Allenthalben war klar, der Abgang von Hartmut Mehdorn als Bahnchef sollte
nicht ohne Nachruf bleiben. Mehdorn »haut ab« oder »zischt ab«, titelte die
Boulevard-Presse. Im Rundfunk wurde die Meldung mit der Bemerkung versehen:
»Deutschland atmet auf.« Die BILD-»Zeitung« allerdings stellte die
Frage, wer denn nun die Bahn »aus der Krise führen« solle. Dort singen sie,
Krise der Weltwirtschaft hin oder her, weiter das Lied der Privatisierung. Dabei
ist oder war doch Mehdorn Teil des Problems, nicht der Lösung. Die mit
seinem Abtreten verbundene Frage ist: Wieviel Gebrauchswert ist nötig, um
Wert zu erlangen? Oder anders gefragt: Wohin hat der Versuch geführt, die
Logiken der Finanzspekulation auf andere Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft
zu übertragen?
Inzwischen moniert auch die bürgerliche Presse, daß die Finanzwirtschaft
ein Schneeballsystem geschaffen hatte, in dem alte Schulden mit neuen Schulden
vermengt, »faule« Kredite mit anderen, als neue Titel »verbrieft« und von
Rating-Agenturen hoch bewertet und so naiven Erwerbern angedreht wurden.
Das Ganze diente der Gier der Spekulanten, die sich riesige »Boni« zugemessen
hatten, deren Zahlung sie auch im Angesicht der Pleite einfordern. Die Finanzsphäre
hatte sich von der »Realwirtschaft« entfernt und spielte das Spiel
immer währenden Reichtums. Dann platzte die Blase. Jetzt wird allenthalben
von Regulierung geredet, die international nötig sei.
Das wissen inzwischen alle aufmerksamen Zeitungsleser. Es wird aber verhandelt,
als sei es ein spezifisches Problem der Finanzsphäre, das nur leider auf
die »Realwirtschaft« zurückgewirkt habe. Bei näherem Hinsehen folgte jedoch
Mehdorn als Bahnchef dem gleichen Schema: Möglichst viel Rendite aus der
Bahn zu ziehen, um deren Börsengang vorzubereiten, das heißt Zurichtung zu
einer profitgenerierenden Einrichtung für private Kapitaleigner.
Dabei stolperte er über das Mafia-Problem. Damit ist ein Phänomen gemeint,
wie es in Italien bereits in den sechziger Jahren beschrieben wurde: Es
wird der Bau von Straßen ausgeschrieben. Durch Mittel, die hier nicht weiter
zu charakterisieren sind, gewinnt ein Unternehmen den Auftrag; Zusatzprofit
ergibt sich vor allem daraus, daß der Unterbau nicht sachgerecht ausgeführt
und bei der Betonmischung gespart wird, die Betondecke zu dünn ist und so
weiter. Die Straße wird übergeben, ist jedoch schon bald stark reparaturbedürftig.
Da die Straße jedoch nötig ist, wird sie mit hohem materiellem und
finanziellem Aufwand repariert und entsprechend den technischen Anforderungen
hergerichtet. Das Fazit lautet: Wenn nicht die kriminelle Energie des
Raubes walten soll, der im Normalfall eine Eintagsfliege ist, kann Gewinn, der
aus dem Wert der Ware resultiert, immer nur dann erzielt werden, wenn es
einen angemessenen Gebrauchswert, hier die Benutzung der Straße, gibt.
Unter diesem Gesichtswinkel ist es durchaus angebracht, auf die Bahn zu
schauen, etwa die Berliner S-Bahn. Früher fuhr sie in der Regel pünktlich. Unter
der Oberherrschaft Mehdorns änderte sich das. Die S-Bahn-Linie S 85 beispielsweise
fuhr 2008 nur an 214 von 366 Tagen planmäßig; an 51 war der Betrieb
auf der Linie zum Teil, an vier Tagen fast völlig eingestellt. Anfang Januar
2009 schneite es bekanntlich, und die Temperaturen fielen unter -20oC. Das ist
in diesem Landstrich nichts Ungewöhnliches. Von den laut Fahrplan auszuführenden
etwa 15 000 Fahrten in der zweiten Kalenderwoche hatten 4 700 zum
Teil erhebliche Verspätungen, 2 500 Zugfahrten fielen ganz aus. Auf den Bahnsteigen
drängten sich die Menschen, ohne daß jemand von der Bahn da war, der
sagen konnte, wann denn nun welcher Zug käme. Es sind die Stationsvorsteher
eingespart worden, und das elektronische System funktioniert schon bei schönem
Wetter nicht wirklich; jetzt war es eingefroren. Der S-Bahn-Chef begründete
die Verspätungen und Zugausfälle mit »witterungsbedingten technischen
Problemen beim Zugsicherungssystem«. Vielfach waren schlichtweg die Türen
eingefroren. Erfahrene S-Bahner sagten dagegen, daß jene technischen Probleme
hausgemacht waren. Es wurden Werkstätten »eingespart« und insgesamt
in den vergangenen drei Jahren 881 Stellen gestrichen. Es waren – im Geiste
des neoliberalen Vorgehens – die Reserven abgeschafft worden; es wurden
Züge verschrottet und Wartungsintervalle verlängert, und es wurde etwa
25 Prozent des Personals »abgebaut«. So reichten 2008 während des S-Bahnstreiks
dreißig Krankschreibungen, um den Betrieb weitgehend lahmzulegen.
