Die Öffentlichkeit wird beteiligt

Alternativkonzept für die Suche nach einem atomaren Endlager

Selbst wenn der Ausstieg aus der Atomenergie eines Tages Realität werden sollte, bleibt die Endlagerung von radioaktiven Abfällen eine Aufgabe, von deren Bewältigung für künftige Generationen ...

... einiges abhängen wird. Vor diesem Hintergrund sind die kurzfristig gedachten Konfliktvermeidungsstrategien, die die Suche nach einem sicheren Standort überlagern, in keiner Weise angemessen. Götz Renger schlägt ein neues Verfahren vor, das die Interessen der Bevölkerung zur Geltung bringen und damit die Sicherheit erhöhen kann.

Seit Beginn der Anti-Atom-Proteste nimmt die Öffentlichkeit die Entsorgung radioaktiver Abfälle als "offene Frage" wahr. Wenig bewusst ist aber, dass die Frage nach dem "Wohin damit" schon mehrfach entschieden wurde. Den Anfang machte Westdeutschland mit einem Endlager für schwach-radioaktive Abfälle im ehemaligen Kalibergwerk Asse II bei Wolfenbüttel. Die DDR folgte mit der Einlagerung vergleichbarer Abfälle im Kalibergwerk Moorsleben nahe Helmstedt. Für die großen Mengen an schwach und mittelradioaktiven Abfällen mit "geringer Wärmeentwicklung" hat das niedersächsische Umweltministerium einen Planfeststellungsbescheid für die ehemalige Eisenerzgrube Konrad bei Salzgitter positiv beschieden. In Gorleben wurde bereits ein Bergwerk errichtet, von dem aus untertägige Erkundungen des Salzstockes möglich sind. Es soll als Endlager für abgebrannte Brennelemente und andere langlebige wärmeentwickelnde Abfälle dienen. Die US-Administration hat kürzlich grünes Licht für ein Endlager in den Yucca Mountains gegeben. Schweden konzentriert sich auf den Standort Oskarshamn. Die Schweiz unterhält ein untertägiges Forschungslabor in den Alpen und favorisiert ein Endlager nahe der deutsch-schweizerischen Grenze. Finnland hat sich auf einen Standort in Granitgestein festgelegt. Frankreich wird nahe des Ortes Bure erkunden. England will an seiner Westküste zu Irland ein Bergwerk errichten.
Trotz alledem nimmt die Öffentlichkeit wahr, dass Viele die Fragen der Entsorgung offen halten wollen. Nach Auffassung der Industrie und der Bundesregierung liegt das daran, dass die Öffentlichkeit bisher nicht ausreichend informiert wurde. Zukünftige Entscheidungen sollen daher durch eine verbesserte Beteiligung der Öffentlichkeit1 vorbereitet werden. Ein verbesserter Diskurs zwischen Laien und Experten soll die Lösung bringen.
Nach aller Erfahrung halten jedoch Ablehnung, Protest und Widerstand so lange an, wie Menschen ihre Rechte noch nicht geltend machen konnten. Was aber passiert, wenn der Rechtsrahmen solche Rechte nicht kennt? Genau das ist bei der atomaren Endlagerung der Fall. In der Phase der Standortsuche und während ein Bergwerk erkundet und errichtet wird, haben Betroffene keine Rechte und damit auch keine Möglichkeit, Gerichte anzurufen. Das ist der Grund, warum die Fragen offen bleiben müssen.
Die Gründe, aus denen ein Endlagerprojekt abgelehnt werden kann, sind vielfältig. In den kommenden Jahren werden durch wissenschaftlichen Erkenntniszuwachs und durch gesellschaftlich-politische Umwälzungen noch weitere Fragen aufgeworfen. Die demokratisch rechtstaatliche Form der Konfliktaustragung sollte sich in dem Sinne fortentwickeln, dass Lebensinteressen über Profitinteressen siegen können. Es gilt daher Verfahrensmängel zu beseitigen und Rechte zu erkämpfen.
