Überlegungen zu einem feministisch-materialistischen Krisenverständnis
Mit den medialen Debatten um die „Zockermännlichkeit“ (Wichterich 2011: 139) als mögliche Ursache der Finanz- und Wirtschaftskrise und der These, dass die „Lehman Sisters (…) uns die Krise erspart [hätten]“ (Spiegel 2009), kam im Kontext der Krisendiskussion die Frage auf, ob es sich gegenwärtig auch um Krisenprozesse im Zusammenhang mit Geschlechterverhältnissen handelt. In der Debatte sowie den Versuchen der politischen Bearbeitung dominierte hingegen die Wahrnehmung, es handele sich um eine Finanz- und Wirtschaftskrise, die durch staatliche Bankenrettungen, die Stabilisierung der Währung, Kurzarbeit oder staatliche Unterstützung 'systemrelevanter' Wirtschaftsbereiche gelöst werden könnte. Dennoch kamen im Zuge der Krisendebatte vermehrt Fragen um die 'Geschlechtlichkeit der Krise' auf: So wurden die Insolvenz von Arcandor und Schlecker als weiblich dominierte Erwerbsarbeitsbereiche mit der Rettung von 'Männerdomänen' wie der Unterstützung der Automobilindustrie durch die Abwrackprämie oder mit den Bankenrettungen in Beziehung gesetzt. Kritik an der staatlichen Unterstützung nur einiger Bereiche kam auch im Zusammenhang einer als mangelhaft empfundenen KiTa- oder Pflegesituation auf und brachte die Frage nach geschlechtlichen Spezifika der Krisensituation in die Öffentlichkeit.
In der feministischen Diskussion wird der Zusammenhang von Krise und Geschlechterverhältnissen unter den Begriffen einer Krise der sozialen oder gesellschaftlichen Reproduktion, der Sorge- oder Care-Ökonomien und -tätigkeiten sowie einer Krise der Ernährermännlichkeit oder industriegesellschaftlichen hegemonialen Männlichkeit bereits seit Längerem diskutiert. Veränderungen im Bereich der Care-Tätigkeiten werden als krisenhafte Zuspitzungen beschrieben, bei denen sich die Krise in Reproduktionsproblemen der Arbeitskraft oder einer veränderten Rolle von Haushalten ausdrückt. Die Krise der Männlichkeit wird im Kontext der gegenwärtigen Veränderungen und Umbrüche von Arbeit betrachtet und danach gefragt, inwiefern sich die Entwicklungen als Krisenprozesse beschreiben lassen.
Im vorliegenden Artikel soll es darum gehen, ebendiesen Zusammenhang von Krise und Geschlecht aus einer gesellschafts- und krisentheoretischen Perspektive in den Blick zu nehmen und danach zu fragen, ob und mit welchem Verständnis von 'Krise' sich die Verschiebungen in den Geschlechterverhältnissen als Krisenprozesse fassen lassen. Dabei möchte ich zunächst auf die feministische Krisendiskussion eingehen und zeigen, dass diese die Veränderungen in den Geschlechterverhältnissen in Bezug auf Entwicklungen im Care-Bereich und Veränderungen von Männlichkeit aus krisentheoretischer Perspektive vornehmlich unter ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet, die Vielfältigkeit der Verschiebungen im Zusammenhang mit Geschlecht jedoch nicht in den Blick zu nehmen vermag. Mit Hilfe einiger regulationstheoretischer und gramscianischer (Krisen-)Ansätze versuche ich im Anschluss, die krisentheoretische Perspektive zu erweitern und ein feministisch-materialistisches Krisenverständnis zu entwickeln, welches die schrittweisen und allmählichen Verschiebungen in den Geschlechterverhältnissen sowie ihre verschiedenen Dimensionen als (mögliche) Krisenprozesse in den Blick nimmt. Ich möchte argumentieren, dass ein feministisch-materialistischer Krisenbegriff verschiedene Aspekte der Geschlechterverhältnisse wie die geschlechtliche Arbeitsteilung, Sexualität und Begehren, Formen des Zusammenlebens oder vergeschlechtlichte Subjektivierungsweisen in ihrer Spezifik sowie – um die Reichweite und Tiefe von Krisenprozessen in den Geschlechterverhältnissen zu erfassen – in ihren gesellschaftlichen Zusammenhänge in den Blick nehmen, Krise jedoch auch als umkämpfte Prozesse und Gegenstand herrschaftlicher Bearbeitungsversuchen verstehen muss. Aus der Perspektive dieses feministisch-materialistisch erweiterten Krisenverständnisses sollen abschließend die Verschiebungen in den Geschlechterverhältnissen noch einmal vor dem Hintergrund betrachtet werden, ob gegenwärtig von einer Krise der Geschlechterverhältnisse gesprochen werden kann.
1. Feministische Krisendiskussion
1.1 Krise der (sozialen) Reproduktion / Care-Tätigkeiten oder Sorgeökonomien(1)
Im Zusammenhang mit Care-Tätigkeiten werden in der feministischen Literatur verschiedene Entwicklungen wie die Reproduktionslücken in den Privathaushalten, Erschöpfungen von Subjekten/Arbeitskräften, die Gefährdung öffentlicher Daseinsfürsorge oder transnationale Verschiebungen von Care diskutiert. So wird darauf hingewiesen, dass zentrale Bedingungen der geschlechtlichen Arbeitsteilung nicht mehr gegeben sind (vgl. Aulenbacher 2009; Becker-Schmidt/Krüger 2009; Wichterich 2011; Winker 2009), indem die Bildungsreform, Frauenbewegung, Auflösung des Normalarbeitsverhältnisses sowie die wachsende Erwerbsintegration von Frauen eine Auflösung der eindeutig weiblichen Zuständigkeit für Care-Tätigkeiten in Gang gesetzt haben, sodass Frauen zunehmend nicht mehr für die Reproduktionsarbeiten zugunsten aller Familienmitglieder zur Verfügung stehen (Winker 2009: 335). Parallel zur Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt sind die inhaltlichen und zeitlichen Anforderungen an Reproduktionsarbeit durch permanente Qualifikationsanforderungen der Lohnverhältnisse, nicht gesicherte Ganztagesbetreuung von Kindern, zugleich jedoch gestiegene Anforderung von Frühförderungen sowie wachsende Verantwortung für kranke und unterstützungsbedürftige Angehörige gestiegen. Auf Grund dieser Entwicklungen sind in den Privathaushalten in den letzten Jahrzehnten Reproduktionslücken entstanden (vgl. König/Jäger 2011).
