Latrinenparolen

Für eine Globalisierung mit Klobrillen - Nach dem Welttoilettentag 19. November

Für eine Globalisierung mit Klobrillen / Nach der Flutwelle

post scriptum 30.12.2004:
Erst etwas über einen Monat liegt der Welttoilettengipfel in Peking zurück - belächelt von vielen in den Metropolen des Kapitals. Heute liest man, daß im von den Flutwellen zerstörten Asien , auf dem Weg nach Banda Aceh und Meulaboh, der am schlimmsten betroffenen Stadt an der Westküste Sumatras, laut Regierungssprecher in Jakarta 136 Mobiltoiletten unterwegs ins Katastrophengebiet seien; man könne 400 Toiletten in zwei Wochen bereitstellen. Das Büro der Vereinten Nationen in Jakarta schätzt derweil allein die Zahl der Toten in Nordsumatra auf 80 000. [Nachfolgend - unverändert - mein LINKSNET-Text vom 19. November 2004.]

Bei WTO denken die meisten Globalisierungskritiker an die so abgekürzte Welthandelsorganisation. Aber die drei Buchstaben stehen auch für die World Toilet Organization, ein Zusammenschluß von 17 Ländern aus vier Kontinenten, dessen Logo eine blaue Klobrille ist. Die Welttoilettenkonferenz in Singapur im November 2001 hat den 19. November eingedenk des Faktums, daß fast jeder zweite Erdenbürger nie in seinem Leben eine Toilette mit Spülung benutzen konnte, zum alljährlichen Welttoilettentag ausgerufen. Dazu WTO-Gründer Jack Sim anläßlich der diesjährigen Welttoilettenkonferenz, die am Freitag in Peking zuende ging (Pekings öffentliche Toiletten sind derzeit Gegenstand der Komödie "Klo", inszeniert von Chinas bekanntestem Theaterregisseur Lin Zhaohua): "Wir sind im 21. Jahrhundert, aber die Versorgung mit Toiletten ist zurückgeblieben, weil sie ein Tabuthema ist". Während wir uns um die Normierung von Behindertenklos oder mit Ally McBeal um die Unisextoilette streiten, verfügen etwa 2,4 Milliarden Menschen nicht einmal die einfachste Latrine, so daß getrost von einem Menschenrecht auf Toiletten gesprochen werden könnte. Der indische Literaturnobelpreisträger V.S. Naipaul erläuterte am Beispiel der Flughafentoilette Delhis: "Inder defäkieren überall hin: auf den Boden, in die Urinale (vermutlich unter yogischen Verrenkungen, über die man nur Mutmaßungen anstellen kann). Sie fürchten, sich zu beschmutzen, und hocken lieber, anstatt sich zu setzen, und in jeder Kabine kann man sehen, wo sie das Ziel verfehlt haben." Die Notklo-Bauanleitung auf der Internetseite erinnert an die Probleme in Notstands- und Kriegsgebieten weltweit. Vorgestellt werden auch Forschungsresultate zu Ökologie-, Städtebau- oder Arbeitsplatz-Problemen.

Mancher DDR-Student, der wie der Schriftsteller und Baseler Theaterdirektor Michael Schindhelm oder der Jenaer CDU-Politiker Reyk Seela zum SU-Studium im russischen Woronesch weilte, wird sich der Papierberge neben dortigen Toiletten, an denen das Papierwegspülen unerlaubt war, erinnern. Um beim Papier zu bleiben: "Die feinen Unterschiede" ist das Hauptwerk des Soziologen Pierre Bourdieu betitelt. Als ich nach dem Abitur in Bonn in der Materialverwaltung des deutschen Ablegers des US-Konzerns General-Standard jobbte, erhielt ich eine Schulung in marxistischer Klassentheorie als ich eine Lieferung entgegennahm: Sie umfaßte sechs Packungen mit je 50 Rollen à 400 Blatt, Marke Blanko der Feldmühle AG, zum Preis von insgesamt 78,- DM (Rollenpreis 0,26 DM); für die Chefetage gab es jedoch 50 Rollen Hakle Vlausch für 65,- DM (Preis pro Rolle 1,30 DM).

Unterschiede auch regional: Welcher Camper, der das Mediterrane liebt, kennt nicht noch die Hocktoiletten, die zugleich als Dusche dienen? Angesichts der geschrumpften Wehrgerechtigkeit, die einen renommierten Staats- und Wehrrechtler wie Knud Ipsen bereits von verfassungswidrigen Verhältnissen sprechen läßt, kann man kaum noch voraussetzen, daß junge Männer hierzulande das Erlebnis des gemeinsamen Hockens auf dem "Donnerbalken" im Manöver kennen. Hingegen werden sich noch viele DDR-Bürger erinnern, wie sie am ersten Wochenende nach der Grenzöffnung vom 9. November 1989 sich im Souterrain des Hauptbahnhofs zu Frankfurt am Main mit ungeahnten Problemen konfrontiert sahen, als sie in den lichtschranken-aufgerüsteten, gekachelten Räumen verzweifelt nach Spülungszug- oder druckvorrrichtungen und nach Wasserhähnen suchten. Aber nicht nur solcher technischer Fortschritt begleitet die neue Zeit, sondern auch die populäre Standardisierung überkommener Praktiken - siehe das geradezu als Gattungsbezeichnung bekannte Baustellenklo der Marke Dixi, das nicht nur Bauarbeiter, sondern auch Popkonzert- und Autobahnparkplatzbesucher kennen. Nicht vergessen seien im Zusammenhang mit dieser primitiven Konstruktion auch die Rechtsstreitigkeiten, welche die Bahn mit unterhalb einer Brücke wohnenden Bürgern auszufechten hatte. Nicht unerwähnt sollen schließlich die tarifpolitischen (Klofrauen-Niedriglohnsektor), sozialpolitischen (Inkontinenz-Behinderung) oder kommunalpolitischen (Sanierung oder Privatisierung öffentlicher WC) Seiten der Thematik bleiben.

Was kann der engagierte Bürger anläßlich dieses Ehrentags unternehmen? Das mindeste wäre, seinem Örtchen einen neuen Duftstein zu spendieren. Aber vielleicht geht man auch mal in der nächsten Fielmann-Filiale vorbei und verwirrt die freundliche Bedienung mit der Frage nach einer neuen Brille. Die Herren der Schöpfung könnten endlich ihr Versprechen wahrmachen, nur noch sitzend zu urinieren.