Gemein und gar nicht nützlich

Mit den 1-Euro-Jobs droht eine massive Ausweitung von Pflichtarbeit

Geht es nach dem Willen der Bundesregierung, so sollen künftig Hunderttausende von Langzeitarbeitslosen gemeinnützige Arbeit leisten.

Ca. 20% der Langzeitarbeitslosen will sie mit 1-Euro-Jobs wieder in reguläre Beschäftigung integrieren. Doch nicht nur das ist ein rhetorischer Schwindel. Mit Hartz IV hat sich die Bundesregierung verpflichtet, jedem/r BezieherIn von Arbeitslosengeld II unter 25 Jahren ein Förderangebot zu unterbreiten. Und auch für Ältere soll es unterstützende Maßnahmen zur Arbeitsaufnahme geben. Allerdings sind alle Langzeitarbeitlosen, die ein Angebot erhalten, auch verpflichtet, dieses anzunehmen. Bei einer Weigerung wird den Jungen die "Grundsicherung" für drei Monate ganz gestrichen, den Älteren wird sie drei Monate lang um 30% gekürzt. Der gesetzliche Förderkatalog nach § 16, SGB II reicht von Umschulungsmaßnahmen und ABM bis zur gemeinnützigen Arbeit, für die ein Mehraufwand von ein bis zwei Euro pro Stunde gezahlt wird. Doch in den Planungen der Bundesregierung kommen die traditionellen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen kaum noch vor. Es ist erklärter politischer Wille, statt dessen vorrangig die gemeinnützige Arbeit als "Förderangebot" zu etablieren. Damit wird das klassische Mittel zur "Überprüfung der Arbeitswilligkeit" aus dem ehemaligen BSHG zum zentralen "Integrationsinstrument" in der Arbeitsmarktpolitik. Nun ist nicht gänzlich auszuschließen, dass jemand trotz gemeinnütziger Arbeit einen Anschlussjob findet. Auszuschließen ist jedoch, dass die Reintegration ins Erwerbsleben primär durch gemeinnützige Arbeit gefördert werden kann. Diese Tätigkeiten werden nämlich in Bereichen eingesetzt, in denen unmittelbare Übergänge in reguläre Beschäftigung nicht zu erwarten sind. Schließlich lechzen die Kommunen deswegen nach kostenloser Arbeit, weil die Kassen leer sind und sie deswegen ehemalige Regelaufgaben durch gemeinnützige Arbeit ersetzen wollen. Und wenn die Wohlfahrtsverbände und Träger der Freien Wohlfahrtspflege mit ihrer Offerte nach ziehen, tausende von "Arbeitsmöglichkeiten" zu schaffen, dann deswegen, weil sie den Verlust öffentlicher Finanzierung und den Mangel an Zivildienstleistenden kompensieren wollen. Wie die Kommunen denken auch sie dabei an soziale Betreuungsaufgaben und einfache Hilfstätigkeiten. Es ist also eine Illusion, darauf zu hoffen, dass 1-Euro-JobberInnen in diesen Bereichen auf reguläre Arbeitsplätze übernommen werden. Viel wahrscheinlicher ist es, dass sukzessive reguläre Beschäftigte durch dienstverpflichtete BilligjobberInnen ersetzt werden. "Zusätzlich" sollen diese Arbeiten sein. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit definiert "Zusätzlichkeit", wenn die entsprechende Tätigkeit "ergänzend" zu dem ausgeübt wird, was Fachkräfte "üblicherweise" leisten. Was "üblicherweise" im sozialen Hilfesystem gearbeitet wird , hängt aber maßgeblich davon ab, was noch finanziert wird. Jeder soziale Kahlschlag schafft Raum für "ergänzende" Aufgaben, die Grenzen von "zusätzlicher" und regulärer Aufgabe verschwimmen.

Lohndumping mit "Zusätzlichkeit"

