Halbzeit! Zwei Jahre Rot-Grün Eine asylpolitische Halbzeit-Bilanz

Die Kontinuität der Abwehr

Ginge es nur nach den Stichworten in der medialen Berichterstattung und nach den Schlagzeilen in den Printmedien, so könnte der ungeübte Betrachter des politischen Diskurses in Deutschland tatsächl

"Einwanderungskommission", "Asyl-Beirat", "Green-Card" oder
"Blue-Card", "Bündnis für Demokratie und Toleranz" - all diese
Stichworte und Leitbegriffe lassen bisher jedoch nicht einmal im
Ansatz Bemühungen um eine neue menschenrechtlich orientierte
Asylpolitik erkennen. Dies auch deshalb, weil einer der
Haupt-Stichwortgeber, Innenminister Otto Schily, die Hoffnungen
auf einen rationalen konstruktiven gesellschaftlichen Diskurs
immer wieder durch seriös verbrämten Populismus untergräbt,
wenn er - etwa durch falsche Zahlen, durch aus der Luft gegriffene
Behauptungen von den angeblichen "Grenzen der Belastbarkeit",
durch seine Einlassung, das deutsche Asylrecht sei nicht
Europa-kompatibel etc. etc. - unterschwellige Ressentiments
anspricht und gefährliche Stimmungen schürt. Die Halbzeit der
Legislaturperiode ist daher Anlass für eine kritische Zwischenbilanz
der bisherigen Rot-Grünen Regierungsarbeit.

Nimmt man als Maßstab für diese Zwischenbilanz die Erwartungen und
Forderungen von Seiten der Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen
- wie sie in den "Mindestanforderungen an ein neues Asylrecht" zum
Ausdruck kommen -, die Parteitagsbeschlüsse von SPD und Bündnis
90/Die Grünen sowie deren Versprechungen in der letzten
Legislaturperiode und schließlich die Koalitionsvereinbarung von Rot-Grün
vom 20. Oktober 1998, so muss man das ernüchternde Fazit ziehen: Nur
wenig wurde versprochen - kaum etwas gehalten!

Dies sei an zehn zentralen Punkten und Vorhaben der Koalition
demonstriert.

Altfallregelung

Schon bei der letzten Altfallregelung der Regierung Kohl/Kanther im März
1996 waren die Kriterien so eng gesetzt, dass zwar bis Ende 1997 diese
Regelung von rund 7.800 Menschen in Anspruch genommen werden
konnte. Die Zahl war jedoch weit entfernt selbst von den Erwartungen der
damaligen Bundesregierung, die von 20.000 bis 30.000 Menschen
gesprochen hatte, denen diese Regelung zugute kommen würde.

Bei der auf der Innenministerkonferenz in Görlitz am 19. November 1999
verabschiedeten Altfallregelung, für die die Innenminister wiederum cirka
20.000 "Begünstigte" prognostiziert haben, ist davon auszugehen, dass von
dieser Altfallregelung aufgrund der restriktiven Ausschlussklauseln noch
weniger Menschen als 1996/1997 begünstigt werden und ein Bleiberecht
erhalten. Besonders problematisch ist der "Doppelbeschluss" bei den
Stichtagen - neben dem langjährigen Aufenthalt Sozialhilfe-Unabhängigkeit
durch legale Erwerbstätigkeit zum 19. November 1999 -, die grundsätzliche
Herausnahme von Flüchtlingen mit langem Aufenthalt aus dem ehemaligen
Jugoslawien (Bosnien und Kosovo) und die unterschiedlichen
Interpretationen und Auslegungen durch entsprechende
Anwendungshinweise in den einzelnen Bundesländern. Einige Bundesländer
versuchen, mit ihrem Erlass die Anwendung der ohnehin restriktiven
Altfallregelung der Innenminister sogar noch zu unterlaufen. So ordnet etwa
Baden-Württemberg an, bei den Ausschlussgründen grundsätzlich einen
"strengen Maßstab anzulegen", d.h. die Verwaltungspraxis legt die
Voraussetzungen so aus, dass sie nur ganz Wenige der Betroffenen
erreichen können. Die in "innenministeriellen Schreiben" (IMS)
angeordneten Vorgaben des Bayerischen Staatsministeriums des Innern
laufen dem IMK-Beschluss zuwider und sind so restriktiv, dass in Bayern
kaum jemand unter die Altfallregelung fällt (zum Stichtag 29. Februar 2000
sind - bei Tausenden von Anträgen - gerade einmal 128
Aufenthaltsgenehmigungen erteilt worden).

