Zur militärischen Hegemonie der USA

Daß der Krieg der Vereinigten Staaten "gegen den Terror" in einer Wirtschaftskrise beginnt,der schwersten seit 1945, ist kein Zufall. Zum Ursprung der militärischen Vorherrschaft der USA ...

Historischer Ursprung: Weltwirtschaftskrise und Zweiter Weltkrieg

Daß der Krieg der Vereinigten Staaten "gegen den Terror" in einer Wirtschaftskrise beginnt, der schwersten seit 1945, ist kein Zufall. Denn in gewisser Hinsicht hat die militärische Vorherrschaft der USA überhaupt ihren Ursprung in der unbewältigten Krisensituation der 30er Jahre. Zwar ist es Roosevelt damals mit dem New Deal gelungen, die Krise in ihren Auswirkungen zu mildern, keineswegs aber, sie zu überwinden.(1) Erst die Mobilisierung für den Krieg und die Rüstungsproduktion führten die amerikanische Wirtschaft aus der Depression heraus! Folglich wurde hier, ganz im Unterschied zu Europa, der Krieg nicht als eine Zeit wirtschaftlicher Not und Zerstörung erlebt, sondern als Motor des wirtschaftlichen Aufschwungs: Von 1939 bis 1945 verdoppelte sich die Industrieproduktion, das Bruttosozialprodukt stieg um 132 Prozent, die Zahl der Arbeitslosen sank unter 1 Million!

Dies wurde vor allem durch eine Steigerung der Staatstätigkeit erreicht. Der Staat nahm den Unternehmen die finanziellen Risiken der Rüstungsproduktion ab, gestattete Verstöße gegen das Anti-Trust-Gesetz und wurde zum größten Auftraggeber und Investor der Wirtschaft. Damit wurde zugleich der Grund gelegt für den zivilen Keynesianismus, der bis Anfang der 70er Jahre die Szene beherrschte. Wesentlich ist dabei, daß die langanhaltende Prosperität durch hohe Rüstungsausgaben (Koreakrieg, Vietnamkrieg) gesichert wurde und daß dieser "Rüstungskeynesianismus" auch nach der neoliberalen Wende von 1980 beibehalten wurde. Ergebnis dieser Politik war zudem der Militärisch-Industrielle Komplex, dessen Einfluß bis heute (als Defense Technology and Industrial Base) fortbesteht.

Die Frage ist daher, ob die amerikanische Wirtschaft nicht aus sich selbst heraus nach Rüstung verlangt, ohne die womöglich gar nicht funktionieren würde. Bejaht man diese Frage, so hätte schon Roosevelt mit seiner Rüstungspolitik gar nicht primär auf die Bedrohung durch Hitler reagiert, sondern auf die aussichtslose Lage der eigenen Wirtschaft. Der ganze Kalte Krieg samt atomarer Vernichtungsdrohung wäre dann im Grunde ein großes absurdes Theater gewesen, nicht um den Kommunismus zurückzudrängen, sondern um den amerikanischen Kapitalismus in Schwung zu halten. Dies gilt speziell für Reagans Hochrüstung, die dann primär gar nicht den Sinn gehabt hätte, die Sowjetunion in die Knie zu zwingen, sondern um vor allem der eigenen Wirtschaft neue Impulse zu verleihen.

Über den Beginn der militärischen Vorherrschaft der USA besteht weitgehend Einigkeit. Indem ihr sich selbst überlassenes, daher sich selbst lähmendes gewaltiges Wirtschaftspotential durch den Staat geweckt wurde, kam es schon während des Zweiten Weltkriegs zu einer erdrückenden quantitativen Überlegenheit sowohl gegenüber den Achsenmächten als auch gegenüber der Sowjetunion.(2) Das Bündnis mit der Sowjetunion war aber trotzdem notwendig, denn alles Potential an Technik und Ressourcen ist zwecklos ohne Menschen, die wirklich kämpfen. Die Arbeit des Kämpfens hatte in diesem Krieg aber ganz überwiegend die Sowjetunion übernommen. Die USA verloren 260 000 Soldaten, die Sowjetunion 53mal soviel, 13,6 Millionen! Aber so war es von der amerikanischen Führung auch gedacht! Das Bündnis mit den Sowjets wurde nur eingegangen, weil es die Zahl der Opfer auf amerikanischer Seite minimierte, ohne dadurch den Sieg in Frage zu stellen. Durch ihre materielle Überlegenheit und ihre geographische Lage waren die USA in der komfortablen Position, andere für sich kämpfen lassen zu können. Wer das aber kann, das heißt, über dem Widerstreit der Welt stehen und diesen für sich nutzbar zu machen, der hat die Vorherrschaft.(3)

Die USA verfügen mit über 400 Militärstützpunkten, die sie größtenteils im Weltkrieg erworben hatten, über eine einzigartige strategische Überlegenheit. Und sie taten nun auch noch die letzten Schritte, um das geschwächte britische Empire zu beerben. Damit übernahmen sie zugleich die Strategie Großbritanniens, nicht bloß andere für sich kämpfen zu lassen, sondern den blutigen Kampf möglichst überhaupt zu vermeiden und dennoch zu siegen.(4) Damit stand ihnen die Welt offen für globale Operationen. Der Krieg verlor seine lokale Begrenztheit. Man brauchte sich dem Feind nicht mehr zu stellen, wenn er erschien, sondern konnte sich ihm beliebig entziehen, "unnahbar" bleiben. Andererseits kann man ihn jedoch fortwährend bedrohen und damit zermürben und demoralisieren. An die Stelle der Seeherrschaft ist heute die Luftherrschaft oder/und die Kontrolle über den Weltraum getreten, was die Vorteile dieser Strategie noch mehr hervortreten läßt.

Mit dem Bau der Atombombe erlangten die USA eine qualitativ neue Überlegenheit. Denn damit eröffneten sie nicht nur ein neues Zeitalter, sondern ließen das Ende der Menschheitsgeschichte überhaupt am Horizont aufscheinen.(5) Mit der Verfügungsgewalt über die Macht, sich selbst zu vernichten, war die Menschheit endgültig zum Subjekt ihrer Geschichte geworden. Denn schon nach der stoischen Lehre ist die Fähigkeit zur Selbsttötung der Beweis der menschlichen Freiheit, das, was den Menschen aus der Natur heraushebt. Aber, es war eben nicht eigentlich die Menschheit, die über das atomare Potential verfügte, also aus der Natur herausgetreten und Subjekt geworden war, sondern (bis 1949) nur ein Teil derselben, der nunmehr den anderen Teil mit Vernichtung bedrohen, also zum Objekt machen konnte. Ist es aber denkbar, daß eine Nation, die mit solch unvergleichlicher Macht ausgestattet ist, auch die entsprechende Weisheit im Umgang mit ihr aufbringt? Es ehrt die politische Führung der USA, daß sie das Problem - eingedenk ihrer liberalen Tradition - zumindest sah. So schlug sie 1946 eine internationale Atombehörde mit ausschließlichem Verfügungsrecht über die Atomwaffen vor (den sog. Baruch-Plan). Der Haken an diesem Vorschlag war nur, daß sie damit zugleich ihre atomare Überlegenheit sichern wollte, um der sowjetischen konventionellen Überlegenheit in Europa begegnen zu können. Die Sowjetunion, die diese natürlich erhalten wollte, weil sie noch über keine Kernwaffen verfügte, schlug dagegen eine Vernichtung aller Kernwaffen vor. So konnte es zu keiner Einigung kommen. Vielmehr war die Sowjetunion angesichts der atomaren Bedrohung bestrebt, die Risiken vom eigenen Territorium möglichst fernzuhalten und daher ihren erweiterten Herrschaftsbereich als Sicherheitskordon auszubauen. Sie trieb also das an sich überholte Territorialprinzip auf die Spitze! Daraufhin gingen die USA 1947 von ihrer klassisch-liberalen Tradition der Außenpolitik ab und setzten "realpolitisch" auf militärische Stärke (Truman-Doktrin, National Security Act). Es ging nun nicht mehr um multilaterale Lösungen, die sich mit einer Führungsrolle durchaus vertragen hätten, sondern um unilaterale Hegemonialpolitik. Die militärische Vorherrschaft, die den USA zunächst eher zugefallen war, wurde nun bewußt gewollt. Extremster Ausdruck dessen war die 1954 unter Eisenhower deklarierte Doktrin der "massiven Vergeltung ", die vorsah, einen gegnerischen (konventionellen) Angriff auf ein verbündetes Land, beispielsweise Südkorea, sofort mit einem Atomschlag zu beantworten.

