Der BND an die Spree

Der Bundesnachrichtendienst will nach Berlin. Deshalb muß er sparen,weil der Umzug viel Geld kostet. Sparen - wobei? An Nachrichten? ...

... Nachrichtenermittlern, die wir uns Spitzel zu nennen angewöhnt haben? An festen Mitarbeitern oder lieber an Abhörgeräten? Berlin lockt. Einer der vorlauten Presseleute meinte gerade, der Dienst sei längst da. So und so viele BNDisten wirkten bereits in der Stadt. (Da möchte man den marschmäßig angehauchten Schlager aus den zwanziger Jahren anstimmen: "Du bist verrückt mein Kind, du mußt nach Berlin, wo die Verrückten sind, da gehörst du hin." Heute umgetextet: Wo die Extremisten sind.) So oder so - alle umziehenden 4 500 Mitarbeiter bereiten der Bonner Republik endgültig ein Ende. Es stehen dem BND und manchem Berliner Begegnungen mit dem Feindbild bevor - die "Schlapphüte aus Pullach" (O-Ton DDR-Propaganda) gehörten einmal zu den schlimmsten Helfershelfern des Weltimperialismus. (Wenn unsere sowjetischen Freunde, erklärte es mir einmal ein Offizier der DDR-Armee, gezwungen wären, Atombomben auf die BRD zu werfen, gehörte die erste auf Pullach.) Das ging vom Mißverständnis aus, daß Verfassungsschutz und (der für das Ausland zuständige) BND für die Bundesrepublik ähnlich wichtig waren wie die Staatssicherheit für die DDR.
Wer die saturierte Stadt Pullach vor München kennt, weiß, welcher Kontrast auf die Beamten in Berlin wartet. Und dann kommen sie in ein Gebäude am längst geschleiften Stadion der Weltjugend in Ostberlin. Die Politiker dort protestieren zwar alle dagegen - von der PDS bis zum CDU-Bürgermeister -, doch der Berliner Senat ist pragmatischer und denkt an Steuereinnahmen. So zieht der Dienst auf das Gelände eines Stadions, das zu DDR-Zeiten unter anderem auch die Fußballmannschaft von Stasichef Erich Mielke nutzte. Nicht weit entfernt von den Grenzübergängen, an denen am 9. November 1989 durch drängelnde Ostberliner die Mauer geöffnet wurde.
Ein paar nicht entdeckte Doppelagenten des MfS werden künftig ihren ehemaligen Führungsoffizieren näher sein - Marianne Birthler meinte kürzlich, das neun von zehn BND-Agenten auf dem Gebiet der DDR eigentlich von der Stasi geführt und kontrolliert worden seien.
Die Bundesregierung ist für den Umzug. Wegen der Nähe zum Kanzleramt. Oder wegen des Ablenkungseffektes - man bietet Demonstranten ein Angriffsziel zur Entlastung des eigentlichen Regierungsviertels an. Der BND auf dem Präsentierteller, er läßt verlauten: "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!" Ihm wird nichts weiter als verstärkte Öffentlichkeitsarbeit übrigbleiben, dafür wird Dieter Bohlen als Berater angeheuert. Oder eine seiner Ex-Freundinnen. Jedenfalls Menschen, die im Denunzieren geübt sind. Die Pullacher Neu-Berliner werden in die Cafés und Szenekneipen der Umgebung ausschwärmen und dort die soziale und gastronomische Problematik der Stadt begreifen lernen. Und: Journalisten werden stets ein (Enthüllungs-)Ziel vor den Augen haben. Die literarische Rest-Szene vom Prenzlauer Berg schreibt natürlich zurück und läßt den Spitzel wieder in die Literatur einziehen.
Kommt es zur Re-Politisierung des Kulturbetriebs? Oder beginnen, angesteckt von ihrer neuen Umgebung, BND-Mitarbeiter plötzlich zu malen, zu scratchen oder gar zu schreiben? Das wird alles noch sehr spannend. Und Berlin ist wieder einen Moment die ganz besondere Stadt in Deutschland, die es ja immer bleiben will. Also: BND, ab an die Spree!

in: Des Blättchens 7. Jahrgang (VII) Berlin, 5. Januar 2003, Heft 1