Es gibt keine Alternative zu einer eigenständigen und starken Frauenbewegung in Syrien, die laut der syrischen Journalistin und feministischen Aktivistin Rula Asad gerade im Aufschwung begriffen ist. Denn sonst geht es Frauen weiterhin schlecht – egal wer an die Macht kommt.
Ihren Nachnamen trägt Rula Asad gegenwärtig nicht nur mit Stolz. Denn es ist nicht nur der Name ihrer Familie, sondern auch der des syrischen Präsidenten Bashar Al-Assad. Deshalb ist es ihr sehr wichtig zu betonen, dass sie nicht zur selben Familie gehören. Rula Asad ist Journalistin und Frauenrechtsaktivistin. Nach Abschluss ihres Journalismus-Studiums in Damaskus arbeitete sie als freie Journalistin für „Syria Today“, ein Kulturmagazin, um anschließend ins Pressebüro des syrischen Parlaments zu wechseln – bis sie dort ohne Erklärung entlassen wurde.
Während eines Aufenthalts in Deutschland erfuhr sie 2011, dass sie aufgrund ihrer Arbeit und ihrer Kritik an der Regierung unter Beobachtung des syrischen Geheimdienstes steht. Eine Rückkehr nach Syrien kam daher nicht mehr infrage. Asad arbeitet nun als freie Journalistin für „Deutsche Welle“, den deutschen Auslandsrundfunk, und ist für mehrere syrische Frauenrechtsprojekte und deren weltweite Vernetzung tätig. Zurzeit lebt sie in den Niederlanden, wo Pascale Müller sie traf.
an.schläge: Wann hast du begonnen, dich für die politischen Vorgänge in Syrien zu interessieren?
Rula Asad: Von 2007 bis Anfang 2009 war ich im Pressebüro des syrischen Parlaments angestellt. 2009 wurde ich plötzlich vom Präsidenten des Parlaments zusammen mit sechs anderen Frauen grundlos gefeuert. Ich habe versucht, ihn deswegen zu verklagen, aber der Fall wurde ad acta gelegt. Das war der Moment, an dem ich anfing zu verstehen, dass das System nicht ehrlich ist.
Es klafft eine Lücke zwischen dem, was in der Verfassung steht, und dem, was wirklich passiert. Danach habe ich mich in einem Projekt für Dürre-Flüchtlinge engagiert, die in Camps außerhalb von Damaskus leben. Das war natürlich Menschenrechtsarbeit, aber niemand von uns hätte sich getraut zu sagen: „Wir sind Menschenrechts-AktivistInnen.“ Wir hatten ohnehin schon einige Schwierigkeiten mit dem syrischen Geheimdienst, der zu uns in die Camps kam und uns ausgefragt hat. So wurde mein Interesse für Politik, für gesellschaftliche Entwicklungen geweckt. Damals habe ich außerdem weiter als Journalistin gearbeitet. Im September 2011 bin ich dann durch ein Praktikum des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa) nach Deutschland gekommen und habe dort für Amica gearbeitet, eine Frauenrechtsorganisation aus Freiburg. Jetzt konzentriere ich mich mehr auf Frauenrechte, besonders natürlich auf syrische Frauenrechte. Durch meine Arbeit bei Amica habe ich ein Bewusstsein dafür bekommen. Frauen waren in Syrien niemals präsent, ihre Rechte werden nach wie vor ignoriert. Deshalb versuche ich mich dafür zu engagieren. Meine Rolle ist die einer Vermittlerin zwischen Frauenrechtsorganisationen in Holland oder auch Europa, die die syrischen Frauen unterstützen wollen, sowie den Organisationen und Projekten in Syrien. Ich bringe beide Seiten zusammen und stelle den Kontakt her.
Wie hast du Ungleichheit, auch Geschlechterungleichheit, und Unterdrückung in deinem alltäglichen Leben wahrgenommen bevor es zu dem Schlüsselerlebnis der Kündigung im Parlament kam?