Ein Versuch, die entstandenen Lücken zu bearbeiten, besteht darin, Reproduktionsarbeit an Dritte zu delegieren, was bedeutet, dass finanziell besser gestellte Erwerbstätige Care Work an – häufig illegalisierte migrantische – Haushaltsarbeiterinnen delegieren, die nicht sozialversichert sind und nur gering entlohnt werden (Winker 2011: 337). Durch die Verschiebung von Versorgungsleistungen von armen in reiche Länder werden die Sorgeökonomien der Herkunftsländer geschwächt. Was daher einerseits als Bearbeitungsstrategie der Reproduktionslücken zu einer Entlastung von Überforderungen für (mittelständische) Haushalte in (meist westlichen) Ländern führt, ruft andererseits neue Versorgungslücken hervor, die jedoch räumlich verschoben sind.
Neben den Reproduktionslücken in den Privathaushalten werden jedoch auch Probleme im Zusammenhang mit staatlichen und privatisierten Reproduktionsleistungen deutlich: Der Sparkurs öffentlicher Haushalte und die Reduzierung staatlicher Aufwendungen sowie die Kommodifizierung von Care-Tätigkeiten hat zu einer Gefährdung öffentlicher Daseinsfürsorge beigetragen. Die Verwertungsorientierung der Versorgungsökonomie, ihre Taylorisierung von Arbeitsvollzügen, Arbeitsverdichtungen, Lohndumping und Abwertung, Deprofessionalisierungen sowie die informelle Nutzung von Kompetenzen der Beschäftigten hat zu einer Reduktion der Qualität der Arbeit im privatisierten Care-Sektor sowie zur Erschöpfung von Arbeitskräften bis hin zur Zerstörung von Fürsorglichkeit und einem Mangel an Versorgung in der Pflege, den Krankenhäusern, der Altenbetreuung und an Kindergartenplätzen geführt (vgl. Aulenbacher 2009).
Unter Krisengesichtspunkten werden diese Entwicklungen als Gefährdung der Reproduktion der Arbeitskraft, einer veränderten Rolle von Haushalten oder Erosionen fordistischer Arrangements zu fassen versucht. Die Annahme einer Krise der sozialen Reproduktion auf der Grundlage einer Krise der Reproduktion der Arbeitskraft geht davon aus, dass die fordistische Organisation familialer und gesellschaftlicher Reproduktion die Kosten der Ware Arbeitskraft in die Höhe getrieben hat, das kapitalistische Akkumulationsinteresse daher zu einer möglichst kostengünstigen Organisation von Care – nämlich durch die Reduktion staatlicher Zuwendung, Rationalisierungen in der bezahlten Reproduktionsarbeit, einer Erosion des (männlichen) Familienlohns und einer trotz Zwei-Verdiener_innen-Modell zunehmenden privaten Zuständigkeit für Care – beigetragen und somit Sorgearbeit für sich und andere und die Verwirklichung menschlicher Lebensinteressen gefährdet hat. Demnach hat die Gefährdung der Reproduktion der Arbeitskraft eine Krise sozialer Reproduktion hervorgerufen. (vgl. Winker 2011)
Im Anschluss an die Annahme einer veränderten Rolle der Haushalte besteht die Krisenhaftigkeit der unbezahlten Versorgungsarbeit darin, dass die Rolle der privaten Haushalte als Zeit- und Flexibilitätspuffer für zumeist vollzeitliche Normalarbeitsverhältnisse – nämlich durch die Übernahme der eigenen sowie der familialen Reproduktion (wie Erziehung, Pflege, Organisation des Haushalts) – zunehmend verloren geht. Dieser Funktionsverlust der Haushalte ist nicht nur vor dem Hintergrund einer steigenden Erwerbsmotivation von Frauen zu verstehen, sondern resultiert auch aus der „Feminisierung“ der Beschäftigung, d.h. der Zunahme von „atypischen“, d.h. flexiblen und entgrenzten Arbeitsverhältnissen sowie aus der zunehmenden Erosion des fordistischen Ernährer-Modells (vgl. Vinz 2005; Wichterich 2011).
Mit der These tief greifender Erosionskrisen fordistischer Arrangements seit Mitte der 1970er Jahre ist die Annahme verbunden, dass das gesamte fordistische Institutionengefüge von Kleinfamilie, Ernährer- und Hausfrauenmodell sowie Wohlfahrtsstaat erodiert ist und zu einem veränderten, dem Kapitalismus eigenen Verhältnis von Verwertung und Existenzsicherung beigetragen hat, in dessen Zuge die öffentliche Daseinsfürsorge unter dem Vorzeichen der Markteffizienz in ihrer Funktionsfähigkeit für die individuelle und gesellschaftliche Reproduktion gefährdet wurde. Dabei wird die Zerstörung von Fürsorglichkeit als Reproduktionskrise der Gesellschaft verstanden (Aulenbacher 2009: 64ff.).
Unter krisentheoretischen Gesichtspunkten zeigen sich einige Schwächen: So wird der analytische Zugang verengt, indem die Krise entweder in einer Gefährdung der Reproduktion der Arbeitskraft oder in einem Abbau der Zeit- und Flexibilitätspuffer der Haushalte gesehen und somit allein in Bezug zur Veränderung von Arbeitsverhältnisse und unter ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet wird, während andere Dimensionen geschlechtsspezifischen Wandels wie beispielsweise veränderte Formen des Zusammenlebens, der generativen Reproduktion oder vergeschlechtlichter Subjektivierungen aus dem Blick geraten. Darüber hinaus bleibt unklar, was genau der Krisenbegriff bezeichnet. Wenn die „individuellen“ Krisenerfahrungen schon als gesellschaftliche Krise gewertet werden, wie Winker es mit ihrer Annahme einer Krise der Reproduktion der Arbeitskraft nahelegt, wären Phasen relativ stabiler kapitalistischer Entwicklung auf Grund permanenter sozialer Verwerfungen nicht denkbar und eine Unterscheidung zwischen Kapitalismus und Krise obsolet. Eine Begriffsbestimmung fällt auch schwer, wenn mit der These fordistischer Erosionskrisen angenommen wird, dass diese zu einer „Reproduktionskrise der Gesellschaft“ (Aulenbacher 2009: 67) geführt haben. Demnach müsste die gesamte postfordistische Phase seit Mitte der 1970er Jahre als dauerhafte Krise angesehen werden. Hierin bleibt offen, ob sich eine Phase neoliberaler kapitalistischer Entwicklung als relativ stabile Gesellschaftsformation etablieren konnte oder ob diese gesamte Phase als dauerhaft krisenhafte angesehen wird.