Die bisherigen Anstrengungen zur Endlagerung radioaktiver Abfälle weisen nicht nur sicherheitstechnische, sondern auch politische Defizite auf. Auch die Koalitionsparteien waren sich bei Regierungsantritt 1998 darin einig, "dass das bisherige Entsorgungskonzept für die radioaktiven Abfälle inhaltlich gescheitert ist und keine sachliche Grundlage mehr hat".2 In Aussicht gestellt wurde die Erarbeitung eines nationalen Entsorgungsplanes für die Erblast der radioaktiven Abfälle. Nach ihrer Einschätzung reicht für die Endlagerung aller Arten radioaktiver Abfälle ein einziges Endlager in tiefen geologischen Formationen aus.
Jedoch steht das Festhalten der Bundesregierung an den seit Jahren umstrittenen Projekten Gorleben und Schacht Konrad (bei Salzgitter) einer Neuplanung im Wege. Für die Betroffenen an den beiden Standorten hat sich wenig geändert. Das für Gorleben verhängte Moratorium deutet nicht auf eine baldige Aufgabe und Rückführung dieses Projektes hin. Die noch unter der Kohl-Regierung eingeführte Beschneidung der Rechtsmittel von Grundeigentümern3 bei der Erkundung von Endlagern blieb bestehen. Die Einlagerung von schwach wärmeentwickelnden Abfällen in Konrad ist ausgesetzt, da Klagen von AnwohnerInnen anhängig sind.
In die ehemaligen Kalibergwerke Asse bei Wolfenbüttel und Morsleben bei Helmstedt wurden Abfälle eingelagert, ohne dass hinreichende Gewissheit über die Folgen bestand. Noch bevor die Pläne zum endgültigen Verschluss der Anlagen erstellt, eingereicht und genehmigt werden können, müssen nun Sanierungsarbeiten zur Sicherung der Anlagen erfolgen. Morsleben und die Schachtanlage Asse II wurden ausgewählt, weil es billiger war, ausgebeutete Kalibergwerke zu nutzen als neue zu errichten. Der zuvor Jahrzehnte andauernde Bergbau hat jedoch beträchtliche Hohlräume hinterlassen. Gebirgsmechanische Veränderungen des Salzgesteins drohen das Gebirge aufzulockern, wodurch Wegsamkeiten für eingelagerte Stoffe zur Biosphäre entstehen können. Nicht zuletzt aus Gründen der Sicherheit der Untertage Tätigen müssen Verfüllmaßnahmen erfolgen, die den Arbeiten zum endgültigen Verschluss vorgezogen sind. Die Sanierungsarbeiten werden noch viele Jahre andauern und belasten den Bundeshaushalt erheblich. Die Sanierungsarbeiten stellen auch eine wesentliche Änderung dar und können negative Auswirkungen auf den Verschluss der Anlage haben.
In Morsleben, in der Asse und in Gorleben konnten die Betroffenen den Fortgang der Arbeiten bisher nur als rechtlose Zaungäste verfolgen. Diese Erfahrung der Rechtlosigkeit provozierte bereits in einer frühen Phase die grundsätzliche Ablehnung.
Unbefriedigende Verfahren
Sicherheitskonzepte beinhalten oft einen Kompromiss zwischen Sicherheits- und Kostenaspekten. Bei der Entscheidung für die eine oder andere Variante wurden die Betroffenen bisher weder rechtswirksam beteiligt noch auch nur ansatzweise informiert. Erst wenn ein Endlager nach vielen Jahren seinen Betrieb aufnehmen will, ist nach dem geltenden Rechtsrahmen ein Planfeststellungsbeschluss erforderlich, der die Berücksichtigung und Abwägung von berechtigten Interessen natürlicher und juristischer Personen förmlich vorschreibt. Wenn in vielen Jahren die Pläne zum Einschluss der Anlagen Asse und Morsleben öffentlich ausgelegt werden, wird ein wesentlicher Teil der sicherheitsrelevanten Arbeiten bereits abgeschlossen sein.
