Der Euro hat sich in relativ kurzer Zeit durchgesetzt. Pessimisten und Nostalgiker müssen sich damit abfinden, daß die deutsche Mark der Vergangenheit angehören wird - ...
... auch wenn die neue Währung zunächst als "Teuro" in Verruf geriet, weil die Währungsumstellung zu Preiserhöhungen genutzt wurde. Ernster zu beurteilen sind ganzseitige Inserate in deutschen Tageszeitungen unter dem Leitwort "Der Euro wird uns in die Katastrophe führen", worin der Herausgeber des Effektenspiegel, Bolko Hoffmann, "zur Rettung durch Investitionen in erfolg reiche Aktien bei den jetzt günstigen Kursen" auffordert. Daß er Leser für sein Blättchen wirbt, ist verständlich, aber nicht der Grund für diese Kampagne. Deren Kosten sind so erheblich, daß Finanzmagnaten dahinter vermutet werden müssen. Besondere Wirksamkeit erhält der Vorstoß durch eine prominente Bezugsperson. Zitiert wird nämlich der Präsident der US-Notenbank, Alan Greenspan, mit dem Satz: "Der Euro wird kommen, aber er wird keinen Bestand haben." Man muß nicht Psychologie studiert haben, um feststellen zu können, daß hier der Wunsch Vater des Gedankens ist. Der Wunsch erhält dadurch Gewicht, daß mit dem Autor dieses Satzes ein erhebliches Stück offizieller Autorität der USA verknüpft ist. Selbstgefällig, überheblich wie in der Praxis seiner wirtschaftlichen und militärischen Machtausübung demonstriert dieser Staat auch hier Hegemonial- wie Expansionsgelüste.
Wie souverän ist aber nun unser 80-Millionen-Einwohner-Staat gegenüber solchen propagandistischen Attacken, die offenbar Unsicherheit, Pessimismus, Unmut und Gegnerschaft in die Bevölkerung tragen sollen und daher der Bundesregierung nicht gleichgültig bleiben können? Müßte der deutsche "Musterschüler" nicht den "Herrn und Meister" um Einflußnahme bitten, daß antieuropäische Zungenschläge mit nachteiliger Wirkung für die Partner künftig unterbleiben? Müßte nicht der US-Administration, deren Interesse gewiß dahin geht, den Dollar als Leitwährung konkurrenzlos zu erhalten, gleichwohl zur Kenntnis gegeben werden, daß auch ein so ergebener Bündnispartner wie die Bundesrepublik Deutschland nicht jedes unfreundliche Verhalten blindlings hinnimmt und sich nicht unter allen Bedingungen als selbstverständlicher Mitstreiter in die US-Oberhoheit einordnen wird ("Wir sind alle Amerikaner")?
Wir Deutsche sind heute - auch und gerade durch die sich immer noch steigernde "Amerikanisierung" - an einem Scheideweg angelangt: Soll die Anlehnung an die Vereinigten Staaten Kardinallinie unserer Außenpolitik bleiben, oder wollen wir uns mehr auf Europa besinnen? Es fällt auf, daß die Beziehungen zum unmittelbaren Nachbarn Frankreich Rost ansetzen. Im offiziellen Frankreich erheben sich Stimmen, die von der Europäischen Union fordern, sich verstärkt einer eigenständigen Außen- und Sicherheitspolitik zu befleißigen (in diesem Sinne äußerte sich unlängst der sozialistische Minister Fabius in einem Fernsehinterview). Wir wären gut beraten, wenn wir darauf eingehen würden.
Die Solidarität und Anteilnahme für die Opfer des 11. September darf uns nicht taub machen für die verschärfte Tonart des Weißen Hauses ("Wer nicht für mich ist, ist gegen mich"). Nachlassende Konzilianz und rüdere Methoden im Umgang nicht nur mit sogenannten Schurkenstaaten sind unüberhörbar. Wir sollten uns auch daran erinnern, wie brutal die USA in der Vergangenheit ihre Interessen verfolgt haben: Tausende Bombenopfer in Panama bei Erkämpfung der Kanal-Kontrolle, zehntausende, wenn nicht hunderttausende verhungerte Kinder als Embargo-Opfer im Irak, die Aggression gegen Grenada, der barbarische Napalm-Krieg gegen Vietnam, die grausigen Spuren der CIA von Guatemala bis Chile, die Unterstützung von Militärregimen in Argentinien und vielen anderen Ländern sowie die in jüngster Zeit angezettelten Kriege auf dem Balkan und in Afghanistan mit Streu- und Benzinbomben... Welche Heuchelei, wenn man den neu etablierten willfährigen Machthabern jetzt Hilfsgelder für die Linderung der Not und den Wiederaufbau offeriert!
Nach den registrierten Stationen auf dem Weg der Machtausweitung erhebt sich schon die bange Frage, welche Region und Regierung als nächstes Ziel im Visier derer liegt, die für "Ordnung" zu sorgen vorgeben. Wo sind noch Bodenschätze (vor allem Öl) vorhanden, die zur Abrundung wirtschaftlicher Dominanz genutzt werden könnten?
Die Bundesrepublik sollte - ungeachtet der Einordnung in die Kampffront gegen den Terrorismus - den Zeitpunkt zu gründlichem Überdenken der eigenen Position wahrnehmen. Sie hat sich Treue-Verpflichtungen nicht entzogen - aber wo liegt die Grenze solcher Verpflichtungen? Müssen wir bei allen Abenteuern der allmächtigen USA dabei sein? Gibt es nicht auch eine innenpolitische Grenze, wenn ein Kanzler die Einbeziehung Deutschlands mit Personal, Material und immensen Kosten zur Existenzfrage für Koalition und Kanzlerschaft hochstilisiert?
Ähnliche Ungewißheiten birgt das Wort "NATO-Osterweiterung". Wenn Teile des ehemaligen sowjetischen Machtbereichs als künftige Bündnispartner umgarnt werden, hoffen sie gewiß, durch gnädige Aufnahme in den westlichen Wirtschaftsbereich Wohlstandsgewinne erlangen zu können. Aber welchen Preis werden sie für die "Schutzgewährung" gegenüber einer Bedrohung durch etwaige "Schurkenstaaten" zu zahlen haben? Wie hoch wird das "Schutzgeld" sein, wenn sie ihre Absatzmärkte öffnen werden - nicht nur für Hamburger von McDonaldÂ’s, nicht nur für Automobile, auch für Waffen?
Die Methoden der Kolonialisierung sind subtiler geworden. Die Betroffenen merken zunächst nicht, in welches Netz von Abhängigkeiten sie durch eine Bündnis-Mitgliedschaft geraten. Medien-Finanzmagnaten sorgen dafür, daß Opposition dagegen kaum aufkommen kann, daß andere Allianzen oder Kraftfelder gar nicht erst entstehen können. Zu Beginn des vorigen Jahrhunderts wurde im Weltmaßstab ein "Gleichgewicht der Kräfte" angestrebt. In diesem Sinne wäre heute schon viel gewonnen, wenn es gelänge, die Staaten der EU von der Notwendigkeit engsten Zusammenschlusses zu überzeugen, damit sie als eigenständiger Block den Expansionsdrang der Welthegemonialmacht bremsen.
Der Sozialdemokrat Hannsheinz Bauer (Würzburg), letztes noch lebendes Mitglied des Parlamentarischen Rats, also der verfassunggebenden Versammlung der Bundesrepublik Deutschland, schrieb in Ossietzky zuletzt zum Thema "Politischer Identitätsverlust" (Heft 21/2001).