Globalisierter Backlash

Queerfeindlichkeit und Antifeminismus verbinden autoritäre Bestrebungen weltweit

LGBTIQ-Rechte und feministische Errungenschaften stehen derzeit in vielen Ländern im Zentrum nationalistischer, konservativer und extrem rechter Angriffe und Kampagnen. Antifeminist*innen sind global durch ihr Bestreben nach Durchsetzung einer vermeintlich ‚natürlichen Ordnung‘ verbunden. Das steht im Widerspruch zu Menschenrechten und Demokratisierungsbestrebungen.

Die Feindbilder Queerness und Feminismus funktionieren weltweit: Von Russland, das an der LGBTIQ-Bewegung ‚westliche Dekadenz‘ bekämpft (Seite 26 und 40) und damit auch den Überfall auf die Ukraine legitimiert, über Ghana, wo Sexualerziehung an Schulen zur Bedrohung der Nation stilisiert wird, oder Ecuador, wo konservative Katholik*innen mit Evangelikalen gemeinsame Sache gegen alles machen, was ihrer Vorstellung von angeblich ‚natürlichen‘ Familien widerspricht. Auch wenn sich konkrete Äußerungsformen sowie politische Zielsetzungen unterscheiden und einzelne Hass-Kampagnen stets in ihren lokalen Kontexten verstanden werden müssen, zeigen sich auch viele Gemeinsamkeiten. Zentral ist dabei der Diskurs um eine angebliche ‚Gender-Ideologie‘, der in den 1990er-Jahren im Vatikan entwickelte wurde. An diesem lässt sich zeigen, wie einige dieser transnationalen diskursiven Muster mit je unterschiedlichen Nationalismen und/oder autoritären politischen Projekten verbunden werden.

Die Erfindung der ‚Gender-Ideologie‘

Geprägt wurde der Begriff ‚Gender-Ideologie‘ als antifeministischer Kampfbegriff Mitte der 1990er-Jahre vom Vatikan in Reaktion auf die Integration des Gender-Konzepts in die Abschlussdokumente der UN-Konferenzen in Kairo 1994 und Beijing 1995. Die Themen, die den Vatikan und seine Verbündeten dabei bewegten, waren keineswegs neu – im Vordergrund standen Angriffe auf sexuelle und reproduktive Rechte, konkret besonders Abtreibung und Homosexualität. Neu war allerdings der Fokus auf den Begriff Gender, der zu einem Werkzeug der Zerstörung ‚natürlicher‘ Geschlechter(ordnungen) und ‚der Familie‘ umgedeutet wurde. Neu war auch die offensive Positionierung des Vatikans, der sich als wahrer Vertreter der Frauen, insbesondere der Frauen aus der sogenannten Dritten Welt, sowie als Kämpfer gegen eine vermeintliche Übermacht feministischer NGOs, westlicher Regierungen und der UN-Bürokratie zu positionieren versuchte. Die heute in antifeministischen Mobilisierungen gängigen Verschwörungsnarrative nahmen hier ihren Ausgangspunkt. 

Es wird zudem bereits deutlich, warum diese Modernisierung des Antifeminismus den Hass auf queere Personen notwendig einschließt: Mit der Ablehnung von Gender rückte die (Re-)Etablierung starr binär gedachter Zweigeschlechtlichkeit ins Zentrum – Frauen und Männer seien ‚von Natur aus‘ gegensätzlich und würden sich daher in ihren Eigenschaften und ihren Aufgaben ergänzen, so das Credo. Alle Menschen, die dieser heteronormativen und patriarchalen Vorstellung einer einzigen möglichen Form von Geschlechtlichkeit widersprechen, gelten daher als Vertreter*innen der verhassten ‚Gender Ideologie‘ – zentral trifft das trans und nicht-binäre Personen, aber auch homosexuelle cis Personen und emanzipierte Heteras, die traditionelle Erwartungen an Frauen verweigern. Der Diskurs der ‚Gender-Ideologie‘ betreibt in gewisser Weise eine Umkehrung queerfeministischer Analysen, die den Zusammenhang von Geschlecht und Sexualität dekonstruierten, und setzt dagegen eine (Re-)Naturalisierung eben dieses Zwangsverhältnisses, das im nächsten Schritt zur Grundlage von Gesellschaft überhaupt erklärt wird. Antifeminismus beinhaltet daher immer auch Queerfeindlichkeit. 

