Licht am Ende des Tunnels?


Subjektive Eindrücke von der 24. Konferenz der War ResistersÂ’ International (WRI)

Die antimilitaristische Internationale War ResistersÂ’ International, 1921 gegründet, hat heute rund 80 Mitgliedsgruppen in 43 Ländern.

Es gibt keine nationalen Sektionen; wer der WRI-Erklärung zustimmt, kann beitreten, einzeln oder als Gruppe. Der Tätigkeitsbereich der meisten Mitgliedsorganisationen bezieht sich auf das Gebiet eines Staates, es ist aber nicht so, dass pro Staat nur eine Sektion zugelassen ist. In Deutschland koexistieren mehrere Mitglieder: DFG-VK, DFG-IdK, IDK Berlin, Institut für Frieden und Gewaltfreie Konfliktbearbeitung, die Zeitschrift Graswurzelrevolution, das Berliner Antikriegsmuseum und das Archiv Aktiv. Sie waren in diesem Jahr gemeinsam Gastgeber.
Die WRI traf sich vom 23. bis 27. Juli 2006 zu ihrer 24. Internationalen Konferenz in Geseke-Eringerfeld bei Paderborn.
Die Konferenz sollte eigentlich alle drei Jahre stattfinden, diesmal gingen vier Jahre ins Land. Dass sie mit 200 TeilnehmerInnen aus allen Kontinenten über die Bühne ging, ist der aufopferungsvollen Arbeit vieler, meist ehrenamtlich arbeitender VorbereiterInnen zu verdanken. Trotzdem beklagt die WRI in den letzten Jahren einen Mitgliederrückgang bei einigen ihrer Sektionen, was wiederum zunehmende finanzielle Probleme nach sich zieht.
Seit ihrem Bestehen war die Internationale nicht nur eine rein pazifistische Organisation zur Propagierung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung, sondern auch ein Ort, an dem sich gewaltfreie RevolutionärInnen und AnarchistInnen transnational treffen, austauschen und Strategien zur Kriegsverhinderung diskutieren konnten. Die Diskussion um gewaltfreie Revolution auf der WRI-Konferenz von Sheffield 1972 besonders in Auseinandersetzung mit der kommunistischen Revolutionsvorstellung trug viel zur Klärung graswurzelrevolutionärer Ziele in der Gründungsphase unserer Bewegung bei. (1)
Das Verhältnis zwischen gewaltfrei-anarchistischen und traditionell pazifistischen AktivistInnen und Mitgliedsorganisationen hat sich über die Jahre gewandelt. Nach meiner subjektiven Einschätzung standen auf dieser Konferenz rund ein Viertel gewaltfreie/ antimilitaristische AnarchistInnen drei Vierteln AktivistInnen aus rein pazifistischen Strömungen gegenüber, obwohl es viele Übergänge gab und - mit Ausnahmen - nicht konfrontativ diskutiert wurde.
Die unterschiedlichen Strömungsansätze kamen jedoch bei einzelnen Plenumsdiskussionen auf den Tisch, als zum Beispiel Pelao Cavallo, ein Vertreter der chilenischen Organisation Ni Casco Ni Uniforme, die GenossInnen der kolumbianischen Mitgliedsorganisation für ihre Position kritisierte, sich beim World Social Forum in Caracas beteiligt zu haben. Die GraswurzelaktivistInnen Lateinamerikas, so Cavallo, hätten sich mehrheitlich am Alternativen Sozialforum beteiligt und den Militarismus der Chávez-Regierung kritisiert, während das WSF von naiven europäischen RevolutionstouristInnen dominiert worden sei, die sich von Chávez zur Jubelkulisse hätten missbrauchen lassen. Dem Militär werde in der venezolanischen Gesellschaft eine zentrale Machtposition eingeräumt: Es gibt kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung, dafür paramilitärische Ausbildung in den Schulen. Ein free space, eine freie Kritik dieses Militarismus, sei derzeit in Venezuela nicht möglich und werde mit allen Mitteln verhindert. So sei die Kritik des Alternativen Sozialforums am Militarismus ChávezÂ’ sowohl vom WSF wie auch von der Regierung sehr schnell als "faschistisch" gebrandmarkt worden.