Gewiß lag darin eine gewisse Logik, daß man nun, nachdem man den Isolationismus endgültig hinter sich gelassen hatte, "realistischer " dachte. Aber warum mußte man gleich ins andere Extrem verfallen und einen zynischen Realismus vertreten?

Der eigentliche Widerspruch dabei war, daß die Mittel die modernsten waren, die Zwecke aber ganz traditionelle! Hätten die modernen übernationalen Zwecke, die doch in der politischen Kultur der Vereinigten Staaten tief verwurzelt waren, nicht viel besser mit den modernen Machtmitteln zusammengepaßt? Es war dieser Widerspruch, der die Geschichte weiter trieb.

Gleichgewicht des Schreckens und Stellvertreterkriege

1949 erprobte die Sowjetunion ihre erste Atombombe; 1953 - nur ein Jahr nach der Zündung der ersten amerikanischen Wasserstoffbombe - verfügte auch sie über diese Waffe; 1955 stellte sie ein Düsenflugzeug in Dienst, das in acht Stunden die Vereinigten Staaten erreichen konnte; 1957 bewies sie mit dem Start des ersten Erdsatelliten, daß sie über Interkontinentalraketen verfügte, also das Territorium der USA mit einem Überraschungsangriff bedrohen konnte. Zwar zogen die USA beim Bau interkontinentaler Raketen bald nach, ihr Streben nach Vorherrschaft war damit aber erst einmal gestoppt. Das "Subjekt der Geschichte" war jetzt zweigeteilt.

Die USA haben diese neue Situation sehr bald erkannt: Ende 1960 legte eine Gruppe von Wissenschaftlern und Strategen Überlegungen zu einem sogenannten "Gleichgewicht des Schreckens" vor, das zu politischer Entspannung und kontrollierter Abrüstung führen sollte. Die Pläne wurden von der Regierung Kennedy aufgegriffen und nach der Kubakrise 1961 von den Supermächten in gewissem Umfang umgesetzt. Damit wurde die bis Ende der 70er Jahre anhaltende Phase der Entspannung beziehungsweise friedlichen Koexistenz eingeleitet.

Die Entspannung, die auf der Perspektive eines Todes durch Vergeltung beruhte, hatte darin ihre Grenze, daß dieses Sicherheitskonzept zwar Frieden zwischen der Ersten und der Zweiten Welt brachte, keineswegs jedoch zwischen den Staaten der Dritten Welt. Sie blieben Objekt der Geschichte. Um sie durfte die Auseinandersetzung zwischen den "Systemen" durchaus weitergehen, einerseits mit Entwicklungshilfe, in einem größeren Umfang als heute, andererseits mit Waffenhilfe und militärischer Intervention. Dabei nahm die Sowjetunion als Führungsmacht der Zweiten Welt allerdings eine Sonderstellung ein: Einerseits blieb sie bei diesen Aktivitäten wegen ihrer eigenen wirtschaftlichen Rückständigkeit hinter den USA zurück. Andererseits war ihr ideologischer Einfluß in der Dritten Welt - wegen ihrer eigenen Nähe zu ihr - größer. Der Beginn dieser Auseinandersetzung fiel genau mit dem Beginn der Entspannungspolitik zusammen. So reagierten die USA auf die Revolution in Kuba 1959 mit einem Programm zur Wirtschaftshilfe für Lateinamerika (Allianz für den Fortschritt) und gleichzeitig mit Boykottmaßnahmen und Interventionsversuchen gegenüber Kuba. Und Präsident Kennedy, der 1961 ein eigenes Regierungsamt für Entwicklungshilfe einrichtete, tat im selben Jahr den entscheidenden Schritt zum Krieg gegen Vietnam.

Man hat in bezug auf die amerikanische Auslandshilfe behauptet, daß ihre sicherheitspolitische Funktion um so stärker betont wurde, je mehr der Ost-West-Konflikt eskalierte, und daß umgekehrt in Entspannungsphasen die Entwicklungshilfe mehr Gewicht hatte.(6) Das leuchtet zwar ein, ist jedoch fraglich. Eher gilt: Je stabiler das Gleichgewicht des Schreckens, desto heftiger die Stellvertreterkriege zwischen den Großmächten in der Dritten Welt. Das Verhältnis zu ihr diente offenbar als Ventil für die Spannungen, die unter dem Deckel der Entspannung weiter schwelten. Hier konnten permanent die Kriege weitergeführt werden, die man sich in der eigenen Region nicht mehr leisten durfte. Und dabei waren nun beide Großmächte in der komfortablen Position, die Kriege aus gehöriger Distanz führen und andere für sich kämpfen lassen zu können. Wenn sie sich jedoch über die Realitäten der Dritten Welt hinwegsetzten und selbst aufs Kämpfen einließen, wie in Vietnam und in Afghanistan, dann scheiterten sie jämmerlich!

Die Strategie des begrenzten, daher gewinnbaren und führbaren Atomkriegs

Das Gleichgewicht des Schreckens beruhte nicht auf dem Vertrauen der Beteiligten, daß der jeweils andere sich aus gutem Willen oder Friedensliebe an die vereinbarten Regeln halten würde. Vielmehr war Mißtrauen eingeplant, denn jeder mußte zuerst an seine eigene Sicherheit denken, also seine Erst- und Zweitschlagskapazitäten im Verhältnis zum anderen erhalten beziehungsweise ausbauen, wenn das System funktionieren sollte. Es war ein System analog zum liberalen Marktmechanismus, bei dem das allgemeine Wohl ja gerade aus dem Eigeninteresse der Beteiligten resultiert. Wenn aber jeder immer nur die eigene Sicherheit im Auge hat und seine militärischen Kapazitäten für technische Entwicklungen offen waren, so konnte das Gleichgewicht gar nicht stabil bleiben. Anders gesagt: Drohungen sind nur Ankündigungen von möglichen Handlungen. Sie müssen daher glaubwürdig sein, wenn sie wirksam sein sollen. Wie werden sie aber glaubwürdig? Nur dadurch, daß sie wenigstens partiell oder ab und zu auch wahr gemacht werden. Ein Staat kann mit seinem Gewaltmonopol nicht nur immer drohen, er muß ab und zu auch handeln. Geschieht das nicht, so werden die Drohungen am Ende lächerlich. Das Problem der großen atomaren Drohung war aber nun, daß man sie gerade nicht wahrmachen konnte, auch nicht exemplarisch. Zwar war der Weg, die Atomwaffen kleiner und damit doch begrenzt einsetzbar zu machen, von den USA beschritten worden. Wegen der Gefahr der Eskalation waren sie jedoch nicht zum Einsatz gekommen. Die Kernwaffenversuche aber waren nur Demonstrationen, die in den 60er Jahren auch noch eingeschränkt wurden. Da man also beweisen mußte, daß man es ernst meinte mit der Vergeltungsdrohung, sie jedoch nicht in die Tat umsetzen konnte, suchte man diesen Mangel durch Masse auszugleichen oder durch immer neue Qualität. Das war der Grund für das anhaltende Wettrüsten trotz Entspannung und Rüstungsbegrenzung auf bestimmten Gebieten.

In den 70er Jahren vollzogen die Amerikaner einen Wechsel ihrer Strategie: Der große, verheerende Atomkrieg sollte jetzt dadurch vermieden werden, daß der begrenzte, gewinnbare und damit führbare Atomkrieg an seine Stelle trat. Damit suchten die USA der Lähmung, die die Pattsituation für ihre Weltmachtpolitik bedeutete, zu entkommen und militärisch wieder handlungsfähig zu werden. Die letzte Phase des Kalten Krieges war damit eröffnet. Die Sowjetunion reagierte darauf zunächst ideologisch, indem sie die Lehre vom gerechten Krieg aktualisierte, faktisch aber verstärkte sie ihr Abschreckungspotential und drohte weiterhin mit einem totalen Vergeltungsschlag. Unter Gorbatschow ging sie dann jedoch zum Konzept der Sicherheitspartnerschaft über.