Im Jahr 2009 zahlt das angeblich pleitige Berlin der S-Bahn 232 Millionen Euro
für die Aufrechterhaltung des Zugverkehrs. Die S-Bahn als Firma überweist
dem Mutterkonzern Deutsche Bahn jährlich erklecklichen Gewinn; 2007 waren
es 34,1 Millionen Euro. Genau besehen handelt es sich um eine Art Tribut, den
die Berliner für den von Mehdorn anvisierten Börsengang entrichten.
Bei den Winterstürmen im Januar 2007 hatte Mehdorn, weil der Zwang zur
Abschaffung der Reserven in allen Bereichen der Bahn durchgesetzt worden
war, den Bahnbetrieb bundesweit einstellen lassen. Was kein Krieg, keine
Krise und kein Staatszusammenbruch in Deutschland in den vergangenen 150
Jahre geschafft hatte, der Neoliberalismus und Mehdorn machten es möglich.
Der Nachfolger soll nun Rüdiger Grube werden. Der ist derzeit bei Daimler
in der Verwendung. Früher war er mal Bürochef bei Mehdorn. Wenn schon
der Bürochef eines früheren Kanzlers nun Bundeskanzler werden soll, warum
nicht der Bürochef eines Bahnchefs Bahnchef? Der Punkt ist nur: Der Bürochef
ist mit allem befaßt, was der Büro-Inhaber so treibt. Und so wie Steinmeier die Fortsetzung Schröders mit anderem Gesicht ist, wäre Grube die
Fortsetzung Mehdorns mit anderem Antlitz. Geht es weiter nach dem neoliberalen
Geist, soll sich also nichts ändern in Sachen Bahn, .
Als im Rußland das Eigentum »verteilt« wurde, sagte sich eine Delegation
aus Moskau in Moldawien bei dem Truppenteil an, den der legendäre General
Alexander Lebed kommandierte. Er antwortete, sie sollten zu Hause bleiben,
»hier gibt es nichts zu stehlen«. Das wäre der Satz, den die deutschen Steuerzahler
Herrn Grube auf den Weg geben sollten. Mit anderen Worten: Es gibt keinen
Gewinn aus der Bahn, wenn ihr Gebrauchswert gegen Null gefahren wird.
nicht ohne Nachruf bleiben. Mehdorn »haut ab« oder »zischt ab«, titelte die
Boulevard-Presse. Im Rundfunk wurde die Meldung mit der Bemerkung versehen:
»Deutschland atmet auf.« Die BILD-»Zeitung« allerdings stellte die
Frage, wer denn nun die Bahn »aus der Krise führen« solle. Dort singen sie,
Krise der Weltwirtschaft hin oder her, weiter das Lied der Privatisierung. Dabei
ist oder war doch Mehdorn Teil des Problems, nicht der Lösung. Die mit
seinem Abtreten verbundene Frage ist: Wieviel Gebrauchswert ist nötig, um
Wert zu erlangen? Oder anders gefragt: Wohin hat der Versuch geführt, die
Logiken der Finanzspekulation auf andere Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft
zu übertragen?
Inzwischen moniert auch die bürgerliche Presse, daß die Finanzwirtschaft
ein Schneeballsystem geschaffen hatte, in dem alte Schulden mit neuen Schulden
vermengt, »faule« Kredite mit anderen, als neue Titel »verbrieft« und von
Rating-Agenturen hoch bewertet und so naiven Erwerbern angedreht wurden.
Das Ganze diente der Gier der Spekulanten, die sich riesige »Boni« zugemessen
hatten, deren Zahlung sie auch im Angesicht der Pleite einfordern. Die Finanzsphäre
hatte sich von der »Realwirtschaft« entfernt und spielte das Spiel
immer währenden Reichtums. Dann platzte die Blase. Jetzt wird allenthalben
von Regulierung geredet, die international nötig sei.
Das wissen inzwischen alle aufmerksamen Zeitungsleser. Es wird aber verhandelt,
als sei es ein spezifisches Problem der Finanzsphäre, das nur leider auf
die »Realwirtschaft« zurückgewirkt habe. Bei näherem Hinsehen folgte jedoch
Mehdorn als Bahnchef dem gleichen Schema: Möglichst viel Rendite aus der
Bahn zu ziehen, um deren Börsengang vorzubereiten, das heißt Zurichtung zu
einer profitgenerierenden Einrichtung für private Kapitaleigner.
Dabei stolperte er über das Mafia-Problem. Damit ist ein Phänomen gemeint,
wie es in Italien bereits in den sechziger Jahren beschrieben wurde: Es
wird der Bau von Straßen ausgeschrieben. Durch Mittel, die hier nicht weiter
zu charakterisieren sind, gewinnt ein Unternehmen den Auftrag; Zusatzprofit
ergibt sich vor allem daraus, daß der Unterbau nicht sachgerecht ausgeführt
und bei der Betonmischung gespart wird, die Betondecke zu dünn ist und so
weiter. Die Straße wird übergeben, ist jedoch schon bald stark reparaturbedürftig.