Eine Beteiligung hat es bisher nur ein einziges Mal gegeben, im Fall Schacht Konrad bei Salzgitter. Eine gesetzlich vorgeschriebene Frist der öffentliche Auslegung umfassender Planungsakten ermöglichte es BürgerInnen und Gemeinden, Akteneinsicht zu nehmen und Einwendungen gegen den Plan zu erheben. Es folgte ein sechs Monate andauernder Erörterungstermin zwischen Antragstellerin (Bundesregierung), Genehmigungsbehörde (niedersächsisches Umweltministerium) und den EinwenderInnen (natürliche und juristische Personen), für den eigens eine Traglufthalle errichtet wurde, in der täglich verhandelt und gestritten wurde. Nicht nur aufgrund der politischen Folgenlosigkeit der Bemühungen und Vorarbeiten der GegnerInnen des Projektes (Schacht Konrad erhielt 2002 nach einer zwanzigjährigen Phase der Planung und Erkundung seitens der niedersächsischen Landesregierung einen positiven Planfeststellungsbescheid) haben alle Beteiligten den damaligen Erörterungstermin als ungeheuer anstrengend empfunden. Es kann nicht zielführend sein, an einem einzigen Termin sämtliche Konflikte um unzählige Fragen austragen zu müssen, die sich über einen derart langen Zeitraum angesammelt hatten.
Wegen des öffentlichen Drucks im Zusammenhang mit Schacht Konrad und Gorleben hatte die rot-grüne Bundesregierung versprochen, ein Endlager für alle Arten atomarer Abfälle zu suchen. Die erste Phase wurde in der zurückliegenden Legislaturperiode abgeschlossen. Es wurde ein Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte (AkEnd) berufen. Seine Arbeit bestand in der Formulierung von Kriterien für die Auswahl von Standorten und Vorschlägen für ein Standortsuchverfahren. Der AkEnd hat im Winter 2002 seinen Abschlussbericht vorgelegt. In der nun beginnenden zweiten Phase soll das Standortsuchverfahren mit der Öffentlichkeit diskutiert und verabschiedet werden. Die dritte Phase ab 2006 ist der eigentlichen Suche und Findung eines neuen Endlagers vorbehalten - falls Rot-Grün im Bund dann noch die Mehrheit hat. Für diese Legislaturperiode haben SPD und Bündnisgrüne folgende Ziele im Koalitionsvertrag vereinbart:
"Nach Abschluss der Arbeiten des AkEnd wird die Bundesregierung dem Bundestag einen Beschlussvorschlag zu den Auswahlkriterien und dem Auswahlverfahren für den Standort eines Endlagers entsprechend der Koalitionsvereinbarung von 1998 unterbreiten. Zur Frage der Finanzierung der Erkundungsarbeiten strebt die Bundesregierung eine Verständigung mit den Energieversorgungsunternehmen an, die deren Verantwortung als Abfallverursacher gerecht wird. Zuständigkeits- und Verfahrensfragen, einschließlich der Standortentscheidung für ein Endlager, werden gesetzlich geregelt."4
Der letzte Satz ist gefährlich mehrdeutig. Er lässt offen, ob der Bundestag per Gesetz einen Standort diktiert oder ob er einen rechtlichen Rahmen für die Benennung von alternativen Standorten für die obertägige Erkundung und deren vergleichende Auswahl verfahrensrechtlich regelt. Widrigenfalls wären den BürgerInnen alle Rechtsmittel (die noch zu erkämpfen sind) aus der Hand geschlagen, denn die Klage gegen einen gesetzlich benannten Standort ist für Normalsterbliche ein unüberwindbare Hürde. Theoretisch wäre dann das Bundesverfassungsgericht mit Grundsatzfragen zu beschäftigen und nicht ein Verwaltungsgericht mit konkreten Fragen.
Gefährliche Vermischung
Eine Politik, die einen Standort per Gesetzesbeschluss festlegen will, könnte nach einer Wahlniederlage im Bund zur Zementierung von Gorleben genutzt werden. Der Gesetzgeber könnte aber auch einen anderen Standort benennen. Das wiegt nicht minder schwer, da die Such-Kriterien des AkEnd einer wünschenswerten Sicherheitslogik wiedersprechen. Im Auftrag des AkEnd hat die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Wibera Schritte für die Suche nach einem geeigneten Endlagerstandort entwickelt, in denen sich Verfahren und Kriterien auf gefährliche Weise mischen:
