Gegen den Notenfetisch, Bildung ist unser!

Wer lernt kann verlieren, wer nicht lernt hat schon verloren! (frei nach B. Brecht)

in (22.08.2001)

Wir kennen sie alle, unsere alltägliche Kumpanin morgens in der Schule, nachmittags bei den Hausaufgaben und oft noch nachts in unseren Träumen.

Sie besitzt die Eigenschaft sich in die verschie-densten Formen zu verwandeln, man sagt, sie sei objektiv und allwissend. Sie kann Sprungbrett für eine Karriere, aber auch Endpunkt für Jugendträume sein. Sie ist Veranlassung, nachts um drei englische Vokabeln zu pauken, oder sonnige Nachmittage am Schreibtisch zu verbringen. Für wen würden wir so etwas tun, an wen so glücklich oder so besorgt denken? Über wen schreibe ich, welches Gespenst meine ich wohl? Unsere gute alte Schulnote natürlich, dieses sinnlich-übersinnliche Wesen, dieser Alptraum, der doch solche Glücksgefühle erzeugen kann. Jenes Etwas, was sich in so vielen Werten von eins bis sechs zu manifestieren weiß. Immer wieder treten VerteidigerInnen der Note auf, die diese als naturgegeben betrachten, sie sogar aufgrund ihrer Eigenschaften als hohe Entwicklung preisen, wobei schon Be-griffe wie "Entwicklung" und "naturgegeben" in einem Satz stutzig machen sollte. Was also sind die gängigen Argumente für die Note und warum sind diese Quark? _Die Note - Ein objektives Wesen an und für sich? Man sagt, dass Noten objektiv seien! Aha, das klingt doch ganz nützlich. "Objektiv" heißt - im Gegensatz zu subjektiv - unabhängig von allen Kriterien eines Individuums, also nicht an Gesicht, Kleidung, Aussehen, Mundgeruch oder Verhalten gebunden. Schließlich bewerten Noten ja nur die Leistung, die für die Schule erbracht wird. Soweit, so gut. Doch lehrt uns die Realität zu oft etwas anderes. Wer kennt es denn nicht, dieses Gefühl am Tag der Zeugnisausgabe, dass die Note der Nachbarin etwas zu "gut", die eigene hingegen etwas zu "mangelhaft" ist. Wie kann das sein, hat man doch "genauso gut" gearbeitet? Noten sind natürlich nicht objektiv, sie fliegen ja nicht von alleine aufs Zeugnis, sondern sie werden erteilt. Wie kann aber ein Lehrer, Angehöriger der Gattung homo sapiens sapiens, objektiv sein? Ein Subjekt, begabt mit den Stärken und Schwächen des subjektiven Empfindens kann logischerweise nicht objektiv sein. Denn Lehrer achten - was die Note denn allerdings wirklich nicht mehr tut - oft auf oben genannte subjektive Kriterien wie Aussehen und Verhalten - Dinge, die mit einer objektiven Leistungsbewertung herzlich wenig zu tun haben! An diesem Dilemma ändert sich auch ursächlich dadurch nichts, dass zur Notenvergabe ein Co-Korrektor hinzugezogen wird, denn: ein Subjekt + ein Subjekt = zwei Subjekte! Objektiv wird die Note deshalb noch lange nicht. _Keine Vergleichbarkeit durch Noten! Noten verschiedener Schülerinnen und Schüler seien immer miteinander vergleichbar, lautet ein weiteres Argument für die Schulnote. Damit wir zwei Dinge sinnvoll miteinander vergleichen können, müssen sie die gleichen Kriterien besitzen, wie z.B. gleiche Maße beim Wiegen. In der Schule passiert aber folgendes: der eine Lehrer wertet falsche Zeichensetzung als Punktabzug, der andere nicht, die eine Lehrerin mag den Stil des Aufsatzes, die andere nicht. Die Note ist also angesichts total verschiedener Anforderungen schon innerhalb einer Klasse - von Vergleichen zwischen Klassen, Schulen und Bundesländern ganz zu schweigen - ein ziemlich idiotischer Vergleichsmaßstab! Das aus diesem Wahnsinn auch noch Studienzulassungen oder Bewerbungen entschieden werden, lässt diesen erst einmal lächerlich erscheinenden Sachverhalt tragisch werden! _Noten als (Anti-) Depressiva und Zwangsmittel. Gute Noten machen glücklich, richtig! Noten also als bessere Drogen? Ja, aber nur für einen Teil. Oft werden diese "objektiv vergleichbaren" Antidepressiva