Mein Artikel über "Die Liebe zum Tod" in Ossietzky vom 18. 11. 06 führte zu Anfragen. Zwei Tage später, am 20. 11., klotzte der Spiegel mit der Titel-Schlagzeile "Die Deutschen müssen das Töten
lernen". Müssen sie wirklich? Und wer soll und muß? Das Wahlvolk will offenbar mehrheitlich nicht.
Ich benannte einige ritterliche Herren, die den Leuten seit Jahr und Tag das Sterben für Volk, Vaterland und Mehrwert predigen. Nachzutragen wäre Barbara Zehnpfennig, eine resolute Dame, die in der FAZ schon am 8. 12. 1991 unumwunden fragte: "Was macht denn eigentlich das Leben lebenswert, warum soll man es unter allen Umständen erhalten?"
Soll man beziehungsweise frau doch gar nicht. So grübelte der einstige FAZ-Mitherausgeber Johann Georg Reißmüller: "Woher kommt die Friedens-Verstiegenheit?" Auskunft von Zehnpfennig, Lehrbeauftragte für Philosophie an der Freien Universität Berlin: "Ein Friede um jeden Preis ist ein schlechter Friede; er kostet mehr als das Leben." Da wissen wir also Bescheid wie Kardinal Meisner, der sich als Kirchenfürst in der DDR tapfer pazifistisch gab, bevor er in Köln die kriegerischen Pflichten seiner Gläubigen entdeckte, weil eben Wichtigeres als das Leben auf dem Spiel stehtÂ…
In den ersten Nachkriegsjahren hieß es im "Wörterbuch des Unmenschen" von Sternberger/Storz/Süskind, damals ein veritabler Bestseller, über die Vokabel "Einsatz", die in Deutschland ab 1933 seuchenhaft grassierte: "Was wir für geschmacklos-alberne Soldatenspielerei hielten, war in Wirklichkeit bereits der totale Krieg lange vor seiner ausdrücklichen Erklärung."
Wer will, darf sich erinnern: Einsatz von Leningrad bis Moskau und Stalin-grad - Kaukasus, Afrika, Kreta, Belgrad, Athen nicht zu vergessen. So weit sind wir heute noch nicht, obwohl ich schon am 21. 12. 1968 im Bayernkurier las, Kriegsdienstverweigerung verhindere die "Einsatzbereitschaft" der Bundeswehr. Am 22. 1. 06 finde ich nun in einem einzigen Artikel der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung ein dutzendmal "Einsatz", und in der FAZ vom 11. 11. 06 wimmelt es nur so von diesem Wort.
Im Bonner Bouvier Verlag erschien zu Zeiten, als der letzte Weltkrieg noch aufgearbeitet werden durfte, die Dissertation "Der Einsatz einer Wissenschaft" von Wendula Dahle, die am Beispiel des Germanisten Leo Weisgerber nachwies: Vor 1933 benutzte er die Vokabel nie, ab 1938 jedoch gehäuft. Ein anderer Wissenschaftler forderte den "vollen Einsatz der Frau", obwohl er die tüchtige Akademikerin Zehnpfennig noch gar nicht kennen konnte.
Wir aber wenden uns ungeniert unserer Bundeskanzlerin zu, die sich in Kriegsfragen bisher dezent zurückhält. Vielleicht wegen der bevorstehenden Weihnacht? Bei einer ihrer Reden gab ich allerdings nach sieben "Einsätzen" das Zählen auf, denn sie sprach jetzt glasklar und doppeltgemoppelt von "Kampfeinsätzen". Nun harre ich dessen, der den Kampfeinsatz zum Kriegseinsatz steigert. Im Berliner Bundes-Panoptikum ist die Eskalation der Maulheldenparolen nicht mehr zu überbieten. Die Damen und Herren Intellektuellen brennen darauf, wie ihre Vorfahren zum Einsatz zu kommen und andere töten und sterben zu lassen. Und wenn es schief geht, gelangen im heldischen Jammertal am Volkstrauertag die christlichen Bauchredner zum Einsatz.
Da fällt mir eine Günter-Kunert-Kürzestgeschichte ein: Aus Bombentrümmern wird ein Mann geborgen, der geschockt schreit: Nie wieder Krieg! Dann klopft er sich den Staub aus den Klamotten und fügt an: Jedenfalls nicht sofort Â…