l Ausschluss offensichtlich geologisch ungünstiger Gebiete
l Ausweisung von Gebieten mit geologisch ungünstigen Voraussetzungen
l Ausschluss von Gebieten, die aus sozialwissenschaftlichen Gründen nicht in Frage kommen
l Ausweisung von Regionen mit besonders günstigen Voraussetzungen
l Ermittlung von Standorten für weitere Untersuchungen
l Übertägige Standortuntersuchungen und Ordnen der Standorte nach potenzieller Eignung
l Ermittlung von Standorten für die Eignungsprüfung; evtl. Aufstellung von Prüfkriterien.5
Ein wesentlicher Fehler dieser Konzeption hat bereits seit der Benennung von Asse II und Gorleben unrühmliche Tradition: Im dritten Schritt halten "sozialwissenschaftliche" Kriterien Einzug, die beim besten Willen nicht als Sicherheitskriterien Eingang finden können. Dennoch begleiten sie die geologischen Kriterien in den Schritten vier bis sieben.6
Diese Vermischung von Sicherheitsfragen mit Fragen sozialer und wirtschaftlicher Opportunität weckt böse Erinnerungen.7 Bereits die CDU geführte niedersächsische Landesregierung unter dem Ministerpräsidenten Ernst Albrecht wählte am 22. Februar 1977 per Kabinettsbeschluss den Standort Gorleben aus mehreren niedersächsischen Salzstöcken aus. Geologische Überlegungen spielten bei der damaligen Standortauswahl eine untergeordnete Rolle. Politischer Widerstand an anderen Orten und eine regionalwirtschaftliche Unterentwicklung des an der innerdeutschen Grenze liegenden Landkreises Lüchow-Dannenberg gaben den Ausschlag. 8
Die Position innerhalb des AkEnd, die mittels geologischer Kriterien - d.h. ohne sachfremde Einmischung - nach einem optimalen Endlager suchen will, blieb in der Minderheit.9 Außerdem hatte bis zum Ende seiner Tätigkeit der AkEnd der Forderung nach Ausweitung von Rechten für Betroffene mehrfach wiedersprochen.10
Er erklärt in seinem Abschlussbericht, dass sein Standortauswahlverfahren im bestehenden Rechtsrahmen grundsätzlich durchführbar ist.11 Der AkEnd möchte sein Standortsuchverfahren mit vielen gesellschaftlichen Kräften diskutieren und "knüpft daran die Hoffnung, dass der Dialog zu einer breiten Zustimmung führt und in späteren Schritten der Standortsuche nicht jeder Schritt vor Gericht verhandelt werden muss." Er hat sich "bei der Entwicklung seines Modells durch ein detailliert ausgearbeitetes Gutachten der Wirtschaftsprüfgesellschaft WIBERA beraten lassen."12 WIBERA postuliert als Problemlösung die Zukunft einer "liberalen Demokratie" und zeichnet ein bizarres Horrorgemälde von Betroffenen, die fortwährend gegen die Endlager mit nicht substanzierten Begründungen Klagen vor Gerichten eröffnen: "Als Orientierung hat sich in solchen Verfahren inzwischen das Grundmuster einer "Konfliktbewältigung durch Verhandlungen" etabliert. Das Prinzip dieses Ansatzes basiert auf der Annahme, dass Verständigungen möglich sind und allen Beteiligten dienlicher sein können als ein Dauerstreit ohne echten Dialog; dass die Beteiligten ein Interesse daran haben, unnötigen Verschleiß oder eine Entscheidung durch Gerichte, die primär an juristischen Kriterien und nicht an inhaltlichen Merkmalen des Streitgebietes ausgerichtet ist, zu vermeiden." 13 Es ist schleierhaft, welcher gerichtliche Dauerstreit dort gemeint ist. Der existierende Rechtsrahmen kennt für die Phase der Standortauswahl und Erkundung gar keine Klagemöglichkeit.