Bis in die erste Hälfte der 2000er-Jahre wurde die Position der katholischen Kirche in einer Reihe von Schriften gefestigt, die zunächst in konservativ-katholischen und evangelikalen Kreisen auf Widerhall stießen. 2004 erreichte sie mit dem »Schreiben an die Bischöfe der katholischen Kirche über die Zusammenarbeit von Mann und Frau in der Kirche und in der Welt« erstmals eine breitere internationale Öffentlichkeit. Christliche Organisationen, wie etwa das internationale Netzwerk World Congress of Families, sowie eine Vielzahl einschlägiger Lobbygruppen, NGOs und Kampagnenplattformen spielten und spielen bis heute eine wesentliche Rolle für die transnationale Verbreitung der antifeministischen und queerfeindlichen Ideen.

Die zweite Hälfte der 2000er-Jahre brachte jedoch eine wichtige Neuerung: Die säkulare extreme Rechte ‚entdeckte‘ den Diskurs der ‚Gender-Ideologie‘ für sich. Mit Publikationen des FAZ-Autors Volker Zastrow (2006) und der österreichischen FPÖ-Politikerin Barbara Rosenkranz (2008) vollzog sich beispielsweise im deutschsprachigen Raum eine Säkularisierung und Zuspitzung des bis dato christlichen Diskurses – ein Wandel, der sich auch in anderen Teilen der Welt beobachten lässt. Aus ‚Gott‘ und ‚Schöpfung‘ wurde nun ‚Natur‘. Der angeblich drohende Verfall christlicher Werte avancierte zur vermeintlich drohenden demographischen Katastrophe. Hier wird auch deutlich, warum der Anti-Gender-Diskurs solche Anziehungskraft auf rechtsextreme Akteur*innen ausübt: Mit ihm lässt sich die alte rassistische, antisemitische und sozialdarwinistische Bevölkerungspolitik sprachlich neu verpacken. Die Politisierung, Reglementierung und Kontrolle der Fortpflanzung im Dienste der ‚Volksgemeinschaft‘ lässt sich als ‚Verteidigung unserer Familien‘ gegen den drohenden Zerfall der ‚natürlichen Ordnung‘ – herbeigeführt durch Feminist*innen, trans Personen, die ‚Homo-Lobby‘ und andere fantasierte Mächte – rebranden. 

Der hier in aller Kürze beschriebene neuere Antifeminismus ist daher heute als Allianzprojekt erzkonservativer, religiös-fundamentalistischer und säkularer extrem rechter Akteur*innen anzusehen. Er erweist sich jedoch mit seiner Berufung auf die vermeintliche ‚Natur‘ der Geschlechter und die sogenannte ‚Tatsache‘ der Zweigeschlechtlichkeit als anschlussfähig für angebliche Gewissheiten, die auch tief im Alltagsverstand vieler Menschen verankert sind. 

Von der Familie zur Nation

Erster Bezugspunkt des hier beschriebenen Anti-Gender-Antifeminismus ist die heteronormativ-patriarchale Kleinfamilie, in der die ‚natürliche‘ Ordnung der Geschlechter gelebt und tradiert wird. Insbesondere in ihrer säkularisierten Version ist diese Familie allerdings Mittel zum Zweck: Für autoritäre Bewegungen und Regime quer über den Globus nimmt sie in ihrer Funktion als Schnittstelle von biologischer (Geburtenrate) und symbolischer (Werteordnung) Reproduktion der autochthonen Bevölkerung eine zentrale Rolle ein. Die Familie ist damit nicht so sehr ein Wert an sich – wie im christlichen Konservativismus – sondern vor allem Vehikel zur Reproduktion der ‚reinen‘ Nation. Über den Scharnierbegriff der Familie finden damit nicht nur religiöse und säkulare rechte Akteur*innen zusammen, es werden auch antifeministische, queerfeindliche und (ethno-)nationalistische Diskurse verzahnt.

