Seit langem ist bekannt, dass das neoliberale „Einheitsdenken“ – wie es der französische Soziologe Pierre Bourdieu einmal genannt hat – hauptsächlich in von US-Multis gesponserten Denkfabriken und Hochschulen entwickelt wurde, von dort aus weltweit die Universitäten eroberte und über Medien propagiert wurde, bis es als herrschende wirtschaftswissenschaftliche Lehre galt. Hermann Ploppa beschreibt in seinem neuen, im Nomen-Verlag erschienenen Buch: „Die Macher hinter den Kulissen. Wie transatlantische Netzwerke heimlich die Demokratie unterwandern“, dass dies eine lange Vorgeschichte im 20. Jahrhundert hat und über welche Agenturen und Akteure es durchgesetzt wurde.
Am 13. Februar 2015 trug Ploppa die Thesen seines Buches im Café Wiesengrund in Frankfurt a. M. vor. Die Zuhörerschaft beteiligte sich lebhaft an der Diskussion. Es zeigte sich, dass nicht nur ein großer Bedarf an Informationen besteht. Es gibt auch das Bedürfnis, darüber miteinander zu sprechen, was getan werden könnte, um verhängnisvolle Entwicklungen in der EU – wie die fortgesetzte Austeritätspolitik und das in Geheimverhandlungen vorbereitete „Freihandelsabkommen“ mit den USA – zu stoppen.
Ploppa begann damit, dass er das Publikum aufforderte, sein Buch nicht bei Amazon zu kaufen. Diese Online-Krake mache die kleinen Buchhandlungen kaputt, behandle ihre Angestellten schlecht und zahle noch dazu kaum Steuern. Dann fragte er in die Runde, wer welche Eliten-Zirkel kenne. Die meisten kannten die „Bilderberger“, wenige die „Skulls and bones“, die, wie Ploppa sagte, in Verschwörungstheorien eine große Rolle spielen, vermutlich wegen ihres geheimnisvoll-gruseligen Namens.
Es galt also zunächst einmal, sich von „Verschwörungstheorien“ abzugrenzen – die eigentlich den guten Namen Theorie nicht verdienen, eher Ideologien oder Mythen sind. Ploppa nannte zwei Elemente solcher Mythen:
- Die Eliten-Zirkel seien geheim, verfolgten eine Arkan-Politik, um weltweit die Fäden zu ziehen, die Dinge zu ihren Gunsten beeinflussen und die Massen besser manipulieren zu können.
- Die Eliten-Zirkel seien monolithisch, geprägt von einem einzigen Interesse: Macht und Reichtum für eine kleine Kaste zu erhalten und zu mehren.
Letzteres stimme zwar, aber die einzuschlagenden Wege dazu stünden nicht von vornherein fest, weshalb es in den Eliten-Zirkeln durchaus Diskussionen und unterschiedliche Meinungen gebe. Vertreter anderer, auch kritischer Auffassungen würden bewusst eingeladen, um zu intelligenteren und flexibleren Strategien zu gelangen.
Die bekannteren derartigen Organisationen wie der „Council on Foreign Relations“ in den USA und die „Atlantikbrücke“ in der Bundesrepublik arbeiteten ganz offen und betrieben Öffentlichkeitsarbeit bis hin zu frei zugänglichen Publikationen. Für die berühmten „Think tanks“ wie die „Bertelsmann-Stiftung“ oder die „Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik“ gelte das sowieso.
Diese Einflussagenturen seien aber deshalb für die Demokratie gefährlich, weil sie, obwohl auch mit öffentlichen Geldern versehen, sich demokratischer Legitimation und Kontrolle weitgehend entziehen könnten. Zudem vermehrten sie sich derart, dass sie selbst untereinander ein stets dichter werdendes Netz bilden, das scheinbar objektiven wissenschaftlichen Sachverstand mit interessegeleiteter Beratungskompetenz für die Politik verbindet. Dennoch greife es zu kurz, dies alles als Verschwörungszusammenhang zu sehen.
In der Diskussion wurde später von einem Teilnehmer nachgetragen, dass es ein weiteres, zentrales Merkmal für das Denken in Kategorien der Verschwörung gibt: Die Ersetzung der Analyse objektiver Strukturen, die ein Resultat der kapitalistischen Wirtschaftsweise sind, durch die Fokussierung auf kleine Gruppen von Reichen und Mächtigen. Deren Handeln erscheint dann als Ursache der herrschenden Verhältnisse, während es doch weitgehend nur durch diese ermöglicht wird bzw. deren Ausdruck ist.