In der nun beginnenden Phase II soll dennoch der öffentliche Diskurs über so etwas wie ein "Verfahren" eröffnet werden. Zur Entwicklung von Empfehlungen an Bundesregierung, Parlament und Länder empfiehlt der AkEnd dem BMU eine Verhandlungsgruppe zu benennen, die pluralistisch zusammengesetzt werden sollte: "Der Teilnehmerkreis der Verhandlungsgruppe (Â…) könnte aus Vertretern und Vertreterinnen der im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien, der Umwelt- und Naturschutzverbände, der Bundesländer, der Unternehmen der Energieerzeugung, von BMU und BfS, von Kommunen, von Bürgerinitiativen, der Kirchen, der Jugendverbände, von weiteren Verbänden und Institutionen und der Wissenschaft bestehen."14 Kein anderes Vorgehen charakterisiert die neoliberal-korporatistische Politik dieser Bundesregierung so wie dieses. Nach "Atomkonsensgesprächen", Hartz- und Rürup Kommission nun noch eine Verhandlungsgruppe für ein Endlagersuchverfahren.
Alternativen
Die Schaffung eines Endlagers ist ein Prozess, für den drei Jahrzehnte veranschlagt werden. Gesellschaftlicher Proporz und wissenschaftlicher Mainstream sind auf längere Sicht grundlegenden Umwälzungen unterworfen. Ansätze, die auf die Erlangung von Zuspruch, Konsens, Akzeptanz und Konfliktvermeidung orientiert bleiben, werden auf längere Sicht scheitern. Nur ein konfliktorientierter Ansatz kann demokratisch rechtstaatliche Lösungen im Sinne der Menschen versprechen. Für diese Dauer muss ein Verfahren der Endlagerauswahl und Erkundung politisch integer und fachlich transparent gehalten werden.
Mit einer bloßen Stärkung bestehender subjektiver Rechte wie dem Recht auf Schutz von Leben und Gesundheit und dem Schutz des Eigentums ist es nicht getan. Ein Endlager muss auch künftige Generationen vor nachteiligen Auswirkungen schützen. Da Mitglieder künftiger Generationen aber schlechterdings keine Prozessvollmacht erteilen können, tritt idealer Weise der Staat für dieses objektiv-rechtlich geforderten Schutzinteressen ein.15
Auf die Schwäche dieser Konstruktion (sorgender Staat anstelle von rechtlichen Möglichkeiten für Betroffene) wurde insbesondere im Umweltschutz schon vielfach hingewiesen: "Mittelbare Folge des eng begrenzten Zugangs zu den Gerichten im Umweltschutz ist, dass sich über die Jahre bei vielen Beteiligten Verhaltensweisen eingeschliffen haben, die den gesetzlich normierten Zielen des Umweltschutzes abträglich sind. (Â…) Mittlerweile hat sich ein derartiges Zwei-Klassen-System in der Praxis des Umweltrechts stark verbreitet. Während die Antragsteller jedweden geringfügigen Anlass zur Klage nutzen können, sind Verstöße gegen die nur objektiv-rechtlichen Umweltvorschriften zugunsten der Antragsteller nicht justitiabel. Den mit dem Vollzug betrauten Behörden fehlt eine verfahrensrechtlich untermauerte Unterstützungskraft durch Rechtspersonen, die an der Durchsetzung von Belangen des Gemeinwohls interessiert sind. Außerdem fehlt ihnen häufig die nötige Durchsetzungsmacht gegenüber finanzkräftigen oder politisch bedeutsamen Partikularinteressen."16
Gegenüber dieserart folgenlosen und nicht einklagbaren Versprechungen des "sorgenden Staates" mit den zwangsläufig folgenden Protesten der übergangenen Betroffenen gibt es durchaus konkrete Mittel und Wege, den Konflikt um die Endlagerung radioaktiver Abfälle auszutragen und zu einem dauerhaft tragfähigen Abschluss zu bringen.
Ein wesentlicher Schritt wäre die Einführung eines Zugangs zu einer gerichtlichen Überprüfung bei Verletzung eines "rechtlich bedeutsamen eigenen Interesses". Es wäre dann lediglich darzulegen, dass die Sorge um die Nachkommen durch die objektiv-rechtliche Schutznorm (Nachhaltigkeitspostulat im neuen Artikel 20a Grundgesetz) umfasst wird. Auf diesem Wege könnte der Konflikt zwischen Lebensinteressen und Profitinteressen seine Dialektik entfalten, denn natürliche Personen - denen eine solche Sorge zuzuerkennen wäre - lassen sich klar von juristischen Personen (Staat und Konzernen) trennen.