Wie schon die einleitenden Beispiele andeuten: Der aktuelle Antifeminismus ist ein vielgestaltiges Phänomen, das von unterschiedlichen Akteur*innen mit der jeweiligen politischen Agenda verbunden wird. Dementsprechend unterschiedlich fällt auch die Verknüpfung zu unterschiedlichen Nationalismen aus. Die Bandbreite reicht von den rechtsextremen Terroristen der letzten Jahre (etwa die Täter von Christchurch, El Paso oder Halle), die neben Antisemitismus und Rassismus immer auch Antifeminismus als Motiv nannten, über Anti-EU-Positionen, die sich gegen die – angeblich ,durch Brüssel aufgezwungene‘ – gesellschaftliche Liberalisierung wenden, bis hin zur hinduistisch-nationalistischen Regierungspartei BJP in Indien, die in ihrer anti-muslimisch rassistischen Agitation eine ganz ähnliche Rhetorik bedient. Die Reihe ließe sich noch lange fortsetzten. Und während jedes Beispiel in seinem eigenen gesellschaftlichen Kontext zu analysieren wäre, können doch deutliche Gemeinsamkeiten in der starken Ablehnung von Gender sowie der geschlechts- und sexualitätsbezogenen Gleichstellungs- und Antidiskriminierungspolitiken festgestellt werden.

Im Kontext nationalistischer Politik gewinnen diese Feindbilder besondere Brisanz, denn die angebliche ‚Gender-Ideologie‘ wird nicht einfach als (abzulehnendes) politisches Projekt beschrieben, sondern von antifeministischen Akteur*innen als existenzielle Bedrohung imaginiert. Bereits in ihrer religiösen Form sprechen Anti-Gender-Diskurse von einem Angriff auf den Menschen, dem – so der Vorwurf – mit dem Mann- beziehungsweise Frau-Sein auch das Mensch-Sein abgesprochen werde. In der Verknüpfung mit nationalistischen Positionen wird daraus ein Angriff auf die Nation, die in ihrer Essenz bedroht werde. So wird etwa die Frage, was Kinder welchen Alters über Sexualität lernen sollten, von einem bildungs- und gesellschaftspolitischen Detail zu einer nationalen Überlebensfrage. Oder der Schwangerschaftsabbruch wird von einer medizinischen Leistung zu einem zentralen Marker politischer Identität. Das permanente Erzeugen von Dringlichkeit durch die Konstruktion einer existenziellen Bedrohung dient nicht zuletzt der Legitimation von Aggression und Gewalt, wie die oben angesprochenen Beispiele rechtsextremer Anschläge in besonderer Deutlichkeit vor Augen führen. Neben den rassistisch und antisemitisch definierten ‚Anderen‘ sind es daher auch emanzipierte Frauen, LGBTIQ-Personen – kurz alle, die der heteronormativ-patriarchalen Norm widersprechen – die besonders durch antifeministische Nationalismen bedroht sind.

Antikoloniale Rhetorik 

Sogenannte westliche Gesellschaften spielen sowohl bei der Erfindung als auch der Verbreitung antifeministischer Denkmuster eine entscheidende Rolle. Es sind vor allem christliche Akteur*innen und deren Netzwerke aus Europa sowie den USA, die diese reaktionären Ideologien ausbuchstabieren und die argumentativen Blaupausen liefern, welche dann in die restliche Welt exportiert werden. Quer über den Globus nutzen unterschiedliche Spektren – von religiös motivierten Akteur*innen, über Anhänger*innen von Verschwörungsmythen bis hin zu rechtsextremen und rechtskonservativen Parteien – ähnliche antifeministische Strategien. Gender wird, wie bereits beschrieben, als ‚Ideologie‘ delegitimiert und als Bedrohung für traditionelle Familienkonzepte, Heteronormativität und für daraus abgeleitete binäre und komplementäre Gender-Vorstellungen dargestellt. Diese gefährdet angeblich – je nach Kontext – entweder die vermeintlich göttliche Ordnung oder die angeblich natürliche Konstitution der Gesellschaft. In postkolonialen Kontexten zeigt sich zudem, dass entsprechende Diskurse zwar aus dem Westen übernommen, jedoch häufig in eine antiwestliche Rhetorik verpackt werden. 

Die Frontstellung gegen ‚den Westen‘ und vermeintlich westliche Importprodukte wie (Queer-)Feminismus fungierte hierbei als eine zentrale Triebfeder antifeministischer Politiken. Dies wird sowohl von religiösen als auch politischen Akteur*innen in ihre jeweiligen antifeministischen und queerfeindlichen Erzählungen eingebettet, um ihre politischen Ziele durchzusetzen. Während im sogenannten Westen Antifeminist*innen Feminismus, Political Correctness und Queer-Theorien sowie LGBTIQ-Rechte nicht selten als Bedrohung von innen oder als schlechten ‚Import‘ liberaler Kräfte aus den USA betrachten, dominiert in Osteuropa in vergleichbaren Spektren die Vorstellung, sie seien ein ‚Diktat aus Brüssel‘. In Russland werden dieselben Phänomene als Ausdruck des ‚dekadenten Westens‘, im globalen Süden als ‚koloniale Zumutung‘ verhandelt. Die anti-westlichen Rhetoriken teilen dabei die Vorstellung, dass eine – staatliche oder auch durch Lobby-Organisationen zusammengesetzte – teilweise internationale Elite ‚da oben‘ den Ton angibt und ‚uns‘, den einfachen Menschen, ihre (queer-)feministische und LGBTIQ-freundliche Weltanschauung ‚aufzwingen‘ würde.