nämlich auch Grund für Angst, Ärger zu Hause und mangelndes Selbstwertgefühl. Zum Teil erzeugen Noten sogar psychosomatische Krankheiten, z.B. eine Erkältung vor der Klassenarbeit, von Schlimmerem ganz zu schweigen. Auf diese Weise haben unsere LehrerInnen einen großen Einfluss auf unsere Psyche und Gesundheit. Denn so glücklich auch gute Noten machen, vergessen werden sollte eines nicht: Schlechte Noten machen unglücklich! Ohne Noten würden die Schülerinnen und Schüler ja überhaupt nichts mehr lernen, lautet das wohl beliebteste Pro-Noten-Argument. Nanu? Jetzt wird die liebe Note aber plötzlich schon ganz aggressiv verteidigt. In diesem Argument wird aber ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt der Note klar, nämlich ihr Autoritäts- und Machtcharakter. Denn hier kommt der wahre Jakob der Note heraus: die Note ist nicht so sehr etwas für uns, sondern ein Mittel, um uns zu zwingen! Uns gefügig zu machen in einer Schule und Welt, die kreativer, verändernder Köpfe und Hände doch so dringend bedürfte! Statt dessen sollen wir brav gehalten werden. Der Lehrer ist nicht objektiv, er hat aber durch das Recht der Notenvergabe Einfluß auf unser Leben. Sind wir ihm nicht genehm, verabschieden wir uns am besten gleich von allen allzu hochtrabenden Plänen für die Zeit nach dem Abi. Die Note ist also ganz wesentlich ein Disziplinierungsinstrument, das konformes Verhalten durchsetzen soll. _Gegen entfremdetes Lernen durch Notenfetisch! Die These, dass wir ohne Noten nichts lernen würden, ist im übrigen auch an sich falsch, ist doch leben lernen! Es verhält sich zu oft umgekehrt, wir lernen mit Noten kaum noch etwas. Denn wie oft lernen wir nur einer Klassenarbeit, eines Tests wegen? Und wie oft lernen wir im Bewußtsein, etwas für uns zu tun? Vor allem aber: Wie schnell vergessen wir unser Gelerntes wieder, wenn das Zeugnis ausgeteilt wird? Noten lassen uns lediglich kurzzeitig für etwas lernen, entfremden uns aber unserer Bildung, da wir sie nicht mehr als Bil-dung, sondern nur noch als notwendiges Übel für gute Noten betrachten. Das aber bezeichne ich als den Notenfetisch, die Note - Tauschwert für Bildung, Geld des Wissens sozusagen - wird zum selbstständigen Wesen, wird nicht mehr hinterfragt, wird "naturgegeben". Sie erscheint uns sogar als das Wesentliche an Bildung, nicht mehr unser Wissen. Zuhause, bei der Bewerbung zählt ja nur der Alpschatten der Bildung, die Zensur. _Es geht auch ohne Noten! Es gab und gibt viele Schulen und Projekte, in denen ohne No-ten genauso gut und besser gelernt wird, ein Beispiel kennen die Jüngeren von euch alle: Die Grundschule. Also laßt euch nicht einreden, ohne Noten ginge es nicht. Hinweg mit diesem blödsinnigen Gespenst! Wir können nur ohne Noten glückliche, freie und kritisch denkende Menschen werden.

Diskussion im FORUM:

Die Debatte ist eröffnet Noten in der Schule, muss das sein? Diese Frage hat schon viele bildungspolitisch Engagierte beschäftigt und sorgt immer wieder für heiße und spannende Debatten, die durchaus die Grundsätze bildungspolitischen Denkens und Handelns berühren. Johannes Heck aus Berlin stellt nebenstehend seine Einwände gegen die Vergabe von Zensuren zur Diskussion. Eure Meinung ist gefragt Aber welche Meinung habt Ihr dazu, sind Noten nun notwendig oder nicht? Sollten Sie ersatzlos abgeschafft werden? Oder sind ausführliche verbale Einschätzungen besser als Zensuren? Und wie steht Ihr zu den kritischen Bemerkungen von Johannes? Auf den ['solid]-Seiten Da wir nicht in jeder Ausgabe von DIE WARE. alle Diskussionsbeiträge abdrucken können und die vierteljährliche Herausgabe des Magazins eine kontinuierliche Diskussion sehr erschweren dürfte, bieten wir Euch auf den ['solid] Forum-Webseiten die Gelegenheit, Euch zum Thema zu äußern und mit uns zu diskutieren. >> forum.solid-web.de.