Da die Straße jedoch nötig ist, wird sie mit hohem materiellem und
finanziellem Aufwand repariert und entsprechend den technischen Anforderungen
hergerichtet. Das Fazit lautet: Wenn nicht die kriminelle Energie des
Raubes walten soll, der im Normalfall eine Eintagsfliege ist, kann Gewinn, der
aus dem Wert der Ware resultiert, immer nur dann erzielt werden, wenn es
einen angemessenen Gebrauchswert, hier die Benutzung der Straße, gibt.
Unter diesem Gesichtswinkel ist es durchaus angebracht, auf die Bahn zu
schauen, etwa die Berliner S-Bahn. Früher fuhr sie in der Regel pünktlich. Unter
der Oberherrschaft Mehdorns änderte sich das. Die S-Bahn-Linie S 85 beispielsweise
fuhr 2008 nur an 214 von 366 Tagen planmäßig; an 51 war der Betrieb
auf der Linie zum Teil, an vier Tagen fast völlig eingestellt. Anfang Januar
2009 schneite es bekanntlich, und die Temperaturen fielen unter -20oC. Das ist
in diesem Landstrich nichts Ungewöhnliches. Von den laut Fahrplan auszuführenden
etwa 15 000 Fahrten in der zweiten Kalenderwoche hatten 4 700 zum
Teil erhebliche Verspätungen, 2 500 Zugfahrten fielen ganz aus. Auf den Bahnsteigen
drängten sich die Menschen, ohne daß jemand von der Bahn da war, der
sagen konnte, wann denn nun welcher Zug käme. Es sind die Stationsvorsteher
eingespart worden, und das elektronische System funktioniert schon bei schönem
Wetter nicht wirklich; jetzt war es eingefroren. Der S-Bahn-Chef begründete
die Verspätungen und Zugausfälle mit »witterungsbedingten technischen
Problemen beim Zugsicherungssystem«. Vielfach waren schlichtweg die Türen
eingefroren. Erfahrene S-Bahner sagten dagegen, daß jene technischen Probleme
hausgemacht waren. Es wurden Werkstätten »eingespart« und insgesamt
in den vergangenen drei Jahren 881 Stellen gestrichen. Es waren – im Geiste
des neoliberalen Vorgehens – die Reserven abgeschafft worden; es wurden
Züge verschrottet und Wartungsintervalle verlängert, und es wurde etwa
25 Prozent des Personals »abgebaut«. So reichten 2008 während des S-Bahnstreiks
dreißig Krankschreibungen, um den Betrieb weitgehend lahmzulegen.
Im Jahr 2009 zahlt das angeblich pleitige Berlin der S-Bahn 232 Millionen Euro
für die Aufrechterhaltung des Zugverkehrs. Die S-Bahn als Firma überweist
dem Mutterkonzern Deutsche Bahn jährlich erklecklichen Gewinn; 2007 waren
es 34,1 Millionen Euro. Genau besehen handelt es sich um eine Art Tribut, den
die Berliner für den von Mehdorn anvisierten Börsengang entrichten.
Bei den Winterstürmen im Januar 2007 hatte Mehdorn, weil der Zwang zur
Abschaffung der Reserven in allen Bereichen der Bahn durchgesetzt worden
war, den Bahnbetrieb bundesweit einstellen lassen. Was kein Krieg, keine
Krise und kein Staatszusammenbruch in Deutschland in den vergangenen 150
Jahre geschafft hatte, der Neoliberalismus und Mehdorn machten es möglich.
Der Nachfolger soll nun Rüdiger Grube werden. Der ist derzeit bei Daimler
in der Verwendung. Früher war er mal Bürochef bei Mehdorn. Wenn schon
der Bürochef eines früheren Kanzlers nun Bundeskanzler werden soll, warum
nicht der Bürochef eines Bahnchefs Bahnchef? Der Punkt ist nur: Der Bürochef
ist mit allem befaßt, was der Büro-Inhaber so treibt. Und so wie Steinmeier die Fortsetzung Schröders mit anderem Gesicht ist, wäre Grube die
Fortsetzung Mehdorns mit anderem Antlitz. Geht es weiter nach dem neoliberalen
Geist, soll sich also nichts ändern in Sachen Bahn, .
Als im Rußland das Eigentum »verteilt« wurde, sagte sich eine Delegation
aus Moskau in Moldawien bei dem Truppenteil an, den der legendäre General
Alexander Lebed kommandierte. Er antwortete, sie sollten zu Hause bleiben,
»hier gibt es nichts zu stehlen«. Das wäre der Satz, den die deutschen Steuerzahler
Herrn Grube auf den Weg geben sollten. Mit anderen Worten: Es gibt keinen
Gewinn aus der Bahn, wenn ihr Gebrauchswert gegen Null gefahren wird.