Nach Hartz

Unbeirrt auf dem Weg des konsensualen ‘Neoliberalismus plusÂ’Am 15. März 2002 hatte Bundeskanzler Schröder die ‘Kommission Moderne Dienstleistungen am ArbeitsmarktÂ’ ("Hartz-Kommission") e

... Das 15-köpfige Gremium legte am 16. August einen 343 Seiten umfassenden Endbericht vor. Dessen Empfehlungen wurden bereits zwei Tage später auf einer Parteikonferenz der SPD, drei Tage später durch den Vorstand von Bündnis 90/Die Grünen und weitere zwei Tage später durch das Kabinett zum offiziellen Beschluss der Bundesregierung gemacht, der ohne Abstriche umgesetzt werden soll. Den Anlass für die Bestellung der Kommission bildeten die Anfang des Jahres skandalisierten, weil geschönten Vermittlungszahlen bei der Bundesanstalt für Arbeit. Erstes Ziel war eine Verwaltungsreform unter der Maßgabe neuer Steuerungsmodelle. Als Ergebnis liegt nunmehr ein Bericht vor, der nicht nur die Arbeitsämter, sondern auch die ArbeitnehmerInnen, insbesondere jedoch die Arbeitslosen einer neuen Steuerungsphilosophie unterwirft.
Die Kommission war mehr als nur ein weiteres ExpertInnen-Gremium, das sich mit der Arbeitslosigkeit in Deutschland befasst. Ihre Arbeitsergebnisse weisen weit über eine einfache Reform der Bundesanstalt für Arbeit und der Arbeitsmarktpolitik hinaus. Die einzelnen Maßnahmen stehen für ein schlüssiges Gesamtkonzept und für ein gesellschaftliches Leitbild zur zukünftigen Rolle der Arbeitskraft im neuen, ‘aktivierenden SozialstaatÂ’. Es geht um eine Neujustierung der ‘WareÂ’ Arbeitskraft. Im Mittelpunkt steht dabei nicht das ‘Rechtssubjekt ArbeitnehmerInÂ’, sondern das ‘Wirtschaftsobjekt ArbeitskraftÂ’. Neu ist jedoch nicht, dass staatliche Maßnahmen zur Marktfähigkeit und ---gängigkeit von Arbeitskraft beitragen oder sie herstellen. Neu ist die Art und Weise, in der dies geschieht. Interessenaushandlung wird durch Management ersetzt, soziale Gerechtigkeit durch Teilhabe bzw. Inklusion, Demokratisierung durch Dienstleistungen, das Rechtssubjekt ArbeitnehmerIn durch die Kundin bzw. den Kunden.
I. Leitbild-Politik
Ähnlich wie zuvor die Zukunftskommissionen der Freistaaten Sachsen und Bayern sowie die der Friedrich-Ebert-Stiftung umschreibtder Bericht ein neues Leitbild. Leitbilder dienen dazu, sowohl gegenwärtige Probleme als auch ihre Lösungen aus einer bestimmten Perspektive wahrzunehmen, was aber auch heißt, sie in der Regel auf diese Wahrnehmung zu verkürzen. Diese veränderte Sicht soll im Bewusstsein der Bevölkerung normativ verankert werden.
Es geht darum, ein neues Verständnis vom ‘SozialstaatÂ’ zu etablieren. Ideologischer Bezugspunkt ist der ‘aktivierende StaatÂ’ , mit dem sich die Bundesregierung (1999) ausdrücklich von dem Vorgängerkonzept des ‘schlanken StaatesÂ’ abgrenzt. Dieses sei ‘zu sehr auf die Reduzierung öffentlicher Aufgaben beschränktÂ’ gewesen und habe so ‘lediglich eine negative ZielbestimmungÂ’ gehabt. Der ‘aktivierende StaatÂ’ soll sich aber auch vom fürsorgenden, zentralistischen, intervenierenden Staat der fordistischen Ära abheben. Im Unterschied zu diesem soll er die Gesellschaft nicht direkt steuern, sondern ihr bei ihrer ‘SelbstentfaltungÂ’ moderierend zur Seite stehen. Die entsprechende neue Rolle des Staates wird mit Stichworten wie ‘SupervisorÂ’, ‘ModeratorÂ’, ‘SchmiermittelÂ’ oder ‘SchiedsrichterÂ’ beschrieben.
