Interview mit Oliver Powalla von Bürgerbegehren Klimaschutz
März 2017
Dieser Beitrag ist Teil der Reihe »…und die Stadt gehört euch? Statements aus stadtpolitischen Initiativen zu 100 Tagen Rot-Rot-Grün in Berlin«
Wie schätzt ihr die Ausganssituation für die neue Regierung in der Klima- und Energiepolitik ein? Welche Probleme der vergangenen Jahre müssen angepackt werden?
Den rot-roten und den schwarz-roten Regierungen der Vergangenheit fehlte es an Ideen und Motivation, um eine sich rasant wandelnde Metropole im Sinne sozial-ökologischer Kriterien zu gestalten. Das heißt auch: Berlin ist in diesem Feld viele Jahre von ‚unten‘ regiert worden. Ohne die zahlreichen Volksbegehren hätte sich bei den zentralen Zukunftsaufgaben – Verkehrs- und Energiewende, Erhalt bezahlbaren Wohnraums und des Tempelhofer Feldes – nichts getan. Nach wie vor ist die Ausgangslage in der Energiepolitik aber verheerend. Berlin bezieht Strom und Wärme zu 95 Prozent aus fossilen Quellen. Es gab in dieser Stadt bislang keine Regierung, die ernsthaft versucht hat, daran etwas zu ändern.
Welche Hoffnung verbindet ihr denn diesmal mit einer Regierungsbeteiligung der LINKEN und einem rot-rot-grünen Senat?
Was diesmal auffiel, war die gemeinsame Präsenz von sozialen Bewegungen, die der neuen Regierung schon direkt bei ihrem Antritt klargemacht hat, dass sie sie beim Wort nehmen wird und einiges von ihr fordert. Anlässlich der Koalitionsverhandlungen wurde vor dem Roten Rathaus ein wahres Schaulaufen der Zivilgesellschaft aufgeführt. Zu Beginn demonstrierten wir von Kohleausstieg Berlin neben Stadt von unten, einer stadt- und mietenpolitischen Initiative, zum Ende trafen wir auf den Fahrradvolksentscheid, der sich mit einer rot-rot-grünen Torte für die Übernahme sämtlicher seiner Forderungen bedankte und damit abseits unserer Foto-Aktion, bei der die Kohlelobby einen ausstiegswilligen Berliner Bären ankettete, die Aufmerksamkeit der RBB-Abendschau auf sich zu konzentrieren wusste. Zwischen diesen beiden Terminen hatte sich das Aktionsbündnis Weg mit der schwarzen Null am gleichen Ort versammelt. Der Berliner Energietisch, Kotti & Co, die Flüchtingsaktivist*innen von Solidarcity und Respect und andere forderten ein Ende der restriktiven Haushaltspolitik und erhielten prominenten Besuch: die heutigen Senator*innen Klaus Lederer und Katrin Lompscher nahmen für einige Minuten an der Kundgebung teil. Es wurde eine innige Verbundenheit zu den Bewegungen der Stadt demonstriert, die eine schwer aufkündbare Verpflichtung für die nächsten fünf Jahre bedeutet.
Inwiefern macht die Regierung bisher Anstalten dieser Verpflichtung gerecht zu werden? Wie zufrieden seid ihr mit dem Koalitionsvertrag und den ersten 100 Tagen?
Diese Präsenz der Initiativen, die nicht nur für die LINKE, sondern auch für andere Koalitionäre ein begehrtes Fotomotiv war, schlug sich in einem Koalitionsvertrag wieder, der sich streckenweise wie ein sozial-ökologischer Wunschzettel liest. Berlin wird als erstes Land den Kohleausstieg gesetzlich verankern, das Stromnetz soll rekommunalisiert werden, das Sozialticket für Bus und Bahn wird günstiger und das Landesvermögen soll in Zukunft nachhaltig angelegt werden. Die Messlatte für die neue Regierung wurde damit maximal nach oben geschraubt. Darum gilt für uns erstmal: In Zeiten von Brexit und Donald Trump gibt es schlimmeres als Rot-Rot-Grün. Ein Politikwechsel ist weiterhin möglich, auch wenn der erzwungene Rücktritt von Andrej Holm gezeigt hat, dass das abgewirtschaftete konservative Establishment, zudem teilweise auch die SPD gehört, diesen mit allen Mitteln bekämpfen wird. Mit der erfolgten Änderung des Betriebe-Gesetzes wurde die demokratische Kontrolle des Stadtwerks gestärkt und die Voraussetzungen für eine wachsende Kundenzahl geschaffen. Zudem haben die Regierungsfraktionen den Senat aufgefordert, alle rechtlichen Mittel auszuschöpfen, um einen Kohleausstieg bis spätestens 2030, wenn möglich früher, umzusetzen. Eine konkrete Gesetzesvorlage steht aber noch aus. Die Berliner Zivilgesellschaft sollte weiter wachsam bleiben, vermeintliche Sachzwänge hinterfragen, und als Motor der Veränderung, die fortschrittlichen Kräfte in Senat und Abgeordnetenhaus weiter mit ihren Maximalforderungen vorantreiben.
Wie seht ihr konkret die Möglichkeit, als soziale Bewegung Einfluss zu nehmen und Druck auszuüben? Welche Beziehung seht ihr zwischen Bewegung und Regierung?
Die Chancen, Einfluss zu nehmen, sind gestiegen, nicht zuletzt weil ehemalige Bewegungssprecher wie Michael Efler und Stefan Taschner, beide Energietisch, mittlerweile selbst Abgeordnete sind. Jetzt, wo sich Gestaltungsspielräume auftun, zählen vor allem handwerkliche Expertise und umsetzbare Konzepte. In der Energiepolitik stellen sich drängende Fragen, die auch von den Bewegungen beantwortet werden müssen: Wie kann nach dem Kohle- auch der Gasausstieg geschafft und eine erneuerbare Wärmeversorgung aufgebaut werden? Mit welchen Finanzierungsmodellen können energetische Sanierungen gefördert werden, ohne die Gentrifizierung weiter anzutreiben? Wie müssen Sozialtarife gestaltet werden, die das Stadtwerk wirtschaftlich arbeiten lassen und zugleich Stromsperren verhindern? In diesen und anderen Punkten kann Berlin zu einem echten Vorbild werden. Bei allem gefragten Fachverstand sollte niemand so tun, als ließen sich NGOs und Bewegungen quasi in die Verwaltung eingemeinden. Es gibt Dinge, die sie besser können, als Gesetze zu schreiben und Szenarien zu berechnen. Vattenfall wird alles tun, um die Abschaltpläne für seine Kohlekraftwerke so unverbindlich wie möglich zu gestalten. Dem Konzern dürfte es nicht gefallen, dass im Koalitionsvertrag vorgesehen wurde, die Bezugsquellen für Steinkohleimporte offenzulegen, damit die Bedingungen in den Exportländern kontrolliert und die Menschenrechte eingehalten werden können. Die Rekommunalisierung des Stromnetzes hat Vattenfall durch eine Verfahrensrüge hinausgezögert. Nur wenn mit Volksentscheiden, pressewirksamen Aktionen und wilden Protesten weiterhin zu rechnen ist, wird Rot-Rot-Grün nach wohlklingenden Ankündigungen auch belastbare Gesetze erlassen. Die Berliner Zivilgesellschaft hat fürs erste ein paar mächtige Freunde dazugewonnen. Leider sind ihre Gegner nicht weniger geworden.