Komm, wir bauen einen Staat ...

In Ex-Jugoslawien zeigen sich Probleme des UN-Peacebuildings

Nach Peacekeeping wurde Peacebuilding zum neuen Zauberwort beim Umgang der UN mit innerstaatlichen Konflikten. Welche Probleme Eingriffe der UN in die staatliche Verfasstheit von Nachkriegsgesellschaften bringen, zeigt ein Blick auf zwei der ersten Einsätze dieser Art. Sie dauern bis heute an: die internationalen Missionen im Kosovo und in Bosnien-Herzegowina.

von Larissa Schober

Unter Peacekeeping werden im Kontext der Vereinten Nationen in der Regel die unterschiedlich mandatierten Einsätze der UN-Blauhelme verstanden. Seit Anfang der 1990er Jahre entwickelte sich eine erweiterte Form von Einsätzen, bei denen nicht nur die Einhaltung von Friedensabkommen oder ähnlichem durch militärische Präsenz gesichert wird, sondern die UN auch exekutive Aufgaben in den betroffenen Ländern übernimmt. Diese werden häufig mit dem Begriff Peacebuilding umschrieben. Das Ziel solcher Friedenskonsolidierung ist es, das Wiederaufflammen von Gewalt nach Beendigung eines Konflikts zu verhindern und Strukturen aufzubauen, die es ermöglichen, Konflikte ohne Gewalt zu lösen. Im Gegensatz zu Peacekeeping existiert für Peacebuilding keine einheitliche Definition, der Begriff umschreibt eine ganze Reihe von Maßnahmen, vom Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen bis hin zu ziviler Präventionsarbeit von NGOs. Hier meint der Begriff die Übernahme von exekutiven Aufgaben durch die UN und andere internationale Organisationen in Post-Konfliktgesellschaften.

Diese neue Form von Einsätzen, bei denen de facto Regierungsgewalt durch die UN ausgeübt wird, gab es in Ansätzen bereits Anfang der 1990er Jahre in Kambodscha. Der erste umfassende Einsatz war die UNMIK (United Nations Interim Administration Mission) im Kosovo ab 1999. Auch jenseits von »klassischen« UN-Missionen gab und gibt es Friedenseinsätze, bei denen internationale Organisationen exekutive Aufgaben übernehmen, wie die UN-mandatierten, aber überwiegend von anderen Organisationen ausgeführten Missionen in Bosnien seit 1995.

Ein UN-Staat ...

Der Einsatz im Kosovo basiert auf der UN Resolution 1244, welche sowohl die UNMIK, als auch die NATO-geführte KFOR (Kosovo-Force) mandatiert. Mit dieser Resolution wurden der UNMIK so weitreichende Befugnisse übertragen, dass man durchaus von der erstmaligen Übernahme einer Regierung durch die UN sprechen kann. Sie war für sämtliche zivile und administrative Aufgaben zuständig, wie beispielsweise den Aufbau eines neuen Rechtssystems, die Ausbildung der Polizei oder den Aufbau von Infrastruktur. Die KFOR unterstützt die UNMIK militärisch, untersteht ihr aber nicht.

Mit der Unabhängigkeit des Kosovos 2008 übernahm die EU-Rechtsstaatlichkeitsmission EULEX viele Aufgaben von UNMIK und sollte die kosovarischen Behörden beim Aufbau von Polizei, Justiz und Verwaltung unterstützen. Ursprünglich bis 2010 geplant, läuft die Mission immer noch. Auch UNMIK ist weiter im Kosovo präsent, wenn auch lange nicht so aktiv wie zu Beginn des Einsatzes. Über die Jahre wurden zudem immer mehr Kompetenzen von EULEX auf kosovarische Behörden übertragen. Dennoch steht das Land weiterhin unter einer Doppelverwaltung aus kosovarischen und internationalen Strukturen.

1999 wurden sowohl die UN als auch die NATO im Kosovo mit Begeisterung empfangen – großen Teilen der Bevölkerung galten sie als »Befreier« von Serbien. Von dieser Euphorie zeugt etwa der Bill Clinton Boulevard mit entsprechender Statue in der Hauptstadt Pristina. Mittlerweile stehen viele Kosovar*innen der internationalen Präsenz ablehnend gegenüber. Ein Grund sind massive Korruptionsvorwürfe, die immer wieder sowohl gegen UNMIK als auch EULEX erhoben, von Offiziellen der Missionen aber stets zurückgewiesen werden. Außerdem kritisieren verschiedene NGOs die internationale Präsenz als ineffektiv. Ein Beispiel: Unter UNMIK wurde das Erbrecht so reformiert, dass Frauen in der Erbfolge zumindest auf dem Papier nicht benachteiligt sind. Dafür wurde eine Gesetzesvorlage aus der Zeit Jugoslawiens aktualisiert. Allerdings wurde vergessen, den Namen des zuständigen Gerichts zu ändern, sodass dieses Recht beim Gericht eines Landes eingeklagt werden sollte, das nicht mehr existiert.

Zentral bei der Ablehnung ist der ungelöste Status des Kosovos – die UN agiert noch immer unter einem Mandat, das die territoriale Integrität Serbiens (damals Jugoslawiens) anerkennt. Das wird von großen Teilen der kosovarischen Bevölkerung spätestens seit der Unabhängigkeitserklärung 2008 abgelehnt. Vielen gilt die internationale Präsenz mittlerweile als Kolonialmacht, so auch Albin Kurti, dem im Februar gewählte Premierminister im Kosovo. Seine Partei heißt Vetëvendosje!, Selbstbestimmung. Kurti sagt: »Wir sind für den Beitritt zur Europäischen Union, aber gegen die KFOR-Herrschaft«.