Im Gegensatz zum Konzept des ‘schlanken StaatesÂ’ beansprucht die Bundesregierung mit ihrem Leitbild des ‘aktivierenden StaatesÂ’ mehr als in den Begriffen ‘DeregulierungÂ’ oder ‘SozialabbauÂ’ zu fassen wäre. Vielmehr findet ein tatsächlicher Umbau inklusive Abbau statt. In Übereinstimmung mit den beschäftigungspolitischen Leitlinien der EU will die gegenwärtige Bundesregierung ihre Arbeitsmarktpolitik aufvier Säulen stellen: employability bzw. Beschäftigungsfähigkeit (vorwiegend über ein lifelong learning), Entrepreneurship bzw. in der Diktion der Bundesregierung ‘Entwicklung des Unternehmergeistes und Schaffung von ArbeitsplätzenÂ’, adaptability bzw. die ‘Förderung der Anpassungsfähigkeit der Unternehmer und ihrer BeschäftigtenÂ’ und nicht zuletzt Gender Mainstreaming als Leitlinie zur Verwirklichung der Chancengleichheit von Frauen und Männer.
Das im Fordismus prägende ‘NormalarbeitsverhältnisÂ’ wird in diesem Konzept reformuliert. Prägend für den Fordismus war die sozialstaatliche Regulation des kontinuierlichen Lebenslaufs ‘Ausbildung -- Arbeit -- RenteÂ’, der eingefasst in ein spezifisches Genderregime die soziale Sicherung strukturierte. In seinem normativen Gehalt umfasst das sogenannte ‘NormalarbeitsverhältnisÂ’ (NAV) eine enge Kopplung einer männlichen Erwerbsbiographie mit einem weiblichen Haushaltsbiographie: Spiegelbildlich gehörte zur ‘male bread winner familyÂ’ die ‘female homemaker familyÂ’. Das NAV war mehr als ein empirischer Sachverhalt in dem Sinne, dass es eine statistische ‘NormalitätÂ’ beschrieb, es hatte bis dato auch eine sozialrechtliche und lebensweltliche Normfunktion. Seit mehreren Jahren wird eine Erosion dieser Norm und Normalität festgestellt (vgl. zur Diskussion Wagner 2000), quantitativ sichtbar am stabilen Massiv der Massenarbeitslosigkeit und zunehmender prekärer Beschäftigungsverhältnisse. Hinzu kommt eine veränderte Nutzung der Ware Arbeitskraft, die unter dem Stichwort ‘ArbeitskraftunternehmerÂ’ (Voß/Pongratz 1998) diskutiert wird.Normativ wird das alte Leitbilde von zwei Seiten angegriffen: Konservative und Neoliberale haben es vor allem auf die Schutzfunktionen des alten Sozial- und Arbeitsrechts abgesehen, wenn sie ein mehr an Flexibilität und weniger Bürokratie fordern; aus den Reihen der Neuen Sozialen Bewegungen hingegen ertönte eine Kritik, die vor allem gegen den starren Lebenslauf und aus feministischer Perspektive gegen die geschlechterhierarchische Arbeitsteilung gerichtet war. Anders als bei den Konservativen und Neoliberalen intendierte diese Kritik am NAV keineswegs eine weitere Unterwerfung des Lebens unter die Zwänge der Ökonomie. Begriffe wie ‘lebenslanges LernenÂ’ waren zur individuellen Befreiung und nicht als ökonomischer Zwang zur ständigen Anpassung an den Arbeitsmarkt konzipiert. Ähnliches gilt für Ideen aus dem Bereich der Alternativen Ökonomie bzw. Formen der Eigenarbeit, wie sie heute erneuert unter dem Stichwort ‘Dritter SektorÂ’ diskutiert werden.