Härtefallregelungen im Ausländergesetz

Schon vor den Bundestagswahlen 1998 hat PRO ASYL zusammen mit
Kirchen, Menschenrechtsorganisationen und Gewerkschaften eine
Härtefallregelung im Ausländergesetz gefordert, um Spielräume für
humanitäre Entscheidungen in Einzelfällen herbeizuführen.
Härtefallkommissionen, wie sie in Nordrhein-Westfalen und
Schleswig-Holstein existieren, können ohne eine solche Härtefallklausel im
Gesetz aufgrund der restriktiven rechtlichen Vorgaben den Betroffenen in
vielen Härtefällen nicht wirklich helfen. So gewährt das geltende
Ausländer- und Asylrecht zum Beispiel keinen umfassenden Schutz bei
nicht-staatlicher Verfolgung, bei geschlechtsspezifischer Verfolgung oder
bei Bürgerkriegsflüchtlingen. Die rigiden Bestimmungen des
Ausländerrechts verhindern allzu oft in vielen dramatischen Einzelfällen eine
menschliche Lösung. Auch der von Bundesinnenminister Schily ins
Gespräch gebrachte "Asyl-Beirat" kann eine Härtefallklausel im Gesetz
und Härtefallkommissionen in den Bundesländern nicht ersetzen.

Ob und inwieweit es hier durch eine Novellierung im Ausländergesetz
künftig zu humanitären Lösungen in Einzelfällen kommen kann, bleibt zur
Halbzeit der Legislaturperiode weiter ungewiss.

Geschlechtsspezifische Verfolgung:

In der Antwort auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke vom
12. Mai 1999 (BT. Drucksache 14/1058) zum Thema "Anerkennung
geschlechtspezifischer Fluchtgründe" hat die Bundesregierung auch zu
Forderungen im Bezug auf Gesetzesänderungen - wie von PRO ASYL,
Kirchen, Verbänden und Menschenrechtsorganisationen gefordert -
Stellung genommen. Dabei betont sie, frauenspezifischen Belangen im
Asylverfahren werde das Bundesamt durch umfangreiche
Schulungsmaßnahmen und eine entsprechende Ausgestaltung des
Asylverfahrens im Einzelfall gerecht. Wie in der Koalitionsvereinbarung
angekündigt seien die Verwaltungsvorschriften "mit dem Ziel der
Beachtung geschlechtsspezifischer Verfolgungsgründe" überarbeitet
worden. Diese wurden am 7. Juni 2000 durch das Kabinett gebilligt und
werden in Kürze in Kraft treten. Aber selbst wenn frauenspezifische
Fluchtgründe durch die Änderungen der Verwaltungsvorschriften zu § 53
Ausländergesetz stärker als bisher berücksichtigt würden, bliebe davon die
besonders restriktive deutsche Interpretation des Flüchtlingsbegriffs
bezüglich der Anerkennung nicht-staatlicher (und hier insbesondere:
geschlechtsspezifischer) Verfolgung unberührt. Dass die Bundesregierung
sich hier weitergehenden Forderungen nach Gesetzesänderungen
verschließt, entspringt keineswegs der Sorge um einen adäquaten Schutz
für verfolgte Frauen, sondern vielmehr ihrer Sorge über die Folgen der
Rücknahme eines ideologischen Axioms der Flüchtlingsabwehr: So erklärt
sie in ihrer Stellungnahme für die Beratung des Antrags der Abgeordneten
Petra Bläss und anderer (BT-Drs. 14/1083) vom 23. Juni 2000: "Im
Ergebnis ist das Thema frauenspezifische Verfolgung eine besondere
Ausprägung der Diskussion um die generelle Anerkennung
nicht-staatlicher Verfolgung. Der Wegfall des Erfordernisses der
Staatlichkeit oder staatlichen Zurechenbarkeit der
Verfolgungsmaßnahmen bzw. drohenden Menschenrechtsverletzungen
durch Gesetzesänderungen ließe erheblichen Zuwanderungsdruck
erwarten, und zwar nur teilweise durch die betroffenen Frauen. Ein
Wegfall des Erfordernisses der Staatlichkeit würde alle Asylverfahren
betreffen müssen."!

