„Ich weiß, dass wir für dieses Urteil Schläge einstecken werden.“

Über die neue Entscheidung im Bremer Brechmittelfall

Fast sieben Jahre nach dem Tod von Laya Condé entschied das Landgericht (LG) Bremen erneut über die Strafbarkeit des Polizeiarztes, der Ende 2004 den tödlich verlaufenden Brechmitteleinsatz durchgeführt hatte. Zuvor hatte der Bundesgerichtshof (BGH) den Freispruch des LG Bremens aufgehoben. Jedoch wurde der Arzt erneut der fahrlässigen Tötung und vorsätzlichen Körperverletzung für nicht schuldig befunden.[1]

 

Am 14. Juni 2011 wurde vor dem LG Bremen die neue Entscheidung im Brechmittelfall verkündet. Vor Gericht stand der Polizeiarzt, welcher Ende 2004 den Brechmitteleinsatz durchgeführt hatte, an dem Laya Condé, ein 35jähriger aus Sierra Leone stammender Mann, am 7. Januar 2005 gestorben war. Condé war am 27. Dezember 2004 aufgrund einer Schluckbewegung und dem damit einhergehenden Verdachtes des Drogenhandels auf die Polizeiwache mitgenommen worden.[1] Dort wurde dann das sofortige Erbrechen der Drogenbehältnisse gemäß § 81a Strafprozessordnung (StPO) angeordnet. Durch einen bei einem ärztlichen Beweissicherungsdienst angestellten Arzt wurde Condé kurz untersucht. Häufig wurden solche Eingriffe von ÄrztInnen durchgeführt, welche bei der Polizei für die Beweissicherung arbeiteten. Dies lässt sich besonders darauf zurückführen, dass schon der deutsche Ärztetag 2002 festgestellt hat, dass die Vergabe von Brechmitteln zur Beweissicherung an verdächtige DrogendealerInnen ärztlich nicht vertretbar sei und gegen das ärztliche Berufsethos verstoße. Viele ÄrztInnen weigerten sich also an einer Brechmittelvergabe mitzuwirken. „Gelöst“ wurde diese Problematik einfach dadurch, dass die Polizei willige ÄrztInnen anstellte, die auf eigene Rechnung selbstständig beim ärztlichen Beweissicherungsdienst arbeiteten. Somit war es nicht mehr schwierig ÄrztInnen zu finden, die auch vor fragwürdigen Praktiken nicht zurückschreckten. Der Polizeiarzt, welcher die Brechmittelvergabe an Condé durchführte, bekam für einen zwölfstündigen Bereitschaftsdienst 100 DM Grundvergütung und zusätzliche Honorare für ärztliche Handlungen.

Nach der kurzen Untersuchung von Condé konnte wegen Verständigungsschwierigkeiten jedoch eine strafprozessuale Belehrung oder eine ausführliche medizinische Vorbesprechung nicht durchgeführt werden. Als Folge blieb ein Herzfehler unentdeckt. Begründet wurde diese fehlende ärztliche Aufklärung damit, dass die Dienstanweisung, welche Informationen für die Durchführung einer Brechmittelvergabe enthielt, eine Aufklärungspflicht nicht vorsah. Die Aufklärungspflicht, die sich jedoch schon aus der ärztlichen Berufsausübung ergibt, soll dazu führen, dass die Person, welche eine Behandlung erdulden muss, zumindest weiß, was mit ihr geschieht. Condé hingegen wurde eine solche Aufklärung nicht zuteil. Besonders mit Blick auf die Gefährlichkeit und die Intensität, die eine Brechmittelvergabe beinhaltet ist die Besprechung aber gerade bedeutsam.

Über die Hinzuziehung von DolmetscherInnen wurde aufgrund der Eile, in der es zum Einsatz des Brechmittels kam, nicht einmal nachgedacht. Ein zu langes Verbleiben der Drogen im Magen hätte diese nämlich in den Verdauungstrakt gebracht und eine Sicherstellung durch Erbrechen unmöglich gemacht.