Wie bedrohlich dieses Szenario für reguläre Beschäftigungsverhältnisse tatsächlich wird, hängt u.a. davon ab, welche Reibungsverluste im Alltag mit den wechselnden dienstverpflichteten Kräften auftreten und welche Widerständigkeiten sich auf Seiten der Beschäftigten entwickeln. Wenn man die angeblichen "Klebeeffekte" von 1-Euro-Jobs ernst nehmen würde, so müsste während oder nach Beendigung der Tätigkeit eine Vermittlung zu Privatfirmen gesucht werden. Doch der öffentliche und soziale Sektor zeichnet sich gerade dadurch aus, dass nur wenige Schnittstellen zur privaten Wirtschaft bestehen. Das war schon bei ABM stets als Integrationshemmnis kritisiert worden, und bei der gemeinnützigen Arbeit wird es noch schwerwiegender zu Buche schlagen. Wegen der fehlenden Arbeitskontakte mit Firmen im gewerblichen Bereich gibt es aus der Arbeitsgelegenheit heraus keine Übertrittsperspektive - selbst wenn tatsächlich eine Nachfrage nach Arbeitskräften bestehen würde. So bliebe nur ein möglicherweise qualifizierender Aspekt der Arbeitsgelegenheiten. Doch Qualifizierung kostet Geld, das niemand ausgeben möchte. Learning bei doing wird daher die Maxime sein - vor allem im Bereich zahlreicher Hilfstätigkeiten. Und wer bereits was gelernt hat, dessen Qualifikationen werden durch die gemeinnützige Arbeit eher abgewertet werden. Die Fokussierung der vermeintlichen Integrationsförderung auf die gemeinnützige Arbeit ist also unter dem Strich nichts anderes als der Abschied der Politik von dem Ziel, Langzeitarbeitslose durch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen wieder in bezahlte Existenz sichernde Arbeit zu bringen. Der 1-Euro-Sektor ist das Eingeständnis, dass es keine regulären Arbeitsplätze und daher keine berufliche Perspektive für Langzeitarbeitslose gibt. Die 1-Euro-Jobs sind für sie der Ersatz für reguläre Beschäftigung. Doch welche Logiken stecken dahinter, wenn ein faktisch untaugliches "Förderinstrument" gepusht wird, das mehr eine Bedrohung als Hilfe ist? Der erste Grund ist banal: Der Bundeshaushalt zur Umsetzung von Hartz IV ist finanziell unterausgestattet. Dies werde dazu führen, dass "Mehrausgaben für Arbeitslosengeld II nur durch Einsparungen bei den Leistungen zur Eingliederung in Arbeit gedeckt werden können." (1) Das knappe Restgeld für Eingliederungsmaßnahmen wird gestreckt und die einzelne Maßnahme verbilligt. Und das billigste "Förderangebot" ist die gemeinnützige Arbeit, die flugs zum neuen arbeitsmarktpolitischen Heilsbringer avanciert. Zweitens geht es der Politik um die Durchsetzung des "workfare"-Ansatzes in der Sozialpolitik. (2) Wer das Existenzminimum als Transferzahlung braucht, der soll und muss eine Gegenleistung erbringen. "Die Solidargemeinschaft kann für ihre Leistung auch etwas verlangen", bekräftigt der Berliner Wirtschaftssenator Harald Wolf (PDS) diese Sichtweise. (Berliner Zeitung 7.8.04). Wer ein Beschäftigungsangebot ablehne, dem könne auch die Leistung gekürzt werden, verlautet es aus dem Munde des ehemaligen Linken. Für diese Argumentation bedarf es ausreichender unentgeltlicher Arbeitsgelegenheiten, damit die Transferleistung auch als Äquivalent für geleistete Arbeit gewährt werden kann. Ganz Schlaue vergleichen bereits die erzwungenen Billigjobs mit den Stundenlöhnen im regulären Bereich. Unter der Hand wird mit solchen Rechnungen die These bekräftigt, es handle sich bei der staatlichen Gewährung des politisch definierten Existenzminimums um einen Lohn - den man sich folglich erst verdienen müsse. Doch wer den vertragsfreien 1-Euro-Job mit sozialversicherungspflichtigen Billiglohn-Tätigkeiten vergleicht, der sollte dies auch richtig tun und dabei einen Blick auf die Grundrechte werfen. Artikel 12 des Grundgesetzes gewährt das Recht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes und verbietet jeden Arbeitszwang.

