Interview mit Franziska Brychcy über Intimes im Wahlkampf
prager frühling: Du lebst mit zwei Männern und vier Kindern in einer Familie. Wie ist denn das passiert?
Franziska Brychcy: Lange Geschichte. Ich wollte schon als Jugendliche anders lieben, Abenteuer erleben, auch sexuelle. Ich wollte mich nicht binden und gleich heiraten und bin andere Wege gegangen, was [auch] schön war. Man lernt viel, macht tolle Erfahrungen. Aber es hat mich auf Dauer nicht befriedigt. Ich sehnte mich danach, verstanden zu werden, intellektuellen Austausch zu haben. Das geht nicht, wenn man sich nicht längerfristig auf andere Menschen einlässt. Dann habe ich Dave kennengelernt. Er war wie ein Fundament meiner utopischen Ideen. Gleich im ersten Gespräch behauptete er, ein Mensch könne mehrere Menschen lieben. Ich habe vehement widersprochen und gesagt, wenn man sich auf einen Menschen einlassen will, dann könne man nicht noch einen zweiten lieben. Erst später begann ich mich zu hinterfragen. Warum könnte es nicht so sein, wie wir es auch in Freundschaften erleben …
pf: Meine Freunde werfen mir regelmäßig und einzeln vor, nicht ausreichend Zeit für sie zu haben.
Franziska: Mir geht es doch um Vielfalt! Mit dem einen Freund kann sich ein Mensch intellektuell austauschen, mit einem anderen gehe ich lieber zum Sport. Bei Freundschaften ist es akzeptiert, dass Menschen verschiedene Bedürfnisse haben, die sie mit einem einzigen Freund nicht ausleben können. Doch in Liebesbeziehungen gilt das Monogamie-Gebot, inklusive den normativen Konzepten, die das absichern, wie etwa Eifersucht. Nach der Begegnung mit Dave habe ich begonnen, das in Frage zu stellen. Wir waren schnell ein Paar und entwickelten eine enge Bindung. Doch nun machte ich eine wunderbare Erfahrung. Wenn ich mich neu verliebte, musste ich meine alte Beziehung nicht mehr aufgeben. Ich konnte mit Dave weiter diese enge Beziehung haben und trotzdem andere Erfahrungen und andere Liebe erleben.
pf: Könntest Du auch mit drei Männern leben?
Franziska: Schwierig. Wenn die Gefühle so wären, vielleicht. Aber es würde ein höheres Maß an Einfühlungsvermögen und Aufmerksamkeit erfordern. Wir Menschen haben eine Kapazitätsgrenze. Ich möchte ja für alle da sein, für die Kinder, für meine Familie ... da denke ich schon, dass das irgendwann eine Überforderung wäre. Die Konflikte, die es in einer Zweierbeziehung gibt, verschwinden ja nicht, nur weil man eine Beziehung mit mehreren Menschen hat. Die potenzieren sich eher. Wenn wir Termine machen in der Familie ... Der eine möchte ins Kino gehen, der andere muss für die Uni büffeln, und alle wollen wir zusammen mit unseren Kindern leben und für sie da sein. Wir haben einen Kalender eingeführt, um immer den Überblick zu behalten. Das ist echt Arbeit.
pf: Dem Berliner Kurier waren solche Feinheiten nicht so wichtig. Er nannte Dich mitten im Berliner Abgeordnetenhauswahlkampf „Die Frau mit den wirren Sexthesen“.
Franziska: Das begann nicht mit dem Kurier, sondern zunächst mit einer konservativen „Familienschutz“-Initiative. Die haben die Wahlen genutzt, um auf sich aufmerksam zu machen. Sie haben die KandidatInnen der Abgeordnetenhauswahl angeschrieben, um sie auf ihr „gutes katholisches Gewissen“ zu prüfen. Insbesondere störte sie der Medienkoffer „Vielfältige Familienformen und Lebensweisen“ des Berliner Senats. Mir war klar, dass deren Ziel war, unliebsame KandidatInnen bloßzustellen. Sie behaupteten, es sei ethisch fragwürdig, Kindern im Grundschulalter an vielfältige Lebensformen und Sexualität heranzuführen. Ich habe da sehr ausführlich geantwortet. Ich schrieb, Kinder sollten von Anfang an mitbekommen, dass es unterschiedliche Lebensmodelle, unterschiedliche Sexualität oder Regenbogenfamilien gibt. Es ist doch klar, dass Eltern zunächst das jeweilige elterliche Modell von Beziehung und Liebe vermitteln. Da ist es wichtig, dass die Schule den Blick erweitert.
pf: Hast Du einen politischen Schlagabtausch gesucht oder war das auch ein Kampf für Deine Lebenswelt.
Franziska: Nicht für mich, wenn überhaupt dann für meine Kinder. Wenn meine Tochter erzählt, sie hat zwei Papas und eine Mama, dann empfindet sie das ja auch so. Das ist ihre tägliche Normalität. Von der erzählt sie anderen Kindern. Die anderen Kinder haben zumeist kein Problem damit, denn eigentlich ist es ein Problem unter den Erwachsenen.
Meinen Brief haben sie jedenfalls dann auf Abgeordnetencheck veröffentlicht. Da gab es dann rasch die absurdesten Kommentare. Der Kurier griff das Thema eine Woche vor der Wahl auf, plötzlich war ich auf der Titelseite. Da hieß es, ich sei die „Sexideologin der Linken“ und würde „mit wirren Sexthesen schocken“. Ich hatte über die sich entfaltende Sexualität von Kindern, nicht über Geschlechtsverkehr geschrieben. Die Kommentare führten fort, was der Kurier dunkel andeutete. Das ging in Richtung Pädophilie. Ich hatte lediglich festgestellt, dass Eltern mit dem Diktat von Schamgefühlen die sexuelle Entwicklung ihrer Kinder unterdrücken. Mir ging es darum, dass es falsch ist, Kindern Werte mit einer solchen Vehemenz zu verabreichen, dass ihnen keine Wahl mehr bleibt. Daraus machte der Berliner Kurier, dass ich gegen die Vermittlung von Werten sei. Natürlich vermittle ich meinen Kindern Werte! Aber ich vermittle ihnen auch, dass sie auch ihre eigenen Werte finden dürfen, die nicht die meinen sein müssen. Es ist ein Wert, dass jeder Mensch eine Wahlfreiheit hat. Mit sinnvollen Grenzen. Für Pädophilie darf es keine Wahlfreiheit geben. Der Kurier hat mich ganz bewusst falsch verstehen wollen. Sie haben einfach eine Schlagzeile gebraucht und ich war die, die dafür einfach instrumentalisiert wurde. Die machen das jeden Tag.
pf: Franziska, Vielen Dank für dieses Interview.
Franziska Brychcy hat Europawissenschaft an der Sciences Po, Paris studiert und engagiert sich derzeit im Studierendenverband DIE LINKE.SDS/ FU. Sie arbeitet für die studentische Liste „UFSPA“ im Akademischen Senat der FU Berlin mit. Sie lebt in einer festen polyamoren Partnerschaft und hat vier Kinder. Das Gespräch führte Mark Wagner.