Besprechung zweier Filme: Einer über die "Weiße Rose" und einer über die "Edelweißpiraten".
Im vorigen Jahr sind zwei Filme über den Jugendwiderstand gegen den NS-Faschismus entstanden. Einer handelt von Sophie Scholl, der bekanntesten Aktivistin der Gruppe "Weiße Rose" in München, der andere erzählt von den Kölner Edelweißpiraten. Beide erlebten ihre deutsche Uraufführung auf der diesjährigen Berlinale.
Der Film Sophie Scholl - Die letzten Tage beschreibt die letzten fünf Tage im Leben der bekannten Widerstandskämpferin. Am 18.Februar 1943 wurde sie in der Münchener Universität verhaftet und bereits am 22.Februar zusammen mit ihrem Bruder Hans und Christoph Probst hingerichtet. Am gleichen Tag hatte der oberste Nazi-Terrorrichter Freisler sie in einem Schauprozess vor dem sog. "Volksgerichtshof" zum Tode verurteilt.
Der Film ist über weite Strecken ein Kammerspiel. Einen großen Teil nimmt das Verhör der Sophie Scholl durch einen Gestapo-Beamten ein. Zunächst versucht sie sich herauszureden, um ihr Leben zu retten und weiter gegen die Nazis aktiv sein zu können. Ihrem Gegenüber gelingt es aber als gutem Kriminalisten, ihr ihre "Tat" nachzuweisen. So entwickelt sich das Verhör zu einem Rededuell, in dem der Gestapo-Mann das Nazi- Regime verteidigt und Sophie Scholl ihren Widerstand begründet.
Diese Szenen sind so intensiv gespielt, dass die Zuschauenden völlig gefesselt werden. Es gelingt beiden Darstellenden, ihre jeweilige Figur glaubwürdig zu spielen. Dabei kommt Sophie Scholl ohne kitschiges Pathos aus und aus dem Gestapo- Schergen wird keine Klischeefigur des Nazi-Bösewichts. Vielmehr sieht man eine junge Frau, die in ihrer früheren Jugend einmal an die Nazi-Ideologie geglaubt hat und freiwillig in den BDM eingetreten ist. Mittlerweile hat sie damit aber radikal und glaubwürdig gebrochen. Die moralische Empörung über die Unmenschlichkeit der Nazis hat sie zu einer entschiedenen Antifaschistin gemacht. Julia Jentsch spielt Sophie Scholl leise, aber eindringlich und überzeugend.
Ihr gegenüber sitzt eine Mischung aus Überzeugungstäter und staatstreuem Beamten, der verkündet, dass der Staat kein Unrecht begehen kann, weil er eben der Staat ist. Denn ohne Beachtung der Gesetze, seien sie auch noch so unmenschlich, würde das Chaos ausbrechen. Demgegenüber verteidigt Sophie Scholl die Freiheit des Gewissens, aufgrund dessen sie dem staatlich verordneten Unrecht entgegentreten muss. Wenn die Nazis auch aufgrund ihrer Machtmittel die Oberhand behalten, so bleiben Sophie Scholl und ihre Mitstreiter die moralischen Siegerinnen.
Der Film Edelweißpiraten schlägt etwas lautere Töne an. Er zeigt das in Trümmern liegende Kölner Arbeiterviertel Ehrenfeld, wo die Menschen mühsam zu überleben versuchen und sich gleichzeitig Widerstand entwickelt. Dieser Widerstand erfasst allerdings auch hier nur einen kleinen Teil der Bevölkerung, unangepasste Jugendliche - "Edelweißpiraten" -, die sich über ihre Abneigung gegen den HJ- Dienst und gelegentliche Prügeleien mit den HJ-Streifen teilweise politisieren und zusammen mit entflohenen KZ-Häftlingen, Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen den kleinen Ansatz einer Art Stadtguerilla bilden.
Die Verhöre dieser Arbeiterjugendlichen lassen sich nicht als Kammerspiel darstellen. Während sich bei den aus dem Bildungsbürgertum stammenden Studierenden der Weißen Rose die Gestapo noch die Mühe regulärer Verhöre machte, schlug sie bei den Edelweißpiraten gehörenden Arbeiterjugendlichen direkt erbarmungslos zu. Die Verhöre waren verbunden mit schwerer körperlicher Misshandlung bis hin zur Folter. Der Film zeigt dies sehr drastisch. Das Milieu, das er darzustellen versucht, ist anders nicht zu erfassen. Dabei erreicht auch er eine große Intensität. Sie speist sich nicht aus ausgefeilten Rededuellen, die Dialoge sind eher einfach und dem Bildungsniveau der dargestellten Personen angepasst. Die Intensität wird eher durch die authentische Schilderung des Lebens in einer zertrümmerten Großstadt erreicht.
Dabei entgeht der Film der Gefahr, die Deutschen in Opfer umzudefinieren. Auch in den Trümmern gibt es noch genug Nazis, Denunzianten, Opportunisten und Endsieggläubige. Auch die Edelweißpiraten fallen diesen Leuten zum Opfer. Am 10.November 1944 werden 13 von ihnen ohne Prozess öffentlich vor dem Ehrenfelder Bahnhof gehängt. Am Ende des Films steht die Befreiung Kölns durch die US-Armee.
Die beiden Filme sind sehr unterschiedlich, aber gleichermaßen sehenswert. Sie ergänzen sich. Sophie Scholl zeigt den Widerstand von jungen Erwachsenen aus dem (Bildungs-)Bürgertum. Edelweißpiraten thematisiert das Aufbegehren proletarischer Jugendlicher gegen das Nazi-Regime. Der eine Film ist ein Kammerspiel, der andere spielt zumeist draußen, es passiert viel und stellenweise ist er auch brutal. Die Brutalität des Films spiegelt die Brutalität der Verhältnisse in Nazi-Deutschland wider. Der eine ist ein Film der leisen Töne als moralisches Manifest gegen den Faschismus, der andere ist ein Film, der die Praxis des Widerstands im rauen Alltag zeigt.
Sophie Scholl - Die letzten Tage läuft seit Wochen in unseren Kinos und hat mehrere Preise bekommen. Edelweißpiraten hat in Deutschland noch keinen Verleih und kommt vielleicht im Herbst in die Kinos. Über die Gründe für diese Ungleichbehandlung kann nur spekuliert werden. Vielleicht fällt es ja dem gesellschaftlichen Mainstream immer noch oder gerade jetzt wieder leichter, den bürgerlichen Widerstand eher zu würdigen als den aus der Arbeiterklasse. Vielleicht hatten die Verleihe auch nur Angst, dass zwei Filme zu einem ähnlichen Thema gleichzeitig am Markt keine Chance hätten. Der Erfolg des Films über Sophie Scholl ist jedenfalls erfreulich. Dem Film über die Edelweißpiraten ist ein gleicher Erfolg zu wünschen. Gesehen haben sollte man beide.
Sophie Scholl - Die letzen Tage, BRD 2004, Regie: Marc Rothemund, mit Julia Jentsch, Fabian Hinrichs, Alexander Held, Johanna Gastdorf, André Hennicke u.a.
Edelweißpiraten, BRD 2004, Buch: Kiki von Glasow, Regie: Niko von Glasow, mit Iwan Stebunov, Bela B. Felsenheimer, Jochen Nickel, Anna Thalbach, Jan Decleir, Simon Taal, Jean Jülich u.a.