein Interesse an, das den Begriff der Kapitalfraktion rechtfertigt".
Fasst man verschiedene Überlegungen zur Kapitalfraktionierung zusammen, so lassen sich vier strukturelle Faktoren benennen, die potentielle Ausgangspunkte für eine politische Heterogenität des "Unternehmerlagers" darstellen:
1. Unternehmensgröße: Klassentheoretisch wurde anhand der Unternehmensgröße zwischen der Kapitalistenklasse und dem Kleinbürgertum unterschieden, aber auch innerhalb Ersterer existieren beachtliche Größenunterschiede. Unabhängig von der klassentheoretischen Einordnung bleibt die nur empirisch zu beantwortende Frage, inwiefern die Unternehmensgröße eine bedeutsame Quelle für politische Fraktionierungen darstellt.
2. Trennung von Kapitaleigentum und Kontrolle: Die Abgrenzung der "alten" Mittelklasse (Kleinbürgertum) von der Kapitalistenklasse stellt nur ein Problem klassentheoretischer Analyse dar. Auch die "neue" Mittelklasse, z.B. die hochqualifizierten Lohnempfänger, fügt sich nicht umstandslos in die Klassenstruktur ein. Im Verlauf der Debatte um die Trennung von Eigentum und Kontrolle wurde das obere Management schon als die kommende herrschende Klasse eingestuft, die den Übergang vom Kapitalismus zur Managergesellschaft vorantreibe. In der jüngeren Vergangenheit ist die Diskussion um diese Konfliktlinie durch die sich ausbreitende Shareholder-Value-Ökonomie neu belebt worden. Nun wird ein potentieller Konflikt zwischen den kurzfristigen Interessen der Aktionäre an der Steigerung des Unternehmenswerts und den mittel- bis langfristigen Unternehmensstrategien des Topmanagements gesehen.
3. Verschiedene Kapitalformen: Interessendifferenzierungen werden auch aufgrund der unterschiedlichen Formen des Kapitals (industrielles, Waren- und Geldkapital) vermutet. Grundlage möglicher Differenzierungen zwischen den drei Fraktionen ist das unterschiedliche Verhältnis zu Produktion, Aneignung und Realisierung des Mehrwerts. So wurde von verschiedenen Autoren die Nähe des industriellen (produktiven) Kapitals zur konkreten Investitionsebene, d.h. zu den Arbeitskräften und Maschinen, mit einer Neigung zu Klassenkompromissen, zu sozialpartnerschaftlicher Politik und nationalstaatlichen Arrangements in Verbindung gebracht. Demgegenüber favorisiere das Geldkapital liberalere Politiken, die den Rentier-Interessen der Bourgeoisie entgegenkommen.
4. "Stoffliche" Unterschiede zwischen verschiedenen Unternehmen oder Branchen: Eine Vielzahl von Differenzierungen liegt in der "stofflichen" Ausrichtung der Einzelkapitale bzw. der Branchen. Diese werden als ein untergeordneter Aspekt der Klassenfraktionierung verstanden. Gegenüber den Spaltungslinien zwischen den verschiedenen Kapitalformen sowie Eigentümern und fungierenden Kapitalisten begründet die stoffliche Seite eher Unterabteilungen der großen Fraktionen. Beispiele für stoffliche Differenzierungen sind der Grad der Weltmarktabhängigkeit, die unterschiedlichen Anlagesphären und Branchen, differierende Wettbewerbspositionen innerhalb desselben Industriezweiges, das Verhältnis von Lohn- bzw. Kapitalintensität, die Unterschiede zwischen Grundstoff- und Verbrauchsgüterindustrien, der Diversifizierungsgrad der unternehmerischen Tätigkeit; die Abhängigkeit vom Staat als Nachfrager oder auch der Grad der Subventionsabhängigkeit von Unternehmen und Branchen.
Die Übersetzung struktureller ökonomischer Positionen in politische Interessen ist jedoch, wie die Praxis zeigt, kein eindimensionaler Vorgang. Abhängig von den konkreten gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Kontextbedingungen sind für die Unternehmer verschiedene politische Entscheidungsmöglichkeiten vorhanden. Die konkreten politischen Strategien lassen sich weder aus einem eindeutig bestimmten rationalen Handeln, noch aus kapitallogischen Gesetzmäßigkeiten ableiten. Dem Imperativ, nicht gegen die Interessen der Kapitalverwertung zu handeln, entspricht keine festgelegte politische Position. Bei der Entscheidung für bzw. gegen eine bestimmte Option spielen nicht nur ökonomische Erwägungen eine Rolle. Auch die politischen-ideologischen, kulturellen und normativen Momente sind am Entscheidungsprozess der Akteure beteiligt. Neben den strukturellen Faktoren sind daher auch die politischen Formierungsprozesse von Klassen von Bedeutung, die somit ebenfalls eine Ursache für Interessendifferenzierungen innerhalb der Unternehmerschaft darstellen können.
Die potenziellen strukturellen und politischen Konfliktdimensionen sollen hier um eine weitere ergänzt werden, die auf organisationssoziologischen Forschungen basieren. Dies geht einerseits auf die Analysen der Parteien- und Verbändesoziologie zurück, die die Herausbildung oligarchischer Gruppen an der Spitze von Interessenorganisationen beobachtet haben. Diese Tendenz kann zu der Situation führen, dass sich ein Eigeninteresse der Organisationsführung entwickelt, das im Widerspruch zu den Interessen der Mitglieder steht. In politischen Systemen, die als neokorporatistisch beschrieben werden, tritt dieser Konflikt in einer besonderen Form auf. Die Unterscheidung von Einfluss- und Mitgliederinteressen hat auf die Tatsache aufmerksam gemacht, dass die Einbindung von Verbänden in staatliche Entscheidungsprozesse neben größeren Einflussmöglichkeiten auch die Gefahr von innerorganisatorischen Meinungsverschiedenheiten mit sich bringt. Aber auch intraorganisatorisch kann der Versuch, die eigenen Verbandsinteressen möglichst einflussreich zu positionieren, zu Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Unternehmerverbänden führen. Verbände fungieren nicht nur als interessen-aggregierend und -mediatisierend, sie können auch zur Konfliktquelle werden.