Inzwischen hat der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages eine
Petition von Pro Asyl auf Berücksichtigung frauenspezifischer Fluchtgründe
in Asylverfahren beraten und beschlossen, die von mehr als 100.000
Menschen unterstützte Forderung an das Bundesministerium des Inneren zu
überweisen und den Fraktion des Bundestages zur Kenntnis zu geben. Der
Petitionsausschuss regt u.a. an, die Anerkennung frauenspezifischer
Fluchtgründe ausdrücklich im Ausländergesetz zu regeln und auf längere
Sicht, bei der Harmonisierung des Asylrechts auf europäischer Ebene,
daran zu denken, bei geschlechtsspezifischer Verfolgung einen
eigenständigen Asylanspruch zu gewähren.

Angesichts der Kontinuität der Politik Schilys zu Kanther ist jedoch
absehbar, welch lange Wegstrecke bezüglich der Anerkennung
geschlechtsspezifischer Fluchtgründe und der nicht-staatlichen Verfolgung
noch zurückzulegen sein wird.

Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention
und Rücknahme der deutschen Vorbehalte

Die öffentliche "offizielle" Rücknahme der "Vorbehaltserklärung" der
Vorgängerregierung und die Ankündigung einer vollständigen Umsetzung
der Kinderrechtskonvention in Deutschland wären wichtige Signale der
neuen Bundesregierung zum 10. Jahrestag der Verabschiedung der
Un-Kinderrechtskonvention durch die Vereinten Nationen am 20.
November 1999 gewesen. Dies war aufgrund vieler Versprechungen von
Politikern der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen vor dem
Regierungswechsel sowie aufgrund des Entschließungsantrages des
Bundestages vom 30. September 1999 (der die Bundesregierung erneut
aufforderte, die Vorbehalte ihrer Vorgängerregierung zurückzunehmen)
allgemein erwartet worden. Auch hier ist es der Bundesinnenminister, der
Signale der Härte setzt (Beispiel: Beibehaltung des Flughafenverfahrens für
Kinder). Auch unter Rot-Grün bleibt das geltende Asyl- und
Ausländerrecht, das der besonderen Schutzbedürftigkeit der unbegleiteten
minderjährigen Flüchtlinge und den gesetzlichen Erfordernissen des
Kinderschutzes nicht gerecht wird, bisher unangetastet.

Auch die neue Bundesregierung wird ihrer Verpflichtung zum besonderen
Schutz von Kinderflüchtlingen in vielen Einzelfällen bisher nicht gerecht.

Abschiebepraxis, Abschiebungshaft

Trotz der im Rot-Grünen Koalitionsvertrag angekündigten Überprüfung der
Abschiebungshaft im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wird
auch hier die Politik der Vorgängerregierung nahtlos fortgesetzt.
Abschiebungshaft bleibt auch unter Rot-Grün der Regelfall für viele
Flüchtlinge und wird zu ihrer Endstation in Deutschland.

Suizide, Selbstmordversuche, der Tod von Aamir Ageeb Ende Mai 1999,
der auf dem Flug von Frankfurt nach München durch "Ruhigstellung"
erstickte und der Tod einer algerischen Asylbewerberin, die sich am 8. Mai
2000 in der Flüchtlingsunterkunft im Transitbereich des
Rhein-Main-Flughafens das Leben nahm, werfen ein gleißendes Licht auf
die Kontinuität einer Politik der Abwehr und der skandalösen Untätigkeit
der verantwortlichen Politiker.

