Gesund und munter

Basisorganisierung im Profit orientierten Krankenhausbetrieb

in (15.09.2004)

Gesund und munter ist eine Gruppe von Angestellten und Auszubildenden der mittlerweile in den beiden Profit orientierten Unternehmen Vivantes und Charité zusammengefassten Berliner Kliniken.

Sie verorten sich selber außerhalb der Betriebsratstrukturen. Aufklärungsarbeit und Aktionen sollen die Belegschaften dazu ermutigen, selber zu agieren, statt auf die institutionalisierten Vertretungen zu hoffen. Gesund und munter stellt damit einen der seltenen Versuche linker Basisorganisierung im Krankenhausbereich dar.

Betriebsräte und Geschäftsführung werden ausgebuht, Demonstrationen organisiert, spontane Straßenblockaden finden statt. Die Belegschaft der noch landeseigenen Berliner Kliniken will die Begleiterscheinungen der Privatisierung nicht mehr hinnehmen. Die Überführung in den (privaten) Vivantes-Konzern konnte noch ohne sichtbaren Widerstand vollzogen werden. Erst mit der faktischen Halbierung der Ausbildungsplätze regte sich ab dem Frühjahr 2003 zunehmend Kritik, die im Herbst dann auch von den ÄrztInnen, PflegerInnen und technischen Angestellten aufgegriffen wurde. Berufsgruppen übergreifend schwand das Vertrauen in Geschäftsführung, Betriebsräte und Senat. In dieser Situation stießen die Aktionen und Flugblätter von Gesund und munter auf wachsende Zustimmung. Trotz Fluktuation wuchs die berlinweite Gruppe. Sie konnte sich durch ihr Auftreten in der betriebsinternen Öffentlichkeit zu einem konstanten und sichtbaren Faktor entwickeln.

Pest oder Cholera

Die einschneidenden Kürzungen im Zusammenhang mit der Überführung in Privatunternehmen haben Vorbilder in Kassel. Dort fing die Kürzungswelle schon 1992 an und konnte durch kurzzeitige Erfolge des dortigen ÖTV-Betriebsrates und der Belegschaft deutlich verzögert werden. Der für die Privatisierung verantwortliche Geschäftsführer des Klinikums Kassel wurde 2001 zum Geschäftsführer der Neugründung Vivantes in Berlin. Gleichzeitig ist er Leiter des Instituts für medizinisch-ökonomisches Consulting (IMC), das auf die bundesweite Einführung und Umsetzung Kosten rationalisierender Maßnahmen im Gesundheitssektor spezialisiert ist. Was diese Verknüpfungen schon erahnen ließen, ist harte Realität in den Berliner Krankenhäusern geworden: Die Arbeitsabläufe werden bis zur Unerträglichkeit verdichtet und ca. 2.000 Arbeitsstellen der vormals 13.000 ersatzlos gestrichen. Zudem startet die Geschäftsführung von Vivantes einen Angriff auf die Tarifvereinbarungen der verbliebenen Angestellten und reduziert die Anzahl der Ausbildungsplätze um die Hälfte. Die Drohkulisse, die die Geschäftsführung angesichts des wachsenden Protestes aufbaut, besteht aus der Insolvenz von Vivantes und dem anschließenden Verkauf an die Rhön-Klinikum AG, womit der Bestand der überwiegenden Anzahl von Krankenhausstandorten - und Arbeitsplätze - völlig vakant erscheint. Dieses Schreckensszenario ließ die Protestierenden bei der Betriebsversammlung am 4. Juni diesen Jahres einknicken. Gesund und munter kommentiert dieses Erpressungsmanöver mit dem Plakattitel "Pest oder Cholera".

Geheimdiplomatie

Die Rolle der Gewerkschaften, der Betriebsräte und der Vertrauensleute erscheint in dieser Entwicklung ambivalent. In Kassel organisierte der damalige Betriebsrat maßgeblich den Widerstand gegen die Kürzungen im Zusammenhang mit der Privatisierung. In Berlin kommt es dagegen bei Protesten Ende der 90er zu einer weitgehenden Entsolidarisierung der Betriebsräte der meisten Krankenhausstandorte gegenüber dem von der sofortigen Schließung bedrohten in Moabit. Nur der Betriebsrat des Krankenhauses Neukölln stellt sich hinter seine KollegInnen in Moabit und beteiligt sich nicht an der Kungelpolitik zwischen Geschäftsführung und GewerkschaftsfunktionärInnen. Krankenhausangestellte bezeichnen diesen Verhandlungsstil der ver.di-Führung auch als "Geheimdiplomatie". Deren größtes Interesse sei es, die Ruhe in der Belegschaft zu bewahren. Angesichts solcher Vorstellungen von Betriebsratsarbeit wundert es nicht, dass z.B. der Ex-ÖTV-Vorsitzende von Berlin inzwischen Personalchef bei Vivantes wurde. Der Neuköllner Betriebsrat setzt statt dessen eher auf ein Informieren der MitarbeiterInnen und einen stärkeren Druck von unten. Deshalb ist es nach Aussagen von Gesund und munter-AktivistInnen auch kein Wunder, dass es im Frühjahr 2003 gerade in Neukölln sehr stark zu rumoren beginnt. Es gibt auch einzelne Betriebsratsmitglieder und Vertrauensleute in anderen Krankenhäusern, die nicht der Burgfrieden-Linie der ver.di-Führung folgen. Sie scheinen aber zu marginalisiert, um eine eigenständige Fraktion zu bilden. Selbst der aus Protest gegen die Kungelpolitik zurückgetretene Gesamtbetriebsratsvorsitzende von Vivantes wurde von seinen GewerkschaftskollegInnen größtenteils im Regen stehen gelassen.

