Sympathiewerbung für Selbstmordattentäter?

Hany Abu Assads preisgekrönter Film ''Paradise Now''

Der auf der diesjährigen Berlinale dreifach preisgekrönte Film "Paradise Now" des palästinensischen Regisseurs Hany Abu Assad erzählt die Geschichte zweier palästinensischer Männer ...

..., die sich für ein Selbstmordattentat in Israel zur Verfügung stellen. Nach der Weltpremiere in Ramallah am 18. September lief der Film auch in deutschen Kinos an. Nicht nur in Israel wurde dem Regisseur der Vorwurf gemacht, er wolle Sympathie für Selbstmordattentäter wecken. In manchen Kritiken wird dem Film gar eine antisemitische Grundausrichtung unterstellt.

Die niederländisch-israelisch-deutsch-französische Koproduktion bedeutet für den bislang nur einem interessierten Fachpublikum bekannten Filmemacher aus Nazareth den internationalen Durchbruch. Nachdem sein Film in über 50 Länder verkauft und für den angelsächsischen Markt gar von Warner Independent Movies ins Sortiment genommen wurde, läuft er nun auch als palästinensischer Beitrag für die Oscar-Nominierung.

Die noch vor Ausbruch der zweiten Intifada im Jahr 2000 begonnenen und vor dem israelischen Abzug aus Gaza im Sommer 2005 abgeschlossenen Dreharbeiten fanden überwiegend an Originalschauplätzen statt, was dem Film stellenweise einen dokumentarischen Charakter verleiht. Doch will "Paradise Now" nicht die Geschichte eines bestimmten Attentats erzählen, der Film versteht sich als eine Parabel auf das Phänomen der Selbstmordattentate insgesamt. Die Handlung konzentriert sich in der Gegend von Nablus im Westjordanland: "Die Freunde Said und Khaled jobben in einer Autowerkstatt. Ihr Leben in dem besetzten Gebiet empfinden sie als aussichtslos und demütigend. Einziger Lichtblick ist Suha, die Tochter eines gefeierten ,Märtyrers'. Als die beiden Freunde den Auftrag bekommen, in Tel Aviv ein Selbstmordattentat gegen israelische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger durchzuführen, nehmen sie die tödliche Mission ohne Zögern an. Nach einem vorläufigen Abbruch der Aktion müssen sie sich indes erneut mit ihrer Ideologie auseinander setzen. Suha, die für einen ,moralischen Sieg` im Nahost-Konflikt eintritt, schürt ihre Zweifel. Doch Said lässt sich nicht mehr abbringen. (...) Mit bitterem Ernst und stellenweise beißender Satire hinterfragt Hany Abu Assads Film die Beweggründe des Terrors im Nahen Osten." So weit die Zusammenfassung des Plots in der Begleitbroschüre der Bundeszentrale für politische Bildung, die "Paradise Now" trotz Protesten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in ihr Programm aufgenommen hat.

Der Film besticht durch eine ruhige Kameraführung, einprägsame Bilder und eine gut aufgebaute Handlung, die fast ohne Filmmusik auskommt. Der Regisseur betritt gleichwohl ein schwieriges Terrain, indem "Paradise Now" einerseits die Lebensumstände und Beweggründe der beiden Hauptfiguren aus einer distanzierten Beobachterrolle darstellt und gleichzeitig eine moralische Wertung der Selbstmordattentate bewusst vermeidet. Die Art und Weise, wie der Rekrutierungsweg der beiden Männer und ihre Verwandlung in lebende Bomben dargestellt wird, ist filmisch hervorragend gelöst. Die Szene, in der die Abschiedsbotschaften der beiden zukünftigen "Märtyrer" von gelangweilten und Sandwiches mampfenden Funktionären des Terrornetzwerkes auf Video aufgenommen werden, ist in ihrem trockenen Sarkasmus atemberaubend und wurde von palästinensischen Kreisen gelegentlich als Anbiederung an den Westen kritisiert.

Gleichwohl stellt der Regisseur die Motive des letztendlich "erfolgreichen" Attentäters Said - persönliche Rache, Wiederherstellung der Familienehre - ausführlich und unkommentiert dar, was dem Film den Vorwurf einbrachte, Sympathien für Selbstmordattentäter wecken zu wollen. Dabei entspricht das Profil der beiden Hauptfiguren durchaus demjenigen vieler palästinensischer Selbstmordattentäter, die sich in den Jahren der zweiten Intifada immer stärker aus gebildeten und bürgerlichen Schichten rekrutieren. Die Motivation für ihre Taten liegt zumeist in einer Mischung aus Nationalismus und persönlichen Motiven; nur selten spielt ausgeprägte Religiosität die Hauptrolle.

Einem guten Teil der kritischen bis ablehnenden Stimmen zu "Paradise Now" ist anzumerken, dass sie sich mit der Darstellung einer bewusst palästinensischen Perspektive insgesamt schwer tun. Doch ein Spielfilm ist keine historische Dokumentation und den europäischen Antisemitismus bekämpft man nicht, indem man die Realität des israelisch-palästinensischen Konflikts nur in homöopathischen Dosen dem Publikum zumutet. Manche der schrilleren Kritiken unterstellen dem gesamten Filmprojekt eine antisemitische Grundausrichtung und delegitimieren damit jedwede dezidiert palästinensische Perspektive. Über eine solche Verwahrlosung der Kritik des Antisemitismus ist in dieser Zeitung bereits ausführlich geschrieben worden.

Wer an einem Dokumentarfilm über das Phänomen der Selbstmordattentate interessiert ist, der garantiert "ausgewogen" und "moralisch korrekt" daherkommt, sei an Esther Shapiras und Georg Haffners "Der Tag an dem ich ins Paradies wollte" (ARD 2005) verwiesen, der die Geschichte eines gescheiterten und heute in israelischer Haft befindlichen palästinensischen Selbstmordattentäters erzählt. In dieser Geschichte, die als Kontrapunkt zu "Paradise Now" konzipiert wurde, kommen die Eltern des gescheiterten Attentäters mit einer eindeutigen moralischen Verurteilung ihres Sohnes zu Wort, und damit auch klar ist, wer hier das Monopol auf die Opferrolle hat, werden gleich noch die Lebensgeschichten einiger bei Selbstmordattentaten getöteter Israelis erzählt.

Demgegenüber bleibt mit Genugtuung festzustellen, dass sich so langsam eine eigenständige und international wettbewerbsfähige palästinensische Filmszene herausbildet. Nach dem Erfolg von Elia Suleymans "Divine Intervention", der im Jahr 2002 in Cannes als bester nichteuropäischer Film ausgezeichnet wurde, ist Hany Abu Assad nun der zweite internationale Erfolg eines palästinensischen Spielfilms gelungen. Dies könnte eine Sogwirkung auf das palästinensische Kino insgesamt haben. Es ist kein Zufall, dass dessen wichtigste Vertreter gegenwärtig Palästinenser sind, welche die israelische Staatsbürgerschaft besitzen und z.T. in Israel studiert haben. Filmemacher aus den besetzten Gebieten selbst verfügen bisher kaum über die nötige Ausbildung, Arbeitsmöglichkeiten und Kontakte, um derartige Produktionen zu meistern. Der Film läuft auch in israelischen Kinos.

Achim Rohde

ak - analyse & kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 500 / 18.11.2005