Eine vermutliche Lobby-Maßnahme des RWE-Konzerns geht nach hinten los. Dadurch kommt Bewegung in die Debatte um die Braunkohleverstromung im Rheinland. Ein neuer Kampf um die Dörfer, die RWE zerstören und abbaggern will, könnte entstehen. Den Preis für die Dörfer hochtreiben, aber das Preisschild hinterfragen, sollte die Devise lauten. Genauso wie beim Klimawandel – ebenfalls nicht ohne Zusammenhang zu RWEs Braunkohletagebau – auch hier sollte die Wertlogik nicht unhinterfragt bleiben, wie sie es im neuen Klimabericht des Weltklimarates tut.
Am 7. Oktober 2013 berichtete die Süddeutsche Zeitung (SZ) über ein internes Papier von RWE, das ihr vorliegen würde. In diesem wird ein Szenario benannt, nach dem das Aus für den Tagebau Garzweiler 2 schon 2017/18 wegen Unrentabilität anstehen würde.
Postwendend dementierte RWE diese Meldung. Auffallend war aber der Zusatz, dass der Tagebau weitergeführt würde, wenn sich die regulatorischen Rahmenbedingungen auf den Energiemärkten veränderten. So lag die Vermutung nahe, dass dieses Szenario ganz bewusst gestreut wurde, um während den Koalitionsverhandlungen für die Bundesregierung Druck auszuüben, die Energiepolitik (noch) kohlefreundlicher auszurichten. RWE und die Lobbyisten des Konzerns fordern nämlich seit Monaten die „Kraftwerksteuer“.
Über die sollen ausgerechnet die Betreiber_innen von Anlagen „erneuerbarer“ Energien eine Steuer für Betreiber fossiler Kraftwerke zahlen.
Die Strategie ging wohl nach hinten los. Die Vertretung der Stadt Erkelenz erklärte in einem offenen Brief an die Landesregierung, dass sie alle Umsiedlungsmaßnahmen stoppt, bis Klarheit über die Weiterführung des Tagebaus besteht. Seither ist die Umsiedlung im Garzweiler Revier wieder ein Thema; sowohl in der bundesweiten Presse als auch in den Dörfern selbst. Die Dörfer der ersten Umsiedlungsphase sind weitgehend umgesiedelt. Obwohl die alten Dörfer noch stehen, will kaum jemand noch etwas von ihnen wissen. Zu schmerzhaft war der Abschied von ihnen und die Fügung in das, was vor Ort als „Schicksal“ wahrgenommen wird.
Aber in den Dörfern der Umsiedlungsphase 2 und 3 wird es sich herumsprechen, dass die Rentabilität des Tagebaus auf Messers Schneide steht. Wenn sich dazu noch mehr und mehr Menschen bewusst werden, dass es immer teurer ist, Großprojekte gegen den Widerstand vieler Menschen durchzudrücken, dann muss nur noch eins und eins zusammengezählt werden und die Resignation, auf Grund derer RWE in der Region nach Belieben walten und schalten kann, wird sich in Luft auflösen. Und dann kann der Wert, den RWE für die Dörfer zahlen muss, politisch in die Höhe getrieben werden: Auf dass nie wieder jemensch auf die Idee kommt einem Dorf einen Wert zu geben, um dessen Zerstörung einer wertbasierte Kosten-Nutzen-Kalkulation zuführen zu können!
Von wegen Kosten-Nutzen-Kalkulationen: Kritik am 5. Sachstandsbericht des Weltklimarates
Die Braunkohleverstromung hat neben der Umsiedlung auch noch einen globalen Zerstörungsfaktor: den Klimawandel. Im September ist der 5. Sachstandsbericht des Weltklimarates erschienen, in dem die aktuellen Forschungen zum Stand der Klimaerwärmung zusammengetragen werden. Auch wenn der Bericht klar vor den Folgen des Klimawandels warnt, und er vor allem von den Klimaskeptiker_innen angefeindet wird, muss dennoch auch eine deutliche Kritik von libertärer Seite geübt werden. Menschen aus dem Braunkohlewiderstand haben angefangen sich in den Bericht einzuarbeiten und wollen für eine der nächsten Ausgaben der Graswurzelrevolution eine ausführliche Einordnung des Berichts verfassen.