Flughafenverfahren

Die Flüchtlingstragödie der Algerierin Naimah H., die sich am 8. Mai im
Transit des Flughafens das Leben nahm, ist ein Lehrstück über die Mängel
und die Unmenschlichkeit dieses Verfahrens, dessen Abschaffung von
Kirchen, Menschenrechtsorganisationen, Verbänden und PRO ASYL seit
langem gefordert wird, und das im Lichte des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu überprüfen, die Rot-Grüne
Bundesregierung sich im Koalitionsvertrag zur Aufgabe gemacht hat. Der
zuständige Bundesinnenminister jedoch hat schon nach den ersten
Inspektionen am Flughafen im Dezember 1998 - gegen den Willen des
Koalitionspartners - verkündet, dass das Flughafenverfahren unverzichtbar
sei, dass er aber der Kritik an den Bedingungen des Verfahrens für
Flüchtlinge mit baulichen Verbesserungen begegnen wolle. Der Tod von
Naimah H. weist einmal mehr auf das Risiko der tödlichen Folgen dieses
Verfahrens hin; das Flughafenverfahren bleibt ein Eilverfahren, das auf
Fehler angelegt ist, weil unter dem Druck der Fristen, in der verlangten
Eilgeschwindigkeit nicht mit der notwendigen Sorgfalt und einer
umfassenden Sachverhaltsaufklärung verantwortlich über Menschenleben
entschieden werden kann und weil der physische und psychische Druck auf
Flüchtlinge unter den Bedingungen hermetischer Abriegelung und
Kontrollen ständig wächst und unerträglich wird. Scharf zu kritisieren ist,
dass unter Rot-Grün die Zahl derer, die sich nach rechtskräftiger Ablehnung
ihres Asylverfahrens noch viele Monate lang als de-facto-Internierte
aufhalten müssen oder ebenso lang in Abschiebungshaft sitzen noch
drastisch gestiegen ist. So ist die Zahl der Flüchtlinge, die sich 30 Tage und
länger im Flughafen befunden haben, 1999 auf 265 gestiegen (1997:85
Flüchtlinge). Die Zahl der Flüchtlinge, die 1999 hundert Tage und länger
interniert waren, ist auf 110 hochgeschnellt (1997: 7). Nach Bekannt
werden dieser Fakten im Innenausschuss ist die Kritik am
Flughafenverfahren und am Verhalten des Innenministers deutlich
angewachsen. Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Dieter
Wiefelspütz, hat deutliche Verbesserungen und die Herausnahme besonders
gefährdeter Gruppen aus dem Verfahren angekündigt. Hier bleibt
abzuwarten, was die Fraktionen gegen die harte Linie des
Bundesinnenministers durchsetzen können.

