Die Nachrichten melden extreme Eisschmelze in der Arktis, die Nord-West-Passage eisfrei. Die Klimaveränderung habe dramatische Ausmaße angenommen.
Energiesparen sei jetzt unabdingbar.
Das Auto, der "Klimakiller Nr. 1", verschwendet Energie und stößt um so mehr Kohlendioxid aus. Die deutsche Automobilindustrie, die gern möglichst viele, möglichst schwere, möglichst schnelle Autos baut, zog sich deswegen Kritik zu. Daraufhin holte sich ihr Dachverband den vormaligen Wirtschaftsminister Matthias Wissmann (CDU) an die Spitze. Wissmann ernannte die Internationale Automobilausstellung IAA 2007 in Frankfurt am Main zur "Leitmesse der Mobilität" und behauptete dreist, daß "die Automobilindustrie die Herausforderung des Klimaschutzes angenommen" habe. Die landesüblichen kritiklos nachplappernden Medienschaffenden nahmen solche Stichworte gehorsam auf: "Grüne Automesse" titelte auch das gewerkschaftseigene Fachblatt ACE Lenkrad.
Schön wärÂ’s.
In Frankfurt dominierten wieder die Spritfresser, die Renner, Geländegängigen, Superschlitten und teuren Hybridfahrzeuge. Keines der hochpolierten Ausstellungsstücke würde im Alltag weniger als fünf Liter Kraftstoff pro 100 Kilometer schlucken. Die Mehrzahl der gezeigten Fahrzeugtypen verbraucht sieben Liter und mehr. Und (fast) alle sollen sie selbstverständlich mehr als 10.000 Euro kosten, viele sind teurer als 30.000 Euro. Man gönnt sich ja sonst nichts.
Von diesem Angebot, unverändert umweltschädigend, versprechen sich die deutschen Autobauer weiterhin fette Gewinne. Zwar wären, wie der Fernsehsender 3sat berichtete, mehr als 60 Prozent aller potentiellen Autokäufer bereit, zugunsten der Umwelt auf Motorleistung und Komfort zu verzichten. Zwar trommeln die Natur- und die Umweltschutzverbände seit Jahr und Tag für eine Verringerung des CO2-Ausstoßes im Straßenverkehr und für rationalere Verkehrsmittel. Zwar kostete Rohöl im September erstmals mehr als 80 Dollar pro Barrel und erwarten Experten im kommenden Jahr einen Preis über 100 Dollar. Aber die Autofirmen, unbelehrbar, bieten metalliclackierten, chromverzierten Irrsinn auf Rädern.
Sie haben Rückhalt in der Politik. Bundeskanzlerin Merkel sprach sich im ZDF erneut gegen ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen zu Gunsten besseren Klimaschutzes aus. "Ich bin dagegen, daß man das jetzt reguliert, sondern ich glaube, man sollte es sachbezogen regulieren." Glaube dient dieser Kanzlerin als Ersatz für konkrete Politik. "Ich finde, wir sollen den Leuten nicht vorgaukeln, daß irgendeine Maßnahme etwas bringt, die gar nichts bringt. Im deutschen Stau wird mindestens so viel Benzin verbraucht wie dadurch, daß ab und zu mal schnell gefahren wird." Alles Quatsch, aber vielen gefällt er.
Schnellfahren ist eine Ursache von Staus. Eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 120 Stundenkilometer, ein generelles Überholverbot für Lastwagen auf allen lediglich vierspurigen Autobahnen sowie ein Tempolimit von 90 Stundenkilometern auf allen Bundesstraßen (wie in Dänemark, Schweden und der Schweiz) würden viel zur Verstetigung des Verkehrsflusses, zur Vermeidung von Staus und zur Schonung der Umwelt beitragen. Verkehrswissenschaftler haben zwölf Prozent Einspareffekt errechnet: weniger Spritverbrauch, geringerer Fahrbahnverschleiß, geringere volkswirtschaftliche Schäden dank niedrigerer Unfallzahlen.