Was meinte dieses Konzept? Es ging wie die Abschreckungsdoktrin davon aus, daß ein Atomkrieg nicht gewinnbar sei, sondern beide Seiten als Verlierer zurückließe. Es wollte aber im Unterschied zur Abschreckungsdoktrin diese militärische Situation nun nicht bloß institutionalisieren, sondern politisch über sie hinausführen. Die Einsicht, daß die Gegner im Kriegsfalle gemeinsam untergehen würden, sollte zu dem Entschluß führen, trotz aller Gegnerschaft gemeinsam überleben zu wollen. An die Stelle des gegenseitigen Mißtrauens sollte schrittweise Vertrauen treten.(7) Sicherheitspartnerschaft war damit so etwas wie "intelligente Feindesliebe" (Carl Friedrich von Weizsäcker) beziehungsweise ein Gleichnis der Feindesliebe im politischen Raum.(8)

Die USA sind also von der atomaren Abschreckung zu einer quasikonventionellen Drohpolitik übergegangen, die Sowjetunion zu einer Politik der Sicherheitspartnerschaft. Die USA haben nach herrschender Meinung mit ihrer Strategie den Kalten Krieg gewonnen: Ist das Programm der Sicherheitspartnerschaft demnach gescheitert? Trägt es nicht in der Tat aus heutiger Sicht utopisch-schwärmerische Züge? - Oder haben die USA den Kalten Krieg nur gewonnen, weil die Sowjetunion sich nicht zum heißen Krieg entschließen konnte und ihnen entgegenkam? Beruht der Sieg der USA etwa auf der Ausnutzung dieses Entgegenkommens? Dann wäre das Konzept der Sicherheitspartnerschaft die latente Grundlage des gegenwärtigen Friedens, und die Sowjetunion hätte es bis zur Selbstpreisgabe praktiziert. Das amerikanische Konzept aber wäre ein Grund dafür, daß die kleinen heißen Kriege wieder möglich geworden sind und der Weltfrieden heute ferner ist denn je.

Daß der "Sieg" der USA im Kalten Krieg kein Sieg im konventionellen Sinne war, ist schon nach dem bisher Gesagten klar. Es konnte nur ein Sieg im Wettrüsten sein, und zwar nicht der Quantität, sondern der Qualität nach. Es ist den USA offenbar gelungen, ihre Drohung glaubwürdiger zu machen als es die der Sowjetunion war. In diesem Sinne kann man vielleicht mit Reagan sagen, sie habe die Sowjetunion "totgerüstet".

Aber an der Ideologie von Sieg und Niederlage müssen noch weitere Abstriche gemacht werden. Denn daß den Vereinigten Staaten das gelungen ist, ist im Grunde nicht verwunderlich, wenn man die ökonomischen Voraussetzungen der beiden Mächte bedenkt: Das wirtschaftliche und technische Potential der USA war immer dem der Sowjetunion überlegen; es war der Sowjetunion nie gelungen, in dieser Hinsicht wirklich aufzuschließen. Ja, es zeichnete sich in den 70er Jahren - gerade auf dem Höhepunkt der Macht und des Einflusses der Sowjetunion - schon ab, daß sie mit ihrer Hochrüstung ihre wirtschaftliche Entwicklung selber behinderte. Das führte dann in den 80er Jahren unter Gorbatschow zu dem (wohl zu späten) Entschluß, der wirtschaftlichen Entwicklung gegenüber der Rüstung endlich den Vorrang zu geben.

Die Strategie der alleinigen Vorherrschaft

Gewiß gibt es kein einheitliches strategisches Konzept, nach dem die USA in der Zeit nach dem Ende des Kalten Krieges verfahren wären, sondern die unterschiedlichen Konzepte der Parteien und Denkschulen mit wechselndem Einfluß. Dennoch zeichnen sich nach über einem Jahrzehnt und im Vergleich mit den beschriebenen Strategien der Zeit des Kalten Krieges schon gewisse Grundzüge des politischen Wollens ab, mit denen man rechnen muß.

Obwohl George Bush Senior bemüht war, die Sowjets nicht als Verlierer zu demütigen, war doch schon zu seiner Amtszeit klar, daß die Stellung als einzige verbliebene Supermacht unbedingt erhalten werden und "das Wiederauftauchen eines neuen Rivalen auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion oder anderswo" jedenfalls verhindert werden müsse.(9)

Der neue Präsident Bill Clinton trat dann an mit dem Konzept eines "assertive multilateralism" in der Tradition des Wilsonschen Idealismus. Da für ihn die eigene Wirtschaft ganz im Vordergrund stand, schien es auch das Praktischste, wenn die UNO mit neuen Institutionen und einer eigenen Streitmacht internationale Konflikte regulieren würde. Schon in Somalia 1993 stellte sich jedoch heraus, daß die Bemühungen in dieser Richtung zu aufwendig waren und von der amerikanischen Öffentlichkeit kaum unterstützt wurden. Spätestens die Kongreßwahlen 1994, die eine republikanische Mehrheit ergaben, führten Clinton zu einem Unilateralismus, der sich seitdem immer stärker ausgeprägt hat. Er zeigt sich nicht nur an solchen "Alleingängen" wie dem Unterlaufen des Embargos im Bosnienkonflikt, sondern auch an der immer geringeren Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den Bündnispartnern oder an der fast völlig selbständigen Streitkräfteplanung.(10)

Entsprechend war Clinton mit dem Ziel einer weiteren Abrüstung und umfassenden Rüstungskonversion angetreten, wie sie nach dem Ende des Kalten Krieges ja auch erwartet wurde. Es ist jedoch nicht einmal eine Demilitarisierung in dem Ausmaß vollzogen worden, in dem die USA sie nach anderen vorangegangenen Kriegen durchgeführt haben. Das heißt, daß die USA nach dem Ende des Kalten Krieges nicht zu ihrer liberalen Tradition zurückgekehrt sind, sondern weiter der konservativen europäischen Tradition folgen, die sie sich zu Beginn des Kalten Krieges zu eigen gemacht haben. Seit dem kurzen Intermezzo der ersten Clinton-Jahre dominiert wieder die "realistische" Schule. Der Widerspruch zwischen neuen Mitteln und alten Zwecken, den wir oben konstatiert haben, ist also nicht behoben. Vielmehr ist seit 1996 weiter aufgerüstet worden, so daß die Militärausgaben der Vereinigten Staaten heute höher liegen als die aller Verbündeten und Partner zusammengenommen und dreimal höher als die aller potentiellen Gegner.(11) Wenn Bush junior im kommenden Jahr den Verteidigungsetat um 46 Mrd. Dollar erhöhen will, so beträgt allein diese Steigerung mehr, als Großbritannien und Italien zusammen für militärische Zwecke ausgeben.(12) Der Rückgang der weltweiten Rüstungsausgaben nach dem Kalten Krieg ist zu einem großen Teil auf die Abrüstungsmaßnahmen Rußlands beziehungsweise den Zerfall der Sowjetunion zurückzuführen.

Vergleicht man die heutige Weltmachtposition der USA mit der zur Zeit des Kalten Krieges, so zeigt sich, daß sie jetzt stärker auf militärischer Macht beruht als damals. Denn damals waren die USA wirtschaftlich überlegen und beschränkten sich militärisch auf Parität. Heute betragen ihre Rüstungsaufwendungen das Zehnfache der Aufwendungen Rußlands, obwohl die wirtschaftliche Überlegenheit geblieben beziehungsweise sogar noch größer geworden ist. Vergleicht man das Kräfteverhältnis in der Welt, so wird dies noch deutlicher: Zwar beruhte die hegemoniale Rolle der USA im Westen schon seit den 70er Jahren nicht mehr primär auf ihrer wirtschaftlichen Stärke, denn hier hatten Europa und Japan sie längst eingeholt und in mancher Hinsicht sogar überholt. Heute aber ist das absolute Übergewicht des Militärischen evident, denn der Anteil der USA an den globalen Aufwendungen für militärische Forschung und Entwicklung beträgt 65 Prozent (13) und an den weltweiten Militärausgaben 37 Prozent, der Anteil am globalen Bruttosozialprodukt aber nur 26 Prozent und an der Weltindustrieproduktion nur 11,52 Prozent(14).

