Weniger Arbeit = Mehr Demokratie

in (10.12.2009)
Arbeitszeitverkürzung hat viele positive Seiten: Gewerkschaften verweisen darauf, dass hierdurch die Arbeit auf mehr Köpfe verteilt wird, wodurch die Arbeitslosigkeit sinkt. Andere Menschen erinnern daran, dass der technische Fortschritt bestimmt nicht gemacht wurde, damit die Menschen länger arbeiten müssen.

Ein drittes sehr wichtiges Argument ist die demokratische Teilhabe. Denn auch wenn es heutzutage kaum Möglichkeiten gibt, direkt mitzuentscheiden, so kostet es doch einige Zeit, die Parlamentspolitik zu verfolgen, um bei der nächsten Wahl mit allem notwendigen Wissen entscheiden zu können. Doch warum sollte die Politik auf eine kleine Gruppe von Berufspolitiker_innen beschränkt bleiben, wenn der Fortschritt immer mehr Freizeit bringt?!

Dem liberalen Vordenker des 19. Jahrhunders, John Stewart Mill grauste es vor dem Menschen, der „seinen Lebensplan von der Welt oder von seinem Teil der Welt für sich erwählen lässt“ und „keine Fähigkeit nötig [hat] als die äffische der Nachahmung“. Er folgerte daraus, dass man die Arbeiter_innenschaft mit einem Klassenwahlrecht von der Regierung fernhalten müsste. Heute ist die Demokratie ein Stückchen weiter, doch solange ein Verhalten aus Mills Albtraum auf dem Arbeitsmarkt honoriert wird, solange wird die Demokratie im Dornröschenschlaf des Parlamentarismus verharren. Vielleicht würde eine Arbeitszeitverkürzung die Zeit zum Aufwachen bringen.

Freizeit braucht öffentlichen Raum

Mehr Freizeit ist allerdings keine hinreichende Bedingung für ein Aufblühen der Demokratie. Bereits 1819 warnte der Schweizer Staatstheoretiker Benjamin Constant: „Der modernen Freiheit droht die Gefahr, dass wir, die wir im Genuss unserer persönlichen Unabhängigkeit und in der Verfolgung unserer privaten Angelegenheiten aufgehen, allzu billig unser Recht auf Anteil der politischen Macht hergeben.“ Um einem drohenden „Konsumbiedermeier“ entgegen zu wirken, braucht es also eine Motivation die Freizeit im öffentlichen Raum zu verbringen. Die Möglichkeiten reichen hier von selbstverwalteten Jugendzentren über einen Abbau von Innenstadtverordnungen - in denen Menschen nur als Kunden, aber nicht als Bürger vorkommen - bis zu Foren. Hier muss nicht alles ausgeführt werden.

Welcher Punkt es allerdings wert ist, betrachtet zu werden, ist das Bildungswesen. Dieses kann seiner Aufgabe mündige Bürger_innen hervorbringen, nur dann nachkommen, wenn Demokratie auch in der Praxis stattfindet. Eine Komprimierung des Unterrichtsstoffes, die keine Möglichkeit lässt, in der Freizeit etwas anderes zu tun, als sich zu erholen, ist hier der falsche Weg. Vom aktuellen Abbau von Mitspracherechten ganz zu schweigen. Wenn es hier nicht zu einem Umdenken kommt, wird die Gesellschaft auch noch weitere Generationen hinter dem Stand der Technik bleiben. Der uns doch schon längst mehr Freizeit geben kann.