Uns rettet kein höh'res Wesen! Uns rettet der Kapitalismus?

- Versuch einer Imagebereinigung des Kapitalismus -

Rezension zu: Christoph Keese, Rettet den Kapitalismus. Wie Deutschland wieder an die Spitze kommt Hoffmann und Campe Verlag Hamburg 2004 (ISBN: 3-455-09423-6, Preis: 19,90 Euro)

Hinter dem provokativen Titel "Rettet den Kapitalismus" verbirgt sich ein einzigartiger Lobgesang auf den Kapitalismus - angestimmt von Christoph Keese, dem Chefredakteur der "Financial Times Deutschland". Damit ist dies auch gleichzeitig eine Kampfansage an alle AntikapitalistInnen und vom Kapitalismus ausgebeuteten Menschen. Keese wird dies sicherlich bestreiten, weil er den Kapitalismus für das sozial(i)st(ischst)e Wirtschaftssystem schlechthin hält. Das Problem liege nur im falschen Image des Kapitalismus.

In seinem Vorwort schreibt er über die Intention dieser "Streitschrift":

"Dieses Buch macht Werbung für einen anderen Ansatz. Für das mutige Zustreben auf eine Gesellschaftsform, die in Deutschland erfunden, hoch entwickelt, dann aber vergessen wurde: den Kapitalismus. Keine andere Wirtschaft bringt so vielen Menschen Wohlstand wie der Kapitalismus, keine andere schafft ähnlich und umfassend Gerechtigkeit, daheim und rund um die Welt. Deutschland sollte eine kapitalistische Republik werden und stolz darauf sein." (Keese: S.13)

Neben der Aufbesserung des Images hofft Keese mit seiner Propagandaschrift auch dazu beizutragen zu können, daß der Reformstau in Deutschland ein Ende findet. In einem populärwissenschaftlichen Plauderton wird der entfesselte, totale Kapitalismus - nicht weit entfernt von der Utopie der sogenannten Anarcho-KapitalistInnen - als Wunderwaffe gegen Armut und Erwerbslosigkeit angepriesen. Selbst der Umweltschutz findet als Randbemerkung Eingang in die Lobpreisung. Sein Beispiel für letzteres ist die Umweltverseuchung, die auf dem Gebiet der DDR existierte. Er stellt sie dem "cleanen" Westen entgegen, in dem es so etwas nicht gäbe. Eine von vielen sprichwörtlichen Milchmädchenrechnungen, die Keese in seiner Schrift präsentiert. Vielleicht sind nicht so explizite Beispiele für eine Verseuchung der Umwelt auf dem Staatsgebiet der BRD bekannt, aber dafür wurden und werden unsere Giftstoffe auch gerne ins Ausland ausgelagert. Der Müllexport in die damals noch existierende DDR war ebenfalls ein sehr lukratives Geschäft, was dem realexistierenden Sozialismus Devisen in die marode Staatskasse spülte. Wenige Kapitel weiter gar werden die UmweltschützerInnen des Westens, die die verseuchte alte und neue BRD wieder halbwegs - natürlich gegen die entschiedenen und andauernden Widerstände der KapitalistInnen - entgiften halfen, als gravierendes Wirtschaftshindernis hingestellt. Doppelt blinde Stellen wie diese finden sich im gesamten Verlauf der Lobpreisung.

Kontrastiert wird diese Märchenstunde mit einem Katzenjammer über die unfähige Politik in Deutschland und das fehlende Bewußtsein für die richtige Wirtschaftspolitik. Keese stimmt damit in den Tenor ein, der aus den Reihen der Arbeitgeber und Bosse kommt. Wer Innovationen oder neue Argumente für den Kapitalismus erwartet, wird enttäuscht sein. Es handelt sich um ein reines Aufkochen der längst bekannten und bis zum Überdruß gehörten Werbeslogans für den Kapitalismus - nur manchmal dürftig in neue Worte verpackt.

Das Vorbild für Keeses favorisierte Form des Kapitalismus ist das in den USA bestehende Wirtschaftssystem - katastrophale Auswirkungen des dortigen Wirtschaftssystems wie z.B. das sog. Working-Poor verschweigt er dabei natürlich ebenfalls geflissentlich.

Besonders gerne verweist er auf Silicon Valley und beschwört, daß so etwas in Deutschland unter den gegebenen Umständen gar nicht möglich wäre. Es sind für ihn die starren Arbeitszeiten, die Bürgerinitiativen, Umwelt- [sic!] und Arbeitnehmerschutz und die Angst vor Gentechnik, die den Wirtschaftsstandort Deutschland gefährden. In seinen Regeln für Unternehmen und Bürger, wie jedeR zu einem Aufschwung der Wirtschaft beitragen kann, heißt es daher:

"... nicht länger an die Grenzen des Wachstums glauben; den Widerstand gegen Abschaffen der Hürden aufgeben; mit Lust und Freude konsumieren; weniger Geld sparen." (ebda. S.153)

Wer noch was zum Sparen hat.