 

Erbrechen für die Strafverfolgung

Condé wurde daraufhin durch den Arzt aufgefordert einen Brechsirup sowie Wasser einzunehmen, um auf diesem Weg die möglicherweise verschluckten Drogenkügelchen sicherstellen zu können. Als er sich jedoch weigerte, wurde, wie es die Dienstanweisung forderte, die Brechmittelvergabe mit Zwang durchgesetzt. Gemäß § 81 a StPO ist es offiziell erlaubt den körperlichen Eingriff auch durchzuführen, wenn dies gegen den Willen des Beschuldigten geschieht. Dies ist besonders im Fall der Brechmittelvergabe bei potentiellen StraßendealerInnen bedenklich, da es sich bei den möglicherweise sicherzustellenden Drogen um kleinste Mengen handelt. Denn solche Dealer haben meist nur geringe Mengen an Drogen dabei, um auf diese Weise die Konsequenzen bei einem Zugriff durch die Polizei möglichst klein zu halten. Somit war den Beteiligten von Anfang an klar, dass, wenn überhaupt, nur kleinste Mengen sicherzustellen waren.

Trotzdem wurde Condé von mehreren PolizeibeamtInnen an den Behandlungsstuhl gefesselt. Während ein Polizeibeamter seinen Kopf fixierte, wurde ihm dann eine Nasen-Magen-Sonde gelegt. Mittels dieses 70 cm langen Schlauchs konnten dann das Brechmittel sowie Wasser geleitet werden. Durch das Einleiten von Wasser ist es möglich, auch bei einem leeren Magen das gewünschte schwallartige Erbrechen auszulösen und so möglicherweise verschluckte Drogenbeutelchen hervorzubringen. Condé schafft es jedoch, Erbrochenes im Mund zu behalten, zu filtern (also nur den flüssigen Teil durch seine Zähne durchzulassen) oder es sogar wieder herunter zu schlucken.

 

Beweissicherung als oberste Priorität

Um doch Drogen sicherstellen zu können wiederholte der Arzt daraufhin den Vorgang und leitete immer mehr Wasser in den Magen von Condé, bis schließlich ein haselnussgroßes Kokainkügelchen sichergestellt werden konnte.

Da noch weitere Drogenkügelchen im Magen vermutet wurden, leitete der Arzt weiterhin größere Mengen Wasser durch den Schlauch. Aus unerklärten Gründen rutschte dabei die 70 cm lange Sonde mindestens ein Mal durch die Nase heraus und musste neu gelegt werden.

Je länger der Vorgang andauerte, desto apathischer wurde Condé, bis er schließlich nicht mehr ansprechbar war. Trotzdem wurde die Maßnahme fortgesetzt. Dies resultierte daraus, dass die anwesenden PolizeibeamtInnen und der Arzt der Meinung waren, dass Condé seinen Zustand nur vortäuschen würde, um einen Abbruch des Brechmitteleinsatzes zu erreichen.

Aufgrund der Bemühungen des Condé, das Erbrochene nicht herauszulassen und der Abnahme seiner Kraft, je länger der Vorgang andauerte, gelangte schließlich Wasser sowie Erbrochenes in seine Luftröhre. Condé wurde daraufhin ohnmächtig und aus seinem Mund und seiner Nase trat weißer Schaum. Bei folgenden Untersuchungen wurde dann auch eine verminderte Funktionsfähigkeit der Lunge festgestellt. Ausgelöst durch diesen Zustand wurde ein Notarzt sowie Rettungssanitäter zur Hilfe gerufen, welche die Vitalparameter scheinbar wieder stabilisieren konnten. Daraufhin entschied der Polizeiarzt, mit Zustimmung des Notarztes, das Erbrechen fortzusetzen. Aufgrund der medizinischen Ausrüstung, welche der Polizeiarzt nutzen wollte, bat dieser den Notarzt sogar, während des Vorganges anwesend zu bleiben. Der Notarzt stimmte zu, machte allerdings deutlich, dass er die Vergabe von Brechmitteln zur Beweissicherung strikt ablehne und daran nicht beteiligt sein wollte. Rechtlich wurde der Notarzt nicht belangt.