Selbstorganisierung vs. Stellvertreterpolitik

In diesem Zusammenhang fanden sich Aktive, die schon an den ersten Protesten beteiligt waren sowie neue Interessierte jenseits der Gewerkschafts- und Betriebsratsstrukturen zusammen. Sie gründeten das wöchentliche Plenum Gesund und munter. Es steht sowohl allen im Gesundheitsbereich Arbeitenden, als auch Auszubildenden und Studierenden dieser Branche offen. Sie verstehen sich als Basisorganisierung. Gesund und munter will vor Ort mit Flugblättern, Plakaten und Veranstaltungen Aufklärungs- und Informationsarbeit leisten, im Alltag ansprechbar sein und damit eine Kontinuität in den Krankenhäusern selber bieten. Sie distanzieren sich von der bisherigen Stellvertreterpolitik im Sinne der Gewerkschaftsführung, die über die Beschäftigten hinweg entscheidet. Für Gesund und munter heißt das aber nicht, keine Zusammenarbeit mit kritischen Betriebsräten und Vertrauensleuten zu suchen. Partiell findet sie im Verlaufe der letzten Protesten auch statt. Durch die Fokussierung auf das Aufgreifen von konkreten Forderungen aus dem Betriebsalltag, ergeben sich immer wieder Überschneidungen mit Einzelnen aus dem Gewerkschaftsspektrum. Das Artikulieren solcher konkreten Forderungen stellt darüber hinaus eine der Stärken des Konzeptes von Gesund und munter dar: Viele KollegInnen beziehen sich im Verlaufe der Proteste darauf. Dagegen stießen die Versuche, sich explizit kapitalismuskritisch zu äußern, bisher auf wenig positive Resonanz unter den Beschäftigten. Trotzdem versuchen die AktivistInnen von Gesund und munter immer wieder argumentativ über den Tellerrand des Gesundheitsbereiches hinauszugehen. Sie setzen aber hinsichtlich der Radikalisierung auf einen langfristigen Erfolg. Kurz- und mittelfristig geht es ihnen um ein Ende der Lethargie und Resignation unter den KollegInnen angesichts der Kürzungsmaßnahmen.

Neuland

Außer dem Widerstand im Klinikum Kassel gibt es nach Aussagen von Gesund und munter-AktivistInnen keinerlei Vorbilder für Selbstorganisierung im Gesundheitsbereich in der Bundesrepublik. In Anbetracht der generell schwierigen Ausgangssituation im Krankenhausbereich, wo Aktionen und Streiks wegen der Beeinträchtigung der PatientInnen kaum möglich sind, wiegt dieser Mangel noch schwerer. Gesund und munter lässt sich deshalb auch von dem Konzept der militanten Untersuchung oder der Praxis der Callcenter Offensive als Beispiele für Selbstorganisierung in anderen Branchen inspirieren. Letztlich betritt Gesund und munter politisches Neuland. Die Gruppe geht daher von einer langsamen Entwicklung einer experimentellen Praxis im Stationsalltag aus. Sie kämpfen dabei vor allem mit den internen Hierarchien der Statusgruppen von outgesourcten ReinigungsarbeiterInnen auf der untersten Stufe bis hin zu den fest angestellten ÄrztInnen auf der obersten. Selbstkritisch äußert sich ein Aktivist von Gesund und munter darüber, dass gerade die, die in der Krankenhaushierarchie ganz unten stehen, nicht in die Proteste integriert werden konnten.

Ein weiteres Problem stellt die Unterteilung der regionalen Krankenhauslandschaft in mehrere Privatunternehmen dar. Dies behindere Solidarisierung bei Arbeitskämpfen. Als weiteres Manko kritisierte ein Gesund und munter-Aktivist die mangelnde Verknüpfung mit anderen Protesten: Es sei in diesem Winter erfolglos versucht worden, mit protestierenden Angestellten der Berliner S-Bahn und streikenden Studierenden in Kontakt zu treten. Entscheidend für die Bewertung der Arbeit von Gesund und munter ist jedoch das gewachsene Interesse innerhalb der Belegschaft an radikalerer Kritik. Vor diesem Hintergrund scheint die mühevolle Basisarbeit langsam von Erfolg gekrönt.

E-Mail-Kontakt zu "Gesund und munter": gesundundmunter04@yahoogroups.de