Soziale Situation / Asylbewerberleistungsgesetz

Flüchtlingsinitiativen, Kirchengemeinden, Menschenrechtsorganisationen
und PRO ASYL haben immer wieder belegt, dass die Bedingungen des
Asylverfahrens und der staatliche Umgang mit Flüchtlingen
menschenrechtlichen Standards oft nicht mehr im vollen Umfang Rechnung
tragen. Eingeschränkte Sozialleistungen, Ausbildungs- und Arbeitsverbote,
eingeschränkte Bewegungsfreiheit, Angst vor Abschiebung und oft
monatelange Abschiebungshaft: Beispiele für die alltägliche Verletzung der
Menschenwürde in Deutschland. PRO ASYL hat mit vielen Verbänden,
den Kirchen, Gewerkschaften und Anderen in den "Mindeststandards für
ein neues Asylrecht" eine Gesetzesinitiative zur Abschaffung des
Asylbewerberleistungsgesetzes gefordert, da dieses gegen das Gleichheits-
und Menschenwürdegebot des Grundgesetzes verstößt. Auch wenn die
Regierungskoalition bezüglich des Asylbewerberleistungsgesetzes in der
Koalitionsvereinbarung nichts festgelegt hat, muss dieses Thema - gerade
angesichts der Bemühungen der Koalition gegen Rechtsradikalismus und
für Toleranz - immer wieder thematisiert werden; denn gerade das die
"Sozialpolitik" der Ära Kohl kennzeichnende Prinzip der Spaltung und
Entsolidarisierung der Gesellschaft hat dazu geführt, dass vor allem
Flüchtlinge zu Menschen zweiter Klasse degradiert wurden. Dadurch ist es
die verantwortliche Politik, der Staat selbst, der durch Ungleichbehandlung
und Diskriminierung von Flüchtlingen erhebliche Mitverantwortung am
Entstehen von fremdenfeindlichen und rassistischen Stimmungen trägt.
Auch das langjährige Arbeitsverbot für alle Flüchtlinge durch den
Blüm-Erlass vom 15. Mai 1997 trägt dazu bei, fremdenfeindliche Vorurteile
in der Bevölkerung zu verstärken. Obwohl die SPD genau diese Kritik 1997
- nach Bekannt werden des Blüm-Erlasses - äußerte und seine Rücknahme
forderte, ist es bisher (Stand: Juli 2000) noch nicht zu einer Aufhebung des
Arbeitsverbotes gekommen. Immerhin gibt es auch hier Ankündigungen des
innenpolitischen Sprechers der SPD, Dieter Wiefelspütz - allerdings
verbunden mit einer Wartezeitregelung, auf deren Fristen sich die
Koalitionspartner bisher offenbar nicht einigen konnten.

Bündnis für Demokratie und Toleranz

PRO ASYL hat zusammen mit anderen Menschenrechtsorganisationen
scharfe Kritik an Form und Inhalt des von Innenminister Schily inszenierten
und der Öffentlichkeit am 23. Mai vorgestellten "Bündnis für Demokratie
und Toleranz" geübt, das mit dem unverbindlichen Slogan "Hinschauen -
Helfen - Handeln" zwar den Rechtsextremismus am Rande der
Gesellschaft anprangern, aber den notwendigen Diskurs über Ursachen und
Konzepte sowie - dieser Eindruck muss entstehen - über die staatlichen
Anteile von Rassismus durch systematische Ausgrenzung und
Rechtspopulismus eher vermeiden will.

Dilettantische Planung des BMI, mangelnde Einbindung von
Menschenrechtsorganisationen und NGOs bei der inhaltlichen Planung
sowie fehlende Konzepte führten auch zur gemeinsamen Absage von
amnesty international, Aktion Courage und PRO ASYL.

Der Bundesinnenminister hat bei der Auftaktveranstaltung des
"Bündnisses" starke Worte benutzt: Eine Gesellschaft, die Fremdenhass
dulde, verwirke das Recht, eine zivile Gesellschaft zu sein und gefährde den
inneren Frieden.

Man fragt sich dann nur, warum Schily nicht die seit Jahren von
internationalen UN-Gremien -- u.a. vom UN-Ausschuss für die Beseitigung
der Rassendiskriminierung und vom UN-Sonderberichterstatter über
Rassismus - an Deutschland bzw. seiner Asyl- und Migrationspolitik geübte
Kritik ernst nimmt und ihre Empfehlungen z. B. für ein
Antidiskriminierungsgesetz umsetzt.

Man muss - auch angesichts einer erschreckenden Zunahme von
rechtsradikalen Aktivitäten und rassistischer Gewalt - fragen: wo war und
wo ist dieses "Schily-Bündnis" nach dem Tod von Alberto Adriano, wenige
Wochen später in Dessau, der Opfer brutalster Gewalt wurde? Wo war es
nach dem Brandanschlag in Ludwigshafen, bei dem mehrere Kinder aus
dem Kosovo verletzt wurden? Ein Bündnis, das, "von oben kontrolliert",
zivilgesellschaftliches Engagement vorantreiben soll - dabei aber
wesentliche Ursachen für die Entstehung von Rechtsradikalismus wie
diskriminierende Gesetze oder den Rechtspopulismus aus der Mitte der
Politik ignoriert, ist wenig glaubwürdig. Eine glaubwürdige Alternative für
ein breites gesellschaftliches Bündnis ist das von ca. 100
Nichtregierungsorganisationen getragene, nach dem Europäischen Jahr
gegen Rassismus 1997 ins Leben gerufene "Netz gegen Rassismus", das
einen Aktionsplan gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus erarbeitet und
am 15. Juni der Öffentlichkeit vorgestellt hat.

