Eine neue Dimension von Konzernherrschaft und Militarisierung in Mittel- und Nordamerika: ASPAN
Die „Nordamerikanische Allianz für Sicherheit und Prosperität“
(ASPAN)1 markiert eine neue Qualität internationaler Beziehungen
in Kanada, Mexiko und den USA. Konzernherrschaft und Militarisierung
werden ohne Konsultierung von Parlamenten und Bevölkerung realisiert.
Die Mehrheit der Bevölkerung des nordamerikanischen Kontinents ist
einer neuen Bedrohung ausgesetzt, die aufgrund der Verheimlichungs-
bzw. Desinformationskampagnen kaum in das Bewusstsein der Menschen
gelangt: ASPAN.
Die am 23. März 2005 von den Präsidenten Vicente Fox (Mexiko), George
W. Bush (USA) und Premierminister Paul Martin (Kanada) unterzeichnete
„Nordamerikanische Allianz für Sicherheit und Wohlstand“ stellt eine
qualitative Veränderung der Beziehung der drei Staaten und ihrer
jeweiligen Landespolitik dar.
Offizielle Ziele der ASPAN sind der Schutz vor Terrorismus und
Kriminalität sowie die Verbesserung der Lebensbedingungen der
Bevölkerung durch eine Homogenisierung der Politik u.a. in den
Bereichen Umwelt, Medikamente und Ernährung. Tatsächlich wurde ASPAN
von den politischen und ökonomischen Eliten der drei nordamerikanischen
Staaten entwickelt, um die aus ihrer Perspektive bisher nicht
realisierten Ziele des neoliberalen Nordamerikanischen
Freihandelsabkommens NAFTA zu erreichen sowie die „Sicherheitslage“ –
vor allem der USA – zu verbessern. Die neue Allianz soll ein Garant der
dazu notwendigen Mittel werden.
Militarisierung
Im Sicherheitsbereich wird die „Initiative Mérida“ – auch als „Plan
Mexiko“ bezeichnet – vorangetrieben, die die militärische
Zusammenarbeit Mexikos und Kanadas mit den USA intensiviert. Das
bedeutet, dass mexikanische Militärs von der US-Armee ausgebildet
werden und Mexiko hohe finanzielle Zuschüsse sowie
Hochtechnologie aus den USA erhält.
Darüber hinaus unterstehen die Armeen von Mexiko und Kanada im Kontext
der ASPAN dem US-amerikanischen Comando Norte. Dies kann u.U. dazu
führen, dass die Bevölkerungen von Mexiko und Kanada ins Raster
militärischer Gegner der USA geraten, obwohl sie ein keiner Weise
Einfluss auf die US-Politik nehmen können.
Die Militarisierung betrifft vor allem die Innenpolitik der drei
Staaten: Besonders in den USA und Mexiko wird das Militär immer
häufiger im Innern eingesetzt. Offiziell begründet werden die
Operationen mit dem Kampf gegen Terrorismus und organisierte
Kriminalität wie das Drogenbusiness. Es ist jedoch offensichtlich, dass
die oft illegale Übernahme polizeilicher Aufgaben durch die Armee auch
gegen die sozialen Bewegungen gerichtet ist, die sich gegen Ausbeutung,
Marginalisierung und Repression organisieren.
In Mexiko hat die Militarisierung der Innenpolitik seit Beginn der
Präsidentschaft von Felipe Calderón von der neoliberal-konservativen
Partei der Nationalen Aktion (PAN) Ende 2006 zugenommen. Nach
Untersuchungen zahlreicher unabhängiger Organisationen hat die enorme
Armeepräsenz im Alltag der Menschen drastische Auswirkungen: ein
ständiges Klima der Angst, erhöhter Drogenkonsum, Anstieg von
Prostitution und Vergewaltigung, Zunahme der Gewalt in der
Gesellschaft, eine steigende Umweltverschmutzung und eine mittel- bis
langfristige autoritäre Disziplinierung der Bevölkerung.