Die USA haben auch an der strategischen Planung aus der Zeit des Kalten Krieges festgehalten. Danach müssen die amerikanischen Streitkräfte in der Lage sein, zwei große Konflikte (zum Beispiel in Ostasien und in der Golfregion) zur gleichen Zeit bewältigen zu können. Die Kritiker dieser Zwei-Kriege-Strategie hielten sie für eine Überforderung und wiesen etwa auf die Transport- und Logistikprobleme hin, die sich schon im Golfkrieg zeigten. Sie haben sich jedoch nicht durchsetzten können, weil es um die Glaubwürdigkeit der Vereinigten Staaten als einzige Supermacht ging.(15) Die Planung ist allerdings in Clintons National Security Strategy von 1997 modifiziert und in gewisser Hinsicht sogar erweitert worden, sofern es jetzt um Eingreiftruppen geht, die an vielen Punkten der Welt den jeweils konkreten Herausforderungen gewachsen sein sollen.

Bei den Massenvernichtungswaffen haben die USA zwar abgerüstet und wollen auf die Anwendung chemischer und biologischer Kampfmittel verzichten. Sie setzen jedoch die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten auf diesen Gebieten fort und halten an der Option eines Ersteinsatzes von Kernwaffen ausdrücklich fest. Indem sie außerdem den ABM-Vertrag aufkündigten und die alten Pläne eines Raketenabwehrsystems weiterverfolgen, streben sie nicht nur eine (utopische) nationale Unverwundbarkeit an, sondern im Grunde ihre Befähigung zum atomaren Erstschlag. Denn wenn ich mich als einziger gegen Raketen verteidigen kann, dann kann ich alle anderen mit Raketen angreifen. Der Unilateralismus wäre damit vollendet und alle Gegenseitigkeit im internationalen Sicherheitssystem wäre aufgehoben.

Das Weiterverfolgen der Raketenabwehrpläne macht klar, daß die USA auch ihrer High-Tech-Orientierung treu bleiben. Diese ist aber identisch mit der Strategie, eigene Opfer möglichst zu vermeiden, das heißt entweder durch überwältigende Abschreckung den Kampf ganz zu meiden oder die Technik beziehungsweise andere für sich kämpfen zu lassen. Beleg dafür ist übrigens auch, daß die Landstreitkräfte nach dem Kalten Krieg stärker abgebaut wurden als Marine und Luftstreitkräfte.(16)

Das inhaltlich Neue an der High-Tech-Orientierung der 90er Jahre ist aber die Verlagerung weg von der grobschlächtigen atomaren hin zur "intelligenten" Informations- und Kommunikationstechnologie. Das Schlagwort lautet etwas übertrieben "Revolution in Military Affairs", denn die Entwicklung in diese Richtung hat bekanntlich schon in den 70er Jahren begonnen, wohl auch zum "Sieg" im Kalten Krieg beigetragen und ist im Golfkrieg erstmals eindrucksvoll demonstriert worden. Ziel ist - analog zur See- oder Luftüberlegenheit - eine Informationsüberlegenheit derart, daß der Gegner von vornherein resigniert oder, falls er doch handelt, dies nur schlecht oder falsch informiert und daher desorientiert tun kann. Wer um das logistische Chaos vieler früherer Kriege weiß, wird die Faszination der Militärs in bezug auf die neuen Möglichkeiten, welche die Informationstechnologie eröffnet, verstehen. Im Vergleich zum Atomkriegsszenario andererseits wird jetzt Schnelligkeit noch wichtiger und räumliche Distanz noch unwichtiger.

Streben nach Unverwundbarkeit und Terrorismus

Die Kritik an der High-Tech-Orientierung der amerikanischen Sicherheitspolitik und ihrem Streben nach nationaler Unverwundbarkeit ist alt und in den USA selber immer wieder lautgeworden - offenbar ohne Erfolg, was auf tieferliegende Antriebe dieser Politik schließen läßt. Ich erinnere an die wichtigsten Argumente der Kritik.

Historisch: Es gibt nur wenige Kriege in der Geschichte, die allein oder hauptsächlich aufgrund technischer Überlegenheit gewonnen worden sind. In der Mehrzahl der Fälle war der Mensch, das heißt Ausbildung, Moral, Organisation, Führung entscheidend, aber auch der Zufall, die unberechenbare Natur.

Ökonomisch: Die High-Tech-Rüstung ist nicht nur teuer, sie läuft auch am Wettbewerb vorbei und ist nicht den Anforderungen des Marktes unterworfen, sondern folgt dem Selbstlauf des Militärisch-Industriellen Komplexes. Es gibt daher eine ganze Reihe von Waffenentwicklungen, die sich schon unter militärischen Gesichtspunkten als reine Geldverschwendung erwiesen haben.(17)

Politisch: Wenn die High-Tech-Rüstung als Ersatz gebraucht wird, weil die Bürger nur noch auf ihr persönliches Wohl bedacht und nicht mehr bereit sind, sich fürs Gemeinwohl einzusetzen (wobei die Verteidigung ja nur der Extremfall ist), dann ist der demokratische Staat im Grunde (auch ohne Krieg) schon verloren; was sich eben am Militärisch-Industriellen Komplex zeigt, der nicht mehr demokratisch kontrolliert wird.

Technikfolgen: Es gibt keine Unverwundbarkeit. Wir haben das beim Thema Atomwaffen gesehen: Der technische Fortschritt macht die Gesellschaften verwundbarer. Man denke nur an die über 200 Kernkraftwerke in Europa, an die vielen hundert Ölraffinerien und Öltanklager, an die vielen tausend Chemiebetriebe, das Gas-, Strom- oder Kommunikationsnetz - alles hochbrisante Ziele für Terroranschläge.

Ethisch: Wie du nicht allein auf der Welt bist, so auch kein Staat. Wie du nicht Sicherheit dadurch erreichen kannst, daß du die anderen ständig bedrohst und deine Drohung glaubwürdig machst, indem du ab und zu jemanden exemplarisch niederschlägst, so kann auch kein Staat Sicherheit allein erreichen, sondern gemeinsam mit den anderen.

Theologisch: Das Streben nach absoluter Sicherheit ist nichts anderes als das Streben, Gott gleich zu werden, und das wird in den unsere Zivilisation prägenden Überlieferungen eindeutig verurteilt: in der griechischen als Hybris und in der jüdisch-christlichen als Sünde.

Eine Politik, die alle diese Argumente mißachtet, und zwar bisher erfolgreich, läßt bei ihren Gegnern nur noch zwei Möglichkeiten übrig: Verinnerlichung der Bedrohung und Unterwerfung oder aber Selbstbehauptung durch Gegendrohung, Terror. Was das moralische Empfinden angesichts dieser Politik zutiefst beleidigt, ist nicht nur die erschreckende Ungleichheit des Kampfes. Es ist die nochmalige, zusätzliche Drohung gegenüber jenen, deren Existenz ökonomisch schon bedroht ist; oder der Krieg, der vom Himmel herab geführt wird, um diejenigen, die ohnehin schon am Boden sind, noch unter die Erde zu befördern. Indem dabei scheinbar human der persönliche Kampf weitgehend vermieden wird, wird in Wahrheit der Gegner als Mensch verachtet und der Natur zugeschlagen. Es wird also ohne Bedenken gegen das Gleichheitsprinzip des Humanismus verstoßen und die Einheit der Menschheit geleugnet.