Unternehmer im politischen Diskurs

Reduziert man Politik nicht auf die Entscheidungsprozesse des politischen Systems und die explizit auf deren Beeinflussung gerichteten Handlungen gesellschaftlicher Akteure, so ist unternehmerisches Handeln in einem umfassenden Sinne als politisch zu verstehen. Dabei lassen sich strukturelle und politisch-strategische Einflussnahmen unterscheiden. Unter strukturelle Einflussnahme fallen insbesondere die sozialen und ökologischen Konsequenzen und Externalisierungen von Unternehmensentscheidungen, die eine maßgebliche Bedeutung für die Entwicklung gesellschaftlicher Strukturen und sozialer Lebenslagen besitzen. Im Folgenden soll das Augenmerk jedoch auf eine Form politisch-strategischer Einflussnahmen unternehmerischen Handelns gerichtet werden. Politisch-strategisches Handeln ist durch den expliziten Bezug auf Organisationen, Institutionen und Entscheidungsverfahren des politischen Systems gekennzeichnet sind. Hierzu gehören das klassische 'Lobbying' auf informeller oder institutionalisierter Ebene, finanzielle Zuwendungen an Personen, Parteien oder andere Institutionen, das Mitwirken von Unternehmern in Organisationen und Institutionen des politischen Systems sowie die Teilnahme an politischen Diskursen und damit an der öffentlichen Meinungsbildung. Letztere stand im Mittelpunkt einer Studie, in der anhand einer Inhaltsanalyse der Frankfurter Allgemeinen Zeitung für die Jahre 1993 bis 1997 Akteure, Themenbereiche und Konfliktfelder des unternehmerischen Diskurses untersucht worden sind.
Im Rahmen der Untersuchung hat sich gezeigt, dass die politischen Stellungnahmen von Unternehmern, die in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, zum überwiegenden Teil von einer kleinen Gruppe von Verbandsvertretern und Repräsentanten von Großunternehmen stammen. Diese unternehmerische Öffentlichkeitselite spiegelt die Heterogenität des "Unternehmerlagers" kaum wider. Kleine und mittlere Unternehmen sind so gut wie nicht präsent. Offensichtlich ist das, was als Position der deutschen Unternehmer in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, Ergebnis der professionellen Öffentlichkeitsarbeit der Spitzenverbände und Großunternehmen, die eine "primäre Definitionsmacht" hinsichtlich der politischen Forderungen deutscher Unternehmer besitzen. Thematisch korrespondiert dies mit einer eindeutigen Konzentration des unternehmerischen Diskurses auf Fragen der politischen Regulierung bzw. Deregulierung wirtschaftlicher Prozesse sowie auf die Kritik am "Standort Deutschland" in einer globalisierten Ökonomie. Dabei ist interessant, dass trotz der Dominanz einer kleinen unternehmerischen Öffentlichkeitselite in einer nicht unwesentlichen Anzahl der Aussagen Konflikte innerhalb der Unternehmerschaft zum Ausdruck kommen. Knapp neun Prozent aller öffentlichen Aussagen von Unternehmern bezogen sich kritisch bzw. ablehnend auf die politischen Positionen anderer Unternehmer bzw. ihrer Verbände. Im untersuchten Fünfjahres-Zeitraum lassen sich 59 in der Öffentlichkeit manifestierte unternehmerische Binnenkonflikte benennen. Thematisch reichte das Spektrum der Konfliktfelder vom Nachtbackverbot bis zum Flächentarifvertrag. In der Mehrheit der Konflikte ging es um die Rolle staatlicher bzw. politischer Regulierung von ökonomischen Feldern. Entgegen dem durch die programmatischen Verlautbarungen der großen Spitzenverbände (BDI, BDA, DIHK) erzeugten Eindruck, Unternehmer träten nachdrücklich und weitgehend einheitlich für eine weitgehende Deregulierung wirtschaftlicher Prozesse ein, kommt es zu teilweise scharfen politischen Binnenkonflikten in der Unternehmerschaft, wenn es um konkrete staatliche Interventionen geht.