Vor meiner Erfahrung mit dem syrischen Parlament hatte ich nichts als vage Gefühle. Da ich ein Mädchen bin, wollten meine Eltern mich daran hindern, Journalismus zu studieren. Sie meinten, ich sollte lieber Lehrerin werden. Denn als Lehrerin hätte ich feste Arbeitszeiten, als Journalistin hingegen muss ich auch manchmal spät abends arbeiten. Als ich dann als Kulturreporterin tätig war, wurde das wirklich zum Problem. Zum Beispiel war es unmöglich, zu einem Konzert zu gehen, über das ich etwas schreiben wollte, wenn es erst spät endete. Denn in den Augen meiner Familie war ich eine Frau, und die hatte früh zu Hause zu sein. Ganz im Gegensatz zu meinem Bruder, der die ganze Nacht wegbleiben konnte. Ich wollte aber diesen Job machen! Das sind natürlich Dinge, die viel mit Geschlechterungleichheit zu tun haben. Abgesehen davon konnte ich mich aber auch nicht frei äußern, weil ich, wie die gesamte syrische Gesellschaft, ständig überwacht wurde. Die „normalen Repressionen“, muss man das wohl nennen, die noch dazu kamen. So wurde mir langsam klar, dass sich dieses System gegen die Menschen selbst richtet.
Wenn du die Situation von Frauen unter Assads Regime vergleichst mit ihrer Situation während der Revolution und dem, was möglicherweise danach kommt: Wie verändert sich das Frauenbild? Könnte die Lage für Frauen sich nicht noch verschlechtern, falls das überhaupt möglich ist, wenn die fundamental-religiösen Kräfte an die Macht kommen?
Tatsächlich gab und gibt es gar keine Veränderungen, was das Frauenbild betrifft. In Assads Regime wurden Frauen zwar in der Regierung, im Parlament und auch als Richterinnen eingesetzt, aber das nur, um sagen zu können: Schaut her, wir geben Frauen Rechte. In Wahrheit hatten diese Frauen keinerlei Einfluss. Das Frauenbild, das in den Oppositionsparteien vertreten wird, unterscheidet sich nicht von dem des Regimes. Sogar die wenigen Frauen in diesen Parteien sagen: Wir können Frauenrechte jetzt nicht diskutieren. Auf der Straße werden Menschen getötet. Für Frauenrechte ist jetzt keine Zeit.
Ein islamistisches Regime wird nicht zwangsläufig auch mehr Diskriminierung von Frauen bringen – denn es gibt diese Diskriminierung schon jetzt! Ich sage das nicht gerne, aber es ist so. Die Frauen fürchten sich nicht allzu sehr vor einer islamistischen Regierung, weil sie sich genauso vor der politischen Opposition fürchten, die nicht glaubt, dass Frauenrechte ein Thema sind. Natürlich würde eine islamistische Regierung den Frauen enorm schaden. Doch schon heute ist das syrische Rechtssystem in einigen Punkten aus der Scharia abgeleitet. Diese rechtliche Diskriminierung ist wirklich ein wesentliches Problem. Allerdings wird sie von keiner der Oppositionsparteien thematisiert. Und was es noch schlimmer macht: Die Frauen innerhalb dieser Parteien machen es auch nicht zum Thema. Sie haben das Gefühl, dass sie so etwas nicht ansprechen können, weil es dringendere Probleme gibt.
Doch später ist es dann oft zu spät …
Das stimmt. Wenn wir mit den Veränderungen nicht jetzt sofort anfangen und unsere Stimme als Frauen hörbarer machen, wird es sie auch danach nicht geben. Aber die Frauen wehren sich. Sie haben Kampagnen gegründet, Projekte und Organisationen ins Leben gerufen und sind als Frauen näher zusammengerückt. Wenn die Revolution in die Hand der bewaffneten Opposition fällt, werden Frauen verlieren. Wenn die Revolution in die Hand islamistischer Kräfte fällt, werden Frauen verlieren. Und sogar, wenn die Revolution sich zugunsten der traditionellen Oppositionsparteien entscheidet, werden Frauen verlieren. Das wissen sie, und deshalb gibt es keine Alternative zu einer eigenständigen und starken Frauenbewegung. Es gibt im Moment eine wahre Blüte von Frauenrechtsprojekten. Das Problem ist nur, dass wir in Syrien wenig Erfahrung haben im Aufbau von NGOs und Netzwerken.
Doch dieses Wissen bekommen wir von außerhalb. Es gibt ja weltweit viele Organisationen, die sich für Frauenrechte und Gender-Equality einsetzen, und ich versuche, sie mit den syrischen Organisationen in Kontakt zu bringen, damit diese ihre Projekte besser voranbringen können.
Denkst du, dass dieser feministische Aktivismus etwas bewirken kann? Oder ist er eher etwas, das eine kleine Gruppe von Frauen in Bewegung gesetzt hat, aber die Gesamtgesellschaft nicht wirklich berührt?