Durch diese zweite Erbrechensphase konnten zwei weitere Kokainkügelchen sichergestellt werden. Erneut kam es zu einer Verminderung der Reaktionsfähigkeit von Condé. Nun begann auch das Erbrechen nachzulassen. Um mögliche weitere Kokainkügelchen sicherstellen zu können, wurde ab diesem Zeitpunkt das Erbrechen mit dem mechanischen Einwirken auf den Rachenraum ausgelöst. Dafür wurde von dem Arzt die Kehrseite einer Pinzette und ein Holzspatel benutzt. Durch diesen Einsatz konnte ein viertes Kügelchen sichergestellt werden.

Kurz danach fiel Condé in ein Koma, elf Tage später verstarb er. Als Todesursache wurde ein akuter Kreislaufkollaps, welcher zu einem hypoxischen Hirnschaden führte, festgestellt. Insgesamt wurden fünf Kokainkügelchen mit einem Handelswert von je 20 Euro sichergestellt.

 

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte spricht ein Machtwort

Damit war Condé die zweite Person, die nach einem Brechmitteleinsatz verstarb. Schon im Jahre 2001 kam in Hamburg ein aus Kamerun stammender Mann zu Tode, nachdem ihm auch zwangsweise mittels einer Nasen-Magen-Sonde der Sirup verabreicht worden war.[2] Er starb an einem Herzstillstand, ausgelöst durch den Stress während der Verabreichung. Da der Tod nach Meinung des Gerichts auf den Stress und nicht auf einen Fehler bei der Brechmittelvergabe beruhte, wurde keiner der Verantwortlichen bestraft.

Durch den Todesfall von Condé wurde in Bremen die Einstellung der zwangsweisen Brechmittelvergabe im Dezember 2005 beschlossen.[3] Somit dauerte es fast ein Jahr nach dem Tod von Condé bis die Praxis der Brechmittelvergabe eingestellt wurde.

Im Juli 2006 verkündete dann der Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)[4], dass die Vergabe von Brechmitteln unter Zwang menschenrechtswidrig ist. In diesem Urteil wurde die Verletzung von Art. 3 der Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) sowie von Art. 6 Abs.1 EMRK gerügt, da nach Meinung des Europäischen Gerichtshofes die Brechmittelvergabe eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung darstellt und die Verwertung der erlangten Beweise somit dem garantierten fairen Strafverfahren widerspricht. Die Entscheidung bezieht sich auf den Rechtsstreit „Jalloh gegen Deutschland“ und erklärte die deutsche, durch die StPO gerechtfertigte Praxis, für menschenrechtswidrig. Mit Blick auf die Rechte, welche durch den EGMR geschützt wurden, ist besonders auf die Menschenwürde hinzuweisen. Im Jahr 1999 hatte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sich noch geweigert, über die Zulässigkeit der Vergabe von Brechmitteln zu entscheiden.[5] Begründet wurde dies damit, dass eine Verletzung der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) und dem Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG nicht in Betracht käme. Durch die Entscheidung des EGMR wird nun allerdings deutlich, dass die Durchführung einer solchen Prozedur doch gegen die Menschenwürde verstößt. Das Recht auf ein faires Verfahren, sowie die Selbstbelastungsfreiheit, welche der EGMR in seinem Urteil benennt und einen Verstoß feststellt, sind Ausflüsse der Menschenwürdegarantie. Aufgrund dieses Urteils stellten dann auch alle anderen Bundesländer die zwangsweise Durchführung ein.[6] Somit hatte nicht unmittelbar der Tod von zwei Menschen dazu geführt, die Vergabe von Brechmitteln zu überdenken, sondern erst die Entscheidung des EGMR in einem anderer Fall, der nicht tödlich ausgegangen war.