Beispiel Entsendegesetz

Einer der zentralen politischen Konflikte im Untersuchungszeitraum war die Auseinandersetzung um ein Entsendegesetz, mit dem Mindestlöhne für die Beschäftigten der Baubranche festgelegt werden sollten. Hintergrund der Kontroverse war die große und weiter steigende Zahl von ausländischen Unternehmen und Beschäftigten auf dem deutschen Markt. Die deutschen Bauunternehmen fürchteten angesichts nicht-tarifgebundener ausländischer Konkurrenz, die ihre Beschäftigten weit unter dem deutschen Tariflohn bezahlten, um ihre Wettbewerbsfähigkeit. Nachdem im Dezember 1994 im EU-Ministerrat die Verabschiedung einer europäischen Entsenderichtlinie gescheitert war, machte sich die deutsche Bauwirtschaft für eine nationale Regelung stark. Das Arbeitsministerium und die Gewerkschaft IG BAU traten ebenfalls für ein nationales Entsendegesetz ein. Die beiden Spitzenverbände der Bauwirtschaft, der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB), in dem eher Großunternehmen organisiert sind, und der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB), der die mittelständischen Interessen der Branche vertritt, waren sich in dieser Frage einig. Abgelehnt wurde ein Entsendegesetz dagegen u.a. vom DIHT, dem BDI und dem Bundesverband des deutschen Groß- und Außenhandels (BGA), die den freien Welthandel bedroht und den Protektionismus auf dem Vormarsch sahen. Nach heftigen Konflikten auch innerhalb der Bundesregierung wurde das Arbeitnehmerentsendegesetz 1996 verabschiedet. Die Durchsetzung von tariflichen Mindestlöhnen auf allen Baustellen in Deutschland bedurfte jedoch der Allgemeinverbindlichkeitserklärung durch den beim Bundesarbeitsministerium angesiedelten Tarifausschuss. Nachdem die Tarifparteien der Baubranche sich auf einen Mindestlohn geeinigt hatten, blockierte die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) im Tarifausschuss die Allgemeinverbindlichkeitserklärung. Erst die Bereitschaft von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden der Baubranche, die vereinbarten Mindestlöhne weiter abzusenken sowie die Drohung der beiden großen Verbände der Bauunternehmer, ihre Mitgliedschaft in der BDA zu kündigen, führt schließlich zur Zustimmung der BDA zu einer befristeten Allgemeinverbindlichkeitserklärung. Die unterschiedlichen Positionen haben in diesem Fall einerseits mit unmittelbaren stofflichen bzw. Branchen-Interessen der Akteure zu tun (Position in der internationalen Konkurrenz), sind andererseits eingebettet in die auch politisch-strategisch umkämpfte Debatte um die Flexibilisierung von Löhnen und Arbeitsbedingungen. Der Konflikt verläuft nicht nur zwischen, sondern auch innerhalb einzelner Verbände und gipfelte in der Ankündigung des Verbandsaustrittes.
Die Frage der staatlichen bzw. korporatistischen Regulierung von Produktionsbedingungen wird häufig zum Gegenstand unternehmerischer Binnenkonflikte. Ob es um das Rabattgesetz, den Wettbewerb in der Telekommunikation, die Entsorgung von Elektrogeräten, die ökologische Steuerreform oder die Deregulierung des europäischen Strommarktes geht: Immer stehen sich in den politischen Auseinandersetzungen (auch) unternehmerische Akteure gegenüber. Fragt man nach den Konfliktursachen entsprechend der weiter oben aufgeführten klassentheoretischen und organisationssoziologischen Überlegungen, so zeigt sich, dass von den strukturellen Aspekten unterschiedliche Unternehmensgrößen und die stofflichen Differenzen am häufigsten Ausgangspunkt für Meinungsverschiedenheiten sind. Die Trennung von Kapitaleigentum und Kontrolle ließ sich als Konfliktursache nicht feststellen, während die verschiedenen Kapitalformen, verbandlich bedingte Konflikte sowie normativ-kulturelle Konfliktursachen in einer kleineren Zahl von Konflikten eine Rolle spielten. Hinzu kam die unterschiedliche Situation ost- und westdeutscher Unternehmen, die in mehreren Fällen eine eigenständige Konfliktursache darstellte. Strukturelle Aspekte - insbesondere die Branchenzugehörigkeit und die Marktposition - haben offensichtlich für die Fragmentierung politischer Positionen eine große Bedeutung. Sie reichen allerdings nicht aus, um die Konflikthaftigkeit des unternehmerischen Diskurses umfassend zu erklären. Die zuvor formulierte Frage, inwiefern sich aus den strukturellen Lagen einzelner Unternehmen bzw. Branchen bestimmte politische Positionierungen ableiten lassen, bedarf einer komplexeren Antwort.

