Danke, Donald …

Den Hitler-Ludendorffschen Bürgerbräu-Putsch vom 9. November 1923 kommentierte einst ein Beobachter mit den Worten: „Das alles wäre höchst vergnüglich, wenn nicht hinter der Farce sich die tiefste Tragödie verbärge. Gewiss: Dieser Putsch ist in seiner Aufführung grotesker und lächerlicher als irgendein Attentat gegen die Republik bisher, aber in seinen Folgen trifft er die Republik schwerer als irgendeiner. Welch ein Unterschied! Als Kapp vor drei Jahren seinen Putsch unternahm, da schüttelte das Proletariat die Schulter, und der Attentäter lag auf der Erde […] Diese Republik, die den Arbeitern nichts Sichtbares gegeben und ihnen das meiste genommen hat, hat sich die Klasse entfremdet, die allein sie tragen kann… Hier ist die erste Bewegung, die, so grotesk sie gleich scheinen mag, herauswächst aus einer tiefen sozialen Bewegung […] Sie haben das Unglück langsam wachsen sehen, und sahen es wachsen in einer Republik, die an ihren wachsenden Leiden vorüberzugehen schien. Sie haben kein Vertrauen zu dieser Republik […] Die Republik wird ihnen fast identisch mit der Ursache ihrer Leiden.“
Letztlich bedurfte Hitler keines Putsches; die Verzweifelten trugen ihn auch so ins Amt.
Achtzig Jahre später hat die Welle die USA erreicht. Obama – so sympathisch seine Präsidentschaft in einzelnen Zügen gewesen sein mag – suggeriert eine Gesellschaft, die so allenfalls im Silicon Valley und an der Wall Street existiert. (Derlei politisches Tun hätte, trotz aller Unterschiede, unter Hillary Clinton ohne Zweifel fortgedauert.) Nicht Donald Trump hat den American Way of Life – den Traum, dass sozialer Aufstieg in der Hand jedes Einzelnen liege – ins Nirwana geführt; Trumps Wahlsieg ließ lediglich die Computersimulation von einer heilen Welt zusammenbrechen und eröffnet nun den Blick auf die reale Szene.
In den vergangenen vierzig Jahren ist die einst zu Recht viel gerühmte Dynamik, die über 200 Jahre die sozialen Strukturen beweglich und durchlässig hielt, einer sich verfestigenden sozialen Spaltung gewichen, die an das Europa der 1920er Jahre erinnert: Dekadenz oben, Verarmung unten – was keine Gesellschaft auf die Dauer aushält. Zudem: Die Industrie ist zerstört, mangels staatlicher Strukturpolitik (außer im Rüstungsbereich) versteppen ganze Regionen. Die „Eliten“, in der Erwartung, „dass die Städte irgendwann kommen werden“, haben sich schon seit Jahrzehnten in militärisch ausgebauten Landsitzen verbunkert; die ganz Reichen richten unterdessen ihre „Wechselstellungen“ im paraguayischen Asunción ein – nettes Klima, zuverlässiges Militär … Der Dollar, nach außen als Leitwährung zwar immer noch stark genug, um Rechnungen für Importe mit der Druckmaschine statt mit Waren zu begleichen, gilt nach innen unterdessen als Synonym für Überschuldung und Kreditunwürdigkeit. Und: Selbst Kriege kann die stärkste Militärmacht der Welt nur noch vom Zaun brechen, aber nicht mehr gewinnen … (Worüber man, anders als einst bei Vietnam, aber nicht spricht.).
Der Versuch der großen europäischen Länder, in den Jahren 1914 bis 1918 ihre Akkumulationsprobleme durch die Eroberung neuer Absatzmärkte zu beheben, scheiterte und zwang, nach anderen Lösungen zu suchen: In Russland kehrte eine Revolution das Unterste nach oben; allerdings brachten die Bolschewiki trotz – und nicht zuletzt wegen – ihrer ganzen Macht nicht mehr als einen modernisierten Zarismus zustande; Sozialismus reimte sich fortan auf die diktatorisch aufrechterhaltene Absenz politischer Freiheitsrechte, auf Mangelwirtschaft und auf soziale Zugeständnisse, so sie das Kräfteverhältnis zwischen Arbeiterschaft und Politbürokratie erforderlich machten. In Italien und Deutschland hingegen scheiterte die Machtübernahme durch die Linke; anschließend zerlegte die sich mit großer Ernsthaftigkeit selbst und machte so den Weg frei für Faschismus und abermals Krieg. Am erfolgreichsten war noch Roosevelts „New Deal“, ein ökonomischer und sozialer Ausgleich, der nach 1945 auch in Westeuropa sozialistischen Ambitionen die Massenbasis entzog.