 

Rücksicht auf Inkompetenz und Überforderung

Im Jahr 2008 entschied das LG Bremen das erste Mal über den Tod von Condé und sprach den Polizeiarzt von dem Vorwurf der fahrlässigen Tötung frei, da die eingetretenen Folgen nach Ansicht des Gerichtes für den Arzt nicht subjektiv vorhersehbar gewesen seien. Damit ist gemeint, dass dem Arzt nach Meinung des Gerichts nicht vorgeworfen werden kann, dass sich das Geschehen in diese Richtung entwickelt hat und mit diesem Verlauf auch bei Einhaltung der gebotenen und individuell zumutbaren Sorgfalt, mit Blick auf seine Fähigkeiten, nicht zu rechnen war. Begründet wurde dies mit einer schlechten Ausbildung und mangelnder Erfahrung im Umgang mit ohnmächtigen Personen und anscheinend fehlender Übung mit Brechmitteleinsätzen. Daraus resultiere nach Meinung des Gerichts, dass der Polizeiarzt während des Einsatzes gar nicht in der Lage gewesen war, die Lebensgefahr, in welcher Condé schwebte, zu erkennen. Durch diese Begründung wird deutlich, dass die Unfähigkeit überhaupt sorgfältig zu handeln, hier als Begründung verwendet wird, warum der Polizeiarzt nicht erkennen konnte, in was für einem Zustand sich Condé befand. Wenn einE ÄrztIn aber gar nicht in der Lage ist, eine solche Maßnahme sicher durchzuführen, ist fraglich, ob er bzw. sie sich nicht gerade deshalb besonders vorsichtig beim Auftreten von Problemen hätte verhalten müssen. Als Reaktion auf dieses Urteil legten daraufhin die Mutter und der Bruder von Condé als NebenklägerInnen Revision ein.

 

Verstoß gegen die Menschenwürde und unverhältnismäßig

Am 29.4.2010 äußerte sich dann der BGH zu dem Urteil, hob dieses auf und verwies es zur neuen Entscheidung zurück an die Schwurgerichtskammer des LG Bremen.[7] Der BGH entscheidet also in der Sache nicht selbst, sondern betraute gemäß § 354 Abs. 2 StPO den Spezialspruchkörper des Landes mit der Sache. Da nach Meinung des BGH die Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Körperverletzung mit Todesfolge nicht ausgeschlossen werden konnte, war die Einschaltung einer personell umfangreicheren Schwurgerichtskammer geboten. Gleich zu Beginn verweist der BGH in seinem Urteil auf die bereits erwähnte Entscheidung des EGMR und macht deutlich, dass nach dieser Entscheidung die Verwendung von Brechmitteln, die zum Tode des Betroffenen führt, den Tatbestand der Körperverletzung mit Todesfolge erfüllt. Trotzdem dürfen in dem Bremer Fall andere Maßstäbe angelegt werden, da die Tatzeit vor dem bindenden Urteil des EGMR lag.

Im Fall von Condé ist nach Meinung des BGH besonders entscheidend, dass der Vorgang fortgesetzt wurde, nachdem bereits ein Kokainkügelchen sichergestellt werden konnte. Dies hätte eindeutig gegen die Menschenwürde verstoßen. Aufgrund der Sicherstellung des ersten Kügelchens wurde die Straftat des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nachgewiesen. Demnach, so der Gerichtshof, konnten sich die PolizeibeamtInnen ab diesem Zeitpunkt nicht mehr darauf berufen, dass eine außergewöhnliche Eile zur Sicherstellung von Beweisen vorgelegen hätte. Für den BGH ist der komplette Brechmitteleinsatz ab diesem Zeitpunkt unverhältnismäßig. Besonders nach der Bewusstlosigkeit in der ersten Erbrechensphase hätte der Polizeiarzt ein Scheitern der Maßnahme in Betracht ziehen müssen. Jedoch wurde weiter, trotz des offensichtlich problematischen Gesundheitszustandes von Condé am Ermittlungsauftrag festgehalten und die Gefahr, in welcher er schwebte, zu Gunsten der Beweissicherung übergangen.

Besonderes Augenmerk legt der BGH allerdings nicht auf eine mögliche Sorgfaltspflichtverletzung, welche sich durch mangelnde Zweifel des Arztes gegen die Anordnung nach § 81a StPO hätte ergeben können, sondern vor allem auf die fehlenden Aufklärung über die Risiken der Maßnahme. Diese hätte sich nicht aus der Dienstanweisung, sondern nach Meinung des Gerichtshofes, aus der ärztlichen Berufsordnung ergeben. Das Übernahmeverschulden, also dass der Arzt eine Aufgabe übernommen hatte, der er nicht gewachsen war, wird erkennbar durch die unzureichende Anamnese, einer zu kurzen körperlichen Untersuchung, unzureichender Gerätekenntnisse und offensichtlich mangelnder Kenntnisse bei der Behandlung ohnmächtiger PatientInnen. Dem Polizeiarzt hätte bewusst sein müssen, dass er die von ihm geforderte Maßnahme nicht beherrscht. Dies wird, laut BGH, auch nicht durch ein mögliches Organisationsverschulden (schuldhaftes Verhalten des Arbeitgebers in organisatorischer Hinsicht) beseitigt.