Am 24. März wurde Kurti nach nur 51 Tagen durch ein Misstrauensvotum gestürzt und ist nur noch übergangsweise im Amt. Auslöser waren Streitigkeiten über die Abschaffung der Einfuhrzölle für serbische Waren innerhalb der Regierungskoalition. Auch hier spielte die Internationale Gemeinschaft eine Rolle: Während die EU Kurtis stufenweise Abschaffung der Zölle akzeptierte und sich gegen ein Misstrauensvotum mitten in der Corona-Krise aussprach, verlangten die USA eine sofortige Abschaffung der Zölle und untergruben Kurtis Autorität durch die unverhohlene Unterstützung des ehemaligen Premiers und jetzigen Präsidenten des Kosovos, Hashim Thaci.

... und ein internationales Protektorat

In Bosnien beruht die internationale Präsenz auf dem Friedensabkommen von Dayton, das 1995 den Bosnienkrieg offiziell beendete. Etliche Aufgaben wurden durch das Abkommen an verschiedene internationale Organisationen übertragen: Etwa die Entsendung europäischer Richter*innen an das Bosnische Verfassungsgericht, die Ausbildung der Polizei durch die UN oder die Stationierung der NATO-geführten Friedensmission IFOR.

Der bis heute problematischste Eingriff der Internationalen Gemeinschaft war jedoch die Schaffung des Amts des Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina durch die Resolution 1031 des UN-Sicherheitsrats. Seine Befugnisse werden im Abkommen von Dayton geregelt. Er ist der oberste Vertreter der Internationalen Gemeinschaft in Bosnien und überwacht die zivilen Aspekte der Umsetzung des Friedensabkommens. Dafür besitzt er weitreichende Vollmachten und kann beispielsweise Gesetze erlassen, neue Behörden schaffen und Personen, die gegen das Dayton-Abkommen arbeiten, ihres Amtes entheben. Aufgrund der Vollmachten dieses Postens – der aktuell von dem österreichischen Diplomaten Valentin Inzko bekleidet wird – entsteht in Bosnien ein Demokratieproblem. In der Fachliteratur wird Bosnien daher häufig nicht als souveräner Staat, sondern als (Halb-)protektorat verstanden.

Dieses Demokratiedefizit ist eng verwoben mit dem weitreichenden Staatsversagen des bosnischen Staates. Durch die bloße Existenz des Hohen Repräsentanten werden lokale Akteur*innen der Verantwortung entbunden. Zwar liegt die Verantwortung für den Staat technisch gesehen bei den bosnischen Behörden und der Hohe Repräsentant überwacht nur im Hintergrund die Einhaltung des Friedensabkommens. Dennoch besteht dadurch für bosnische Politiker*innen der Anreiz, reine Klientelpolitik zu betreiben und unliebsame Entscheidungen – wie etwa die dringend notwendige Verfassungsreform – dem Hohen Repräsentanten zu überlassen. Zudem eignet sich dieser durch seine starke rechtliche Stellung hervorragend als Sündenbock für alles, was in Bosnien schief läuft. Und das ist eine Menge.

Langwierige Prozesse und zähe Missionen

Sowohl im Kosovo als auch in Bosnien war der Einfluss von internationalen Organisationen über Jahre hinweg so groß, dass man sich fragen kann, ob hier nicht neokoloniale Strukturen unter UN-Gewand geschaffen wurden. Gerade im Kosovo war vor allem die Wirtschaftspolitik nach Ende des Krieges an den Interessen westlicher Staaten ausgerichtet. Die Einsätze werden mittlerweile in der Bevölkerung überwiegend kritisch gesehen – die Unterstützung der Mandate durch die Bevölkerung ist aber eine zentrale Voraussetzung für deren Gelingen.

Zu Kriegsende gab es dennoch in beiden Fällen durchaus gute Gründe für das Vorgehen der UN. Die Tatsache, dass bisher keine größeren bewaffneten Konflikte in beiden Ländern ausgebrochen sind, ist zumindest nicht Nichts. Die als Überganglösung geplanten Missionen dauerten jedoch immer länger. Zugleich ließen das öffentliche Interesse und damit der Handlungsdruck nach. Hier zeigt sich ein weiteres Problem von Peacebuilding-Missionen: Sie sind deutlich langwieriger als die Aufmerksamkeitsökonomie der Politik zulässt. An den Verhältnissen in Bosnien, wo die UN noch immer massive Einflussmöglichkeiten haben, ändert sich auch deshalb nichts, weil man sich von westlicher Seite aus nicht mehr damit beschäftigen will. Aktuell werden in Bosnien keine strategischen Interessen berührt. So lange es dort nicht zu dramatischen Entwicklungen kommt, belässt man lieber alles beim Alten, auch wenn es nicht funktioniert. Mit einer neuen Balkanroute für Flüchtlinge könnte allerdings schneller ein strategisches Interesse entstehen, als es der EU lieb ist.

 

Larissa Schober ist Redakteurin im iz3w und hat zu innerstaatlichen Konflikten geforscht.