Obgleich antifeministische Akteur*innen in postkolonialen Gesellschaften ihre diskursiven Strategien also großteils auf Denkmustern aufbauen, die sie aus Europa und/oder den USA ‚importieren‘, delegitimieren dieselben Personen (Queer-)Feminismus nicht selten mit der Behauptung, dass es sich dabei um ein westliches, koloniales Importprodukt handeln würde. Der ‚westlichen Kultur‘ wird die Glorifizierung der vermeintlich authentischen, nationalen Kultur gegenübergestellt. Feministische Ideen avancieren dabei zum Inbegriff ‚westlicher Werte‘. So werden lokale (queer-)feministische Bewegungen unsichtbar gemacht und antifeministische Argumente mit antiwestlicher Rhetorik aufgeladen, die Feminismus und/oder Homosexualität als ‚fremd‘ und somit unvereinbar mit den jeweiligen vermeintlich traditionellen und nationalen Werten konstruiert. Diese werden dann wiederum gegen ‚westlichen‘ Feminismus und Liberalismus in Stellung gebracht.

Menschenrechte in Gefahr

Anhand des vom Vatikan erfundenen antifeministischen Feindbilds beziehungsweise Verschwörungsmythos ‚Gender Ideologie‘ lässt sich die Modernisierung antifeministischer Ideologie nachzeichnen. Auch die Relevanz christlicher Akteur*innen aus Europa sowie den USA, die die argumentativen Blaupausen für transnationale antifeministische Argumentationsmuster und Strategien liefern, wird dabei sichtbar. Durch die Übernahme entsprechender Rhetoriken durch die säkulare extreme Rechte und ihre Einbettung in völkische Bedrohungs- und Untergangsfantasien konnten sich antifeministische Denkmuster weiterverbreiten und neue Allianzen geschaffen werden. In dieser extrem rechten und religiösen Sorge um Geschlechtervorstellungen und -identitäten werden antifeministische und queerfeindliche Anliegen mit nativistischer und nationalistischer Bevölkerungspolitik und konservativer Familienpolitik verbunden. Zusätzlich werden aus der beschworenen ‚natürlichen‘ Ordnung auch Normen für Sexualität und Begehrensformen abgeleitet.

Die aktuelle Gefahr, die von antifeministischen Politiken weltweit ausgeht, zeigt sich in der Gewaltförmigkeit antifeministischer Ideologie und in der direkten Anwendung von Gewalt gegen Feministinnen und LGBTIQ-Personen oder -Bewegungen, die beispielsweise die Form von Einschüchterungen, Gewaltfantasien und Bedrohungen annehmen. Sie kann aber auch von sogenanntem Corrective Rape bis hin zu organisierten Mordanschlägen reichen. Gerade, weil Antifeminismus auch eine wichtige Funktion innerhalb eines größeren Hegemonieprojekts rechter Akteur*innen zukommt, die auf den systematischen Umbau der Gesellschaft in ihrem Interesse abzielt (iz3w 396), stellen antifeministische Bestrebungen auch eine grundsätzliche Bedrohung für die demokratische Verfasstheit von Gesellschaften dar. Dadurch wird nicht zuletzt deutlich, dass Queerfeindlichkeit und Antifeminismus alles andere als eine bloße Reaktion auf Erfolge feministischer und LGBTIQ-Bewegungen sind. Sie dienen vielmehr als Mittel zur Durchsetzung einer auf aggressiver Heteronormativität und patriarchalen Geschlechterverhältnissen basierenden ‚natürlichen Ordnung‘, die sich insgesamt gegen Menschenrechte und Demokratisierungsbestrebungen richtet.

Judith Goetz und Stefanie Mayer veröffentlichten 2023 den Sammelband »Global Perspectives on Anti-Feminism. Far-Right and Religious Attacks on Equality and Diversity«, der unter https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/9781399505413/html#contents kostenlos heruntergeladen werden kann.