Alle gemeinsam gegen Sozialkahlschlag

Für Umverteilung von oben nach unten

So heißt die Überschrift der gemeinsamen Erklärung, die von den rund 500 Teilnehmer/innen am Frankfurter Aktionskongress (17./18. Januar) verabschiedet wurde. ...

... Dass diese Erklärung angesichts der heterogenen Zusammensetzung der bisher größten Aktionskonferenz nach der erfolgreichen Demonstration am 1. November 2003 in Berlin möglich war, ist an sich schon ein enormer Fortschritt. Begrüßt werden die Initiative des Europäischen Sozialforums und die geplanten Aktionen des Europäischen und Deutschen Gewerkschaftsbundes gegen Sozialabbau am 2. und 3. April. Die Zusammenarbeit verschiedener sozialer und politischer Bewegungen gründet auf dem prinzipiellen Widerstand gegen Sozial-, Bildungs- und Lohnabbau sowie die Einschränkung der Tarifautonomie und die Aushöhlung des Flächentarifvertrages.

Das Spektrum des Protestes wird breiter

Am ersten Kongressabend hatten verschiedene Gruppen und Verbände dargestellt, warum sie sich am Protest gegen Sozial- und Lohnabbau beteiligen, welche Interessen sie einbringen, was ihre Ziele und speziellen Aktionsformen sind. Insgesamt zehn Vertreter/innen verschiedener Gruppen, darunter Migrant/innen, Flüchtlinge, gewerkschaftliche Frauenbewegung, Student/innen, Auszubildende, Einkommenslose, Beschäftigte, berichteten. Großen Beifall löste der Bericht von Wolfgang Alles über den erfolgreichen Kampf um den Standort von Alstrom Power in Mannheim aus. Hier hatte die Belegschaft in langen Auseinandersetzungen im Bündnis mit Teilen der Mannheimer Bevölkerung erfolgreich den Standort verteidigen können. Auch die internationale Zusammenarbeit der Belegschaften verschiedener Standorte beeindruckte das Plenum. Insgesamt ist es gelungen, die Breite des Spektrums aufzuzeigen, die der Protest inzwischen einnimmt.

Gewerkschaften, Erwerbslose, Globalisierungskritiker

Der zweite Kongresstag hatte zwei Schwerpunkte. Zum einen wurden aus Sicht der Gewerkschaften, der Erwerbslosenverbände und der Globalisierungskritiker inhaltliche Ziele und Perspektiven diskutiert. Zum anderen standen die praktischen Vorbereitungen für den europäischen Protesttag und darüber hinaus auf der Tagesordnung. Hans-Jürgen Urban referierte über die Positionen der Gewerkschaften (aus sicherlich eher gewerkschaftslinker Sicht). Im Mittelpunkt seiner Analyse stand die These, dass der Sozialstaatskapitalismus in einen Standort- und Wettbewerbskapitalismus umgepolt wird. Wesentliche Elemente dieses Formationswandels sind: Erstens die Indienstnahme der öffentlichen Haushalte für eine wettbewerbs- bzw. standortbezogene Wirtschaftspolitik, zweitens die Veränderung der Erwerbslosenpolitik zur so genannten aktivierenden Arbeitsmarktpolitik. Die Instrumente zur Repression gegen Arbeitslose stehen dabei im Vordergrund. Drittens sind die Privatisierung und Kapitalisierung der sozialen Sicherungssysteme und die Integration dieser Systeme in die internationalen Finanzmärkte zu nennen, und viertens sollen die politischen Gegner, insbesondere die Gewerkschaften, geschwächt werden. Ähnliche Entwicklungen finden sich in allen Ländern der EU. Die Gewerkschaften stehen für eine europäische Politik mit jedoch gänzlich anderer Entwicklungsrichtung. Wie diese inhaltlich ausgefüllt wird, wird nach wie vor in erster Linie innerhalb der Nationalstaaten entschieden. Als inhaltliche Perspektive gab Urban an, dass die öffentlichen Investitionen ausgebaut werden müssen. Zur Frage der Erwerbsarbeit wird weiterhin am Ziel der Vollbeschäftigung festgehalten. Die Arbeit muss jedoch sozial geschützt, ökologisch verträglich und individuell produktiv sein. Urban nahm eine deutliche Position gegen den Ausbau des Niedriglohnsektors ein. Die sozialen Sicherungssysteme müssten ausgebaut und in Richtung einer Erwerbstätigenversicherung weiterentwickelt werden. In der politischen Landschaft biete das Parteiensystem keine Wahl mehr. Deshalb müssten Formen der direkten Demokratie eingeführt und durchgesetzt werden. Anne Alex vom Runden Tisch der Erwerbslosen beschäftigte sich in ihrem Beitrag insbesondere mit der zunehmenden Ausgrenzung und Verarmung bei erwerbs- und einkommenslosen Menschen. Allein 1,3 Millionen sind 2003 aus der Arbeitslosenstatistik herausgefallen. Dazu komme der Raub von Lohn und Leistungen in den Bereichen von Gesundheit, Rente und Arbeitsmarkt. Auch die Verschärfungen durch das Sozialgesetzbuch II werden bereits heute in vielen Bereichen zu Lasten der Sozialhilfeempfänger/innen angewandt. In dieser Situation erwarten die Erwerbslosen, dass die Gewerkschaften und die Wohlfahrtsverbände sich jetzt dauerhaft in den Dienst eines breiten Aufbegehrens stellen. Für die unabhängige Erwerbslosenbewegung ist ein Bündnis mit den großen Gewerkschaften zwar eine schmerzhafte, aber gewaltige Herausforderung. Alex hielt mit ihrer Kritik an der Mitgestaltungs- und Konzessionspolitik der Gewerkschaften nicht hinter dem Berg, forderte Gewerkschaften, die kämpferisch für eine Verbesserung der Lebenslagen all ihrer Mitglieder eintreten. Das bedeute heutzutage nicht zuletzt, sich für die Verbesserung der Existenzbedingungen der Erwerbslosen und Sozialhilfeempfänger stark zu machen. Umorientierungen von Teilen der Gewerkschaftsführung in diese Richtung werden ausdrücklich begrüßt. Wesentliche Forderungen der Erwerbslosen sind ein gesetzlicher Mindestlohn als Basis für existenzsichernde Tariflöhne für Erwerbstätige; konsequenter Kampf gegen Arbeitszwang und unversicherte Arbeit; Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich; politischer Kampf für die Legalisierung des Flüchtlingsrechts und - als zentrale Forderung - ein garantiertes ausreichendes und bedingungsloses Grundeinkommen, das einen Damm gegen die Armut von Kindern, Rentner/innen, Obdachlosen, Sozialhilfebezieher/innen, Erwerbslosen, Behinderten, kurz allen in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Menschen bildet. Sabine Leidig leitete ihr Referat mit der These ein, dass wir uns in einer globalen Funktionskrise des Kapitalismus und seines neoliberalen Modells befinden. Die Antwort der Herrschenden dazu ist die Verschärfung der weltweiten Konkurrenz sowohl nach außen durch permanenten Krieg gegen Terrorismus und den Aufbau der EU als Militärmacht, als auch nach innen durch Senkung von Lohnkosten und Steuern. Dazu gehört, dass die soziale Sicherung geschliffen und die Ausbeutung verschärft wird. Sie zeichnete ein durchaus differenziertes Bild, wie die "Beherrschten" darauf reagieren. Zwar würden 4/5 der Bundesbürger den finanziellen Ausgleich zwischen höheren und niedrigen Einkommen für richtig halten, gleichzeitig finde jedoch auch die Forderung nach Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit breite Zustimmung. Bei den Gegenkräften wären beide Hauptströmungen der Arbeiterbewegung gescheitert: sowohl die real existierende Sozialdemokratie wie der real existierende Sozialismus. Es fehle an überzeugenden konkreten Utopien und vor allem an glaubwürdigen zivilgesellschaftlichen Kräften, die die Verhältnisse zum Tanzen bringen. Die Elemente einer neuen Bewegung müssten vom Prinzip des Pluralismus und des Konsenses geprägt sein. Inhaltlich gehe es darum, die Diktatur der Vermögenden zu brechen und die Menschen vor den Profit zu stellen (die Welt ist keine Ware). Weiterhin ginge es darum, gesellschaftliche Bereiche der Vermarktung zu entziehen, Ansätze für eine Steigerung der Lebensqualität (Arbeitszeitverkürzung usw.) zu entwickeln und weltweit für Frieden und Gerechtigkeit einzutreten.