Vertiefung des neoliberalen Modells unter Ausschluss der Bevölkerung
ASPAN unterwirft Mexiko stärker als jemals zuvor den ökonomischen und
militärischen Interessen der USA. Es wäre allerdings fatal, die
mexikanische Regierung in diesem Kontext als „Opfer“ der US-Regierung
zu betrachten: Die Administration von Präsident Calderón hat im
Gegenteil den „Plan Mexiko“ offensiv eingefordert, zugunsten der
eigenen Eliten. HistorikerInnen zieheneinen Vergleich mit der
vorrevolutionären Zeit Mexikos, als die überwältigende Mehrheit der
Bodenschätze und Ländereien Mexikos ausländischen Unternehmen und
mexikanischen Großgrundbesitzern gehörte.
Im ökonomischen Sektor zielt die ASPAN darauf ab, den freien Fluss von
Waren, Dienstleistungen und Finanzen sowie eine effektive Kontrolle der
Migration zu garantieren. Gleichzeitig wird eine aggressive
Privatisierungs- und Deregulierungspolitik vorangetrieben.
14 Jahre NAFTA-Realität haben die Lebensbedingungen der
Bevölkerungsmehrheit in allen drei Mitgliedsstaaten verschlechtert. Am
stärksten betroffen ist Mexiko, wo die Armut auf dem Land heute wieder
so verbreitet ist wie in den 1930er Jahren. 60 Prozent der
mexikanischen Bevölkerung gelten als arm, und das in einem Land, das
extrem ressourcenreich ist und bis in die 80er Jahre, in denen die
neoliberale Doktrin durchgesetzt wurde, fast vollständig unabhängig von
Nahrungsmittelexporten war. Auch in den USA und Kanada haben
Lohndumping und ungeschützte Beschäftigungsverhältnisse zugenommen.
ASPAN ist auf undemokratische Weise auf den Weg gebracht worden. Sie
wurde nicht einmal von den nationalen Parlamenten verabschiedet, wie es
noch vom NAFTA bekannt ist, sondern ist nach ihrer Ausarbeitung durch
die größten Konzerne der drei Staaten von den Regierungen schrittweise
dekretiert worden.
Die Unternehmensführungen sind im Nordamerikanischen Rat für
Wettbewerbsfähigkeit (NACC) zusammengeschlossen, ein Gremium, das am
15. Juni 2006 gegründet wurde und aus höchsten KonzernvertreterInnen
der drei Staaten besteht.
Im II. offiziellen ASPAN-Report von 2006 benennen die
Regierungsfunktionäre selbst den ausschließenden Charakter der Allianz:
„Die Schaffung des NACC repräsentiert die formelle Eingliederung der
Stimme des privaten Sektors in die ASPAN. Die regelmäßigen
Versammlungen von Ministern, hohen Regierungsfunktionären und dem NACC,
ergänzt durch permanente Beratungen mit anderen interessierten
Akteuren, werden dazu beitragen, dass die ASPAN sich als Eckstein der
Kooperation in Nordamerika konsolidiert.”
Die ASPAN repräsentiert nach Einschätzung des Zentrums für ökonomische
und politische Forschung CIEPAC aus Chiapas das Gegenteil einer humanen
und selbstbestimmten Gesellschaft. Die Allianz ist ein Instrument zur
Sicherung der Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt, zur Bekämpfung von
sozialen Bewegungen, zur Ressourcensicherung (vor allem Wasser und
Energie) und allgemein zur Sicherung der Herrschaft des Kapitals – vor
dem Hintergrund der instabilen Konjunktur und des starken
gesellschaftlichen Widerstands gegen den Plan Puebla Panamá (PPP), ein
infrastrukturelles Mega-Projekt, und die gesamtamerikanische
Freihandelszone ALCA, die 2005 bis auf weiteres scheiterte.