1.2 Krise und/oder Strukturwandel von Männlichkeit
Krisenprozesse bzw. (noch) nicht krisenhafte Veränderungen werden auch im Zusammenhang mit einer 'Krise bzw. einem Strukturwandel' von Männlichkeit diskutiert. Dabei bezieht sich der Krisendiskurs auf sehr unterschiedliche, wenngleich nicht voneinander unabhängige Phänomene wie das Aufbrechen homosozialer Männerwelten im Berufssystem, die Prekarisierung männlicher Erwerbsbiographien, veränderte Ansprüche an die Gestaltung der Vaterrolle oder den gesundheitlichen Status von Männern.
Der Wandel von Männlichkeit wird vor dem Hintergrund eines konstatierten Strukturwandels von Erwerbsarbeit diskutiert: Seit den 1970er Jahren lassen sich Transformationsprozesse im Erwerbssektor beobachten, die sich durch Ökonomisierungen und Vermarktlichungen, einen Abbau industriegesellschaftlicher Normalarbeitsverhältnisse, eine Zunahme prekärer Beschäftigung sowie zunehmende Arbeitslosigkeit auszeichnen (Meuser/Scholz 2011: 64). Zugleich hat die zunehmende Erwerbsintegration von Frauen die typische Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern und das bürgerliche Arrangement von männlich konnotierter Erwerbsarbeit und weiblich konnotierter Privatsphäre zwar nicht gänzlich aufgehoben, ihre Legitimität aber dennoch deutlich in Frage gestellt (Heilmann 2012: 54). Beide Entwicklungen haben eine Erosion des männlichen Ernährermodells in Gang gesetzt und in doppelter Weise zu Veränderungen beigetragen: Zum einen bindet hegemoniale industriegesellschaftliche Männlichkeitskonstruktion Männlichkeit eng, wenn nicht unauflöslich, an Karriere und Beruf (Meuser 2010: 329), sodass die Erosion des männlich konnotierten Normalarbeitsverhältnisses die „männliche Herrschaft“(2) in der Erwerbsarbeit erheblich unter Druck geraten lässt (Heilmann 2012: 56). Zum anderen gefährdet die wachsende Inklusion von Frauen in Berufe bzw. Tätigkeitsfelder, die vormals reine Männerdomänen oder überwiegend mit Männern besetzt waren, die homosoziale Interaktionskultur dieser Berufe und somit einen wichtigen Mechanismus, über den Männlichkeit hergestellt wird.(3) Durch die zunehmende Entsicherung ehemaliger (männlicher) Normalarbeitsverhältnisse werden Männer in prekären Erwerbs- und Lebenslagen in ihrer traditionellen Rolle als Familienernährer und Berufsmensch verunsichert, während zugleich die Bedingungen und Räume schwinden, in denen Männlichkeit sich herstellt.
Gleichzeitig werden privat-lebensweltliche Themen wie (aktive) Vaterschaft, Männergesundheit, aber auch die wachsenden Schwierigkeiten niedrig qualifizierter Männer, eine Familie zu gründen und zu finanzieren, diskursiviert und einer kritischen Reflexion zugänglich (Heilmann 2012: 59). Mit der Erosion des fordistischen Familienernährermodells und der neoliberalen Intensivierung und Verdichtung subjektivierter Erwerbsarbeit wachsen auch auf Seiten der Männer allmählich Zweifel an einer einseitigen Erwerbszentrierung, sodass für einen wachsenden Anteil von Männern die private Lebenssphäre eine Aufwertung erfährt (ebd.: 63). Parallel dazu wächst die Wahrnehmung gesundheitlicher Schwierigkeiten vor dem Hintergrund einer strukturellen Überforderung durch hohe Zeit- und Arbeitsverdichtungen einerseits und der in entsicherten Arbeitsverhältnissen erzwungenen Eigenverantwortung für körperliche und mentale Arbeitsfähigkeit andererseits (ebd.: 61f.). Die Prekarisierung (auch) männlicher Erwerbsbiographien, zunehmende Wünsche nach aktiver Vaterschaft und wachsende Sorge um gesundheitliche Folgen von (subjektivierten) Arbeitsverhältnissen erschweren die (vormals unhinterfragte) Erwerbszentrierung, welche den Kernpunkt fordistischer Männlichkeit darstellt (vgl. Meuser 2010: 329). Von einer Krise der Männlichkeit wollen Meuser/Scholz jedoch erst sprechen, wenn den habituellen Männlichkeitspraktiken das Merkmal des Doxischen(4) abhanden kommt und damit eine Krise der männlichen Hegemonie entsteht (Meuser/Scholz 2011: 59).
Neben den krisenhaften Momenten hegemonialer (fordistischer) Männlichkeit kann jedoch auch eine Zunahme männlicher Macht- und Einflussmöglichkeiten beobachtet werden. Im Wandel der Industriegesellschaft beanspruchte die Finanzökonomie mit einem deutlich überproportionalen Männeranteil nicht nur die Dominanz in der neuen Dienstleistungsökonomie, sondern auch einen weit überproportionalen Anteil am insgesamt zur Verfügung stehenden Einkommen (Kurz-Scherf 2012: 91). In Folge der Expansion des Finanzsektors tritt ein neuer Typus von Männlichkeit in Erscheinung: Die neoliberale Managermännlichkeit lässt sich als eine auf Gegnerschaft beruhende aggressive Wettbewerbsmännlichkeit charakterisieren, welche wachsende Unsicherheiten im Rahmen einer globalisierten Ökonomie als Chance zur vorteilhaften Selbstpositionierung zu nutzen weiß, indem sie soft skills, soziale Kompetenzen und (vormals) weiblich konnotierte Eigenschaften integriert (Meuser/Scholz 2012: 66).
