Sexualisierte Gewalt
»Nanu, warum so gruselige Kuhfotos in der iz3w?«, werden sich einige LeserInnen beim Durchblättern dieser Ausgabe fragen. Um ehrlich zu sein, hat die Bebilderung des vorliegenden Themenschwerpunktes bei einigen Redaktionsmitgliedern für Stirnrunzeln gesorgt. Die ausgewählten Bilder haben einen Hintergrund, der sich in Europa nicht per Augenschein erklärt. Sie sind Teil eines Fotoprojekts des indischen Künstlers Sujatro Ghosh, das Solidarität mit Frauen zeigt, die Opfer der endemischen Vergewaltigungen in Indien wurden. Die Gewalttaten gegen sie werden oft nicht ernst genommen. In weniger der Hälfte der zur Anzeige gebrachten Fälle werden die Täter verurteilt. Der Fotograf skandalisiert angesichts der Vergewaltigungen, dass die in Indien heiligen Kühe offensichtlich einen höheren Stellenwert haben als Frauen. Und so schufen er und einige Models eine Bilderstrecke, in der Frauen Kuhmasken tragen, um sich zu schützen.
Trotz mangelnder Unterstützung zeigen Frauen in Indien alle 20 Minuten eine Vergewaltigung an. Die Dunkelziffer ist weitaus höher. Die globale Dimension ist nicht nur größer, sondern auch verzweigter. In unserem Themenschwerpunkt liegt ein starker Akzent auf sexualisierter Gewalt im Kontext von Kriegen, Bürgerkriegen und ethnisierten Konflikten, etwa in Myanmar, Bosnien oder in der DR Kongo. Wir fragen, warum vornehmlich Frauen und Menschen mit queeren Genderidentitäten Opfer sexualisierter Gewalt werden. Patricia Zuckerhut plädiert in ihrem Einleitungsbeitrag dafür, nicht die gängigen Antworten zu akzeptieren, wie etwa »Männer sind halt triebgesteuert«. Vielmehr sei die Gewaltausübung als Mittel zur Aufrechterhaltung patriarchaler Machtstrukturen zu verstehen.
Indien gilt als Paradebeispiel für paradoxe Entwicklungen – hier treffen traditionelle binärgeschlechtliche Rollenbilder auf emanzipatorische Bestrebungen von Frauen. So hat die weltweit größte Demokratie seit 2010 immerhin eine Frauenquote von 33 Prozent in den Regional- und Nationalparlamenten. Auch Hannah Wettig spricht in ihrem Beitrag bezüglich des Islamismus an, dass Vergewaltigungen und andere Formen sexualisierter Gewalt als politische Gegenreaktion oft dort stattfinden, wo gesellschaftliche Umbrüche hin zu einem emanzipatorischen Frauenbild stattfinden.
Sexualisierte Gewalt ist grundsätzlich mit patriarchaler Herrschaft verbunden, und immer ist sie in einen systemischen gesellschaftlichen Kontext eingebettet. Die Abwertung kann dabei sehr offenkundig erfolgen, wie beispielsweise in tschetschenischen Foltercamps, in denen Schwule systematisch misshandelt werden. Die Feminizide in Lateinamerika verweisen auf eine wiederum anders gelagerte Abwertung einer Menschengruppe. Hier geht es um Hass auf Frauen angesichts ihrer Aneignung des öffentlichen Raums. Eine staatliche Variante der Diskriminierung zeigt sich in China, wo Feministinnen strafrechtlich verfolgt werden, weil sie sexuelle Übergriffe anprangern. Frauenrechte existieren dort wie auch anderswo zwar auf dem Papier, die Realität sieht aber anders aus.
Die Folgen sexualisierter Gewalt sind schwer abschätzbar. Sie können zum Tod führen, wie bei der 23-jährigen Studentin in Indien. Auch wenn die Betroffenen überleben, haben ihre Traumata meist Langzeitwirkung und werden teilweise sogar an die nächste Generation weitergegeben, wie Heide Serra und Helena Ratté ausführen. Weitere psychosoziale Folgen der Ausgrenzung und Diskriminierung aufgrund des Geschlechts stellt Caroline Kim anhand der LGBTIQ*-Community in Argentinien dar. Die zuletzt genannten Projekte und die begleitende Fotostrecke zeigen jedoch, dass es auch Kräfte gibt, die der Gewalt entgegen stehen und Frauen weltweit, die aufbegehren.
die redaktion