Der Gegner aber, der sich auf der High-Tech-Ebene ohnehin nicht bewegen kann, ja kaum noch zu staatlich organisiertem Krieg fähig ist, hofft zunächst auf den Kampf am Boden, weil er Mensch und nicht Natur sein will. Wird ihm dieser nun verweigert, so bleibt ihm gar nichts anderes übrig, als die Zivilisation, die von ihm nichts wissen will, an ihren verwundbarsten Stellen anzugreifen und so an sein Dasein zu erinnern. Er macht damit nicht nur die High-Tech-Rüstung lächerlich. Er fordert auf brutale Weise die gemeinsame Sicherheit ein, auf die die USA meinen gerade verzichten zu können. Daß er dies als Selbstmordattentäter tut, geschieht gewiß nicht freiwillig, sondern aus Ohnmacht und Verzweiflung. Dennoch demonstriert er damit genau die Bereitschaft, sich auf extreme Weise für sein Gemeinwesen einzusetzen und stellt die westliche Zivilisation an ihrem wundesten Punkt infrage: dem schwindenden Gemeinsinn. (18) Zudem beweist der Terrorist, indem er sein Leben wegwirft, die elementare menschliche Freiheit im Sinne der Stoa; nämlich gegenüber denen, die wie Gott sein wollen, indem sie die Macht über Leben oder Tod der Menschheit in Händen halten und die Mehrheit mit dem Tod bedrohen, während sie ihr eigenes Leben auf phantastische Weise sichern wollen. Wer zum Sterben bereit ist, nicht mehr an diesem Leben hängt, dem kann man auch nicht mehr drohen. Es ist schon fragwürdig, Sicherheit herstellen zu wollen durch die Bedrohung ohnehin Schwächerer. Es ist unmöglich, sie durch die Bedrohung derer herstellen zu wollen, die gar den Tod nicht mehr fürchten.

Der Unterschied zum Kalten Krieg dürfte deutlich sein: Auch er war ein Krieg ohne Kampf, weil die technischen Mittel auf beiden Seiten so überwältigend waren, daß die konkrete, leibhaftige Auseinandersetzung nicht mehr stattfinden konnte oder nur noch stellvertretend in der Dritten Welt. Jetzt jedoch, da nur noch eine "Supermacht" vorhanden ist, wird der Krieg ohne Kampf tatsächlich geführt, kommen die technischen Mittel zum Zuge, und zwar gegen Länder der ehemaligen Zweiten oder Dritten Welt. Entsprechend sind diese nur noch zu einem Kampf ohne Krieg fähig, eben zu Terrorakten oder zu selbstzerstörerischen Bürger- und Bandenkriegen. Die Übermacht der westlichen Welt ist so groß, daß ein sozialer Befreiungskampf, wie er noch in den 70er Jahren stattfand, heute gar nicht mehr möglich scheint. Das spiegelt sich auch in der öffentlichen Meinung. Auch hier gibt es gar keine Emanzipation mehr, sondern nur noch Terrorismus. Die USA prägen die Welt nach ihrem Bilde: Die "Verlierer" der Globalisierung sind wie die unteren Schichten in den USA selbst an ihrem Schicksal schuld, und wenn sie das nicht einsehen wollen und sich nicht fügen, bleibt ihnen nur der Weg in die Kriminalität. Wie im Kalten Krieg, so wird aber auch heute keine Sicherheit geschaffen. Denn die Todesdrohung gegen Menschen, die ohnehin zum Sterben bereit sind, läuft am Ende genauso ins Leere wie die wechselseitige Vernichtungsdrohung von damals. Die globalisierten Reichen und die lokalisierten Armen handeln aneinander vorbei, auf verschiedenen Ebenen. Wir sollten, wenn es um unsere Sicherheit geht, mehr ans gemeinsame Leben denken.

Wie man sieht, begreife ich den gegenwärtigen Terror als Reaktion auf die amerikanische Politik der Vorherrschaft und als Folge der militärisch-technischen Übermacht der USA. Dagegen kann man einwenden, die Reichweite der amerikanischen Politik werde damit doch zu hoch veranschlagt, man könne sie schließlich nicht für alles in der Welt verantwortlich machen. Daran ist natürlich richtig, daß der Terrorismus auch Ursachen in den Ländern und Regionen hat, aus denen er kommt. Nur sollte man zwei Dinge nicht vergessen: Erstens den weitreichenden ökonomischen Einfluß, den die Vereinigten Staaten auf die betreffenden Länder und Regionen haben. Und zweitens den unmittelbaren politischen Einfluß, den sie hier ausgeübt haben und ausüben. Es ist inzwischen ja bekannt, daß viele, die heute als Terroristen oder "Schurkenstaaten" gebrandmarkt werden, direkte Kinder der amerikanischen Hegemonialpolitik sind, nämlich der erwähnten Methode, andere für sich kämpfen zu lassen: der Irak, die Modjahedin, Osama bin Laden und die Taliban in Afghanistan, Mobuto und Kabila im Kongo, Sawimbi in Angola, die UCK im Kosovo und andere. Sie sind nur, nachdem sie ihre Schuldigkeit getan hatten, nicht brav abgetreten, sondern haben "weitergemacht" und sind so aus Freunden unverhofft zu Feinden geworden. Der Aktualität wegen und falls es doch nicht jedem bekannt sein sollte, erinnere ich nur daran: Der CIA und der pakistanische Geheimdienst haben die afghanischen Modjahedin in den 80er Jahren ausgebildet, zu schlagkräftigen Organisationen strukturiert und jährlich mit 65 000 Tonnen Waffen versorgt. Dabei standen ihnen 700 Mio. US-Dollar jährlich zur Verfügung. Daß davon auch Bin Laden profitierte und dieser Zeit seinen "Ruhm" verdankt, ist kein Geheimnis.(19) Nachdem die Sowjetunion sich aus Afghanistan zurückgezogen hatte, hatten die Modjahedin jedoch ausgedient. Da ihre rivalisierenden Gruppen keine Stabilität gewährleisten konnten, die USA diese aber nicht zuletzt für ein Pipelineprojekt dringend brauchten, wurden nun die in Pakistan ausgebildeten Taliban als Kampfeinheit eingesetzt, um (zusammen mit pakistanischen Truppen) die Modjahedin zu unterwerfen. Sie waren zwar 1996 siegreich, aber offenbar auch nicht in der Lage oder nicht bereit, die politischen Bedingungen für das in der Auseinandersetzung mit Rußland so wichtige ökonomische Projekt herzustellen. Daraufhin wurden 1998 nicht nur die Pipelinepläne fallengelassen, sondern auch die Taliban, und sie wurden zu Terroristen erklärt.

Das ist nur ein Beispiel von vielen, die zeigen, daß die Konflikte, die die USA zu bewältigen haben, zunehmend von ihnen selbst geschaffene sind. Ist das nun ein Beweis ihrer Herrschaft über die Welt oder ihrer Verstrickung in die Welt? Der Eindruck kann sein, daß das ganze Welttheater nur noch ein Spiel der USA mit sich selbst ist. Er kann aber auch sein, daß die USA sich verzetteln und ihnen die Probleme inzwischen über den Kopf wachsen. Brauchen sie sich nur noch mit sich selbst zu befassen oder müssen sie sich immer mehr mit sich selbst befassen?

Daß die Probleme von ihnen geschaffene sind, beweist ihren weitreichenden Einfluß; daß es Probleme sind, offenbart die Widersprüchlichkeit ihrer Lage und die Grenzen ihres Einflusses.