Zwangsvermittlung ins Nichts

Das deutsche Sozialsystem sah für erwerbsfähige Arbeitslose niemals ein Recht auf Transferleistungen vor, wenn es eine (zumutbare) Arbeit gab. Gab es diese nicht, wurden als Ersatz für reguläre Beschäftigung Transferleistungen gezahlt. Für Langzeitarbeitslose gilt dies nicht mehr. Ab Februar 2006 wird die Versicherungsleistung Arbeitslosengeld auf ein Jahr bzw. 1,5 Jahre verkürzt. Der Staat definiert willkürlich, ab wann jemand steuerfinanzierte Transferleistungen erhält und damit zu einer neuen Gegenleistung verpflichtet ist - unabhängig davon, wie hoch die Eigenbeiträge in die Arbeitslosenversicherung waren. So wird es häufig der Fall sein, dass jemand nach einem Jahr Arbeitslosigkeit für seine Transferleistungen arbeiten muss, obwohl er individuell noch ein "Guthaben" in der Arbeitslosenversicherung hat. Er arbeitet folglich als Arbeitsloser ohne jede Gegenleistung und dies auf Anordnung. Eine solche Politik ist das beste Mittel, um den Solidargedanken gerade bei den Mittelschichten und den Gutverdienern zu beseitigen und der privaten "Vorsorge" auch in der Arbeitslosenversicherung den politischen Boden zu bereiten. Schließlich kann der Bund über die gemeinnützige Arbeit mit minimalem Geldeinsatz einen großen Einspareffekt erzielen, indem Menschen schlicht aus der Leistung ausgesteuert werden. Die Modellprojekte mit Jobcentern (Mannheim, Köln) oder die laufenden 1-Euro-Programme (Hamburg) belegen, dass diese Ausgrenzung erfolgreich ist. Mit der "Erprobung der Arbeitsbereitschaft" wird die ordnungspolitische und repressive Funktion der gemeinnützigen Arbeit umgesetzt. Was das ehemalige BSHG für erwerbsfähige SozialhilfeempfängerInnen vorsah, wird nun auch auf ehemalige Arbeitslosenhilfeempfänger ausgeweitet. Der Chef der kommunalen Beschäftigungsgesellschaft in Hamburg erläutert die Perfidie auf einem bundesweiten Planungsdialog der Agentur für Arbeit am 2.7.04 in Berlin: Es "... entsteht damit ein Verfahren, dass es den Trägern der Transferleistung ermöglicht, mit angemessenem Aufwand auch die Arbeitsbereitschaft zu überprüfen. Diese Überprüfung ist rechtmäßig und legitim, weil hinter der Zuweisung ein tatsächlicher Arbeitsplatz mit entsprechenden Hilfsangeboten steht." Die vertragsfreie und nicht sozialversicherungspflichtige gemeinnützige Arbeit wird zum "tatsächlichen Arbeitsplatz" umdefiniert, reguläre Beschäftigung muss nicht angeboten werden. Hat jemand nach Monaten den Test bestanden, kann er/sie - immer noch arbeitslos - nach Hause gehen und wird durch einen neuen "Probanden" ersetzt. Das Ziel der Eingliederung in reguläre Beschäftigung hat sich verflüchtigt. Hilmar Schneider vom Bonner Institut zur Zukunft der Arbeit bringt den Charakter der Arbeitserprobung auf den Punkt: Die angebotenen Jobs sollten "so unattraktiv wie möglich" gestaltet werden, damit mit der gemeinnützigen Arbeit eine "Drohkulisse" aufgebaut werden könne (Tagesspiegel, 15.8.04). Es ist nur ein schwacher Trost, dass das Bedrohungspotenzial kleiner ausfallen wird, als von Clement verkündet, denn die Schaffung von 600.000 Arbeitsgelegenheiten ist utopisch. Großstädte wie Berlin und Hamburg haben signalisiert, dass bereits 50% der angedachten Plätze nur schwer realisierbar sind.

1-Euro-Jobs: workfare in Deutschland

Die Aussicht auf die nächsten Jahre ist bitter. Gemeinnützige Arbeit verrichten zu müssen, ohne die eigene Berufsperspektive verbessern zu können, ist entwürdigend. Die Bundesregierung schreibt damit Langzeitarbeitslose in mehrfacher Hinsicht ab. Sie fördert sie nicht, sondern lässt sie unentgeltlich staatliche Regelaufgaben erledigen. Sie reduziert das Einkommen von Langzeitarbeitslosen auf eine "Grundsicherung", die gesellschaftliche Teilhabe nicht ermöglicht. Der finanziellen Ausgrenzung fügt sie die Verpflichtung hinzu, einem vermeintlich öffentlichen Interesse jederzeit dienlich sein zu müssen. Wer gemeinnützige Arbeit nicht verrichten will, dem wird unterstellt, er suche keine reguläre Arbeit. Diesem konstruierten Zusammenhang folgt bei Verweigerung die Strafe durch Leistungsentzug. Die gemeinnützige Arbeit klaut vielen Betroffenen einfach die Zeit, die sie brauchen, um sich selbst zu organisieren und das Lebensnotwendigste zu besorgen. Wer arm ist, hat keine Zeit für gemeinnützige Arbeit. Er muss Geld verdienen, wie auch immer. Die unzulängliche Grundsicherung mit ihrer Verpflichtung zur (gemeinnützigen) Arbeit ist kein Schutz vor dem stummen Zwang der ökonomischen Verhältnisse, sondern seine politische Verstärkung. Gaby Gottwald, Wolfgang Völker Anmerkungen: 1) Bremer Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, 29.6.04 2) durchgängiges Prinzip angelsächsischer Sozialsysteme, wonach prinzipiell jeder Sozialtransfer, auch das Existenzminimum, an eine Arbeitsverpflichtung gekoppelt ist. aus: ak - analyse + kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 487 / 17.09.2004