Und auch für die Sicherung von Arbeitsplätzen hält er "Benimmregeln" parat:

"... länger arbeiten und die 40-Stunden-Woche unterstützen; flexibel auf die Auftragslage und Saison reagieren; mindestens zehn Jahre lang weniger Lohn verlangen als die Produktivität wächst; das Abschaffen des Pflicht- Flächentarifvertrags fordern [und] bei den Gewerkschaftszentralen dafür werben, dass sie den lokalen Betriebsräten mehr Macht zum Verhandeln einräumen." (ebda. S.183)

In ähnlicher Plattheit spielt er sich als Wirtschaftsweiser gegenüber der Regierung und den Unternehmen auf. Alle haben sich demnach dem Wohl der Gemeinschaft - dem Kapitalismus - zu unterwerfen. Einen Hort der antikapitalistischen Propaganda, den Keese neben den Gewerkschaften entdeckt, ist die Schule. LehrerInnen sollten stärker die Vorteile des Kapitalismus im Unterricht hervorheben:

"Im Schülerzeitungswettbewerb des Nachrichtenmagazins "Spiegel" gewann die Passauer Zeitschrift "Kaleidoskop" mit ihrer Titelgeschichte "Die Kapitalistensau". Die Schulen setzen dem Trend zum Anti-Kapitalismus wenig entgegen [...]. Entsprechend ungefiltert wird Globalisierungskritik zur coolen Jugendbewegung." (ebda. S.42)

Und auch die restlichen BeamtInnen werden zur Zielscheibe seiner Angriffe:

"Vier von fünf Staatsdienern sehen sich durch den Kapitalismus bedroht und hoffen auf Schutz durch den Staat - diese Skepsis erklärt, warum Beamte die freie Wirtschaft gerne gängeln. Sie glauben, damit Gutes zu tun." (ebda. S.35f.)

Seine Thesen "untermauert" Keese mit der einen oder anderen Anekdote und ein bißchen Namedropping. An der einen Stelle muß ein aus dem Zusammenhang gerissenes Zitat von Karl Marx herhalten, dann wird der renommierte Soziologe Max Weber entstaubt und zwei Seiten weiter führt er den noch amtierenden Grünen Außenminister Fischer als Autorität an. Locker-flockig umschifft er jegliche Nachprüfbarkeit seiner Thesen und handelt nur exemplarisch ein paar - besonders dumpfe - linke Kritikpunkte ab. Die von ihm imaginierte Linke versucht er dabei so ins Boot zu holen:

"Besonders die politische Linke muss entschieden für Kapitalismus eintreten, denn nur er erfüllt linke Forderungen wie Gerechtigkeit, Chancengleichheit, Selbstverwirklichung, Einheit von Mensch und Arbeit sowie Teilhabe an der Macht." (ebda. S.13)

Er geht noch heiter weiter in der versuchten Vereinahmung der "Linken":

"Gute Linke sind Kapitalisten. Kapitalismus schafft Wachstum, und nur das gibt den sechs Millionen Arbeitslosen und Zwangsgeparkten Hoffnung auf einen Job." (ebda. S.124)

Schließlich muß auch die Nation her- und zusammenhalten, wenn "wir" wieder an die Spitze wollen. Und er hat auch Hoffnungen für Deutschland und macht Mut. Die deutsche Nation kann seiner Meinung nach wieder aus den Ruinen auferstehen und eine Spitzenstellung in der Welt einnehmen. Dafür zieht Keese anscheinend sogar Altkanzler Schmidts "Modell Deutschland" wieder aus der Mottenkiste:

"Bis zum Jahr 2029 kann Deutschland zum Modell für Staaten auf der ganzen Welt werden. Jeder der arbeiten will, findet Arbeit. Jeder, der eine Idee hat, kann sie umsetzen. Jeder, der gut ist, hat Erfolg. Jede gute Erfindung wird zum Produkt, jedes gute Produkt findet Käufer. Deutschland wird zum Land der Ideen, zur Innovationszentrale, zur Heimat bewunderter Marken, zur Jobmaschine und zum Wachstumsmotor Europas. In fünfundzwanzig Jahren kann Deutschland das schaffen. Die Deutschen müssen nur wollen." (ebda. S.288)

Die Theorien von einem Ende der Arbeitsgesellschaft, die in den vergangenen Jahren (um nicht zu sagen Jahrzehnten) auch die universitäre Wissenschaft erreichten, fegt er kurzerhand vom Tisch. Seiner Literaturliste zufolge hat er sie noch nicht einmal rezipiert. Es gäbe sehr viel Arbeit, posaunt er poetisch stattdessen hinaus:

"Arbeit ist so unerschöpflich wie Phantasie, Liebe oder Mut; sie entspringt dem menschlichen Geist in beliebiger Menge, wenn man nur will. [...] Nicht Verteilen löst das Problem, nur Weckung der Nächstenliebe stoppt den Krieg. Ähnlich ist es bei der Arbeitslosigkeit. Die Gesellschaft kann nur die Arbeit finden, nach der sie auch wirklich sucht." (ebda. S.181)

Keeses Pamphlet stellt sich bei näherem Hinsehen als eine Ansammlung von Phrasen dar, die wir bereits seit Jahren aus den Mündern der Bosse und Arbeitgeberverbände hören - weniger Bürokratie, mehr Flexibilität bei der Arbeitszeit und den Löhnen, weniger Steuerbelastung, weniger scharfe Auflagen, stärkere Anbindung der Universitäten an die Wirtschaft. Christoph Keese blökt diese treu nach. Er verpackt sie nur notdürftig in einem populärwissenschaftlichen Jargon und verziert sie mit ein paar "netten" Anekdötchen aus Wirtschaft, Politik und Geschichte. Wissenschaftlichen Kriterien hält keine seiner Plattitüden stand. Für einen in einer so hoch angesehen Stellung sitzenden Journalisten ist dieses Buch ein erstaunliches eigenhändig ausgestelltes Armutszeugnis.

Rettet den Journalismus!

Maurice Schuhmann für LIBERTARIAN PRESS AGENCY Berlin [LPA]