Außerdem rügt das Gericht die Überschreitung der zulässigen Gewaltanwendung durch das mechanische Einwirken auf den Rachenraum. Um den ärztlichen Schutzpflichten nachzukommen, hätte der Polizeiarzt die erste Ohnmacht erforschen müssen, um so die drohende Gefahr zu erkennen. Bei einer neuen Entscheidung durch das LG Bremen forderte der BGH allerdings die Gründe, die bisher zu dem Freispruch geführt hatten, mildernd beim Strafrahmen zu berücksichtigen.

 

Gleiches Urteil, neue Gründe

Gleich zu Beginn der Urteilsverkündung machte der vorsitzende Richter deutlich, wie schwer sich das Gericht mit seiner Entscheidung getan habe. Zuvor hatte es zwei Tage darüber beraten, ob der Forderung der Staatsanwaltschaft nach neun Monaten auf Bewährung wegen fahrlässiger Tötung und vorsätzlicher Körperverletzung oder der der Nebenklage, welche rein grundsätzlich und nicht näher benannt eine Strafbarkeit des Arztes forderte, gefolgt werden konnte. Letztendlich sprach das LG Bremen den Angeklagten jedoch frei.

Bei seinen Ausführungen geht das Gericht zunächst auf die Gefährlichkeit von Brechmitteleinsätzen unter Zwang ein. Dabei stellt der vorsitzende Richter klar, dass von den etwa 1600 Fällen von Brechmittelvergaben in Deutschland allein etwa 1000 in Bremen stattgefunden haben. Von diesen wurden im Höchstfall nur fünf Prozent zwangsweise durchgeführt. Das macht in ganz Deutschland maximal 80 Fälle, auf die also zwei Todesfälle und unzählige Fälle mit zum Teil erheblichen Komplikationen, wie beispielsweise Krampfanfällen oder erheblichen Magenverletzungen, kommen. Jedoch erklärte das Gericht, dass die Gefährlichkeit der Maßnahme dem Polizeiarzt nicht vorgeworfen werden könne.

Besonders bedeutsam für die Entscheidung des Gerichts ist die Unklarheit bezüglich der Todesursache. Der Richter stellte während der mündlichen Urteilsverkündung klar, dass es wahrscheinlich sei, dass Condé ertrunken ist. Aber auch andere Todesursachen, die vielleicht auch nur mitursächlich waren, könnten nicht ausgeschlossen werden. In Betracht kämen beispielsweise der Herzfehler oder möglicherweise der Stress, welcher eine solche Maßnahme bei einem Menschen auslöst. Dabei hätten angeblich auch die Befragung von den vielen ZeugInnen und zehn GutachterInnen keine Klärung bringen können. JedeR der GutachterInnen räumte ein, dass es Ungereimtheiten gäbe. Außerdem geht das Gericht davon aus, dass nicht alle ZeugInnenaussagen der Wahrheit entsprechen, da die Erinnerung durch die Zeit gelitten habe und auch Beschönigungen der Wahrheit nicht ausgeschlossen werden könnten. Angeblich habe die Kammer aber alles getan, um die Todesursache zu ermitteln.