Noch vor Ablauf dieser Legislaturperiode können Schritte hin zu einem Konzept zur Entsorgung radioaktive Abfälle eingeleitet werden. Als Bauherr und Antragsteller kann die Bundesregierung die Projekte Gorleben und Schacht Konrad aufgeben.
Das Recht zur Planfeststellung von Endlagern wird mit dem Ziel novelliert, den BürgerInnen in jeder Phase materielle und formale Rechte einzuräumen. An die Stelle des bisher vorgesehenen Planfeststellungsverfahrens nach §9b Atomgesetz könnte ein gestuftes Verfahren zur Auswahl, Erkundung, Errichtung, Betrieb, Nachbetrieb und Abschluss eines Endlagers treten.
Um einen geeigneten Standort für ein Endlager in Deutschland finden zu können, müssen weitere Forschungsprojekte zur Formulierung der Kriterien angeregt werden, die zur Auswahl der bestmöglichen geologischer Formationen benötigt werden. Die Ergebnisse dieser Forschung könnten zu einem Kriterienplan gebündelt werden. Der Bevölkerung könnte ein uneingeschränktes, bürgerfreundliches und unentgeltliches Recht zur Erlangung von Informationen eingeräumt werden, das mit der Forschungsstrategie und den Forschungsarbeiten zur Suche eines Endlagers in Deutschland in Zusammenhang stehen. Der Kriterienplan könnte unter Beteiligung Dritter für das Bundesgebiet genehmigt werden und könnte bei der Vorauswahl von Standort-Alternativen bindend gemacht werden.
Nachdem die Genehmigung des Kriterienplan rechtskräftig geworden ist, könnte die Auswahl von Regionen zur näheren Erkundung der geologischen Formation durch geeignete Methoden wie Seismik und Tiefbohrungen erfolgen. Abschließend würde die geologische Gesamtsituation der untersuchten Formationen auf ihre Eignung hin ausgewertet, vergleichend dargestellt und öffentlich ausgelegt. Dieses Vorgehen verspricht die Wahl des besten Standorts aus mehreren Alternativen.
Nur in dem Falle, dass mehrere Standorte eine vergleichbar günstige geologische Gesamtsituation aufweisen, können im nachfolgenden Verfahren zur Festlegung auf einen Standort zur untertägigen Erkundung politische, wirtschaftliche und soziale Belange berücksichtigt werden. Lassen die gewonnen Kriterien hingegen nur einen optimal sicheren Standort zu, so müssen alle weiteren sozialen, politischen oder wirtschaftlichen Opportunitätserwägungen entfallen.17
Mit der Entscheidung zur Aufnahme von untertägigen Erkundungsarbeiten können regionalwirtschaftliche Planungen und individuellen Lebensentscheidungen berührt werden. Deshalb müssen die Träger öffentlicher Belange und drittbetroffene BürgerInnen in einem standortbezogenen Verfahren umfassend beteiligt werden.
In einem förmlichen Verfahren müsste sichergestellt werden, dass die untertägige Erkundung vornehmlich der ortsnahen Abklärung der abfallaufnehmenden und der angrenzenden geologischen Formationen dient und nicht der Errichtung des Endlager-Grubengebäudes.
Für die Aufnahme des Betriebes sieht das geltende Atomgesetz bereits vor, dass ein Planfeststellungsbeschluss ergeht. Aus den Schwierigkeiten in Morsleben und in der Asse muss die Lehre gezogen werden, dass wesentliche Änderungen im Betrieb und etwaige Sanierungsarbeiten des Grubengebäudes einer Genehmigungspflicht unter Beteiligung Dritter unterliegen sollten. Auch der Abschluss des geplanten Endlagers fällt in eine kritische Phase. Binnen der kommenden vierzig Jahre könnten die abfallerzeugenden Stromkonzerne verschwinden, so dass die Allgemeinheit die Kosten tragen müsste.