Ob sich im Zuge des Strukturwandels die neoliberale Männlichkeit als hegemoniale durchsetzen und verallgemeinern konnte, ist jedoch umstritten. Einerseits wird der Neoliberalismus als enormes Projekt der Maskulinisierung von Gesellschaft, Politik und Staat gesehen, in dem neoliberale Männlichkeit sich in allen gesellschaftlichen Bereichen gut absichern konnte, da das Denken in Wettbewerblichkeit, in Effizienz und Effektivität, in Kompetitivität und Entsolidarisierung im Zuge neoliberaler Umgestaltung der westlichen Gesellschaften verallgemeinert und damit selbstverständlich werden konnte (vgl. Sauer 2011). Andererseits wird davon ausgegangen, dass transnationale Managermännlichkeit als eine Vision modernisierter hegemonialer Männlichkeit sich von Männern in prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen kaum mehr einholen lässt, sich hierdurch eine Polarisierung von hegemonialer und prekarisierten Männlichkeiten abzeichnet und daher eine Aufkündigung der Komplizenschaft und einen Bruch mit dem hegemonialen Modell neoliberaler erwerbszentrierter Männlichkeit zur Folge haben könnte (Heilmann 2012: 58). Ob sich neoliberale Männlichkeit also rekonfigurieren und gegen Kritik und Instrumente der Geschlechtergleichstellung immunisieren konnte, indem weibliche Merkmale wie Emotionalität und Empathie in das Bild hegemonialer Männlichkeit integriert werden konnten (vgl. Sauer 2011), oder ob das Aufkündigen des (geschlechter)kulturellen Einvernehmens zwischen Männern sich nicht nur als Infragestellung neoliberaler Männlichkeit als hegemoniale, sondern gar als Anzeichen für eine radikale Infragestellung hegemonialer Männlichkeit als Hegemonie des Männlichen interpretieren lassen (Heilmann 2012: 58), bleibt daher umstritten.
Obwohl verschiedene Dimensionen von Männlichkeit als in Veränderung begriffen diskutiert werden, wird eine krisentheoretische Perspektive letztlich nicht ausreichend entwickelt. Bei Meuser/Scholz wird die Veränderung von Männlichkeit (nahezu) ausschließlich in Bezug auf Erwerbsarbeitsverhältnisse bezogen. Bei Heilmann wird die Krise als Zunahme von Spannungslinien zwischen Männern und Aufkündigen des geschlechterkulturellen Einvernehmens verstanden. Dann jedoch stellt sich die Frage, inwieweit diese Aufkündigung auch alltagspraktisch vollzogen wird.
2. Krisentheoretische Erweiterungen aus gramscianischer und regulationstheoretischer Sicht
2.1 Krisentheoretische Diskussion der Reproduktionskrise
Unter Rückgriff auf die geschlechtersensiblen regulationstheoretischen Perspektiven von Kohlmorgen (2004) und Chorus (2006; 2011; 2012) lassen sich Verschiebungen im Bereich der Reproduktion als Veränderungen in der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und somit als Wandel der Reproduktionsweise betrachten. So gehen beide von einer kapitalistisch notwendigen Trennung von Produktion und Reproduktion aus, welche mit Hilfe von hierarchischen Geschlechterverhältnissen und geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung hergestellt und bearbeitet wird und in einer historisch spezifischen Phase kapitalistischer Entwicklung als Produktions- und Reproduktionsweise ein wechselseitig aufeinander bezogenes, kohärentes Verhältnis ausbildet. Veränderungen in den Organisationsformen von Care-Arbeiten und somit in der Reproduktionsweise einer spezifischen Gesellschaftsformation können Chorus zu Folge einen Einfluss auf ökonomische Krisentendenzen ausüben und somit selbst Teil der Krise sein (Chorus 2011: 397).
Bezogen auf die postfordistischen Veränderungen wie die zunehmende Erwerbsintegration von Frauen, eine Infragestellung der eindeutig weiblichen Zuständigkeit für Care, eine Reduktion staatlicher Aufwendungen und die wachsende Kommodifizierung von Care-Tätigkeiten argumentiert Chorus dafür, dass in einer kapitalistischen Gesellschaftsformation, in der alle Geschlechter einer Erwerbsarbeit nachgehen und die soziale Reproduktion stark privatisiert ist, eine Tendenz zur Krise – sowohl der Care-Ökonomie als auch in der Ökonomie insgesamt – existiert, da die Kommodifizierung von Care eine Tendenz zur Unterkonsumtion im konsumgüterproduzierenden Sektor der Ökonomie verstärken kann (Chorus 2012: 268).(5) Am Beispiel der US-Wirtschaft zeigt sie, dass die Abhängigkeit von privatwirtschaftlich organisierten Care-Tätigkeiten und eine gleichzeitige Unfähigkeit, sich diese Tätigkeiten finanziell leisten zu können, politisch durch ein 'generöses' Kreditsystem gelöst wurden und schließlich zu einer Immobilien- und Finanzkrise beigetragen haben (Chorus 2011: 399). Die gegenwärtige Krise versteht sie daher nicht allein als große US-Immobilienkrise an den Finanzmärkten, sondern auch als das Aufbrechen einer widersprüchlichen Entwicklung in der us-amerikanischen Produktions- und Reproduktionsweise (ebd., Herv. i. O.).
Die Verschiebungen in den Geschlechterverhältnissen bezogen auf den Care-Bereich betrachtet Chorus folglich als Veränderungen der Reproduktionsweise und der geschlechtlichen Arbeitsteilung, wodurch sie die ökonomische Krise als von Produktion und Reproduktion abhängig aufzeigt. Damit verweist sie darauf, dass die Organisation von gesellschaftlich notwendigen Care-Tätigkeiten ebenfalls einen Einfluss auf die Entwicklung von Krisen ausübt. Die Veränderungen im Bereich der Reproduktion können somit in ihren Folgewirkungen auf die gesamtgesellschaftliche Reproduktion unter ökonomischen Gesichtspunkten in den Blick genommen werden. Krisentheoretisch gesprochen begreifen die Ansätze von Kohlmorgen und Chorus die Krise der Reproduktion somit als Infragestellung eines historisch spezifischen Akkumulationsregimes, d.h. als ökonomische Krise mit einem Einbruch der Kapitalakkumulation.
Im Unterschied zu der Herangehensweise von Kohlmorgen und Chorus, Ökonomie als vergeschlechtlicht und auf Reproduktionsarbeit basierend aufzuzeigen, geht es im Anschluss an Gramsci darum, die gesamtgesellschaftlichen Zusammenhänge in den Blick zu bekommen. Krise wird in diesem Sinne als gesellschaftliche Krise verstanden, in der ökonomische, politische und ideologische Krisentendenzen ineinandergreifen (können) und nicht aufeinander reduzierbar sind. Mit Gramsci sollen vielfältige Entwicklungen als Krisenzusammenhänge in den Blick geraten und der Krisenbegriff von seiner ökonomischen Verengung befreit werden (vgl. Becker 2011). 'Krise' versteht Candeias im Anschluss an Gramsci daher als Infragestellung einer geschichtlich spezifischen Artikulation unterschiedlicher gesellschaftlicher Verhältnisse, die in einer relativ stabilen Phase kapitalistischer Entwicklung ein historisch konkretes Stützungsverhältnis sich wechselseitig stützender Verhältnisse bilden. Kleinere, konjunkturelle Verschiebungen innerhalb des Stützungsverhältnisses erfordern ihm zu Folge zwar Modifikationen, lassen sich jedoch innerhalb einer gegebenen Regulationsweise bearbeiten. In einer 'organischen Krise' verschränken sich unterschiedliche Krisenelemente jedoch so, dass das wechselseitige Stützungsverhältnis in Frage gestellt wird und die Krise innerhalb der spezifischen Regulationsweise nicht mehr bearbeitbar ist (Candeias 2011a: 151).