Während die Kritik am Normalarbeitsverhältnis noch anhielt, konstruierten andere bereits neue Leitbilder aus den Elementen dieser Kritik. Was die einen zur Beschreibung tatsächlich stattfindender Wandlungen heranziehen, dient den anderen als Grundlage, weitergehende Wandlungsprozesse einzufordern: ‘der Mensch als Unternehmer seiner Arbeitskraft und DaseinsvorsorgeÂ’ ist das neue Leitbild der sächsisch-bayrischen Zukunftskommission. Damit übertrug die Kommission die Veränderungen in der Produktionsweise -- die sie verallgemeinernd als Wandel von der Industrie- zur Wissensgesellschaft umschreibt -- und besonders die neuen Anforderungen an die Qualifikation der Arbeitskräfte auf die gesamte Gesellschaft. Aber nicht allein die Leitidee des Unternehmerischen, sondern auch die spezifische Rationalität managerialen Denkens wird zum Wegweiser für die Organisierung des Lebens erhoben (vgl. Bröckling 2000, 131). Anders als der soziologische Idealtypus des ‘ArbeitskraftunternehmersÂ’ ist das ‘unternehmerische SelbstÂ’ keine empirisch zugängliche Figur: ‘Das unternehmerische Selbst hat weder Namen noch AdresseÂ’ (Bröckling 2002). Es ist zunächst ein reines Leitbild, eine Denkfigur für einen neuen Gesellschaftsvertrag, ein neo-Schumpeterianischer Entwurf eines neuen Menschen. Angestrebt wird mit all dem eine weitere Ökonomisierung des Sozialen und des Lebens insgesamt im Blick und in der Perspektive des Unternehmerischen.
II. Postfordistische Regulation: Rückkopplung der Arbeitskraft an das Marktrisiko
Die sozialstaatliche Regulationsweise scheint sich grundlegend zu ändern: Im Unterschied zum fordistischen Sozialstaat, der vor allem einen kontinuierlichen Lebenslauf regulierte, steht im postfordistischen Sozialstaat bzw. ‘nationalen WettbewerbsstaatÂ’ die Regulation der Diskontinuität bzw. der Kontingenzen im Vordergrund. Das trifft gleichermaßen auf die Arbeitsmarkt--- wie auf die Sozialpolitik zu. Während im Fordismus über eine relative Abkopplung von Lohnarbeit und Existenzsicherung bzw. der Lohnarbeit vom Marktrisiko verhandelt wurde (vgl. Vobruba 1990, 28ff; Lessenich 1999). ist die Regulation im Postfordismus durch ein erneutes Zur-Ware-werden der Arbeit geprägt, wobei es zentral ‘um den Grad an Unsicherheit, der den Arbeitskraftbesitzern zugemutet werden kann und sollÂ’ (Dörre 2002, 401), geht. Gero Lenhardt und Claus Offe haben bereits Ende der siebziger Jahre in ihrem Beitrag ‘Staatstheorie und SozialpolitikÂ’ darauf hingewiesen, dass historisch eine umfassende Proletarisierung der Bevölkerung bzw. die Herausbildung der Lohnarbeiterschaft nicht automatisch aus der Industrialisierung folgt. Sie verwiesen auf funktionale Äquivalente zur Lohnarbeit -- wie z.B. Diebstahl, Bettelei -- und argumentierten, Sozialpolitik sei ‘die staatliche Bearbeitung des Problems der dauerhaften Transformation von Nicht-Lohnarbeitern in LohnarbeiterÂ’ (Lenhardt/Offe 1977, 101). Für die postfordistische Regulation bzw. für den postfordistischen Sozialstaat kann die These formuliert werden, dass es hierbei in der Tendenz um die staatliche Bearbeitung des Problems der ständigen Transformation von verberuflichten Arbeitnehmern in unternehmerische Subjekte bzw.in Arbeitskraftunternehmer handelt.