Der geopolitische Sinn des "Krieges gegen den Terror"

Als der "Krieg gegen den Terror" begann, war es nicht leicht, die herrschende Logik zu hinterfragen, nach der es sich um eine Antwort auf den 11. September (2001) handelte. Freilich mußte die im selben Monat erfolgte Ablehnung eines internationalen Strafgerichtshofs durch die USA einen mißtrauisch machen, ebenso der gewaltige Umfang der gegen Afghanistan eingesetzten Mittel: Ging es wirklich nur darum, ein Terroristennetz zu zerschlagen, oder hatte der Krieg nicht weit darüber hinausgehende Ziele? Allerdings konnte ein Buch, das 1999 in Deutschland (und bereits 1997 in den USA) erschienen war, darüber ziemlich präzise Auskunft geben. Ich meine "Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft" von Zbigniew Brzezinski. Brzezinski(20) war es gewesen, der dazu geraten hatte, daß die amerikanischen Geheimdienste schon ein halbes Jahr vor der sowjetischen Intervention in Afghanistan 1979 begannen, die Modjahedin zu unterstützen. "Diese heimliche Operation war eine exzellente Idee, sie zog die Russen in die afghanische Falle."(21)

Befremdlich an seinem Buch ist zunächst die unbefangene Wiederaufnahme eines geopolitischen Denkens, wie wir es in Deutschland zu unserer dunkelsten Vergangenheit zählen. Brzezinskis Buch läßt hier an Offenherzigkeit nichts zu wünschen übrig. So macht es ihm nichts aus, Karl Haushofer, auf den sich Hitlers Konzept vom "Volk ohne Raum" stützte, als einen seiner theoretischen Vorläufer zu nennen.(22) Und er hält trotz der wachsenden Bedeutung von Handel, Wirtschaft oder Innovation daran fest, daß "das Weltgeschehen weiterhin von Gebietsstreitigkeiten beherrscht" ist und "für die außenpolitischen Prioritäten ... nach wie vor die geographische Lage bestimmend" seien.(23) Von dieser Tradition ausgehend, kommt Brzezinski nun zu einer ersten, für das Verständnis des derzeitigen Krieges wichtigen Erkenntnis: Wenn die Vereinigten Staaten ihre globale Hegemonie erhalten wollen, müssen sie Eurasien beherrschen. Denn "eine Dominanz auf dem gesamten eurasischen Kontinent" sei "die Voraussetzung für globale Vormachtstellung"(24). Zwar sei die Dominanz mit dem "demokratischen Brückenkopf" (Europa) und dem "fernöstlichen Anker" (Japan) im Ansatz gegeben, müsse aber aktiv befördert werden, weil neue Konstellationen sie infragestellen könnten.

Das führt hinüber zu einer zweiten, für uns wichtigen, These Brzezinskis: Das Gebiet von der Türkei im Westen bis an die Grenze Chinas im Osten und von Kasachstan im Norden bis zum Jemen im Süden stellt die "Kernzone globaler Instabilität" dar.(25) Denn hier leben fast 400 Millionen Menschen in 25 Staaten, die fast durchweg instabil, weil von ethnischen und religiösen Gegensätzen zerrissen und zugleich von mächtigen Nachbarn umgeben sind. "Teil des Problems " ist "die Bedrohung der amerikanischen Vormachtstellung durch den islamischen Fundamentalismus".(26) Den Kern dieser Kernzone bildet nach Brzezinski der von ihm so genannte "Eurasische Balkan". Zu ihm gehören die acht ehemaligen Sowjetrepubliken im Süden Rußlands und Afghanistan! Die Parallele zum europäischen Balkan ist natürlich bewußt gezogen, denn: "Die dortigen Staaten sind nicht nur hochgradig instabil, ihre Lage und innenpolitische Verfassung fordern die mächtigen Nachbarn zum Eingreifen geradezu heraus und jeder widersetzt sich mit Entschlossenheit den Bestrebungen der anderen, die Vorherrschaft in der Region zu erlangen. Es ist dieses wohlvertraute Phänomen des Machtvakuums mit der ihm eigenen Sogwirkung, das die Bezeichnung eurasischer Balkan rechtfertigt."(27) Zur Sogwirkung kommt aber positiv Attraktivität hinzu! Nicht nur, weil die künftigen Transportwege zwischen den produktiven westlichen und östlichen Randgebieten Eurasiens ihn durchziehen werden, sondern auch wegen der gewaltigen Vorkommen an Erdöl, Erdgas und anderen Bodenschätzen, über die diese Region verfügt.(28) Brzezinski spricht recht anschaulich von einem "ökonomischen Filetstück"(29). Wer aber wird bei einem Filetstück, das in einem Machtvakuum liegt, nicht zugreifen, zumal der Hunger wächst? - Der Energieverbrauch wird sich in den nächsten zwanzig Jahren voraussichtlich um 50 Prozent erhöhen!

Brzezinski schildert die Interessenlage der verschiedenen um die Region konkurrierenden Mächte (Rußland, Türkei, Iran, China), nennt ausdrücklich auch die fernen Vereinigten Staaten und sieht sie "im Wartestand": "Neben seinen weiterreichenden geostrategischen Zielen in Eurasien vertritt Amerika auch ein eigenes wachsendes ökonomisches Interesse ..."(30) Inzwischen sind die USA schon nicht mehr nur "drohend im Hintergrund" geblieben. Daher ist es nur konsequent, daß sie nun in der Region direkt militärisch eingreifen und wohl auch präsent bleiben werden. Daß Afghanistan selber über keine bedeutenden Öl- und Gasvorkommen verfügt, ist angesichts seiner strategischen Bedeutung dabei zweitrangig. Und daß es ein Hort des Fundamentalismus ist, ist nur der Anlaß, nicht aber die Ursache des Eingreifens.

Der Kampf ums Öl und die ökologische Perspektive der Menschheit

Sieht man den "Krieg gegen den Terror" im Zusammenhang mit dem Kampf um das Öl, so wird der ungeheure propagandistische Aufwand, mit dem er geführt wird, erst verständlich. Denn der Kampf ums Öl ist es hauptsächlich, der sich jetzt so zuspitzt, daß dem existentielle Bedeutung zukommt. Man kann sich das klarmachen, wenn man sich an die Schlüsselrolle erinnert, die das Erdöl für die Entwicklung des Westens im letzten Jahrhundert gespielt hat, und an die Auseinandersetzungen seit der Krise der 70er Jahre.

Alle Versuche von Ölstaaten, sich im Zuge der antikolonialen Bewegung nach dem Zweiten Weltkrieg aus diesen Verträgen zu befreien (Iran 1951, Irak 1958), wurden durch monopolistische Zusammenschlüsse der Konzerne oder durch politische Intervention vereitelt. So kam es trotz ständig steigender Nachfrage zu dem marktwirtschaftlichen Wunder konstant niedriger Ölpreise bis 1970. Man hat mit Fug und Recht behauptet, daß das "Goldene Zeitalter" der Industrieländer nach dem Weltkrieg ohne diese Öltransfusion nicht denkbar gewesen wäre.

Seit der ersten Ölpreiserhöhung durch Libyen 1970 und dem Beginn der Abhängigkeit der Vereinigten Staaten von Ölimporten im selben Jahr ist der Kampf ums Öl in ein neues dramatisches Stadium getreten. Es ist bemerkenswert, daß seit Anfang der 70er Jahre auch der internationale Terrorismus deutlich zunimmt.(31) Man kann das Spiel, das die USA nun trieben, je nach Geschmack als genial oder als infam bezeichnen - ich interpretiere es als Verstrickung einer vermessenen Hegemonialpolitik.

Die USA waren damals nicht nur außenpolitisch durch den Vietnamkrieg und innenpolitisch durch die Watergate-Affäre geschwächt, sondern auch wirtschaftlich gegenüber Europa und Japan in der Defensive. Da durch das Ölembargo von 1973 aber Europa und Japan besonders betroffen waren, konnten sie sich als deren Retter und Führungsmacht erneut in Szene setzen. Es war ein ähnlicher Vorgang wie Anfang der 80er Jahre, als es den Vereinigten Staaten gelang, die Verbündeten wieder auf den Gegner Sowjetunion einzuschwören. 1973 begegneten sie der Herausforderung durch die Ölstaaten zunächst mit der alten Strategie, andere für sich kämpfen beziehungsweise drohen zu lassen: Nixon-Doktrin und Kissingers bezeichnenderweise an Metternich geschulter Diplomatie. Der Iran und Saudi-Arabien waren die Regionalmächte, auf die sie setzten und die sie gegeneinander ausspielen konnten. Der Iran wurde so wahnwitzig aufgerüstet und in soziale Widersprüche hineingetrieben, daß er sich 1979 schließlich durch eine fundamentalistische Revolution von dieser Art Modernisierung befreite. Damit war der eine Pfeiler, auf den die USA sich stützen konnten, aber weggebrochen. Da auch Saudi-Arabien vom Fundamentalismus angesteckt wurde und zu wanken begann (Besetzung des Heiligtums in Mekka durch islamistische Kämpfer!), verkündete Carter nun, jeder Versuch, die Kontrolle über die Golfregion zu erlangen, berühre direkt die Interessen der USA, werde also sie selber auf den Plan rufen (Carter- Doktrin). Obwohl es demnach schien, daß die Strategie der indirekten Beherrschung gescheitert war, konnte sie aber zunächst noch einmal wiederbelebt werden. Denn es gelang, die Sowjetunion in die Afghanistan-Falle zu locken und damit zugleich das Saudi-Regime gegenüber seiner islamistischen Bevölkerung zu stabilisieren, indem es sich dort im Kampf gegen die Gottlosen neu legitimieren konnte. Es gelang also, den anwachsenden Fundamentalismus auf diesen Gegner abzulenken und sich nutzbar zu machen. Dabei machte sich Osama bin Laden einen Namen. Andererseits wurde aber der nationalistische Irak, als er den fundamentalistischen und durch die Revolution geschwächten Iran 1980 angriff, von den USA ermutigt und massiv unterstützt! Der acht Jahre währende 1. Golfkrieg kostete zwar 1 Million Menschenleben und ruinierte beide Länder, er lähmte jedoch zugleich die OPEC und trug zum Preisverfall des Öls bei: ein Erfolg der amerikanischen Politik, aber auf wessen Kosten?