Im Gegensatz zur Annahme einer permanent krisenhaften Situation seit Mitte der 1970er Jahre werden die Entwicklungen im Bereich der Care-Tätigkeiten aus gramscianisch krisentheoretischer Perspektive im Anschluss an Candeias nicht selbst als Krisen, sondern als konjunkturelle Verschiebungen betrachtet. Zwar verweist auch er darauf, dass Probleme der Reproduktion wie steigende Reproduktionserfordernisse durch die Intensivierung von Arbeit, die Ausdünnung und Verteuerung öffentlicher Dienstleistungen oder die Verdichtung und dadurch bedingte Qualitätsminderung von Arbeit im Gesundheitswesen und in Bildungseinrichtungen seit langem bestehen, jedoch versteht er diese Veränderungen nicht als Krise, sondern als verbreitete, sich verallgemeinernde individuelle Probleme, die als einzelne Phänomene zur Reproduktion kapitalistischer Produktionsweise gehören und nicht bestandsgefährdend sind (Candeias 2012: 14f.). Candeias geht aber davon aus, dass Krisen der Reproduktion auf individueller Ebene sich durch Verschränkungen mit anderen Krisendynamiken zu einer gesellschaftlichen Reproduktionskrise zuspitzen können. Eine ebensolche Entwicklung ist gegenwärtig zu beobachten (ebd.: 15). So nimmt er an, dass mangelnde Infrastrukturen, mangelnde Qualifikationen, mangelnder Zusammenhalt oder mangelnde Profitaussichten als Reproduktionskrise(n) des Gesellschaftlichen die Grundlagen der Akkumulation gefährden und daher zu abnehmenden Investitionen in soziale Infrastrukturen wie Pflege, Gesundheit, Erziehung und Bildung führen. Die subjektiven Probleme der Reproduktion schlagen in ökonomische Probleme um, indem gleichzeitig die Erschöpfung der neuen Produktivkräfte zu einem Abbau neuer Formen der Arbeitsorganisation, d.h. zu einem Rückbau von Autonomiespielräumen, Verschärfung von Kontrolle, Intensivierung und Prekarisierung von Arbeit sowie Überausbeutung und somit zu Erschöpfung, Verunsicherung oder mangelnder Requalifizierung von Beschäftigten führt. Es kommt zu einer Überlagerung von weiter wachsender finanzieller Überakkumulation, mangelnden Investitionsaussichten, Problemen der neuen Produktionsweise und Schwierigkeiten der Reproduktion der Arbeitskraft. Vor dem Hintergrund der Verschränkung mit ökonomischen Krisendynamiken erhalten die molekularen, d.h. kaum sichtbaren und allmählichen Veränderungen der (individuellen) Krisen der Reproduktion eine andere Bedeutung und werden mit Candeias zum Moment einer organischen Krise (ebd.: 16f.). Im Anschluss an Gramsci betrachtet er die Verschiebungen im Bereich der Care-Tätigkeiten folglich als Verschränkung unterschiedlicher Krisenelemente, die sich aus der Struktur der Gesellschaft ergeben. Den Zusammenhang zwischen Krisen der Reproduktion auf individueller Ebene und ökonomischen Zuspitzungen stellt er dabei über den Begriff der 'Reproduktion der Arbeitskraft' her: Ihre Gefährdung wirkt auf die ökonomische Ebene zurück, indem sie zu einer Erschöpfung der Produktivkräfte beiträgt.
Auch Haug bezieht sich auf das gramscianische Krisenverständnis, indem sie eine relativ stabile historisch spezifische Phase kapitalistischer Entwicklung als Kohärenz zwischen Produktionsweise, Lebensweise und politischer Regulierung und somit ebenfalls als historisch spezifisches Stützungsverhältnis versteht. Im Zusammenhang mit Veränderungen in den Geschlechterverhältnissen betrachtet sie jedoch das Verhältnis von Produktions- und Lebensweise am Beispiel von Verschiebungen in den sexuellen Gewohnheiten. Als Teil der Lebensweise muss mit der Veränderung der Produktion und Arbeit nach Haug auch eine entsprechende Regulierung des Sexualtriebes hervorgehen, da jede Produktionsweise einen bestimmten Menschentypus und somit eine Regulierung seiner – auch sexuellen – Gewohnheiten erfordert (Haug 2007: 38). Indem sexuelle Gewohnheiten einen Bestandteil der Lebensweise darstellen und somit Teil des historisch spezifischen Stützungsverhältnisses sind, werden sie als Moment von gesellschaftlichen Kämpfen und möglichen Krisenprozessen sichtbar. Eine Krise der Lebensweise kann so ausgehend von Veränderungen der Sexualität gedacht werden, zu einer Infragestellung der Kohärenz zwischen Produktionsweise, Lebensweise und politischer Regulierung führen und somit eine Krise der historisch spezifischen Gesellschaftsformation bedeuten.
2.2 Krisentheoretische Diskussion der Krise der Männlichkeit
In Bezug auf die Diskussion um eine (mögliche) Krise der Männlichkeit konnten vielfältige Veränderungen aufgezeigt werden. Offen blieb jedoch, ob es sich um einen Strukturwandel fordistisch hegemonialer Männlichkeit zu einer neoliberalen bzw. transnationalen Managermännlichkeit handelt oder ob Männlichkeit als hegemoniale in Frage steht und welche Dimensionen für eine entsprechende Einschätzung in den Blick genommen werden müssten.