Zusammengefasst steht ASPAN aus der Perspektive der sozialen Bewegungen für:
- Aushebelung der nationalen Souveränität der Mitgliedsstaaten Kanada und Mexiko
- Militarisierung des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA
- Aushebelung der parlamentarischen Demokratie
- Missachtung der Bevölkerung aller drei Länder
- Kriminalisierung der gesellschaftlichen Mobilisierung
Nach Land, Bildung, Gesundheit, Wasser und zahlreichen weiteren
Bereichen des menschlichen Lebens werden nun auch Politik und
militärische Sicherheit privatisiert. Dieser Prozess impliziert neben
einer ökonomischen Enteignung zugunsten der Wohlhabenden eine
weitreichende Entdemokratisierung der Gesamtgesellschaft und eine
Etablierung neofeudal-imperialistischer Verhältnisse in Nordamerika.
ASPAN als internationales Vorbild?
ASPAN bildet einen Modellfall auf internationalem Niveau – die EU
schreitet mit der neuen Konstitution, die neoliberalen Kapitalismus und
Militarisierung in Verfassungsrang erheben soll, in eine ähnliche
Richtung. Aufgrund der permanenten Krise des kapitalistischen Systems,
das sich im Moment in einer besonders kritischen Phase befindet, rührt
sich an vielen Orten der Welt Unmut bis hin zu Widerstand. Da das
Scheitern des neoliberalen Modells für einige Teile der Bevölkerung
immer offensichtlicher wird, rüsten sich die Profiteure dieses
menschenverachtenden Systems gegen mögliche emanzipatorische
Gegenbewegungen.
Widerstand im Aufbau
Gegen das jüngste ASPAN-Gipfeltreffens der Staatschefs von Mexiko
(Felipe Calderón), Kanada (Stephen Harper) und den USA (George W. Bush)
in New Orleans, USA, am 21. und 22. April wurde auch eine
Gegenveranstaltung organisiert. Im Interview betonte Tom Loudon von der
US-amerikanischen „Allianz für verantwortungsvollen Handel“ (ART), die
gemeinsam mit anderen Organisationen parallel den „Gipfel der Völker“
ausrief: „Die Realisierung der ASPAN ist ein zentrales Ziel der
Bush-Administration. Wenn dieser Prozess weitergeht, werden alle
Entscheidungen über unsere Zukunft den transnationalen Unternehmen
überlassen, damit diese eine Garantie für ihre Gewinne haben und sie
ausweiten können.”
Als besonderen Affront betrachteten die OrganisatorInnen des
Gegengipfels die Tatsache, das Regierungstreffen in New Orleans
durchzuführen – einer Region, die noch immer unter den Folgen des
Hurrikans „Katrina“ von 2005 leidet. Loudon unterstrich: „Noch immer
vegetieren 12.000 Menschen in Zelten vor sich hin.“
Der Wiederaufbau der Stadt geschehe genau unter den neoliberalen
Prämissen von Programmen wie ASPAN, wie die Anti-Rassismus-Aktivistin
Kimberley Richards hervorhob: „Die arme Bevölkerung, vor allem die
Schwarzen, wird immer weiter verbannt, ausgegrenzt und diskriminiert.
Diese Menschen spüren schon jetzt, was ASPAN für breite Kreise der
Bevölkerung auf lange Sicht bedeuten wird.“
Die alternative Gegenveranstaltung, die von etwa 200 TeilnehmerInnen
aus den drei ASPAN-Staaten besucht wurde, wies in ihrer
Abschlusserklärung ASPAN zurück und forderte die Neuverhandlung bzw.
Abschaffung von NAFTA.
Während sich in Kanada und Mexiko bereits Widerstandsnetzwerke
etablieren, befindet sich dieser Prozess in den USA noch im Aufbau. Ein
Teilnehmer brachte es auf den Punkt: „Wenn eine andere Welt möglich
sein soll, dann sind andere USA nötig!“ Von einer wirkungsvollen
Vernetzung der sozialen Bewegungen und der außerparlamentarischen
Linken aller drei Länder wird es abhängen, ob ein weiteres
Fortschreiten von ASPAN verhindert oder zumindest gebremst werden kann.
Luz Kerkeling, Gruppe B.A.S.T.A., z.Zt. Chiapas, Mexiko
1 Span.: Alianza para la Seguridad y la Prosperidad de América
del Norte (ASPAN), engl.: Security and Prosperity Partnership Of North
America (SPP)
Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 330, 37. Jahrgang, Sommer 2008, www.graswurzel.net