Eine derartiger Umbau bedarf der Legitimation. Die Transformation der sozialstaatlichen Regulation ging und geht einher mit einer bestimmten Diagnose von externen, internen und endogenen Ursachen einer Krise des Sozialstaats, oder wie Claus Offe (1995) es nennt: ‘Schock, Fehlkonstruktion oder DrogeÂ’. In der Arbeitsmarktpolitik wie in anderen Politikbereichen wurden zunächst externe Gründe für die Sozialstaatskrise zu Sachzwängen erklärt: auf der einen Seite die alles umfassende Globalisierung, auf der anderen Seite der ebenso naturalisierte ‘demographische FaktorÂ’. Ergänzend hoben Regierung und Arbeitgeber, aber auch Gewerkschaften interne Gründe, also Fehlkonstruktionen des Sozialsystems hervor: starre Arbeitsmarktregularien, zu viel Bürokratie, Lohnabstandsgebot als Fehlanreize, insgesamt Inflexibilität. Nicht zuletzt wurden auch endogene Gründe angeführt, indem auf das vom Sozialstaat induzierte Anspruchsdenken verwiesen wurde, das Missbrauch und Müßiggang hervorrufe: die Sozialstaatskrise als self-inflicted damage.
III. Anreiz-Politik
Die Reform der Bundesanstalt für Arbeit und des Arbeitsmarktes folgt einem ähnlichen Muster. Nachdem bereits im Mai 1999 existenzsichernde, sozial- und tarifrechtlich abgesicherte Löhne von den sozialdemokratischen Benchmarking-Experten Wolfgang Streeck und Rolf G. Heinze als ‘LuxusÂ’ bezeichnet wurden, scheint sich dieses Denken im Hartz-Papier fortzusetzen. Arbeitsmarktprobleme werden hier überwiegend als Mismatch-Probleme behandelt -- also darauf zurückgeführt, dass Arbeitskräfte und Unternehmer nicht zueinander finden --, womit andere, strukturelle Gründe der Massenarbeitslosigkeit -- fehlendes Wirtschafswachstum, Deindustrialisierung in Ostdeutschland nach dem Beitritt der DDR zur BRD und insgesamt zu niedriges Arbeitsplatzangebot -- ausgeblendet bleiben. Folgerichtig wird die Lösung vor allem in einem konsequenten Matching gesehen. Das Problem wird zum einen bei den Rechten der Arbeitslosen und der ArbeitnehmerInnen verortet (z.B. Zumutbarkeitskriterien, Modul 3), die dementsprechend zum Wohle der Betroffenen selbst weiter beschnitten werden sollen: Wenn die Vermittlungsdauer mit Hilfe der ‘Neuen ZumutbarkeitÂ’, der ‘familienfreundlichen QuickvermittlungÂ’ (Modul 2) sowie der Leiharbeitsvermittlung durch die ‘PersonalServiceAgentur (PSA; Modul 8) von durchschnittlich 33 auf 22 Wochen gesenkt werden soll, bleibt die Frage, ob damit tatsächlich neue Arbeitsplätze geschaffen werden können und wenn ja welcher Qualität sie haben. Doch die Qualität von Lohnarbeit steht in diesem Konzept nicht zur Debatte. Zum anderen müssen auch die Restbestände der paritätischen Selbstverwaltung durch ein neues Steuerungsmodell ersetzt werden, um effektive, aktivierende Arbeitsmarktpolitik durch die neue Bundesanstalt für Arbeit gewähren zu können. Somit gelten auch Mitbestimmungsrechte als Hindernisse des Arbeitsmarktes. Demokratische Entscheidungsprozesse stören anscheinend, wenn es um eine Beschleunigung von Prozessen geht.
3.1 Negative Anreize für Arbeitskräfte
Arbeitslose lernen, dass sie eigentlich keine Arbeitslosen, sondern KundInnen sind, die wiederum von anderen KundInnen, früher Arbeitgeber genannt, ‘ausgeliehenÂ’ werden können. Organisiert wird der Handel von der PSA, deren zentrales Anliegen ‘KundenzufriedenheitÂ’ ist. Damit dies gelingt, arbeitet dieses ‘Herzstück des Abbaus der ArbeitslosigkeitÂ’ (Hartz) nicht nur mit modernsten, datenschutzrechtlich bedenklichen Erfassungstechniken, sondern kann auch aufSanktionen zurückgreifen: Wenn Kunde Arbeitsloser nach drei bis sechs Monaten immer noch kein Zeit- und Leiharbeiter werden will, werden die ohnehin schon gekürzten Gelder nochmals gekürzt. Das gleiche gilt, wenn insbesondere junge, ledige, kinderlose PSA-Kunden sich weigern sollten, ihre sozialen Bindungen für irgendeinen Job aufzugeben und von Berlin nach Baden-Baden umzuziehen. Drastischer klingt es für jugendliche Arbeitslose ohne Ausbildung: ‘Aus der Not wird eine Tugend gemacht. Ausbildung und Qualifizierung in anderen Regionen Deutschlands und Europas (sic!) ist besser als keine AusbildungÂ’ (Kommission MDA 2002, 108, Modul 4). Das stimmt jedoch nur, wenn es sich dabei nicht um eine Zwangsverschickung handelt. Zudem scheint es widersinnig, Arbeitskräfte aus ohnehin strukturschwachen Regionen abzuziehen, um sie in strukturstarken Regionen auszubilden oder zu beschäftigen. Wird es in Ostdeutschland künftig noch junge Singles geben?
