Forces of Labor

Beverly J. Silver, Forces of Labor. Arbeiterbewegungen und Globalisierung seit 1870, Berlin: Assoziation A, 2005, 284 S., 18 Euro.

Seit mehr als zwanzig Jahren forscht Beverly J. Silver unter anderem in der World Labor Research Group am Fernand Braudel Center der Binghamton Universität im Bundestaat New York. Ihr Schwerpunkt ist die historische Entwicklung der Arbeiterunruhen seit den 1870er Jahren. Ihr Fokus ist dabei global, die Einflüsse kommen aus der operaistischen Bewegung wie aus der Weltsystemschule. Bei der Darstellung ihrer Arbeiten, einer Übersicht der Schwankungen und Verlagerungen der Arbeiterunruhen, stützt sie sich auf die umfangreiche Datenbank, die am Fernand Braudel Center auf Grundlage von Zeitungsartikeln erstellt wurde.
Einige ihrer Ergebnisse überraschen nicht. Zum Beispiel der Rückgang der Auseinandersetzung zwischen Arbeit und Kapital während der Weltkriege zugunsten einer national ausgerichteten Arbeiterklasse. Der Wert des Buchs liegt vor allem in der Darlegung der verschiedenen Einflüsse auf die unterschiedliche Stärke der Arbeiterbewegung in verschiedenen Phasen der kapitalistischen Entwicklung. Ausgangspunkt sind für sie Theoreme von Karl Marx und Karl Polanyi.
Polanyi betont die Besonderheit der Ware Arbeitskraft auf dem Markt. Das Arbeitsvermögen ist keine für den Markt produzierte Ware, die Reduzierung dieses Vermögens auf die Ware Arbeitskraft ruft immer wieder Gegenbewegungen auf den Plan, die den Warencharakter der Arbeitskraft einzuschränken suchen.
Karl Marx sieht den Knackpunkt in der Produktion, wo die Ware Arbeitskraft nicht wie jede andere Ware benutzt werden kann. Die Menschen, an die sie gebunden ist setzten sich immer wieder zur Wehr.
Diesen beiden Bewegungsmotoren der Arbeiterbewegung gibt Beverly J. Silver in ihrem Buch eine empirisch abgesicherte Gestalt. Für alle, die das Ende der Arbeiterbewegung prophezeit haben, ist dies natürlich ein Schlag ins Gesicht. Die unterschiedlichen Möglichkeiten der Produzierenden, in den Produktionsprozess einzugreifen, beschreibt sie am Übergang von der Textilindustrie als wichtigste Industrie im 19.Jahrhundert zur der das 20.Jahrhunderts beherrschenden Automobilindustrie.
Offen bleibt auch für sie, welche Industrie die Automobilindustrie ablösen wird und wie sich die Möglichkeiten von Widerstand gegen die Ausbeutungslogik in Zukunft entwickeln wird. Aber sie lässt deutlich werden, es gibt die Möglichkeiten einer internationalen Solidarität, und das Kapital ist, gleichgültig wohin es geht, nicht sicher vor Erhebungen gegen seine Ausbeutung.
Sie benennt allerdings Sektoren, die das Potenzial für eine dominante Rolle hätten: Die Halbleiterindustrie und verschieden Bereiche des Dienstleistungssektors, die Telekommunikation und den Reinigungsbereich, den Bildungsbereich sowie die personalen Dienstleistungen.
Wichtig ist das Buch vor allem auch, weil der Blickwinkel auf die zeitlich begrenzten Lösungsmöglichen der Verwertungsschwierigkeiten des Kapitals der des Widerstands ist. Sie verherrlicht dabei diese Bewegung keineswegs, sondern legt die Bedingungen auf, unter denen sie sich entwickeln, zurückweichen und wie der Widerstand sich neu zusammensetzt.
Beverly J. Silver weist zu Beginn des Buchs auf verschiedene Überdeterminierungen der Klassenfrage hin: "So bezieht sich eine zentrale feministische Kritik an den vorherrschenden Arbeiterstudien auf deren Unfähigkeit, die Verbreitung und Bedeutung von Ausgrenzungsstrategien zu erkennen. Traditionellerweise haben die Arbeiterstudien eine Geschichte der Klassenbildung erzählt, in der es vor allem um Handwerker und gelernte Arbeiter in Westeuropa und den USA geht, die sich angesichts ihrer Proletarisierung und Dequalifizierung politisch organisierten und der Bedrohung ihres Lebensunterhalts und ihrer traditionellen Arbeitsweise widersetzten. Wie feministische Wissenschaftlerinnen herausgearbeitet haben, wird dadurch, dass bestimmte Akteure implizit als prototypische oder universelle Subjekte der Klassenbildung definiert werden, der Eindruck erweckt, Rasse (weiß) und Geschlecht (männlich) dieser historisch spezifischen Akteure seien unbedeutend. Das führt dazu, dass die Art und Weise, in der ›sowohl Geschlecht als auch Rasse Â… konstitutiv für Klassenidentitäten waren‹, ausgeblendet wird."
Im Verlauf des Buchs spielt diese Einschätzung allerdings nur in Bezug auf die Mobilisierung der jeweiligen nationalen Arbeiterklasse auf das nationale Projekt noch eine wesentliche Rolle.
Übersetzt wurde der Band von der Gruppe Wildcat, die auch noch in Anhängen die Datenbank der World Labor Group und die Systematik der Datenerfassung vorstellt. Dies ist sicher nicht nur aufgrund der Besonderheit dieser Datenbank eine wichtige Ergänzung. Doch bleibt die Frage, wie diese weitgehend quantitative Erfassung aus bürgerlichen Zeitungen ausreicht, um viele der dargestellten Entwicklungen ausreichend zu begründen.
Dies macht sich besonders bemerkbar bei der Beschreibung der Parallelen zwischen der Arbeiterbewegung am Ende des 19. und am Anfang des 21.Jahrhunderts. Der Zusammenbruch des RGW, egal wie man selbst zum Charakter dieser Staaten steht, hatte einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss auf die Arbeiterbewegung weltweit gehabt, wenn auch in unterschiedlichem Maße. Dass diese Einflüsse sich schwerlich aus der New York Times herausextrahieren lassen, ist unschwer nachzuvollziehen.
Trotz solcher Einschränkungen ist Forces of Labor ein überfälliger und daher umso notwendiger Beitrag zur Geschichte der Arbeiterbewegung und gehört ins obligatorische Handgepäck der Weiterentwicklung von Perspektiven emanzipatorischer sozialer Bewegungen.
Dies ganz im Sinne von Beverly J. Silvers: "Die ultimative Herausforderung, vor der die Arbeiterinnen und Arbeiter der Welt zu Beginn des 21.Jahrhunderts stehen, ist also der Kampf nicht nur gegen die eigene Ausbeutung und den eigenen Ausschluss, sondern für eine internationale Ordnung, die den Profit tatsächlich der Existenzsicherung aller unterordnet."