Obama ante portas

Branding heißt Branding, heißt es im elektronischen Wörterbuch. Der
Marketing-Jargon wird offenbar in der Szene nicht mehr übersetzt. Aber
vielleicht kann man es erklären. Gemeint ist das »Marken«-Wesen, dessen
Spitzen in Meldungen zur Jugendgewalt immer dann auftauchen,
wenn der eine den anderen »abgezogen« hat, das heißt ihn unter Gewaltandrohung oder Gewaltanwendung gezwungen hat, seine Markenhose
oder das Handy rauszurücken. Das wurde Alltag, weil die Reklamewirtschaft
suggeriert, man fühle sich besser, wenn man eine bestimmte
Sorte Jacke oder Hose oder Schuhe von einer bestimmten Firma trägt
oder ein angesagtes Mobiltelefon mit einem bestimmten Klingelton hat.
Es geht nicht einfach um eine Ware, die vielleicht nützlich ist, sondern
um ein Lebensgefühl, das in der Ware seine Inkarnation erfährt oderdurch diese übertragen wird und in ihr zum Ausdruck kommt. Es ist
eine Frage des Glaubens. Der Käufer der jeweils angepriesenen Ware
glaubt, zu einem Auserwählten zu werden, den mit der Ware der Nimbus
der Reichen und Schönen überkommt. Der Kapitalismus ist dabei,
sich selbst auch Religion zu werden. Eigentlich kommt Branding aber
von dem Brandzeichen, das der Rancher seinem Pferd aufbrennen läßt –
zumindest wurde das in den alten Western immer so dargestellt. Dieses
Pferd gehört ihm, dies zum Zeichen. Gehört nun der Markentrottel ebenso
der jeweiligen Firma?


Als ich Bekannte aus den USA fragte, wie es denn kam, daß Barack
Obama Hillary Clinton aus dem Felde gejagt hat, wurde mir geantwortet,
viele Amerikaner wollten ein Re-Branding der USA. Nach den acht
schlimmen Jahren des Dabbeljuh Bush sei es an der Zeit, daß das »Markenzeichen USA« in der Welt wieder in neuem Lichte strahlt. Zuerst waren
es die farbigen US-Amerikaner und viele kleine Leute, die Obama
unterstützten, auch mit ihren kleinen Spenden für sein Wahlführungskonto.
Sie glaubten seinen Sprüchen vom großen »Wandel« und seinem
»Ja, wir können das«: den Wandel herbeiführen. Dann kam es, wie es im
Spätkapitalismus so kommt: aus bürgerlicher Sicht erschien es nun
nützlich, den USA nicht nur im Lande, sondern auch international ein
neues »Image« zu verleihen. Das könnte verlorenes Terrain auf dem
Felde des Ansehens zurückgewinnen lassen, was sich dann ggf. auch in
erneute Einflußmöglichkeiten umsetzen könnte.


Das, was zu Anfang wie eine Bewegung von links und von unten aussah,
wurde zu einer geistig-politischen Strömung zur Erneuerung des
Ansehens der USA, das sich neu in imperialen Einfluß umsetzen können
soll. Das erklärt den breiten Zuspruch Obamas bei allen öffentlichen
Auftritten und seine vollen Wahlkampfkassen. Das »rechte« und »weiße«
Amerika, das Bush die Jahre getragen hat, sieht darin jedoch ganz und
gar nicht seine Wahl. Schon Anfang August – beide Kandidaten sind noch
nicht offiziell nominiert – häufen sich Hinweise auf einen »dreckigen«
Wahlkampf mit Intrigen, Lügen und Unterstellungen. Wenn Obama den
Wahltag am 4. November erlebt, werden bis dahin noch etliche Hürden
zu nehmen sein.


Zudem kann sich McCain auf die Unterstützung von Bush und des
eingespielten Establishments der Republikaner stützen. Das geht zum
Beispiel so: Der Vorwurf lautet, das amerikanische Volk brauche keinen
Oberredner, sondern einen Oberkommandierenden der Truppen, der
die laufenden Kriege zum Siege führe, und das könne der Vietnamveteran
natürlich besser, als der junge Mann, der keine Ahnung von der Welt
habe. Dann reist der junge Mann nach Irak, Afghanistan, Israel, Jordanien,
Deutschland, Frankreich und Großbritannien und macht dort einegute Figur. Er besuchte die Orte der aus der Sicht der USA beiden drängendsten
Kriege, des in seinen Wirkungen weitreichendsten internationalen
Konflikts und die wichtigsten Verbündeten in Europa. Aus der Mc-
Cain-Equipe verlautet nun, Obama hätte Zeit für ein Fitnesscenter in
Berlin gehabt, nicht aber für ein US-Militärkrankenhaus in Landstuhl.
Aus der Umgebung Obamas wird geantwortet, der Besuch in Landstuhl
sei abgesagt worden, weil das Pentagon Bedenken gegen politische Aktivitäten
in einer Militäreinrichtung geäußert habe. Daraufhin heißt es
von dort, Obama sei nie aufgefordert worden, nicht nach Landstuhl zu
kommen. Wer lügt und wer nicht?


Zu Obamas Rede in Berlin drängten sich auf dem Platz vor der Siegessäule
215 000 Menschen. Aus der Umgebung McCains hieß es, das
seien »kriecherische Deutsche« gewesen. Außerdem würden die Wahlen
»in den USA entschieden« – nicht in Deutschland, heißt das, und das
ticke sowieso falsch. Das rechte Amerika hat die Nichtteilnahme der
Deutschen am Irak-Krieg offenbar noch immer nicht verwunden.


Mit dem Kriechen ist es derweil solch Sache. Im tschechischen Decˇ in
werden in der Gaststätte schon mal »Kroketten McCain« angeboten. Ich
weiß gar nicht, ob der je welche erfunden hat, aber dies ist der vorauseilende
Gehorsam der willfährigen Gehilfen US-amerikanischer Stationierungspolitik.
Peter Ramsauer, der für die CSU den Wadenbeißer im
Bundestag gibt, hat zur Obama-Rede in Berlin erklärt, er hätte »eine Gänsehaut
bekommen«. Weil bei der CSU niemand mehr Reden halten kann,
oder weil das Re-Branding am Ende auch darauf hinausläuft, in der
freundlichen Umarmung schließlich noch mehr deutsche Soldaten als
Kanonenfutter für den Afghanistan-Krieg zu erhalten – wenn Obama erst
der Präsident der USA ist?


Die vielen Menschen bei dem Obama-Auftritt in Berlin erklären sich
nur daraus, daß es auch hierzulande eine große Sehnsucht nach einem
anderen Amerika gibt. Genau besehen kommt es aber nicht auf das
mehr oder weniger veränderte Markenzeichen an, sondern auf das »Produkt
« USA im 21. Jahrhundert.