Aktionsteil

Im zweiten Teil der Konferenz wurden konkrete Aktionsvorschläge und Ideen entwickelt. Dazu gehörten die abschließende Formulierung eines Appells gegen Sozial- und Lohnabbau (Frankfurter Appell). Für diesen sollen massenhaft Unterschriften gesammelt werden. Regionale Bündnisse sollen gebildet bzw. weiterentwickelt werden und auf regionaler Ebene den Protest vorantreiben und koordinieren. Zur konkreten Vorbereitung der europäischen Protesttage am 2. und 3. April sollen örtliche Veranstaltungen, Informationskampagnen und regionale Aktionstage beitragen. Auch die Durchführung von betrieblichen Aktionen bis hin zu Arbeitsniederlegungen am 2. April wird als ein wichtiges Element der Aktivitäten hervorgehoben. Darüber hinaus soll die internationale Vernetzung über den 3. April hinaus gefördert werden. Die Teilnehmer/innen der Konferenz sind sich bewusst, dass die Angriffe auf die Sozialsysteme, Tarifverträge und Arbeitsbedingungen mit der Agenda 2010 noch lange nicht zu Ende sind. Deshalb ist es auch unerlässlich, den Protest mittel- und längerfristig zu organisieren. In der Abschlusserklärung heißt es dazu: "Wir wollen die Rücknahme der Agenda 2010, den Sozial-, Bildungs- und Lohnabbau stoppen und ihn nicht sozialverträglich mitgestalten, sondern leisten Widerstand. Wir sind uns allerdings bewusst, dass wir diese gemeinsame Arbeit über die europaweiten Aktionstage hinaus kontinuierlich fortführen müssen." Insgesamt war die Konferenz trotz aller unleugbaren Widersprüche zwischen den beteiligten Gruppen ein positiver Schritt zur Verbreiterung und Weiterentwicklung des bundesweiten Bündnisses gegen Sozial- und Lohnabbau. Wenn es möglich ist, sich mit unterschiedlichen Positionen konstruktiv auseinanderzusetzen, trotzdem die Proteste zu bündeln und die außerparlamentarischen Kräfte zu stärken, hat diese Veranstaltung dazu einen wichtigen Beitrag geleistet. Bernd Riexinger ist Geschäftsführer des ver.di-Bezirks Stuttgart. aus Sozialismus Heft Nr. 2 (Februar 2004), 31. Jahrgang, Heft Nr. 274