Krisen auf ökonomische Prozesse bzw. Funktionsstörungen zurückzuführen, indem sie beispielsweise als Effekte von Entwicklungen in der Arbeitswelt beschrieben werden, halten Demirović/Maihofer für eine gesellschaftstheoretische Verengung, welche die Komplexität und Vielfältigkeit der Widersprüche und Krisenphänomene in den Geschlechterverhältnissen aus dem Blick geraten lässt (Demirović/Maihofer 2013: 41f.). Anstelle dessen schlagen sie ein Krisenverständnis vor, das versucht, die Vielfältigkeit und Eigenlogik verschiedener Krisenprozesse in den Blick zu nehmen: So gehen sie davon aus, dass Krisen sich als eine Form von autonomen (sich lang hinziehenden oder schnell zerstörerischen) Krisenverläufen darstellen, die einen je spezifischen, sich aus den gesellschaftlichen Verhältnissen und spezifischen Auseinandersetzungen ergebenden Charakter haben (ebd.: 32). Ob und welche gesellschaftlichen Prozesse und Phänomene als krisenhaft bestimmt werden, ist jedoch Gegenstand von gesellschaftlichen Konflikten und stellt sich für unterschiedliche Personen oder Gruppen verschieden dar (ebd.: 33). Demirović/Maihofer verweisen darüber hinaus darauf, dass Krisen immer Krisen konkreter Herrschaftszusammenhänge sind und daher Krisendynamiken und -phänomene immer auch einen intern miteinander verbundenen Zusammenhang bilden (ebd.: 34ff.). Ein zentraler Herrschaftsmechanismus ist dabei, die Krisendynamiken nicht in ihrem inneren Zusammenhang fassbar werden zu lassen, sie zu isolieren oder sozial, räumlich oder zeitlich zu verschieben (ebd.: 33).
Am Beispiel der Krise der Männlichkeit wollen sie zeigen, dass diese nicht nur Effekt ökonomischer Veränderungen ist, sondern in vielfältigen Veränderungen innerhalb der Geschlechterverhältnisse begründet liegt, die ihrerseits Auswirkungen auch auf Ökonomie und die Arbeitswelt haben (ebd.: 41f.). Hierfür führen sie an, dass wesentliche Elemente herkömmlicher hegemonialer Männlichkeit wie Erwerbszentrierung, Winnermentalität oder (sexistische) Gewalt unter Männern selbst zunehmend ihre dominante Orientierungsfunktion verliert, während der familiale Kontext eine wachsende Bedeutung erfährt und sich hierin zugleich Veränderungen hin zu gleichberechtig(er)en partnerschaftlichen Arrangements beispielsweise durch mehr Zeit für Hausarbeit, Pflege, Erziehung und Betreuung zeigen, sodass Erwerbstätigkeit für männliche Identitätsbildung eine abnehmende Bedeutung erhält und der Wunsch nach aktiver Teilnahme im Privaten in Widerspruch zu den beruflichen Anforderungen gerät.
Demirović/Maihofer kommen zu dem Schluss, dass die Reproduktionsbedingungen traditioneller hegemonialer Männlichkeit zu schwinden beginnen, sich neue Formen von Männlichkeit hin zur Ablehnung von Geschlechtlichkeit als einem spezifischen gesellschaftlichen Verhältnis bilden und die gesellschaftliche Macht von Männern selbst daher grundlegend in Frage gestellt ist (ebd.: 44). Gleichzeitig entstehen jedoch Auseinandersetzungen um die Deutung und Bestimmung der Krise der Männlichkeit, da diese – wie der Kampf der Kirchen gegen Homosexualität oder die Herausbildung einer Antifeminismusbewegung zeigt – von bestimmten Personen und Gruppen als Verunsicherung oder gar Bedrohung wahrgenommen wird (ebd.: 40; 44). Die Krise der Männlichkeit wird von ihnen zugleich als Teil des komplexen Herrschaftszusammenhangs und somit als Teil der 'Vielfachkrise' (vgl. Bader/Becker/Demirović/Dück 2011b) verstanden. So gehen sie davon aus, dass der Finanzmarktkapitalismus mit männerbündischen Konstellationen und aggressiven Männlichkeitsmustern wie ausgeprägtes Konkurrenzverhalten, hohe Risikobereitschaft, Karriere- und Erfolgsorientierung einhergegangen ist, die im Zuge der Krise des Finanzmarktkapitalismus in die Krise geraten sind (ebd.: 41f.). Hajek/Opratko verweisen in diesem Zusammenhang jedoch darauf, dass die gegenwärtige (Finanz- und Wirtschafts-)Krise von herrschender Seite mit Hilfe von Geschlechterverhältnissen (zumindest teilweise) bearbeitet wurde. So gehen sie davon aus, dass die Bearbeitung der Krise über neue Formen vergeschlechtlichter Subjektivierungen erfolgt ist, in der vormals staatliche Zuständigkeiten erneut und verstärkt geschlechterhierarchisch reorganisiert worden sind (Hajek/Opratko 2013).
3. Fazit
Die Betrachtung der Veränderungen in den Geschlechterverhältnissen unter krisentheoretischen Gesichtspunkten hat gezeigt, dass das Krisenverständnis in der feministischen Diskussion sowohl in Hinblick auf die 'Krise der (sozialen) Reproduktion' als auch in Bezug auf eine (mögliche) 'Krise der Männlichkeit' (bislang) einige Schwächen und Leerstellen aufweist. Einerseits können Krisen vorwiegend unter ökonomischen Gesichtspunkten und Veränderungen von Arbeitsverhältnissen betrachtet werden, andererseits bleibt unklar, wie der Krisenbegriff gefasst, was also als manifeste Krise und was als permanente kapitalistische Widersprüche (vgl. Sablowski 2011) verstanden wird.
Mit Hilfe der geschlechtersensiblen regulationstheoretischen Überlegungen von Kohlmorgen und Chorus konnte die gegenwärtige (Finanz- und Wirtschafts-)Krise als Krise der Produktions- und Reproduktionsweise und somit auch als Krise der gesellschaftlichen Organisation von Care aufgezeigt werden. Darüber hinaus blieb die Perspektive jedoch ebenfalls ökonomistisch verengt. Das gramscianische Krisenverständnis sowie die Perspektive der 'multiplen Krise' nach Demirović/Maihofer haben jedoch wichtige Hinweise für ein feministisch-materialistisches Krisenverständnis geliefert. Der gramscianische Krisenbegriff erweitert die Perspektive über ein allein ökonomisches Verständnis hinaus, indem er vor allem auf die Zusammenhänge und Verschränkung von Prozessen in einer organischen Krise fokussiert und somit Verschiebungen in der Lebensweise als Momente von Krisenprozessen analysieren kann. Als manifeste (oder organische) Krise wird das Zusammenfallen verschiedener Krisenmomente verstanden und von dauerhaft wirkenden, generischen Widersprüchen (also latenten Krisen) unterschieden. Die Perspektive der Vielfachkrise im Anschluss an Demirović/Maihofer kann Krisen(momente) im Zusammenhang mit Geschlecht sichtbar machen, indem Krisen als Krisen der besonderen gesellschaftlichen Verhältnisse mit jeweils eigenen zentralen Eckpfeilern verstanden und in ihren spezifischen Auseinandersetzungen beschrieben werden. Damit kommen verschiedene, den gesellschaftlichen Verhältnissen spezifische Dimensionen in den Blick. In Bezug auf die Krise der Männlichkeit wird männliche Suprematie als zentraler Eckpfeiler betrachtet und Verschiebungen von Männlichkeit auf die Infragestellung männlicher Dominanz hin befragt.