Was aber direkt beim Lesen des Berichts auffällt, ist seine Wertfixiertheit. 2006 hat Nicholas Stern als erster die Auswirkungen des Klimawandels in ökonomische Größen umgerechnet. Viele Umweltverbände fanden das eine gute Idee, weil dadurch die Auswirkungen mit in volks- und betriebswirtschaftliche Überlegungen eingerechnet werden könnten und ein Anreiz zur Vermeidung von Umweltzerstörung geschaffen würde, so die Hoffnung, bar jeder Analyse.
Tatsächlich ist es nämlich von Anfang an eine dumme Idee gewesen, die Wertfetischisierung der Klimadebatte zu beklatschen. Denn im Umkehrschluss heißt das eben auch, dass das, was nicht in einen ökonomischen Wert umgerechnet werden kann (oder einen geringen Wert hat), zukünftig egal sein muss. Als krassestes Beispiel kann genannt werden, dass in die Berechnungen von Stern zu den volkswirtschaftlichen Schäden des Klimawandels ein Europäer oder eine Nordamerikanerin, die an den Folgen des Klimawandels stirbt, mit einer Millionen Dollar Schaden eingerechnet wird – eine Tote Afrikanerin nur mit einem Dollar. Volkswirtschaftlich kann diese Rechnung ohne Frage richtig sein. Genau das ist aber ein Grund warum Wertlogiken aus allen Lebensbereichen zurückgedrängt werden sollten, anstatt deren Ausdehnung als Akt des Klimaschutzes zu bejubeln.
Im Bericht des Weltklimarates wird der Wertfetisch an vielen Stellen übernommen, zum Beispiel wenn die Kosten, die die Auswirkungen des Klimawandels verursachen, den Kosten der Prävention für die jeweiligen Szenarien gegenübergestellt werden (wie in einem Workshop-Protokoll, in dem eine neue Strukturierung zu den Szenarienmodellen erarbeitet wird – der Teil des 5. Berichts in dem es um den Umgang mit dem Klimawandel geht, kommt erst im kommendem Frühjahr heraus).
Was den meisten Leser_innen des Berichtes ganz normal erscheinen wird (vor allem da der Bericht zum Ergebnis kommt, Vorsorge sei billiger), so absurd ist es eigentlich. Denn es blendet all die Individuen aus, die ihre Lebensgrundlagen verlieren, sterben oder fliehen müssen, genauso wie die Arten, die aufgrund der lokalen Klimaänderungen aussterben; Ökosysteme, die kollabieren und vieles mehr.
Das, was sich viele Nichtregierungsorganisationen als „Ökonomie des Umweltschutzes“ erhofft haben, kann bei genauer Analyse nur eine „Ökonomie der Zerstörung“ sein.
Ganze Wissenschaftsfelder entstehen, die den ökonomisch lohnendsten Grad der Verschmutzung von Ökosystemen berechnen, und Begriffe wie „Unterverschmutztheit“ für Landstriche erfinden.
Der ökonomisch lohnendste Grad der Verschmutzung des Hambacher Forstes ist zum Beispiel seine totale Vernichtung und Tieferlegung um 500 Meter. Die neue Waldbesetzung, die nun seit 6 Wochen besteht (vgl. GWR 382), besteht während des Redaktionsschlusses noch immer, ist aber stark räumungsbedroht. Fast wöchentlich kommt derzeit RWE und Polizei mit schwerer Maschinerie vorbei, um alles Erreichbare zu zerstören.
Zum Glück ist die Infrastruktur in den Bäumen inzwischen gut ausgebaut. Hier bereiten sich die Aktivist_innen derzeit auf die Räumung oder auf den Winter vor. Währenddessen beginnen die Rodungsarbeiten im Hambacher Forst. Wie jeden Winter will RWE einen Streifen roden, den sie nächstes Jahr abbaggern wollen.
Wem es nicht reicht Vattenfall in Berlin und Hamburg abzuwählen, kann also über einen kleinen Herbstausflug in den Hambacher Forst nachdenken. Zu tun gibt es genug.
Floh
Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 383, November 2013, www.graswurzel.net