Die rote Gefahr

Antikommunistische Propaganda in der Bundesrepublik 1950-2000

Rezension zu Klaus Körner: "Die rote Gefahr". Antikommunistische Propaganda in der Bundesrepublik 1950-2000, Konkret Literatur Verlag Hamburg 2003, 208 S. (15 EUR)

Bisher hat es keine Klagen gegeben. Was für den Autor und vor allem für die Annahme spricht, dessen Angaben darüber, wer alles in den fünfziger Jahren für Geld Agitation und Propaganda gegen die als Vergesellschaftung mißverstandene Verstaatlichung der Produktionsmittel verfertigte, seien richtig. Danach hatten die DDR-Propagandisten nur in einem Punkt unrecht: in der Frage der Zentrale. Ein Politbüro, das - so wie in der DDR - im Wahne befangen gewesen wäre, alle Aktionen zu planen und zu koordinieren, existierte in der Bundesrepublik Deutschland - vom germanozentrierten Verlag lediglich "Bundesrepublik" geheißen - nicht. Die selbst für eingefleischteste Verschwörungsfanatiker unüberhörbare Polyphonie war wirklich nicht simuliert, sondern Ergebnis unterschiedlicher Interessen der in Antikommunismus machenden Institutionen und Vereine. Allerdings sprudelte das Geld für die nach innen wie außen verbreitete Propaganda gegen den Kommunismus - zumindest anfangs - aus einer zentralen Quelle. Es kam fast ausschließlich von jener Besatzungsmacht, die über solches ausreichend verfügte. So häufig habe ich das Wort CIA in deutschen Zusammenhängen schon lange nicht mehr gelesen.

Über policy und politics in der Ära Adenauer bietet der Autor manch überraschendes Urteil, wodurch der Leser über einige seichte Stellen sowie Ungenauigkeiten und Fehler im Detail hinweggetröstet wird. Unter dem Institut "Lektorat" wird sich in einigen Jahren wahrscheinlich nur noch eine kleine Spezialistenschar etwas vorzustellen vermögen.

Sehr zu Recht geht Körner an passenden Stellen auch auf die nicht-propagandaförmige und deshalb besonders erfolgreiche Propaganda des Westens ein - beispielsweise auf Westberlin als "Schaufenster der Freiheit"; in einem Punkt allerdings wahrt er strikt den seit 1990 geradezu verbissen verteidigten westlichen Konsens: bei den erfolgreichsten nichtpropagandaförmigen antikommunistischen Integrationsprojekten der BRD, dem Sozialstaat und einem Lebensstandard, mit dem deutlich mehr als nur die Reproduktion gesichert wurde. Daß beide wesentlich DDR-induziert waren und wirksamer als jede propagandaförmige Propaganda sowohl die BRD- als auch die DDR-Bevölkerung gegen den Kommunismus nicht nur immunisierten, sondern auch immunisieren sollten, wird wohl auch Körner erst in der Lage sein sich einzugestehen, wenn von beiden - Sozialstaat wie Lebensstandard - nur noch eine jämmerliche Erinnerung geblieben sein wird.

Für diesen Spleen unserer westdeutschen Mitbürgerinnen und Mitbürger Toleranz und Verständnis zu entwickeln, habe ich unterdessen gelernt. Verständnislos hingegen stehe ich der Körnerschen Entscheidung gegenüber, in diesem Buch eine der spannendsten - schon im Jahre 2001 bekanntgegebenen - Geschichten zu diesem Thema nicht berücksichtigt zu haben: Carola Sterns marktgerechte Selbstenthüllung, in der DDR als amerikanische Spionin tätig gewesen zu sein. Nimmt man Körners Darlegungen ernst, dann ist Carola Sterns Behauptung, nach ihrer Flucht nach Westberlin nie wieder etwas mit ihren Auftraggebern zu tun gehabt zu haben, noch weniger glaubhaft als zuvor. Das hätte auch Körner auffallen können und dem Buch ein wenig, durchaus verdiente, Medienresonanz verschafft. Oder waren dem Autor und dem Verlag eine Klage zu teuer?

Carola Stern mag man bestenfalls glauben, daß sie nicht bemerkt habe, wie amerikanische Fürsorge sie von der professionellen DDR-Beobachtung an der FU Berlin über das "SBZ-Archiv" in Köln und "amnesty international " zum DDR-Kommentatoren-Job am WDR in derselben Stadt begleitete. Allerdings stehe ich nicht an, mich zu solch einer beleidigenden Unterstellung zu versteigen.

in: UTOPIE kreativ, H. 160 (Februar 2004), S. 184f

aus dem Inhalt

Essay KLAUS WEBER Strafe und Ausgrenzung statt Hilfe und Integration? Möglichkeiten, Grenzen und Perspektiven der Sozialen Arbeit in der Resozialisierung Gesellschaft: Analyse & Alternativen MAX KOCH Der nordirische Friedensprozess vor dem Hintergrund der Theorie der sozialen Schließung; DIETMAR WITTICH Fremdenfeindlichkeit in Deutschland. Eine empirisch-soziologische Annäherung Alternative Wirtschaftstheorien ULRICH BUSCH Alternative Geldtheorien und linker Geldfetischismus; JÜRGEN LEIBIGER Arbeitszeitverkürzung und Perspektiven der Freizeit Standorte PETER ULLRICH Die Genuamobilisierung und Lernmöglichkeiten für das Verhältnis der Linken zu sozialen Bewegungen Bücher & Zeitschriften Andreas Malycha (Hrsg.): Geplante Wissenschaft. Eine Quellenedition zur DDR-Wissenschaftsgeschichte (WOLFRAM ADOLPHI): Christiane Zehl Romero: Anna Seghers. Eine Biographie 1947-1983 (FRANK WAGNER); Franca Wolff: Glasnost erst kurz vor Sendeschluß. Die letzten Jahre des DDR-Fernsehens (1985-1989/90) (KLAUS MELLE); Hermann Gellermann: Stefan Heym. Judentum und Sozialismus. Zusammenhänge und Probleme in Literatur und Gesellschaft (MARTIN GEGNER); Klaus Körner: "Die rote Gefahr". Antikommunistische Propaganda in der Bundesrepublik 1950-2000 (JÖRN SCHÜTRUMPF); AG Alternative Wirtschaftspolitik: Memorandum 2003 (ULRICH BUSCH); Alex Demirovic (Hrsg.): Modelle kritischer Gesellschaftstheorie. Traditionen und Perspektiven der Kritischen Theorie (SARAH DELLMANN); Joachim Bischoff, Klaus Steinitz (Hrsg.): Linke Wirtschaftspolitik. Bilanz, Widersprüche, Perspektiven (GÜNTER KRAUSE)