Unterdessen sind alle drei Varianten Geschichte – denn im Zeichen der „Globalisierung“ sollten mit Neoliberalismus und Finanzmarktkapitalismus die Uhren der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft auf Ewigkeit gestellt werden; eine Rechnung, in der die Mehrheit der Menschen nicht vorkam. Der Aufprall war absehbar. Orban, Netanjahu, Kaczynski, Erdogan, Trump brauchten nur die Hand zu heben – während es in Russland wieder nicht zu mehr als zu einer neuerlichen Modernisierung des Zarismus gereicht hat …
Wie Europa in zehn Jahren aussehen wird, entscheidet möglicherweise schon die französische Präsidentenwahl oder – eine sich neu formierende europäische Linke. 25 Jahre nach der Implosion des sowjetischen Herrschaftsbereiches ist der Kampf gegen den Faschismus – das Wort wird sich wahrscheinlich nicht durchsetzen, soll hier aber mangels eines treffenderen Begriffes vorerst als Arbeitsbegriff vorgeschlagen sein – etwas anderes als in den 1930er Jahren. Stalin hatte mit seiner Sozialfaschismuspolitik vor allem die deutsche Linke entmannt und so für Hitlers Aufstieg das wichtigste Hindernis beiseite geräumt. Nur als angebliches Gegenprogramm zum Faschismus war die Stalinsche Terrorherrschaft durchsetzbar; national und mehr noch international – ein billiges, aber wirkungsvolles Theater (an) der Macht. Hitler und Stalin benötigten einander, keineswegs als Freunde, sondern als Feinde.
Diese vorsätzliche Vergiftung jeglichen Antifaschismus funktioniert – mangels Profiteure – heute nicht mehr. Der Frontverlauf, durch das misslungene Sozialismusprojekt der Bolschewiki über Jahrzehnte hinweg stets uneindeutig (wodurch nicht zuletzt immer wieder falsche Solidarisierungen provoziert wurden), erhält endlich klarere Konturen. 25 Jahre nach dem vorzeitigen Ende des 20. Jahrhunderts kann der Kampf gegen einen Faschismus nur dem dienen, was in den 1930er Jahren lediglich vorgeschoben war: der Verteidigung und dem Ausbau der politischen Freiheitsrechte sowie ihrer Ergänzung durch die sozialen Freiheitsrechte.
Leistbar ist das nur als ein europäisches Projekt, das allerdings ohne ein „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ – samt Eurobonds – kaum zu haben sein wird. Hier steht eine kommende Linke in der Verantwortung – nicht zuletzt weil (fast) alle anderen Kräfte aus ihren Lautsprechern den Ruf nach einer europäischen Militärunion dröhnen lassen werden; der von Frau von der Leyen dröhnt schon.
Doch statt um ein Militäreuropa geht es um ein ziviles „Kerneuropa“, in dem eine Wirtschafts- und Sozialpolitik betrieben wird, die am „New Deal“ orientiert ist. Das ist im Moment das einzige realistische Herangehen, um den an die Macht strebenden Lumpenproletariern aller Länder Einhalt zu gebieten. Panzer helfen gegen die nicht … (Die will Frau von der Leyen natürlich ohnehin ganz woanders einsetzen.)
In den 1950er Jahren sprachen führende DDR-Politiker in engerem Kreise gern von der „Piemont-These“: Ähnlich wie in der Mitte des 19. Jahrhunderts das aufstrebende Königreich Sardinien-Piemont eine so große Anziehungskraft auf die anderen italienischen Gebiete entwickelte, dass es zum Kernland des neuen Italiens wurde, sollte der Westen auf die DDR fliegen. Der Plan hat übrigens glänzend funktioniert, allerdings andersherum.
Im Moment kann eine neu sich findende europäische Linke es sich noch aussuchen: Wird Europa in einigen Jahren wieder ein Flickenteppich aus Nationalstaaten sein – samt Gebietsforderungen à la Erdogan und militärischen Konflikten – oder ein Gegenmodell zum Trumpismus bilden, also zu einem Rassismus, einem Sexismus und einer Xenophobie, denen alle Mittel der Macht zur Verfügung stehen und für deren Durchsetzung letztlich alle Mittel recht sind.
Anders formuliert: Wird Europa – dank Trump – das neue Piemont?