WRI und Antiglobalisierungs-Bewegung
Wie an dieser Diskussion deutlich wird, war die Frage, ob und wie sich die WRI an der "Antiglobalisierungs-Bewegung" (oder "Bewegung für eine andere Globalisierung") beteiligt, Schwerpunktthema der Konferenz. Bekannte Namen wie Jürgen Grässlin (DFG-VK), die Feministin Maria Mies, der Stratege Stellan Vinthagen, Simon Harak von der War ResistersÂ’ League oder Tobias Pflüger referierten zum Thema. Viele Beiträge hoben die aktuelle Dominanz der multinationalen Konzerne hervor und wiesen auf eine Tendenz zur Privatisierung repressiver und militärischer Aufgaben hin. Kurz: Die Konzerne drängten zum Krieg, um daraus Profite zu schlagen.
Ob deshalb die Frage so zugespitzt gestellt werden muss, wie von Maria Mies, die propagierte: "Wir kämpfen nicht gegen den Staat, sondern gegen die Wirtschaft!", das wage ich zu bezweifeln. In einigen Referaten machte sich ein allzu vereinfachender Antiimperialismus breit (in Kriegen wie in Ex-Jugoslawien, Afghanistan, Rwanda, Irak oder Äthiopien spielen auch lokale Militarismen eine Rolle). Auch die Behauptung, innerhalb der europäischen Gesellschaften sei der Unterschied zwischen ziviler und Kriegsgesellschaft bedeutungslos geworden (M. Mies), wäre m.E. stark zu hinterfragen.
Gleichwohl ist es eine Herausforderung für AntimilitaristInnen und gewaltfreie AnarchistInnen, die Funktion des Staates bei den gegenwärtigen Prozessen der kapitalistischen Globalisierung genauer zu untersuchen. Solange das nicht geschieht, befinden wir uns gegenüber solchen antiimperialistischen Konzepten in der Defensive.
In einem Diskussionsplenum brachte der indische Anarchist und Mitorganisator des WSF in Bombay/Indien, Jai Sen, kritische Einschätzungen zum Innenleben des WSF. Er meinte, die TeilnehmerInnen des WSF repräsentierten eine "Zivilgesellschaft", die mehr und mehr von der Mittelklasse dominiert und von staatspolitisch orientierten Machtapparaten aufgesogen werde. Das WSF werde von informellen DogmatikerInnen kontrolliert, der Raum für freie Diskussion verkleinere sich oder verlagere sich auf die überall auftretenden alternativen Sozialforen. Dem stimmte eine Diskutantin zu, die von den jüngsten Diskussionen in Athen berichtete, das dort ausgerichtete offizielle European Social Forum (ESF) sei in keiner Weise antimilitaristisch gewesen.
Trotzkistische und antiimperialistische Gruppen hätten die Diskussionen dominiert, und anlässlich der Rangordnung bei den Demonstrationszügen sei es fast zu handgreiflichen Kämpfen untereinander gekommen.
Es stellt sich somit die Frage, ob es Sinn ergibt, den angebotenen Raum des WSF/ESF und anderer Sozialforen zu nutzen. Das ist von der WRI bisher nicht endgültig entschieden. Für das WSF in Kenia im Januar 2007 gibt es einige Anstrengungen, um stärker präsent zu sein, auch mit mehr Seminaren. Dabei geht es strategisch darum, die Sichtbarkeit von Antimilitarismus und Gewaltfreiheit zu vergrößern und somit eine Alternative zu trotzkistischen und staatsorientierten Lösungsansätzen aufzuzeigen.