Es bleiben, so die Strafkammer des Landgerichts, immer noch viele Fragen, die nicht geklärt werden könnten. Ganz erheblich ist dabei, dass keineR der ZeugInnen Anzeichen für das Ertrinken von Condé gemerkt haben will. So bleibe beispielsweise fraglich, warum Condé angeblich nicht gehustet habe, warum der Sauerstoffsättigungswert nicht gefallen sei und warum keine erneute Schaumabsonderung stattgefunden habe. Demnach müsse das Gericht dem „in dubio pro reo“-Prinzip folgend davon ausgehen, dass der Polizeiarzt nicht für den Tod von Condé verantwortlich war. Jedoch betonte der vorsitzende Richter immer wieder, dass diese Entscheidung anders ausgefallen wäre, wenn dem Gericht andere oder mehr Informationen vorgelegen hätte. Alles, was in der Nacht des 27. Dezember 2004 geschehen sei, hätte nach Ansicht des Gerichts nicht passieren dürfen, könne aber nicht dem Arzt vorgeworfen werden. Die Kammer bedauere jedoch zutiefst, dass der Tod von Condé nicht gesühnt werden könne.

 

Zweifel bleiben

Wieder konnte also niemand, obwohl dies deutlich vom BGH gefordert worden war, für den Tod von Condé verantwortlich gemacht werden. Dass der Arzt nach der ersten Bewusstlosigkeit einfach weitergemacht hat, übertrug ihm zumindest einen Teil der Verantwortung – eine Tatsache, die in der neuen Entscheidung scheinbar überhaupt keine Rolle mehr spielte.

Bei dem neuen Urteil wurde die mangelnde Erfahrung des Arztes nur nebensächlich behandelt, während die Todesursache zum zentralen Aspekt der Entscheidung geworden ist. Aufgrund der großen Unsicherheit erweckt das Urteil fast den Anschein, dass Condé sowieso gestorben wäre und der Brechmitteleinsatz somit nicht zwingend ursächlich für den Tod gewesen sei. Dass dies so nicht sein kann und dass die Maßnahme natürlich kausal für das Sterben von Condé war, ist eindeutig.

Trotzdem scheitert das LG Bremen erneut darin, einen deutlichen Zusammenhang zwischen der Unfähigkeit des Arztes und dem Tod von Condé zu erkennen. Weder der von der Staatsanwaltschaft vorgetragenen fahrlässigen Tötung noch der vorsätzlichen Körperverletzung wollte das Gericht folgen. Wobei der BGH sogar festgestellt hatte, dass eine tödlich unter Zwang verlaufende Brechmittelvergabe den Tatbestand der Körperverletzung mit Todesfolge erfüllt. Wenn die Unsicherheit bezüglich der Todesursache womöglich die Strafbarkeit der von der Staatsanwaltschaft geforderten fahrlässigen Tötung verbietet, erscheint die Verneinung der Körperverletzung als nicht verständlich. Dies ergibt sich besonders daraus, dass schon der BGH die Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme nach Sicherstellung des ersten Kokainkügelchens festgestellt hat und des Weiteren die Übertretung der zulässigen Gewalt durch das mechanische Einwirken auf den Rachenraum gerügt wurde.

Umso wichtiger ist es also, dass Staatsanwaltschaft und Nebenklage erneut Revision beim BGH eingelegt haben. Es bleibt demnach abzuwarten, wie sich der BGH nun zu dem neuen Urteil positionieren wird und ob das LG Bremen ein weiteres Mal über den Fall entscheiden muss.

 

Melanie Küster studiert an der Universität Bremen und besucht den strafrechtlichen Schwerpunkt.

 

Weiterführende Literatur:

Natasha Schlothauer, Strafbarkeit ärztlicher Brechmittelvergabe, 2010.


[1]    Der gesamte Sachverhalt liegt den Darstellungen in BGH, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2010, 2595ff. zugrunde.

[2]    Nachzulesen bei Schlothauer, 2010, 30f.

[3]    Erlass des Senators für Justiz und Verfassung und des Senators für Inneres und Sport in Bremen „Exkorporation von Betäubungsmitteln“ vom 1.12.2005.

[4]    EGMR NJW 2006, 3117.

[5]    BVerfG Neue Zeitschrift für Strafrecht 2000, 96.

[6]    Stefanie Bausch, Brechmitteleinsatz zur Exkorporation von Betäubungsmitteln, 2007, 222f. mit Nachweisen über die einzelnen Einstellungen.

[7]    BGH NJW 2010, 2595ff. für die Ausführungen zum Urteil.


[1]    Titelzitat vom Vorsitzenden Richter während der Urteilsverlesung am 14. Juni 2011 im LG Bremen.