Europäische Flüchtlingspolitik

Auch im europäischen Zusammenhang geben die Äußerungen des
deutschen Innenministers zur Genfer Flüchtlingskonvention und seine
Abwehrhaltung gegenüber den Verfolgten Anlass zu großer Besorgnis.

Demgegenüber hatten die europäischen Regierungschefs auf dem
EU-Gipfel in Tampere, Oktober 1999, feierlich ihren Willen bekräftigt, die
GFK weiterhin als Grundlage einer gemeinsamen europäischen Asylpolitik
unangetastet zu lassen und uneingeschränkt zur Geltung zu bringen. Dies
musste auch als klare Absage gegenüber Versuchen verstanden werden,
die GFK als überholt zu betrachten und anstelle eines einklagbaren Rechtes
auf Asyl ein Gnadenrecht des Staates zur Basis der Asylgewährung zu
machen. Die Beschlüsse von Tampere müsste eigentlich auch
Bundesinnenminister Schily als Vorgabe für eine Harmonisierung des
europäischen Asylrechts verstehen, nämlich: Die Ausrichtung der
Asylpolitik an der GFK und den darin festgelegten Definitionen, wer als
Flüchtling zu gelten hat und Anspruch auf staatlichen Schutz genießt.

Die enge deutsche Interpretation des Flüchtlingsbegriffs bezüglich der
Anerkennung nicht-staatlicher Verfolgung, die im Widerspruch zur Praxis
fast aller europäischen Staaten steht und viele nach der GFK
Schutzberechtigte in Deutschland in eine "Schutzlücke" fallen lässt, ist ein
Haupthindernis bei der "uneingeschränkten und allumfassenden
Anwendung der GFK", wie sie der Europäische Rat in Tampere
beschlossen hat.

Als Beginn einer Trendwende in der Asylrechtssprechung gegen die enge
Auslegung des Begriffs der politischen Verfolgung, kann sich die
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10.08.2000 zur "quasi
staatlichen Verfolgung" erweisen. Die praktische Reichweite für die
betroffenen Flüchtlinge hängt jedoch davon ab, ob Rot-Grün bereit sein
wird, politische und gesetzliche Konsequenzen aus dieser Entscheidung zu
ziehen.

Solange die europäische Asylpolitik vornehmlich aus dem Blickwinkel
militärischen Sicherheits- und ordnungspolitischen Abwehrdenkens der
Innenminister "gestaltet" wird und gleichzeitig eine "hochrangige
Arbeitsgruppe" auf EU-Ebene Aktionspläne und Maßnahmen vorantreibt,
die vornehmlich einer besseren Abwehr, denn eines besseren Schutzes
schutzsuchender Menschen dienen, bleiben auch die Erklärungen von
Tampere und das Bekenntnis zur GFK in der Koalitionsvereinbarung
unglaubwürdig.

Asyl im Spannungsfeld der
Einwanderungsdiskussion

Die Green-Card-Initiative von Bundeskanzler Schröder für ausländische
Computer-Experten hat die Debatte um Zuwanderung neu entfacht. Die
CDU/CSU verknüpfte ihr "Angebot" an die Bundesregierung, über
Einwanderungsregelungen zu diskutieren, reflexhaft mit der Forderung nach
Abschaffung des Asyl-Grundrechts und Bundesinnenminister Schily
katzbuckelte eilfertig vor seinem bayerischen Amtsbruder Beckstein mit der
Überlegung, im Zuge der Einwanderungsdebatte auch das individuelle
Grundrecht auf Asyl ändern zu wollen, da es angeblich nicht
"Europa-kompatibel" sei. Auch wenn ihm die Koalitionspolitiker deutlich
widersprachen und sich auch der Bundeskanzler und der Bundespräsident
klar für den Erhalt des Grundrechts auf Asyl aussprachen, lässt Schily
kaum eine Gelegenheit aus, die Themen Einwanderung und Asyl zu
vermischen.