Im Rahmen der ‘Neuen FreiwilligkeitÂ’ (Modul 3) gibt es bei allen negativen Anreizen keinen Zwang, da schließlich alle Maßnahmen auf einem freiwilligen Zielvereinbarung beruhen: ‘Niemand ist gezwungen, eine angebotene Stelle anzunehmen, in die PSA einzutreten oder an einer Maßnahme zur Integrationsförderung teilzunehmenÂ’ (ebd., 97). Aber ohne (Einhaltung der) Zielvereinbarung keine Existenzsicherung, oder wie es die Bundesregierung unter Kohl einmal in einer Antwort auf eine große Anfrage zum Thema Armut formuliert hat: ‘Hilfeempfänger werden nicht "zur Arbeit gezwungen". Nach § 25 Abs. 1 BSHG hat keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt, wer sich weigert, zumutbare Arbeit zu leistenÂ’ (BT-Drs. 10/6055, 22). Musste früher das Arbeitsamt den Arbeitslosen nachweisen, dass ein Job zumutbar ist, soll nun die Beweislast, dass ein Job unzumutbar ist, bei den Arbeitslosen resp. Kunden liegen. Falls das alles noch nicht hilft, bestehen bereits in vielen Kommunen Stabsstellen oder Beschäftigungsgesellschaften, in denen Kunde Arbeitsloser für zusätzliche (die seit Jahren nicht mehr existenzsichernde Sozialhilfe ergänzende) eineinhalb Euro pro Tag endlich sein gesuchtes Gut erhält: Arbeit, bzw. in der Fachterminologie ‘Hilfe zur ArbeitÂ’, vorwiegend bei Grünflächenämtern (vgl. Brütt 2001, Schatz 2002, Sonnenfeld 2001).
Damit ‘Kunde und Mitarbeiter des JobCenter (...) sich auf gleicher AugenhöheÂ’ begegnen (Kommission MDA 2002, 97, Modul 3), unterliegen beide einem Anreizsystem. Angestellte der JobCenter stimmen einer organisationsinternen Zielvereinbarung zu, die mit ‘ergebnis- und leistungsorientierten VergütungskomponentenÂ’ (ebd., 182, Modul 10; s.a. 89, Modul 2) verknüpft ist. Damit erreicht die Anreizlogik eine gewisse ungleiche Reziprozität: Positive Ergebnisse im Sinne einer schnellen Vermittlung sind verpflichtend (Angebotspflicht des Vermittlers) und attraktiv, weil lohnend für den Dienstleister. An den Mann gebracht werden sie nötigenfalls mit einem flexibel und individuell handhabbaren Sanktionsinstrumentarium (Annahmepflicht des Arbeitslosen). Das einzige Sanktionsinstrument, das demgegenüber den KundInnen zur Verfügung steht, ist schwerfälliger; sie werden auf das Sozialgericht verwiesen.