Für ein Krisenverständnis im Zusammenhang mit Geschlecht ergibt sich, dass verschiedene Aspekte innerhalb der Geschlechterverhältnisse in die Krise geraten können: Neben geschlechtlicher Arbeitsteilung müssen Formen des (familiären und nicht-familiären) Zusammenlebens, der Sexualität und des Begehrens und der vergeschlechtlichten Subjektivierungsweisen(6) als Dimensionen eines feministisch-materialistischen Krisenbegriffs in die Analyse einbezogen und vor dem Hintergrund möglicher krisenhafter Veränderungen betrachtet werden. Zugleich müssen die Verschiebungen innerhalb der Geschlechterverhältnisse in ihren gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen analysiert werden, um Wechselwirkungen und ein (mögliches) Ineinandergreifen von Krisenmomenten in den Blick zu bekommen.
4. Ausblick
Vor dem Hintergrund eines feministisch-materialistisch erweiterten Krisenverständnisses müsste nun erneut gefragt werden, welche krisenhaften Verschiebungen innerhalb der Geschlechterverhältnisse im Neoliberalismus sich ergeben haben, inwiefern sie (noch?) lebbar sind oder ob bereits eine Krise der Geschlechterverhältnisse konstatiert werden kann.
In Bezug auf Verschiebungen in der geschlechtlichen Arbeitsteilung lassen sich widersprüchliche Entwicklungen aufzeigen: Die Veränderungen in den Arbeitsverhältnissen haben durch weibliche Erwerbsintegration und zunehmende Prekarisierungen zu einem Schwinden homosozialer (männlicher) Räume sowie einer Infragestellung der Erwerbszentrierung als zentrale Form männlicher Identitätsbildung und somit teilweise zu einer Verunsicherung von Männlichkeit geführt (Meuser/Scholz 2012). Für (vor allem mittelständische weiße) Frauen bedeuten diese Entwicklungen jedoch neue Beschäftigungsperspektiven und einen Emanzipationsgewinn, u.a. weil sie in der Lage sind, reproduktive Tätigkeiten zu delegieren (Aulenbacher 2009: 66). Gleichzeitig sind es weiterhin überwiegend Frauen, die von Prekarität und zunehmender Flexibilisierung betroffen sind und die auf Grund wachsender Reproduktionsanforderungen in den Lebens- und Arbeitsverhältnissen sowie durch abnehmende staatliche Zuwendungen für ebendiese Tätigkeiten in Burnout, Erschöpfung und Überforderungen gedrängt werden, während auf der anderen Seite männliche Macht- und Einflussmöglichkeiten durch die wachsende Bedeutung der männlich dominierten Finanzbranche enorm gestiegen sind (Kurz-Scherf 2012).
Widersprüchliche Entwicklungen lassen sich auch in Hinblick auf Veränderungen in den Formen des Zusammenlebens aufzeigen: Einerseits wird hier auf gleichberechtige(re) partnerschaftliche Arrangements und eine zunehmende Teilnahme von Männern an Hausarbeit, Pflege und vor allem Kindererziehung (vgl. Demirović/Maihofer 2013; Jäger/König 2011) sowie eine Zunahme der Pluralität von Formen des Zusammenlebens, die durch rechtliche Aufwertung oder (bewusste) Regelungslücken von Homo-Ehen, Leihmutterschaften oder Ei- und Samenspenden möglich werden, verwiesen. Andererseits sind aber auch (Re-)Stabilisierungen geschlechterhierarchischer Strukturen zu beobachten, indem entstehende Reproduktionslücken durch Hausarbeit an weibliche Migrantinnen bearbeitet werden oder die private und hier meist weibliche Übernahme von Erziehungs- und Pflegearbeiten staatlich durch das Erziehungs- sowie das Pflegegeld gefördert wird.
Pluralisierungstendenzen und 'Freiheitsgewinne' zeigen sich hingegen in Bezug auf Verschiebungen in den sexuellen Gewohnheiten und Formen des Begehrens. Normalisierungen hinsichtlich divergenter sexueller Lebensformen sowie eine Vervielfältigung und Zirkulation öffentlicher Bilder sexueller Devianz oder Dissidenz und somit eine Pluralisierung sexueller Subjektivitäten und Lebensformen haben im Zuge des Neoliberalismus eine enorme Verbreitung erfahren (Engel 2009: 22; 26; vgl. auch Heilmann 2011). Gleichzeitig sind es nur bestimmte nicht-normkonforme Sexualitäten – wie der gay lifestyle als Musterschüler des Neoliberalismus und als prestigeträchtige Konsum-Avantgarde – die in die Mitte der Gesellschaft eingeschrieben werden (Woltersdorff 2004, zit. nach Engel 2009: 26).
Verschiebungen innerhalb der Geschlechterverhältnisse lassen sich auch anhand von Veränderungen in Bezug auf vergeschlechtlichte Subjektivierungsweisen konstatieren: So werden Frauen zunehmend als gleichberechtigte und aktive Subjekte adressiert, indem sie in Medien, Politik und Wirtschaft vermehrt sichtbar gemacht werden sowie ihre Repräsentation – trotz der erfolglosen Diskussion um eine Frauenquote in Aufsichtsräten und Vorständen – quantitativ tatsächlich steigt (McRobbie 2010). Darüber hinaus hat Weiblichkeit zuletzt im Rahmen der Diskussionen um die Ursachen der Finanz- und Wirtschaftskrise, d.h. um männliche Risikobereitschaft und Verantwortungslosigkeit, eine zumindest mediale Aufwertung erfahren. Gleichzeitig werden jedoch verstärkt Anrufungen sichtbar, die an eine weibliche Zuständigkeit für reproduktive Arbeiten und eine Kompensation staatlichen Abbaus (vgl. Wichterich 2011) appellieren und somit eine Form der vergeschlechtlichten Subjektivierung als Krisenbearbeitung darstellen (Hajek/Opratko 2013). Allerdings kommt es auch zu einer teilweisen Abkehr von männlichen Subjektivierungsweisen und einer Suche nach Alternativen, die eine Vereinbarkeit von gestiegenen privaten Ansprüchen und Erwerbsarbeit sowie gesundheitlichen Bedürfnissen versprechen (Demirović/Maihofer 2013; Heilmann 2012).
