"Hauptsache Arbeit"

in (01.02.2004)

sozialer Rückschritt als Programm

Vor dem Hintergrund der Krise des Arbeitsmarktes und über 4 Millionen Arbeitslosen lautet eine zentrale Frage der aktuellen politischen Debatten, wie die Massenarbeitslosigkeit abgebaut werden kann. Rot-Grün steht dabei unter Druck: Die Höhe der Arbeitslosigkeit ist ein wichtiger Gradmesser für die Popularität und den Erfolg einer Regierung. Und nachdem Kanzler Schröder sein 98er Wahlversprechen, die Arbeitslosigkeit deutlich zu senken, nicht einlösen konnte, muss der zweite Anlauf, basierend auf den Vorschlägen der Hartz-Kommission, gelingen.

Ein Kernpunkt des Hartz-Konzepts ist dabei eine Strategie, die sich als "Hauptsache Arbeit, egal welche" bezeichnen lässt. "Hauptsache Arbeit" zielt vor allem auf eine quantitative Senkung der Arbeitslosenzahlen. Es geht darum, möglichst viele neue Arbeitsplätze zu schaffen bzw. zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten zu erschließen. So hat die Hartz-Kommission eine Reihe von Beschäftigungsmöglichkeiten erdacht (MiniJobs, Leiharbeit), die alle im Bereich der prekären Beschäftigung anzusiedeln sind. Die qualitative Beschaffenheit dieser Erwerbsmöglichkeiten (Entgelthöhe, soziale Absicherung etc.), ebenso wie ihr Sinn und Zweck, spielen nahezu keine Rolle: Jede Arbeit sei besser als keine, worin auch immer sie bestehe, zu welchem Zweck und unter welchen Bedingungen sie auch immer verrichtet wird.

Eine Debatte über die Frage, was eigentlich gesellschaftlich sinnvolle Arbeit ist und wie diese gesellschaftlich verteilt werden kann und muss, findet in keiner Weise statt. Stattdessen werden die Zumutbarkeitskriterien so verändert, dass Erwerbslose dem Zwang zur Annahme jedweder Jobs nur schwer entkommen können.
Die reine Fixierung auf die quantitative Beseitigung der Arbeitslosigkeit verstellt insbesondere den Blick auf die vielfältigen Unsicherheiten, wie befristete Arbeitsverhältnisse, abhängige Vertragsarbeit oder mangelnde soziale Absicherung, die heute bereits eine Vielzahl von Beschäftigungsverhältnissen charakterisieren: Aktuell sind wir mit einer wachsenden Zahl sogenannter "working poor" - arbeitender Armer - konfrontiert, bei denen trotz harter langer Arbeitstage, teilweise paralleler Jobs und viel Entbehrung das Geld nicht für das Lebensnotwendige reicht.

Die Strategie "Hauptsache Arbeit" übersieht aber nicht einfach diese Verschlechterungen der Lebens- und Arbeitsbedingungen. Sie nimmt sie vielmehr bewusst in Kauf: Um Arbeitsplätze sichern und schaffen zu können, so das derzeit gängige Argument, ist der Abbau qualitativer, sozialer Standards notwendig, da diese die Arbeitgeber an der Schaffung neuer Arbeitsplätze hindern. Die unterstellte positive Beschäftigungswirkung niedriger Standards und Lohnkosten ist jedoch höchst zweifelhaft. Die diversen, in den vergangenen Jahren bereits umgesetzten Maßnahmen zur Senkung der Sozialstandards (Lockerung des Kündigungsschutzes, verschiedenen Kürzungen im Bereich der Lohn(neben)kosten) haben zu keinem Abbau der Arbeitslosigkeit geführt. Statt hier immer nur zu behaupten, dies läge bloß daran, dass die Maßnahmen einfach noch nicht "konsequent" genug seien und es noch mehr Einschnitte bedürfe, könnte man ja vielleicht auch einfach auf die Idee kommen, dass die Strategie als solche nichts taugt!
"Hauptsache Arbeit" ist vor allem ein Vehikel der Entwertung, des Abbaus und der Absenkung qualitativer Standards von Arbeit. In erster Linie führt diese Strategie zu einer Verschärfung sozialer Ungleichheiten und bleibt ihre positive Auswirkung auf Beschäftigung schuldig.

- Dieser Text erschien in der Ausgabe 1/2004 der "Zündstoff" (Regionalausgabe der Tendenz für Rheinland-Pfalz& Hessen)