Wer jedoch die kurzsichtige Formel "Asylrecht gegen
Zuwanderungsgesetz" propagiert, spielt nicht nur Flüchtlinge gegen
Migrantinnen und Migranten aus, er ignoriert auch die Ursachen von Flucht
und Wanderungsbewegungen und stellt völkerrechtlich bindende
Konventionen in Frage. Zuwanderung, die sich nach wirtschaftlichen und
demografischen Interessen des Staates richtet, ist steuerbar. Die Aufnahme
politisch Verfolgter richtet sich hingegen nach dem Kriterium der
Schutzbedürftigkeit.

Die Unabhängigkeit der von Innenminister Schily berufenen Kommission
wird daran zu messen sein, ob es ihr gelingt, einen offeneren,
zukunftsorientierten Diskurs über die Gestaltung der Einwanderung zu
initiieren, ohne die Fragen von Zuwanderung und Asyl zu vermischen. Ziel
muss die Erarbeitung eines positiven Gesamtkonzepts für Einwanderung
und Integration sein, das auch einen gesellschaftlichen Perspektivwechsel
hin zu Offenheit und Toleranz einleitet. Die Absichten des Innenministers
stehen dem zur Zeit noch entgegen.

Asylpolitische Negativ-Halbzeit-Bilanz

Nach wie vor werden Menschen, die seit Jahren hier leben und integriert
sind, deren Kinder hier geboren sind und keine andere Heimat kennen als
Deutschland, in ihnen fremde Länder abgeschoben; nach wie vor fehlt eine
Härtefallregelung im Ausländergesetz, die humanitäre
Bleiberechtsregelungen ermöglicht; nach wie vor finden verfolgte Frauen,
unbegleitete Flüchtlingskinder und Opfer von Bürgerkriegen und Gewalt
nicht den angemessenen Schutz; nach wie vor werden Flüchtlinge bis zu
anderthalb Jahre in Haft genommen, weil sie bei uns das Recht in Anspruch
genommen haben, Schutz und Lebensperspektiven zu suchen; nach wie vor
sind die sozialen Lebensbedingungen für Asylsuchende so unerträglich und
abschreckend, so erschwerend und zermürbend, dass die Menschenwürde
vieler Flüchtlinge tagtäglich in Deutschland verletzt wird; nach wie vor
werden Menschen aus Deutschland abgeschoben und dabei des Risikos
erneuter Verfolgung, der Folter und Verhaftung in ihrem Heimatland
ausgesetzt.

Nach wie vor scheint der zuständige Innenminister Otto Schily
entschlossen, in der Flüchtlingspolitik bruchlos die Arbeit seines
Amtsvorgängers Manfred Kanther fortzusetzen. Erschreckend deutlich
wurde dies insbesondere bei der Rückführung der bosnischen
Kriegsflüchtlinge. Im laufenden Jahr werden, etwa zur "Halbzeit" der
Bundesregierung mehr bosnische Kriegsflüchtlinge aus Deutschland in die
USA weiter gewandert sein als sich hier noch aufhalten - ca. 30.000 von
einst 350.000 Menschen. Dies ist das Ergebnis der bundesdeutschen
Strategie eines seit nunmehr über vier Jahren andauernden fortgesetzten
Ausreisedrucks auf bosnische Flüchtlinge, der in dieser Härte und
Konsequenz im europäischen Vergleich - und leider muss hinzugefügt
werden: auch unter der Rot-Grünen Bundesregierung - singulär geblieben
ist (vgl. dazu Studie von Torsten Jäger und Jasna Rezo: Zur sozialen
Struktur der bosnischen Kriegsflüchtlinge in der Bundesrepublik
Deutschland, Hrsg. Von Wohlfahrtsverbänden, PRO ASYL, UNHCR, Mai
2000.)