Die beschriebenen Entwicklungen sind vielfältig und widersprüchlich: Auf der einen Seite gelingt eine selektive Einbindung einiger Subjekte und Gruppen ins neoliberale Projekt, indem mittelständische weiße Frauen, transnationale Managermännlichkeiten oder 'konsumstarke Musterschüler des homo-lifestyles' eingebunden und als aktive, eigenständige und erfolgreiche Subjekte sichtbar gemacht werden. Die Pluralisierungen können als Befreiungen von repressiven Regulierungen gepriesen werden, dienen jedoch dazu, gesellschaftliche Verantwortung in Eigenverantwortung zu übersetzen und Zustimmung zum Leistungsprinzip sowie zum Abbau sozialstaatlicher Absicherungen schmackhaft zu machen (vgl. Engel 2009: 26) Ein Aspekt des neoliberalen Erfolgs könnte demnach darin liegen, eine selektive Pluralisierung von Lebensweisen nicht nur zu tolerieren, sondern aktiv zu fördern, durch die selektive Einbindung das Kritikpotential zu hemmen und eine Verdichtung von einzelnen Krisenmomenten zur 'organischen Krise' zu verhindern. Auf der anderen Seite spitzt sich die Situation für eine Vielzahl von Menschen zu, die Reproduktionslücken und individuelle Erschöpfung, Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen, Unsicherheit von Familiengründungen oder eine Zunahme von Eigenverantwortung und gestiegene Anforderungen erfahren. Das fordistische Lebensmodell des Ernährer-Hausfrauen-Modells mit wohlfahrtsstaatlicher Absicherung ist unter den gewandelten Bedingungen nicht mehr lebbar, eine neue Lebensform konnte sich jedoch (noch?) nicht verallgemeinern. Die Einbindung ins neoliberale Projekt sowie seine Freiheitsversprechen und Öffnungen sind demnach unter Aspekten von race und sozial enorm selektiv.
Vorläufig möchte ich daher die These vertreten, dass obwohl sich krisenhafte Tendenzen und Konflikte in den Geschlechterverhältnissen im Zuge des Neoliberalismus mehren, die widersprüchlichen Entwicklungen bislang (noch?) keine eindeutige Richtung einer Krise der Geschlechterverhältnisse aufzuzeigen scheinen, da Elemente der Einbindung präsent bleiben. Durch eine teilweise Bearbeitung, beispielsweise in Form der Pflegezeit für Erwerbstätige oder Diskussionen um die Großelternzeit, wird darüber hinaus versucht, den komplexen Zusammenhang von Veränderungen in den Arbeitsverhältnissen, Ansprüchen und Formen des Zusammenlebens oder sozialstaatlichem Abbau zu trennen. Da der Fokus des Artikels jedoch auf der Entwicklung eines feministisch-materialistischen Krisenbegriffs lag, konnte der Ausblick schlaglichtartig erfolgen. Die Schärfung des Krisenverständnisses entlang einer umfassenden Analyse gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse in Bezug auf die Frage, was als zentrale Eckpfeiler von Geschlechterverhältnissen und ihrer besonderen Krise sowie welche weiteren gesellschaftlichen Verschränkungen von Geschlechterverhältnissen angenommen werden müssen, bleibt Aufgabe weiterführender Arbeiten.
Literatur
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Fußnoten
(1) In der Krisendiskussion aus feministischer Perspektive werden verschiedene Bezeichnungen für den Bereich weiblich konnotierter (bezahlter und unbezahlter) Fürsorgearbeit verwendet. Im Rahmen des Artikels habe ich nicht die Möglichkeit, mich mit den unterschiedlichen Begrifflichkeiten ausführlich auseinander zu setzen. Daher verwende ich bei der Wiedergabe von Thesen die Begriffe der jeweiligen Autor_innen; sofern es sich um eigene Darstellungen handelt, benutze ich sie synonym.
(2) Das Konzept der „männlichen Herrschaft“ wurde von Bourdieu (2005) entwickelt und beschäftigt sich mit den gesellschaftlichen Mechanismen, welche die Dominanz des Männlichen über das Weibliche konstituieren und reproduzieren.
(3) Im Anschluss an Bourdieu geht Meuser davon aus, dass männliche Herrschaft sich durch „ernste Spiele“ unter Männern auszeichnet, bei denen Männer in homosozialen Räumen um Macht und Anerkennung kämpfen (Meuser 2010: 326).
(4) Mit dem Begriff der 'Doxa' bezeichnet Bourdieu die „gewohnheitsmäßige Verwurzelung mit der alltäglichen Ordnung des Ungefragten und Selbstverständlichen“ (Bourdieu 1987: 668; zit. nach Meuser/Scholz 2011: 59), die „Verhaftung an Ordnungsbeziehungen, die (…) als selbstverständlich und fraglos hingenommen werden“ (Bourdieu 1987: 734f.; zit. nach Meuser/Scholz ebd.).
(5) Sie sieht das beispielsweise dann gegeben, wenn ein signifikanter (und relativ wachsender) Anteil des individuellen Einkommens, der Ersparnisse und gegebenenfalls auch Kredite für den Kauf von Gesundheits-, Pflege- oder Bildungsdienstleistungen verwendet wird und dadurch diese unproduktiven Beschäftigungszweige wachsen, ohne dass es eine hiermit kohärente positive Entwicklung in den produktiven Beschäftigungszweigen und eine entsprechende, ein Gleichgewicht herstellende Umverteilung des produzierten Wertes von produktiven zu unproduktiven Bestandteilen der gesellschaftlichen (Re-)Produktion im umfassenden Sinne gibt (Chorus 2012: 268). Sowohl die These, dass die Kommodifizierung von Care tendenziell zu Unterkonsumtion führt, als auch die Annahme von Care-Ökonomien als unproduktive Beschäftigungszweige könnten kontrovers diskutiert werden. Da es mir jedoch um die Herausarbeitung des Krisenbegriffs geht, berücksichtige ich diese Kontroverse hier nicht.
(7) Diese Aufzählung der Dimensionen eines feministisch-materialistischen Krisenverständnisses erhebt nicht den Anspruch der Vollständigkeit, sondern ergibt sich aus den im Artikel diskutierten Krisenverständnissen.
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Dieser Beitrag erschien zuerst in PROKLA Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, Heft 174, 44. Jg., 2014, Nr. 1