Ich gebe dir ein Beispiel: Wenn ich von einer Frau weiß, die vergewaltigt wurde, dann gibt es zwei Möglichkeiten. Zum einen die islamischen Frauenorganisationen, die ihr Hilfe anbieten, indem sie dafür sorgen, dass sie einen guten Mann findet, den sie heiraten kann. Aber es gibt auch unsere Organisationen. Bei uns entscheidet sie, was sie tun möchte, und die Lösung ist nicht, dass sie heiratet. Sie ist nicht schuld an der Vergewaltigung, der Mann und die Situation sind es. Sie ist mutig und sollte sich nicht schämen müssen. Bis diese Ansicht akzeptiert wird, braucht es natürlich eine lange Zeit. Manche Familien verstoßen ihre Töchter, Ehemänner lassen sich scheiden, und es gibt auch immer wieder Frauen, die von ihrer Familie oder ihrem Ehemann umgebracht werden, weil sie vergewaltigt wurden. Aber es gibt auch Familien und Ehemänner, die ihrer Tochter oder Frau beistehen. Parallel dazu gibt es langfristige und breiter angelegte Projekte, die dafür sorgen wollen, dass Frauen rechtlich besser behandelt werden und die Verfassung Frauen besser schützt.
Wo hat dieses Frauenbild und diese Diskriminierung von Frauen in der syrischen Gesellschaft ihren Ursprung? Kann man das nur mit Religion erklären?
Um ganz ehrlich zu sein – das ist jetzt meine persönliche Meinung und viele Menschen werden mich deswegen kritisieren –: Für mich kommt es von der Religion. Im Koran gibt es viele Regeln und Gesetze, die besagen, dass ein Mann so viel wert ist wie zwei Frauen. Es gibt im Arabischen aber auch ein Sprichwort, das in etwa bedeutet: „Eine Frau ist nur ein halber Mensch.“ Das ist tief in der Kultur verwurzelt. Man muss mehrere Schichten freilegen, um es von ganz unten zu verändern.
Wie stehen deiner Ansicht nach die Chancen, dass sich in naher Zukunft etwas verändert? Du selbst kannst ja auch nicht mehr nach Syrien zurück. Werden Frauen wieder frei in Syrien leben und arbeiten können?
Alles, über das wir gesprochen haben, ist zwar Realität, aber es ist die dunkle Seite. Es gibt auch eine helle Seite. Zum Beispiel haben Frauen in Syrien Zugang zu einer akademischen Ausbildung. Ich bin zwar Muslima, aber ich wurde niemals gezwungen, einen Hijab zu tragen, und ich war frei darin zu wählen, wen ich heiraten möchte und wen nicht. Frauen waren an jedem Detail dieser Revolution beteiligt. Sie haben verstanden, dass sie eine Stimme haben und für sich selbst entscheiden können. Selbst wenn eine islamistische Regierung an die Macht kommt: Sie wird nicht lange bleiben!
Was macht dich da so sicher?
Die Menschen waren schon einmal mit einem schrecklichen Regime konfrontiert. Was immer auch kommen wird, sie werden es nicht akzeptieren, wenn es nicht ihrem Willen entspricht. Und sie werden wissen, dass sie dafür verhaftet werden, dass man sie foltern wird und sie vielleicht sterben. Doch diese Veränderungen werden nicht in zwei oder drei Jahren vonstattengehen, sie werden Zeit brauchen.
Sollten europäische FeministInnen der Frauenbewegung in Syrien mehr Aufmerksamkeit schenken?
Leider gibt es auch in Ländern wie Deutschland, von denen ich immer dachte, Frauen hätten dort alle Rechte, viele Dinge, die noch nicht gut laufen. Da die Frauen auch in Europa immer noch daran arbeiten, ihre Situation zu verbessern, kann ich verstehen, dass sie manchmal Frauen in anderen Ländern aus dem Fokus verlieren. Aber ich glaube fest an Frauen. Wenn es ein starkes Netzwerk gäbe zwischen der feministischen Bewegung in Syrien und etwa der feministischen Bewegung in Deutschland und sie sich gegenseitig unterstützen könnten, dann wäre das natürlich wunderbar! Denn von anderen Frauen verstanden und unterstützt zu werden, ist ungeheuer motivierend. Allein wenn ich es mir vorstelle, fühle ich mich schon sehr aufgebaut! Und ich vertraue darauf, dass Frauen sich immer helfen werden.
Pascale Müller ist freie Journalistin in Berlin und im deutschen Sprachraum die Anlaufstelle für Vernetzung zwischen syrischen und hiesigen Organisationen. Wer Kontakt zu Feministinnen in Syrien sucht, kann sich an sie wenden: mllr.pascale@gmail.com
Übersetzung aus dem Englischen: Pascale Müller
Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin, www.anschlaege.at