Anmerkungen
1)
Der Begriff der "Öffentlichkeitsbeteiligung" beschreibt zutreffend den Kampf um die öffentliche Meinung. Der geltende Rechtsrahmen kennt eine so genannte Öffentlichkeitsbeteiligung nicht. Der Autor dieses Beitrages rät aus sprachlich-systematischen (ideologischen) und sachlichen Gründen davon ab, den Begriff "Beteiligung der Öffentlichkeit" zu verwenden, wenn von fehlenden prozeduralen oder materiellen Rechten berichtet werden muss.

2)
Koalitionsvereinbarung zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und Bündnis 90/Die Grünen: "Aufbruch und Erneuerung - Deutschlands Weg ins 21. Jahrhundert", Herbst 1998.

3)
Dabei handelt es sich konkret um ein Grundstück, dass der Familie des Grafen Bernsdorf bei Gorleben gehört.

4)
Koalitionsvereinbarung zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und Bündnis 90/Die Grünen: "Erneuerung - Gerechtigkeit - Nachhaltigkeit. Für ein wirtschaftlich starkes, soziales und ökologisches Deutschland. Für eine lebendige Demokratie", Berlin, den 16. Oktober 2002.

5)
WIBERA Wirtschaftsberatung AG: 3. Zwischenbericht - Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Standortfindung für die Endlagerung radioaktiver Abfälle (Phase III), S.7, Hannover, im September 2001.

6)
WIBERA begründet diese Vermischung durch "liberale Demokratie", die einem "Prinzip der Freiwilligkeit" folgen müsse.WIBERA: Abschlussbericht - Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Standortauswahl für die Endlagerung radioaktiver Abfälle, S.79, Dezember 2002.

7)
Dazu Wolfram König, Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz, in seinem Beitrag "Atomare Endlagerung im Spannungsfeld zwischen fachlichen Notwendigkeiten und gesellschaftlichen Realitäten" auf Tagung der Evangelische Akademie in Loccum, 7. bis 9. Februar 2003 : "1967 wurden die Aktivitäten am Standort Bunde aufgegeben, weil es nicht zur Einigung mit dem Sohn des Bundestagsabgeordneten und Grundstücksbesitzers Enno Conring kam, und der Kreistag Leer das Projekt einstimmig ablehnte." 1972 erfolgte ein erneuter Anlauf: "Drei Salzstöcke in Niedersachsen - Wahn, Weesen-Lutterloh und Lichtenhorst - werden vorgeschlagen. Vorgesehen war die vergleichende Erkundung aller drei Standorte - ein, so meine ich, richtiger wissenschaftlicher Ansatz bei der Komplexität der zu lösenden Probleme. Am Standort Börger mit dem Salzstock Wahn wurde zuerst mit umfangreichen Untersuchungen begonnen. Eine Landwirtin, die sich über den Hintergrund der Bohrungen getäuscht fühlte, tritt mit ihrem Protest ein Lawine los." zitiert nach URL: www.bfs.de.

8)
So Wolfram König ebd.

9)
Prof. Dr. Klaus Duphorn, Universität Kiel (i.R.) formulierte in seiner Ansprache auf dem 3. Workshop des AkEnd diese Minderheitenposition.

10)
Vgl.: Gutachten der Fa. WIBERA/ Vgl. Beitrag von Prof. Dr. Alfons Bora. Beide URL: www.akend.de.

11)
Abschlussbericht des AkEnd, S.234.

12)
Ebenda, S.237.

13)
WIBERA: 2. Zwischenbericht - Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Standortauswahl für die Endlagerung radioaktiver Abfälle, S.2, Hannover, im April 2001. Gleichlautend wiederholt auch im WIBERA-Abschlussbericht, S.78.

14)
AkEnd: Auswahlverfahren für Endlagerstandorte, Empfehlungen vom Dezember 2002, S.239 f.

15)
Die Schwäche von Rechtsgütern mit lediglich objektiv-rechtlichem Charakter demonstriert der neu eingeführte Artikel 20a Grundgesetz. Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen "auch in Verantwortung für die künftigen Generationen" blieb bisher nahezu folgenlos.

16)
Deutscher Bundestag, Gesetzentwurf der PDS, Drucksache 14/5766, S.3.

17)
Eine Strategie für einen "bestmöglichen" Standort ist m.E. wissenschaftlich und ethisch unabdingbar, da bisher verfügbare Methoden zur Führung eines Langzeitsicherheitsnachweises nur über einen Zeitraum von einer Million Jahren aussagekräftig und belastbar sind. Der Abfall, um den es sich hier dreht, muss jedoch für einen Zeitraum von der Biosphäre fern gehalten werden, der um eine Größenordnung darüber liegt. Als Gorleben benannt wurde, erlaubten die geologischen und chemischen Methoden lediglich einen "Langzeitsicherheitsnachweis" für die Dauer von 10.000 Jahren.
Götz Renger lebt in Berlin