Relative Autonomie des Politischen

In knapp der Hälfte aller Konflikte ließen sich Positionierungen erkennen, die im Widerspruch zu der aufgrund struktureller Gegebenheiten erwartbaren Interessenkonstellation standen, d.h. strukturell vergleichbare unternehmerische Akteure vertraten konfligierende Auffassungen. Diese widersprüchlichen Konstellationen verweisen darauf, dass der Zusammenhang zwischen Interessenlagen und politischer Positionierung nicht unbedingt linear ist, sondern dass es für Unternehmer in der Regel verschiedene Optionen politischer Positionierungen gibt, die nicht allein von unmittelbar ökonomischen Interessen beeinflusst werden. Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass der Artikulation eines bestimmten Interesses durch ein Unternehmen oder einen Verband immer ein Definitionsprozess vorausgehen muss. Letztlich wird kein Unternehmer bewusst gegen seine wirtschaftlichen Interessen handeln, aber wie diese Interessen definiert und welche politische Strategie gewählt wird, ist abhängig vom jeweiligen Kontext, von Bewertungen und Bedeutungszuschreibungen, in denen eine "relative Autonomie" des Politischen vorhanden ist.
Es bleibt festzuhalten, dass es eine Diskrepanz zwischen der wahrgenommenen, sozusagen der "gefühlten" politischen Homogenität des Unternehmerlagers und den real existierenden Konfliktlinien gibt. Der Eindruck von Einheitlichkeit in der Öffentlichkeit wird v.a. durch die Arbeit der Spitzenverbände und exponierter Personen erzeugt, die scheinbar die Positionen "der Unternehmer" repräsentieren. Die Kleinarbeitung politischer Konfliktlinien innerhalb der Unternehmerschaft zeigt sich insbesondere am Themenfeld politischer Regulierung ökonomischer Prozesse. Während im Konkreten eine Vielzahl unternehmerischer Akteure nachhaltig für staatlich-politische Regulierungen in ihren Sektoren eintreten, vermittelt die unternehmerische Öffentlichkeitselite den Eindruck, als sei die Unternehmerschaft quasi natürlicher Verfechter eines weitreichenden gesellschaftlichen Deregulierungs-Projektes. Das Ringen um die Vereinheitlichung von Interessen ist Teil der Auseinandersetzung um hegemoniale Deutungsmuster gesellschaftlicher Verhältnisse und die Festigung ökonomischer und politischer Macht. Selbst wenn dies derzeit nicht so erscheint: auch innerhalb des Unternehmerlagers wird darüber kontrovers gestritten.

Dr. phil. Rolf Schmucker ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Medizinische Soziologie am Uni-Klinikum Frankfurt/Main.

Aus: Forum Wissenschaft 1/2005