Auseinandersetzung über autoritäres Gedenken bringt weitere Widersprüche zutage
Januar bis Frühjahr 1919: Angeleitet und gefördert vom sozialdemokratischen Reichswehrminister Noske wütet eine präfaschistische Soldateska in Berlin. Noske selbst spricht von 1.200 Toten. Symbolisch für den Terror und das Abwürgen der Revolution steht die Ermordung der KPD-MitbegründerInnen Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Schon zu Beginn der 1920er Jahre gab es große Demonstration nach Friedrichsfelde, wo ein Denkmal errichtet worden war. Die Nazis unterbrachen diese Tradition, die nach 1945 wieder aufgenommen wurde. Hatte die KPD schon in den 1920er Jahren Lenin in die Reihe derer, denen gedacht werden sollte, aufgenommen, wurde der Blick auf die revolutionäre Geschichte nun vollends durch Portraits der führenden Genossen und die Ehrentribünen verstellt. Das Ende dieser Phase wurde durch DDR-Oppositionelle eingeläutet, die damals noch einen anderen Sozialismus wollten, Rosa Luxemburg gegen den Strich lasen und mit eigenen Transparenten versuchten, die in der DDR-Verfassung theoretisch garantierte Meinungsfreiheit auf der Demonstration wahrzunehmen. Sie wurden verhaftet und zum großen Teil in den Westen abgeschoben. 1990, als das Kartenhaus schon am Zusammenfallen war, gab es trotzdem ein Gedenken mit beeindruckender Teilnehmerzahl, ab 1992 eine von einer kommunistischen Kleinpartei organisierte und sich in den Folgejahren stark verbreiternde Demonstration.
Von Anfang an war die LL-Demo (von vielen aus dem leninistischen Spektrum LLL-Demo genannt) ein Sammelbecken und eine Selbstvergewisserungs-veranstaltung für Gruppen, die aus dem Zusammenbruch des Ostblocks vor allem eine Konsequenz zogen: Jetzt erst recht! Insofern war es nicht verwunderlich, dass viele OrganisatorInnen wie DemonstrationsteilnehmerInnen entweder bruchlos weitermachen wollten oder das Problem gar in der halbherzigen Entstalinisierung von 1956 sahen. Daran änderte auch die Teilnahme des eher antiimperialistischen Flügels der autonomen Antifa-Bewegung nichts. Die Antifa-Bewegung brachte jedoch viele junge Leute auf die Demonstration, von denen einige mit Erschrecken die vielen Stalinportraits registrierten und versuchten, sich auf der Demo davon abzugrenzen. So gab es Versuche, antistalinistische Blöcke zu organisieren oder 1997 ein Transparent mit der Aufschrift „Wir gedenken Rosa und Karl und den Matrosen von Kronstadt“. Diese Versuche blieben allerdings episodisch – zu stark war die autoritäre Prägung dieser Demonstration.
2012 versuchte dann die Gruppe „Kritische Selbstreflektion“, die Demonstrationsteilnehmer mittels eines Transparent mit den Köpfen Lenins, Stalins und Maos und der Aufschrift „Nein, nein, das ist nicht der Kommunismus“ zum Nachdenken zu bewegen. Ohne Erfolg: Anhänger einer maoistischen Partei beendeten den Denkanstoß mit Hilfe ihrer Fahnenstangen. In der darauf folgenden Indymedia-Schlammschlacht ging es hoch her. Für viele KommentatorInnen konnten die TransparentträgerInnen nur „rechte Provokateure“, „Antideutsche“, oder „Söldlinge des Imperialismus“ sein. Soweit nichts Neues. Die ganze Sache hätte man zu den Akten legen können, wenn dieses Jahr nicht ein Gegenbündnis eine zweite Gedenkdemonstration in Westberlin ins Leben gerufen hätte. Ein Schritt, mit dem das traditionelle Gedenkdemobündnis gezwungen wurde, sich zumindest halbherzig von den Stalinportraits zu distanzieren. Leider wurde die Freude darüber getrübt, da die Demonstration in Westberlin von Gruppen organisiert wurde, denen man die im Aufruf gezeigte Radikalität schwer abnehmen kann. Dies betrifft insbesondere die Jugendorganisationen von SPD und Linkspartei. Man fragt sich, wie diese so unterschiedliche Dinge wie Steinbrück und Kommunismus unter einen Hut bringen können. Die Empörung seitens der OrganisatorInnen der traditionellen Demo ist dennoch Heuchelei: Schließlich hatten sie noch nie etwas gegen die Teilnahme dieser Organisationen und sind erst auf die schöne Bezeichnung „Noske-Jugend“ für die Jusos gekommen, als diese sich an der Organisation der Alternativveranstaltung beteiligten.
Das Ärgerliche an dieser Auseinandersetzung ist, dass sie wenig Raum lässt für die wirklich interessanten Fragen. Warum wird immer nur Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gedacht? Was ist mit den anderen weniger prominenten Ermordeten? Wie könnte ein Gedenken aussehen, das jenseits von Stalinismus und Reformismus stattfindet, dabei nicht sektiererisch daherkommt und es auch noch schafft, den Ereignissen vom Winter/Frühling 1919 gerecht zu werden?
Dieser Artikel erschien zuerst in der Direkten Aktion #216 - März / April 2013