Rezension zu: Deutscher Bundestag (Hrsg.): Schlußbericht der Enquete-Kommission. Globalisierung der Weltwirtschaft, Leske + Budrich Opladen 2002, 620 S. (24,90 EUR)
Als erstes Parlament der Welt hat der Deutsche Bundestag eine Kommission eingerichtet, die sich mit den Fragen der Globalisierung beschäftigt. Daß das Interesse der Öffentlichkeit und noch mehr die der deutschen Bildungseinrichtungen an den Herausforderungen der Globalisierung sehr hoch ist, zeigt sich daran, daß bereits der Zwischenbericht der Enquete-Kommission nach kurzer Zeit vergriffen war.
Bei der Erstellung des Schlußberichts verfolgt die Kommission drei zentrale Fragestellungen: 1. Was sind die Gründe, die zur Globalisierung der Weltwirtschaft geführt haben? 2. Welche Auswirkungen hat die Globalisierung auf Wirtschaft, Politik und Gesellschaft? 3. Welche Handlungsoptionen auf nationaler und internationaler Ebene können verantwortungsvoll die weiteren Entwicklungen beeinflussen? Sechs Arbeitsgruppen, die sich aus 13 Abgeordneten sowie 13 Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft zusammensetzen, beschäftigten sich mit Chancen der Globalisierung und Lösungsmöglichkeiten negativer Globalisierungseffekte. Berücksichtigt wurden wissenschaftliche Studien, globalisierungsrelevante Literatur und insgesamt 40 externe Expertisen. Das Ergebnis ist ein komprimierter Bericht, der an nuancierten Betrachtungen, Analysen und Handlungsempfehlungen kaum zu überbieten ist. Er ist schon allein deshalb lesenswert, um die in der Öffentlichkeit vorherrschenden medienwirksamen und deshalb auch verkürzten Argumentationen kritisch hinterleuchten zu können. Er ist aber auch lesenswert, weil sich mit dem Schlagwort "Globalisierung" auf der ganzen Welt viele Hoffnungen, aber auch viele (radikale) Kritiken und Ängste verknüpfen. Diese emotionalen Auseinandersetzungen gilt es zu entwirren und Instrumente aufzuzeigen, welche die oftmals gefühlte Machtlosigkeit überwinden und Mitgestaltung ermöglichen können.
Daß die Globalisierung zu einem der wichtigsten politischen Themen avanciert ist, zeigt sich in einer Reihe aktueller politischer Handlungsfelder, welche direkt oder indirekt mit diesem Gegenstand verknüpft sind: Die Diskurse um die Verschuldung von Entwicklungsländern, die effektivsten Strategien zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die optimale Steuerpolitik, die Debatte um einen globalen Klimaschutz, den Atomausstieg, den Import embryonaler Stammzellen und nicht zuletzt um die Handlungsspielräume von Nationalstaaten bei gleichzeitiger Europäisierung und Internationalisierung.
Die gesetzten Themenschwerpunkte der Arbeitsgruppen versuchen die meisten politisch wichtigen Debatten zu integrieren: Mit welchen Reformen kann den Herausforderungen der globalisierten Finanzmärkten, wie zum Beispiel Finanzkrisen, Verschuldungen und Segmentationen begegnet werden? Wie kann der Handel und Wettbewerb in den globalisierten Waren- und Dienstleistungsmärkten transparent gemacht und effektiv gesteuert werden? Wie kann der deutsche Arbeitsmarkt international wettbewerbsfähig bleiben und gleichzeitig potentielle Globalisierungsverlierer integrieren? Wie kann Deutschland mit einer Bildungspolitik auf die wachsenden Anforderungen einer Wissensgesellschaft reagieren? Welche Maßnahmen fördern die soziale Gerechtigkeit und Geschlechtergerechtigkeit und gewähren Schutz sowie die Einhaltung der Menschenrechte? Wie können Ressourcen durch eine nachhaltige Politik und Ressourceneffizienz sowie Technologietransfer sinnvoll genutzt werden? Welche Handlungsoptionen bestehen im Zuge der Herausforderungen durch den demographischen Wandel der Weltbevölkerung? Und schließlich: Wie können verloren gegangene Handlungsspielräume des Nationalstaats durch eine Global Governance zurückgewonnen werden?
In den insgesamt zehn Kapiteln dieses Berichts werden über 200 Handlungsempfehlungen ausgesprochen. Doch wurde einigen Vorschlägen, wie etwa zu einer stärkeren Regulierung der Finanzmärkte oder zu einer Einführung der Devisenumsatzsteuer, nicht einheitlich zugestimmt, da sie von den Fraktionen und den Mitgliedern der Kommission sehr kontrovers diskutiert wurden. Nicht zuletzt hierin zeigt sich die Schwierigkeit einer effektiven Steuerung von Globalisierungsprozessen, zumal intendierte Wirkungen ausbleiben oder unerwartete Nebeneffekte haben können. Alles in allem: Die weltweite politische Gestaltung der Globalisierung steckt noch in den Kinderschuhen und handlungsfähig sind diejenigen, die sich eh schon als Zentren der Weltwirtschaft wähnen können. Inwieweit man semantisch von einer Global Governance sprechen kann, ist deshalb fragwürdig.
in: UTOPIE kreativ, H. 150 (April 2003)