Natürlich gab und gibt es in der Innen- und Asylpolitik auch hoffnungsvolle
Zeichen: Die Arbeit des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre
Hilfe um die Abgeordnete Claudia Roth, die asylrelevanten Beschlüsse des
SPD-Bundesparteitages von Dezember 1999, der Einsatz vieler
Abgeordneter vor Ort für "Einzelfälle" in ihrem Wahlkreis, die Arbeit der
Petitionsausschüsse und Härtefall-Kommissionen, die Reform der
Lageberichte und der Austausch zwischen Auswärtigem Amt und
Nichtregierungsorganisationen, der Appell von über 100 Abgeordneten für
einen humaneren Umgang mit Balkanflüchtlingen sowie der einstimmig
gefasste Bundestagsbeschluss dazu Anfang Juli, die Arbeit der
Ausländerbeauftragten, die Aufnahme von Deserteuren aus dem
ehemaligen Jugoslawien - indes, diese von der "offiziellen Politik" eher
abweichenden Ausnahmen und positiven Beispiele machen letztendlich nur
deutlich, "wie weit sich die deutsche Innenpolitik auf dem Gebiet des
Flüchtlingsrechts von humanitären Grundsätzen entfernt hat, im Bund
wie in den Ländern: Infolge Abstumpfung ist diese Politik nicht mehr
in der Lage zu erkennen, wo unzumutbare Härte beginnt - und sie will
es auch nicht mehr erkennen. So klagen nicht mehr nur PRO ASYL, die
Kirchen und die Wohlfahrtsverbände so klagen jetzt also auch
hundert Parlamentarier der Parteien, die diese Innenpolitik machen.
Das ist ein hoffnungsvolles Zeichen." (Heribert Prantl, SZ vom 22./23.
April 2000)

Dieses Zeichen zeigt aber ebenso deutlich, dass die deutsche Innenpolitik
noch immer von der harten Linie der Innenminister des Bundes und der
Länder geprägt wird. Nimmt man den Koalitionsvertrag als Maßstab der
bisherigen Regierungspolitik, so muss zur Halbzeit von einer asylpolitischen
Negativbilanz gesprochen werden. Statt den Wählerauftrag für einen
Politikwechsel anzunehmen, fährt die Regierung, unter der Verantwortung
des Innenministers, im Bereich des Asylrechts weitgehend die harte Linie
der Ära Kohl/Kanther fort. Für ihren Anspruch "Aufbruch und
Erneuerung" fehlt der Koalition asylpolitisch bisher das Bewusstsein und
der Wille, die ideologischen Verkrustungen der Vorgängerregierung
aufzubrechen.

Wer aber erklärtermaßen in der Kontinuität "Kantherscher
Repressionsreflexe" Innenpolitik betreibt, wird notwendige und überfällige
Korrekturen dazu nur schwerlich erkennen und noch weniger die Konturen
für eine menschenrechtsorientierte Asylpolitik entwickeln können.

Eine neue und humane Asylpolitik erfordert auch von der Bundesregierung
und dem zuständigen Innenminister die Fähigkeit und die Bereitschaft, alten
Vorurteilen neue Orientierungen entgegenzusetzen, die einen angemessenen
und sensiblen Umgang des Staates mit Flüchtlingen und Minderheiten
erkennen lassen.

Gerade wenn man der Gefahr eines schleichende Rassismus und der
zunehmenden Fremdenfeindlichkeit begegnen will, darf man nicht länger die
Kontinuität zur Politik der Vorgängerregierung suchen. Dies steht dem
eigenen Anspruch der Koalitionspartner an eine Politik der
Zukunftsfähigkeit entgegen. Nach 16 verlorenen Jahren eines als
"Fremdenabwehrrecht" instrumentalisierten Ausländer- und Asylrechts
dürfen nicht weitere Restriktionen die Politik bestimmen. Gefragt und
gefordert sind Mut, Dialogbereitschaft, Perspektiven und humane Visionen
für eine menschenrechtsorientierte Asylpolitik!

Heiko Kauffmann ist Sprecher von Pro Asyl

E-Mail: proasyl@proasyl.de
Internet: http://www.proasyl.de