Doch so ging es weiter. Denn plötzlich wurde derselbe Saddam Hussein, den man eben noch unterstützt hatte, zum neuen Hitler, zum schlechthin Bösen erklärt, als er 1990 Kuweit überfiel. Verschwiegen wurde dabei, daß Kuweit die Kriegskredite, die es dem Irak gewährt hatte, zurückverlangt und gleichzeitig seine Ölförderung erhöht hatte, so daß die Preise fielen und der Irak nicht zahlen konnte. Verschwiegen wurde auch, daß Saddam sich vor seiner Entscheidung zum Einmarsch bei den USA rückversichert hatte und sie ihr Desinteresse an diesem innerarabischen Konflikt bekundet hatten. Nun wurde die Carter-Doktrin angewandt und direkt interveniert. Und es konnte mit High Tech gegenüber der anderen Rest-Supermacht demonstriert werden, wer in der "Neuen Weltordnung" das Sagen hat. Es kam zu einer der größten militärischen Aktionen seit 1945, dem 2. Golfkrieg. Der durch acht Jahre Krieg ohnehin geschwächte Irak wurde nun noch weiter geschwächt und mit Sanktionen belegt. Die Frage wurde nicht gestellt, ob die Bösen nicht vielleicht deshalb "böse" sind, weil sie als Werkzeuge benutzt und gedemütigt wurden. Man muß solche Ergebnisse amerikanischer Politik immer an den Chancen messen, die eine verständige Entwicklungspolitik in diesen keineswegs armen Ländern gehabt hätte. Aber diesen Maßstab kennen die Konservativen in den USA nicht. Sie sehen die Welt wie ihre eigene Gesellschaft. Für sie sind die Schwachen selbst schuld an ihrer Schwäche, und sobald sie aufbegehren, sind sie Kriminelle, Terroristen.

Als 1991 die Sowjetunion zerfiel und andererseits der Golfkrieg stattfand, wurde die Vermutung geäußert, an die Stelle der Ost-West- Auseinandersetzung werde nun der Nord-Süd-Konflikt treten. Das war jedoch insofern zweifelhaft, als es in der Dritten Welt schon zu einem so weitgehenden Differenzierungsprozeß gekommen war, daß der Begriff selber überholt schien: Die Gegensätze etwa zwischen den Schwellenländern in Asien und den armen, marginalisierten Regionen in Afrika oder zwischen ölproduzierenden und nicht ölproduzierenden Ländern waren zu groß. Außerdem schienen die Kriege zum Beispiel auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion oder Jugoslawiens zu zeigen, daß es vielleicht überhaupt keinen großen, sozusagen systemischen Konflikt mehr geben würde, sondern nur viele kleine Kriege und Bürgerkriege, und auf der anderen Seite die Vorherrschaft der Vereinigten Staaten. Beide Beobachtungen sind nach wie vor nicht falsch. Inzwischen hat sich jedoch aus dem Chaos eine Struktur herauskristallisiert: Es geht der Führungsmacht des Nordwestens hauptsächlich um die Sicherung der für ihre verschwenderische Wirtschaft notwendigen natürlichen Ressourcen, besonders Öl und Gas. Die Regionen, wo sie lagern, sind daher der einzig wichtige Teil der Dritten Welt. Hier finden auch viele der kleinen Kriege statt, um deren Regulierung man sich kümmern muß, und von hier geht der Terrorismus aus. In der Statistik über die Zahl der seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges geführten Kriege steht die Golfregion zwar an zweiter Stelle hinter Asien, bezüglich Dauer und Intensität der Kriege jedoch eindeutig an der Spitze. Sie ist auch die einzige (größere) Region der Welt, in der der Waffenimport nach dem Ende des Kalten Krieges weiter zugenommen hat.(32)

An die Stelle der Ost-West-Auseinandersetzung ist also heute die Auseinandersetzung mit dem Teil des Südens getreten, der dem Nordwesten die wichtigste natürliche Lebensgrundlage bereitstellt. Damit geht es aber eigentlich um die Sicherung unserer Lebensgrundlagen, bei der dieser Teil der Menschheit nur zufällig eine besondere Rolle spielt. Wie es beim Ost-West-Konflikt zwar zunächst um Frieden ging, im Grunde aber um eine gerechte Entwicklung, so steht hinter der Friedensfrage heute die Gefährdung der Schöpfung.

Im "Krieg gegen den Terror" erreicht die Zerstörung der ökologischen Perspektive der Menschheit einen neuen Höhepunkt. Die primitive Vorstellung, die dieser Politik von Ölleuten zugrundeliegt, ist offenbar, daß Mensch und Natur ohnehin in einem unüberwindbaren Widerspruch zueinander stehen. Danach bedeutet menschliches Produzieren nun einmal Zerstörung von Natur, und Bewahrung der Natur hieße im Grunde, das menschliche Leben aufzugeben. Aufgelöst wird das Dilemma dann kurzerhand dadurch, daß die beiden Notwendigkeiten verschiedenen Teilen der Menschheit zugeordnet werden: Weil die einen sich auf Kosten der Natur entwickelt haben und leben, müssen die anderen eben um der Natur willen auf Entwicklung und Leben verzichten. Damit sind wir aber fast wieder bei der "alten und furchtbaren Wahrheit" aus vorindustriellen Zeiten angelangt, "daß nur Gewalt und Herrschaft über andere einige Menschen frei machen könne"(33). Damals konnte wahrscheinlich ein freies und angenehmes Leben in der Tat nur von einigen erreicht werden, indem sie die anderen zwangen, die Lasten des Lebens für sie zu tragen. Aber ist diese Wahrheit nicht durch Technik und Industrie längst überholt? War es nicht die Verheißung des Liberalismus, uns genau von dieser Art der Gewalt zu befreien? Gewiß, nur glaubt jene Politik eben nicht mehr an diese Verheißung, sondern denkt im Grunde fundamentalistisch.

Der Terrorismus andererseits ist der gewaltsame Versuch, sich gegen jene Rollenzuteilung zur Wehr zu setzen und den Anteil der islamischen Völker an Leben und Entwicklung der Menschheit einzufordern - allerdings ein verzweifelter und untauglicher Versuch, denn er glaubt ja selber gar nicht an Leben und Entwicklung, sondern verlegt beide ins Jenseits, denkt ebenfalls fundamentalistisch! Dennoch kann der verzweifelte Kampf endlos weitergehen, da hat Bush recht. Denn die Chance des Terrorismus liegt ja darin, daß der Nordwesten mit all seiner technischen Überlegenheit, mit all den Wundern der "zweiten" Natur, die er geschaffen hat, immer von der "ersten" Natur abhängig bleibt, was sich am Öl besonders massiv zeigt. So kann er den "Krieg gegen den Terror" zwar auch von oben, ohne leibhaftigen Kampf führen, aber abgesehen davon, daß er damit nichts oder das Gegenteil erreichen wird: Wenn er nicht mehr über genug Öl verfügt, dann muß er auf den Boden herunter, in dem es drinsteckt, und sich doch leibhaftig einsetzen. Um es mythologisch auszudrücken: Die Stärke des Terrors ist unsere nicht akzeptierte Abhängigkeit von der Erde, was übrigens auch semantisch zutrifft. Er ist sozusagen eine Ausweitung des Schreckens, den die bebende Erde den übermütigen Menschen immer wieder bereitet. Es ist nur ein anderer Aspekt des gleichen Sachverhalts, daß unsere Zivilisation trotz all ihrer militärischen Überlegenheit verwundbar bleibt, und zwar nicht nur in ihren äußeren Strukturen, sondern auch in ihrer inneren Verfassung.