3.2 Positive Anreize für Arbeitgeber
Auch für die zweite Kundengruppe hält das Hartz-Konzept Anreize bereit, die jedoch durchgehend ‘positivÂ’ sind: Belohnungen und kostenlosen Dienstleistungen. Arbeitgeber erhalten einen umfassenden Einblick in das zur Verfügung stehende Humankapital-Angebot, da alle Arbeitslosen, seit dem Job-AQTIV-Gesetz ist dies möglich, einem Profiling unterzogen wurden. Zudem bestehen faktisch keine Kündigungsschutzregeln mehr, da die Ware Arbeitskraft je nach Bedarf wieder an die PSA zurückgegeben werden kann. Kündigungen sollen auch dadurch seltener werden, dass Arbeitnehmer entweder kostenlos auf Probe, gegen geringes Entgelt oder im Rahmen von Trainingsmaßnahmen eingestellt werden können. Doch den Arbeitgebern soll es auch nicht zu leicht gemacht werden, denn künftig müssen sie Arbeitsplatzbilanzen erstellen. Wenn sie niemanden freisetzen, d.h. entlassen, oder gar jemanden einstellen, wenn die Bilanz also neutral oder gar positiv ist, gibt es eine Belohnung in Form von Nachlässen bei den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung. Konsequent wird damit der Prinzipienbruch fortgesetzt, der bereits bei der teilprivatisierten Riester-Renter einsetzte: Während bei der neuen Rente die Arbeitnehmer letztendlich höhere Beiträge als die Arbeitgeber leisten müssen, erhalten die Arbeitgeber bei Umsetzung der Hartz-Ideen einen Nachlass bei der Arbeitslosenversicherung. Ursprünglich galt, dass die Beiträge je zur Hälfte von beiden zu zahlen sind.
Arbeitslose sollen nicht allein auf die Dienstleistungen von BA und PSA zurückgeworfen sein, sondern sich selbstständig machen können. Der von Hartz dafür gefundene Terminus heißt ‘Ich-AGÂ’ resp. ‘Familien-AGÂ’ (Modul 9). So wird im Kampf gegen die Chimäre ‘SozialhilfefalleÂ’ und gegen Schwarzarbeit zumindest sprachpolitisch Boden gewonnen. In Kauf nimmt man dabei trotz aller Gender-Mainstreaming_Ansprüche eine Fortschreibung des traditionellen ‘Familienernährer-ModellsÂ’;. Aufgrund der gegebenen geschlechterhierarchischen Arbeitsmarktstruktur werden Frauen in diesem Konzept nur ‘MithelfendeÂ’ sein. Mit den steuerlichen Regelungen, die Hartz für die Ich- bzw. Familien-AG vorsieht, wird zudem ein weiterer Schritt in Richtung Kombi- und somit Niedriglohn gemacht. Ähnlich wie die PSA-Aktivitäten liefert auch das Modell Ich-AG politisch höchst komfortable Nebenwirkungen: Zwar entstehen nicht wirklich neue Arbeitsplätze, aber weder Leih- bzw. Zeitarbeiter, noch Ich-AG-Kleinunternehmerinnen belasten die Arbeitslosigkeitsstatistiken. Ein weiterer möglicher Effekt sowohl der ‘Ich-AGÂ’ als auch der organisatorischen und finanziellen Neuaufteilung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe (Modul 6) liegt in der Abschaffung des faktischen Mindestlohneffekts, der durch die Sozialhilfe gegeben war. In Tarifauseinandersetzungen kann nun nicht mehr auf das sozio-kulturelle Existenzminimum verwiesen werden, das de jure durch die Sozialhilfe gewährleistet sein sollte. Denn das künftige Sozialgeld wird ausschließlich ‘würdigen ArmenÂ’, sprich: Arbeitsunfähigen zuteil und bildet somit nicht mehr zwangsläufig eine untere Grenze für Löhne. ‘Wenn ein gesellschaftlicher Konsens darüber besteht, dass die Hilfeleistung an arbeitsfähige, aber nicht arbeitende Hilfeempfänger das sozio-kulturelle Existenzminimum unterschreiten kann, dann verliert die Sozialhilfe ihre Funktion als impliziter MindestlohnÂ’ (Feist 2000, 66, vgl. auch ebd.,120). Die ursprüngliche Funktion der Sozialhilfe, ‘AusfallbürgeÂ’ für besondere Notlagen zu sein, wird aufgegeben, da Sozialgeld nur für ‘wirklicheÂ’, weil arbeitsunfähige Bedürftige gezahlt wird.