WRI und Israel/Palästina/Libanon
Ein Höhepunkt der WRI-Konferenz war der Auftritt der gewaltfreien palästinensischen frauenbewegten Muslimin und Aktivistin Shireen Al-Ajab. Shireen benannte drei Quellen ihres Bekenntnisses zum gewaltfreien Widerstand: als Muslimin verbiete ihr Glaube das Töten; rein praktisch könne sie weder dasitzen und nichts tun noch schießen; und sie benötige eine moralische Grenze für ihren Widerstand, die verhindere, dass sie so werde wie ihre GegnerInnen. Shireen erinnerte daran, dass es eine unbekannte und vergessene Geschichte des gewaltfreien palästinensischen Widerstands gebe. Vor allem bezog sie sich auf den sechsmonatigen, gewaltfrei verlaufenen Generalstreik gegen die britischen Kolonialherren unter Ez Eddeen Alquassam im Jahr 1936. Nach dem bewaffneten Kampf der PLO habe es mit der ersten Intifada 1987-1991 eine Rückkehr zum gewaltfreien Widerstand, zu Streikstrategien und Selbstorganisation gegeben. Der damals erfolgreich erkämpfte Madrider Prozess sei jedoch schnell durch den katastrophalen Osloer Prozess ersetzt worden, in dem die palästinensische Politik der Selbstzerstückelung des eigenen Territoriums zugestimmt habe, ein großer Fehler, so Shireen im Nachhinein.
Sergeiy Sandler von der israelischen feministisch-antimilitaristischen Organisation New Profile ergänzte in der Diskussion, es werde bei der Entstehungsgeschichte der Selbstmordattentate immer vergessen, dass die palästinensischen Selbstmordattentate erst nach der 1993 begonnenen Erstellung von Straßenbarrieren und Checkpoints sowie nach dem Attentat des Siedlers Baruch Goldstein in einer Moschee 1994, bei der 29 PalästinenserInnen getötet wurden, begannen. Auch Shireen erinnerte daran, dass das Phänomen palästinensischer Selbstmordattentate vorher nicht existiert habe. Die Selbstmordattentate sind für sie individuelle Akte, von denen außer den Ausführenden sonst niemand wisse und die nicht prägend für den palästinensischen Widerstand seien. Prägend sei vielmehr der gewaltfreie Widerstand, der von fast allen palästinensischen Frauen ausgeübt werde, aber darüber werde in den Medien nicht berichtet. Auch die ersten Monate der zweiten Intifada seien nach Shireen noch gewaltfrei geblieben, doch dann habe Israel ständig die Repressionsstrategien und Bombardements verstärkt. Die gerade neu gebaute Infrastruktur wie neue Straßen seien direkt nach Fertigstellung immer wieder zerstört worden, die entwürdigende Prozedur mit stundenlangen, zermürbenden Warteschlangen an den Checkpoints koste täglich rund elf Menschen das Leben.
Shireen sagte, in den gemischten israelisch-palästinensischen Begegnungsgruppen habe sie gelernt, dass sich Israelis zuallererst als Opfer sähen, nicht als Täter oder als Gewaltausübende. Israelis nähmen ihre Gegenüber so wahr, dass, was immer diese auch sagten oder tun würden, sie es darauf abgesehen hätten, Israelis zu töten, also seien Israelis immer zuallererst Opfer. Dieses Bewusstsein müsse aufgebrochen werden.
Anlässlich des Libanon-Krieges rief Shireen die europäischen Länder dazu auf, Israel zu boykottieren, und erhoffte sich davon ähnliche Erfolge wie im Falle Südafrikas. Während der Diskussion wurde sie von deutschen AntimilitaristInnen darauf hingewiesen, dass ein Boykott in Deutschland nicht in Frage käme, aufgrund der Geschichte der Shoah und der historischen Bedeutung des Boykotts jüdischer Geschäfte als erstem Schritt dazu. Der Kampf gegen deutsche Waffenexporte an Israel sei jedoch eine Aktionsalternative.
Der Krieg in Palästina und im Libanon, so Shireen weiter, werde dazu führen, dass die Perspektive einer Zwei-Staaten-Lösung von den PalästinenserInnen wohl alsbald aufgegeben werde. Dann bleibe nur noch die Perspektive einer Ein-Staaten-Lösung mit einer palästinensischen Mehrheit. Das aber wird wohl Israel nicht zulassen.
Noch kein Licht am Ende des Tunnels also!

Sal Macis

Anmerkung: (1): Vgl. George Lakey/Michael Randle: Gewaltfreie Revolution, Oppo-Verlag, Berlin 1988, sowie: Wolfram Beyer (Hg.): Widerstand gegen den Krieg. Beiträge zur Geschichte der War ResistersÂ’ International, Weber-Zucht & Co., Kassel 1989.
WRI im Internet: www.wri.org

Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 312, Monatszeitung für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft, 35. Jahrgang, Oktober 2006, www.graswurzel.net