Industrie und Haushalte haben in den vergangenen zehn Jahren ihren Energieverbrauch deutlich gesenkt. Nur der Verkehr nicht, im Gegenteil.
Im Personentransport liegt das Auto laut Bundesverkehrsministerium inzwischen mit einem Anteil von 87,6 Prozent weit vor der Bahn (7,8 Prozent) und dem Flugzeug (4,4 Prozent). Ein eindrucksvolles Mißverhältnis zugunsten des unvernünftigsten Transportmittels, das durchschnittlich 1450 Kilo schwer ist (Fahrzeuggewicht), während das Transportgut (Mensch und Ware) im Durchschnitt nicht mehr als 130 Kilo wiegt.
In Deutschland sind 46 Millionen Personenwagen zugelassen. Sie sind täglich im Durchschnitt eine Stunde und fünf Minuten in Gebrauch. 22 Stunden und 55 Minuten pro Tag stehen sie herum - in der Garage, auf Parkplätzen oder in Werkstätten. Ihre Benzin- oder Dieselmotoren setzen höchstens ein Drittel der zugeführten Energiemenge in Bewegung um. So ineffizient sie sind, so teuer sind sie. Bei einer Jahresleistung von 15.000 Kilometern ergeben sich aus Abschreibung, Reparaturen, Verschleiß, Betriebskosten, Steuern und Versicherungsbeitrag jährlich Gesamtkosten von mehr als 5.500 Euro, monatlich 460 Euro für einen Mittelklassewagen.
Das Auto ist kein vernünftiges Transportmittel mehr. Es dient allerdings unserem Wirtschaftssystem als Bestands- und Wachstumsgarant. Befürworter und Nutznießer dieses Systems behaupten, ohne Wachstum gebe es keine Zukunft. Wenn das stimmt und wenn es in diesem System ohne Auto kein Wachstum gibt und wenn wir keine Alternative zu diesem System haben, dann lautet der Schluß: Keine Zukunft ohne Autos. Aber mit Autos, die weiterhin die Umwelt vergiften wie heute, endet in absehbarer Zeit die Zukunft. Und der Mensch wäre kein vernunftbegabtes Wesen.
Die IAA ist ein Drogenpalast. Hier wird fern jeder Logik so getan, als wäre das Auto ein erstrebenswertes Verkehrsmittel. Dabei ist es zuvörderst ein Suchtmittel: Es stimuliert Geltungssucht, Geschwindigkeitssucht, Machtgelüste, Rechthaberei, Streitlust, Rachsucht und diffuse Sehnsüchte. Seine abhängig machenden Eigenschaften und seinen Fetisch-Charakter ("des Deutschen liebstes Kind" wird es oft genannt) müßte man ihm mittels ordnungspolitischer Eingriffe nehmen und es ausschließlich einem präzise definierten Transportzweck gemäß gestalten. Das wäre aktive Umweltschutzpolitik. Eine Politik, die Richtlinien entwickelt und Grenzen setzt, gegen unvernünftige Autotypen ebenso wie gegen unvernünftigen Autogebrauch. Im Hinblick auf die Automobilwirtschaft ginge das nicht ohne Gesetze. Im Hinblick auf eine Autofahrermehrheit nicht ohne anstrengende Überzeugungsarbeit.
Was aber tut die Kanzlerin? "Die fährt nach Grönland, lässt sich mit Eisbergen fotografieren und gibt damit den Klimaschäden ein Gesicht" (so der Kabarettist Matthias Deutschmann im 3sat-Festival 2007 auf dem Mainzer Lerchenberg).
Die Kanzlerin, die Autobauer und die Massenmedien sind allerdings nicht allein an der Ineffizienz unserer Umweltschutzpolitik schuld. Außer zutreffender Information ist auch der Wille vonnöten, aus Erkenntnissen Konsequenzen zu ziehen. An beidem hapert es in Deutschland gleichermaßen.