IV. Gegen den Zwang zum Konsens
Nicht zerreden, nicht bekritteln, sondern konstruktiv diskutieren, wobei Konstruktivität anscheinend voraussetzt, die Prämissen der Workfare-Politik zu akzeptieren. Die SPD hat zwei Tage nach der Hartz-Präsentation eine Parteikonferenz abgehalten, eigens um den Bericht per Akklamation durchzuwinken. Einen Tag später sekundiert Fritz Kuhn für den Grünen Parteivorstand: ‘Wer jetzt blockiert oder schmollt -- weil er kein eigenes umfassendes Konzept hat -- macht das auf dem Rücken der ArbeitslosenÂ’. Bereits der Hartz-Bericht enthielt in Modul 13 ‘Beitrag der "Profis der Nationen"Â’ einen unmissverständlichen Aufruf zur totalen Mobilmachung. Vor der öffentlichen Präsentation durfte es keine Kritik geben, denn die wäre -- so die Argumentation -- in Unkenntnis des gesamten Wurfes geschehen. Nach dem 16. August dürfe es keine Kritik geben, denn jetzt müsse kräftig zugepackt statt lamentiert werden: ‘Es ist nicht damit getan, die Lösung des Problems alleine den Politikern, den Gewerkschaftern, den Unternehmern oder gar den Arbeitslosen zu überlassen. Vielmehr ist jeder gefordert, sich auf sein spezifisches Können und auf seine Stärken zu konzentrieren und mit anzupacken, wo immer es gehtÂ’ (Kommission MDA 2002, 286, Modul 13). Schließlich sei der Bericht von unabhängigen ExpertInnen in Einklang mit VertreterInnen von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften verabschiedet worden. Hier nimmt eine Konsensual-Expertokratie Form an, deren Deutungen und Vorschläge demokratische Meinungsbildung offensichtlich nicht benötigen (vgl. Candeias 2001, 170f; Hirsch 2002, 155ff).
Als ‘Marktradikalismus, gemildert durch eine demonstrative Konsens- und Kompromissbereitschaft; Leistungsorientierung, in gewisser Weise abgefedert durch soziales VerantwortungsbewusstseinÂ’ bezeichnet Christoph Butterwegge (2002, 317) die Leitlinie der rot-grünen Politik. Zutreffender ist vielleicht Neoliberalismus plus : Im Mittelpunkt steht das staatlich geförderte und vor allem geforderte Marktsubjekt, der haltlose homo oeconomicus mit dem ebenso staatlich suggerierten, letztendlich aber verinnerlichten Impuls, der Standortgemeinschaft zu dienen. Das plus ist das schlechte Gewissen, die verinnerlichte Leistungsbereitschaft, der konsensuale Zwang zur Arbeit und der diskursive Zwang zum Konsens, durchgesetzt von den Profis der Nationen mit orwellschem Neusprech: Statt von Zwang zur Arbeit wird von ‘Fordern und Fördern gesprochenÂ’, statt von Pflichtarbeit von ‘Hilfe zur ArbeitÂ’. Statt das Ziel des forcierten Abbaus sozialer Schutzrechte zu benennen, werden Arbeitslose zu KundInnen geadelt, denen die Dienstleistung unter Androhung von Sanktionen aufgezwungen wird.
Die Alternativen liegen zunächst in einer Verweigerung des ‘gesamtgesellschaftlichen Co-ManagementsÂ’ (Redaktion Sozialismus 2002, WissenTransfer 2002), in der Verweigerung des totalen Konsenses, dann aber auch im Entwickeln eigener Leitbilder gegen den neoliberalen, neusozialdemokratischen Mainstream. Capitalism sucks! Warum nicht eine Gewissheit der globalisierungskritischen Bewegung aufgreifen und so den gewissheitsproduzierenden Weg der Neuen Mitte kreuzen? Statt Niedriglöhnen zuzustimmen gilt es, Arbeitszeitverkürzung, Mindestlöhne und eine existenzsicherndes Grundeinkommen für jede und jeden umzusetzen. Statt sich im beschwichtigenden Co-Management in der deutschen Standort- und Wettbewerbsgemeinschaft zu üben gilt es, unterschiedliche Interessen kenntlich zu machen: gegen die weitere Ökonomisierung des Sozialen, gegen die Ökonomisierung des Lebens.
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Erschienen in DAS ARGUMENT 247