Edelbert Richter - Jg. 1943; Dr. theol.; bis 1990 Dozent an der Predigerschule in Erfurt; regimekritisches Engagement während der DDR-Zeit, Mitbegründer des "Demokratischen Aufbruchs"; Mitglied der letzten Volkskammer der DDR; 1991 bis 1994 Abgeordneter im Europäischen Parlament; von 1994 bis 2002 Mitglied des Deutschen Bundestages (SPD). Wichtige Veröffentlichungen: Erlangte Einheit - verfehlte Identität. Auf der Suche nach den Grundlagen für eine neue deutsche Politik, Berlin 1991; Wendezeiten. Das Ende der konservativen Ära, Köln-Weimar- Wien 1994; Aus ostdeutscher Sicht. Wider den neoliberalen Zeitgeist, Köln- Weimar-Wien 1998. Zuletzt in UTOPIE kreativ: Aus der Individualisierung zu neuer Solidarität. Zu den moralischen Bedingungen demokratischer Erneuerung, (Heft 93) Juli 1998.
In Kürze erscheint ein neues Buch von Edelbert Richter im VSA-Verlag Hamburg unter dem Titel "Eine historische Chance vertan. Die Sozialdemokratie unter dem Druck der Globalisierung"

(1) So gelang es, die Zahl der Arbeitslosen von über zwölf Millionen im Jahr 1933 vorübergehend auf acht Millionen zu senken. 1938 lag ihre Zahl jedoch bereits wieder bei über zehn Millionen. Der amerikanische Anteil an der Weltindustrieproduktion war im selben Jahr sogar niedriger als 1932! (Vgl. Paul Kennedy: Aufstieg und Fall der großen Mächte, Frankfurt am Main 1989, S. 496 f.)

(2) Vgl. Paul Kennedy, a. a. O., S. 525 ff.

(3) Die USA haben diese Methode seitdem immer wieder praktiziert: Man denke an die Rolle der UCK im Kosovo-Krieg oder die Modjahedin in Afghanistan.

(4) Seit dem 17. Jahrhundert praktizierte England die Methode, sich weniger auf Landkriege einzulassen als vielmehr die Meere zu erobern und dort mit dem Drohpotential seiner Flotte permanent präsent zu sein ("fleet in being"). So war es möglich, alle physischen Vorteile zu nutzen, die die Meere gegenüber dem Land boten: Der Mensch operiert dort von vornherein nicht bloß mit seinem Leib, sondern auf einer technischen Grundlage. Er kann dort schneller sein, sich auch geradliniger bewegen, läßt die Schwerfälligkeit "irdischer " Bewegung hinter sich. Es kommt nicht mehr zuerst auf "Masse" im Raum, sondern vor allem auf Schnelligkeit in der Zeit an.

(5) Jean Paul Sartre hat die Bedeutung diese Ereignisses 1945 sehr treffend in die Worte gefaßt: "Für die gesamte Menschheit gilt: wenn sie fortfährt zu leben, wird es nicht einfach deshalb geschehen, weil sie geboren ist, sondern weil sie den Entschluß gefaßt hat, ihr Leben zu verändern. Es gibt nicht mehr die menschliche Gattung. Die Gemeinschaft, die sich zur Hüterin der Atombombe gemacht hat, steht oberhalb des Reiches der Natur, denn sie trägt die Verantwortung für ihr Leben und ihren Tod: es wird in Zukunft nötig sein, daß sie jeden Tag und jede Minute zum Leben ihre Zustimmung gibt. Das ist es, was wir heute erfahren, in der Angst." (Jean Paul Sartre: Les Temps Modernes 1, Paris 1945, p. 166).

(6) Vgl. Franz Nuscheler: Auslandshilfe, in: Länderbericht USA, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1991, 293/II, S. 62 f.

(7) "Beide Seiten müssen Sicherheit erlangen, nicht vor dem Gegner, sondern gemeinsam mit ihm" (Palme-Bericht).

(8) "Feindesliebe", sofern trotz bleibender Gegnerschaft Gemeinsamkeit erstrebt wird, der andere in seinem Anderssein anerkannt wird, der eine sich in den anderen hineinversetzt und seine Sicherheit auch zum eigenen Anliegen macht.

(9) Verteidigungsplanung des Pentagon, März 92, in: Klaus Dieter Schwarz: Weltmacht USA, Baden Baden 1999, S. 24, 62 f.

(10) Ebenda, S. 93.

(11) Ebenda, S. 35.

(12) Vgl. Die Zeit, 11. 4. 2002.

(13) Globale Trends 2002, Frankfurt am Main 2001, S. 426 f.

(14) Fischer Atlas Zur Lage der Welt, Frankfurt am Main 2001, S. 55, 38, 31 bzw. S. 426 f.

(15) Vgl. Schwarz, a. a. O., S. 64. So sind von den 1,5 Millionen US-Soldaten rund 100 000 ständig in Europa, ebenfalls 100 000 ständig im asiatisch-pazifischen Raum, 25 000 im Nahen Osten und 15 000 in Lateinamerika stationiert (Ebenda, S. 66).

(16) Ebenda, S. 85.

(17) Jon Conell: Illusion Sicherheit, Frankfurt am Main und Berlin 1987, S. 32 ff.

(18) "Der Dschihad hütet die Seele, die von Mc World verkauft worden ist, und strebt die moralische Einbindung an, die Mc World in seiner Fixierung auf die Freiheit der Konsumwahl verachtet." (Benjamin Barber: Coca Cola und Heiliger Krieg, Bern/München/Wien 2001, S. 230).

(19) Vgl. Blätter für deutsche und internationale Politik 11/2001, S. 1346 f.

(20) Zbigniew Brzezinski, einstiger Sicherheitsberater von Präsident Carter und immer noch einflußreicher Fachmann für Militärstrategie des Center for Strategic and International Studies in Washington.

(21) Der Spiegel 45/2001, S. 140.

(22) Vgl. Zbigniew Brzezinski, Die einzige Weltmacht, Frankfurt/Main 1999, S. 64.

(23) Ebenda, S. 62.

(24) Ebenda, S. 64.

(25) Ebenda, S. 83 f., 181.

(26) Ebenda, S. 85.

(27) Ebenda, S. 181 f. 894

(28) Realistische Schätzungen rechnen mit Vorkommen von mindestens 10 Milliarden Tonnen Öl (7 Prozent der Weltreserven) und mehr als 8 Billionen Kubikmetern Gas (6 Prozent der Weltreserven).

(29) Brzezinski, a. a. O., S. 182.

(30) Ebenda, S. 202 f., 215. In der Tat liegen die Anteile der großen amerikanischen Gesellschaften wie Chevron, Exxon, Mobil Oil an den wichtigsten Konsortien in Kasachstan und Aserbeidschan inzwischen bei 40 bis 50 Prozent. (Detlef Bimboes: Zündstoff, Öl und Gas, Wissenschaft und Frieden, Dossier 34, Bonn 2000, S. 6).

(31) Marianne Beisheim et al: Denationalisierung, Baden Baden 1999, S. 201.

(32) Mohssen Massarat: Das Dilemma der ökologischen Steuerreform, Marburg 1998, S. 119 f.

(33) Hannah Arendt: Über die Revolution, München o.J., S. 108.

in: UTOPIE kreativ, H. 144 (Oktober 2002), S. 882-897