Der Handlungsspielraum von Einzelnen oder Gruppen, selbst wenn sie noch so mächtig sind, dürfe weder unter- noch überschätzt werden. Ein Denken in Verschwörungen übertreibe ihn so, wie es der bürgerlichen Ideologie von der „Freiheit des Individuums“ entspricht – und noch darüber hinaus.
Ploppa widersprach dem nicht, obwohl der Ansatz seines Buches hier seine Grenzen hat, wie der Sozialwissenschaftlicher Dieter Boris in einer Rezension schreibt: „Durch die investigative Sichtweise bedingt, treten bei Ploppa die Dimensionen ‚Politik und Verbrechen‘, die zahlreichen personellen Überschneidungen, die Wühlarbeit der Geheimdienste etc. stark in den Vordergrund. Dagegen werden sozio-ökonomische Zwänge und Debatten, sozialstrukturelle Determinanten von Politik usw. in den Hintergrund verschoben.“ (junge Welt, 16.2.2015) Gleichwohl sei das Buch wegen der Fülle seiner Informationen und weil es eingängig geschrieben ist wichtig für die gegenwärtige Diskussion um TTIP und die zunehmende Divergenz der Interessen zwischen den USA und Europa.
Nach Ploppa sind die transatlantischen Netzwerke, die er in seinem Buch darstellt, sowohl der Demokratie als auch der Diktatur überlegen. Sie sind so angelegt, dass sie über Parteigrenzen und Regimewechsel hinweg funktionieren können. Durch ständige Kooptation von Experten und Talenten erhalten sie sich im Wandel der Zeiten. Auch die Änderung der Strategien zum Systemerhalt wird von ihnen vorbereitet und begleitet – so vom Keynesianismus Roosevelt‘scher Prägung zum Neoliberalismus und heutigen Marktradikalismus. Vorbild ist die katholische Kirche, die im römischen Reich zur Staatskirche wurde, es aber nach seinem Zerfall überdauerte, sich weltweit ausbreitete, wuchs und gedieh. So soll auch das kapitalistisch-imperialistische Paradigma fort-existieren, wenn einmal die Weltmacht USA erodiert oder „implodiert“ ist.
Hier läge es nahe, den Vergleich mit der „una sancta catholica“ weiter zu ziehen. Was deren Macht und Anziehungskraft ausmacht, ist ja nicht in vatikanischen Kammern ausgedacht, sondern beruht auf einer religiösen Idee, die sich in vielfältigen Institutionen verkörpert hat. Ähnlich ist es bei den transatlantischen Netzwerken. Die Alltagsreligion, die sie vertreten, ist der Kapitalismus, gegenwärtig in seiner neoliberal-marktradikalen Variante.
Am Beispiel der EU zeigte Ploppa auf, wie die Netzwerke arbeiten. Die Blaupausen für die EU und den Euro mit all ihren Fehlkonstruktionen seien von ihnen erstellt worden. Zur gegenwärtigen Verfasstheit Europas meinte er: „27 Länder zerhacken sich gegenseitig und sollen nun durch TTIP in eine Zwangsehe mit den USA gebracht werden.“ Die nationalen Traditionen – wie in Deutschland beispielsweise der Sozialstaat und die starke Stellung der Genossenschaften – sollen ausgehebelt werden, um fit für den „Globalismus“ zu werden. „No nations, no border“ sei in Wirklichkeit keine fortschrittliche Parole, sondern Konzernpropaganda.
In der Diskussion wurde Ploppa gefragt, worin sich seine Kritik an der EU und am Euro von derjenigen unterscheide, die von rechtspopulistischen Parteien und Strömungen wie der AfD oder dem Front National in Frankreich vorgebracht wird. Ob er wie diese eine Rückwendung zum Nationalstaat für richtig und machbar halte. Er antwortete darauf, dass der Zug abgefahren sei, unumkehrbar.
Ein „Europa von unten“ als Alternative zum gegenwärtigen Zustand hielt er auf Nachfrage für erstrebenswert. Dabei müsste Bewährtes wie die – in Deutschland erprobte – Dreiteilung der Wirtschaft aufrechterhalten und gestärkt werden: Neben dem privatwirtschaftlichen Sektor der staatliche und vor allem der genossenschaftliche Bereich, in dem es nicht in erster Linie um den Gewinn, sondern um die Produktion nützlicher Dinge und Dienstleistungen geht.
Den Wahlsieg von Syriza in Griechenland begrüßte Ploppa. Er lobte, dass sich diese Partei nicht mit dem Protest gegen die Diktate der Troika und die unsoziale Politik der konservativen Regierung in Athen begnügte, sondern ganz praktisch Projekte einer „Solidarwirtschaft“ unterstützt habe, mit der griechische Bürgerinnen und Bürger auf die wachsende Arbeitslosigkeit und Verelendung in ihrem Land reagierten.
Dazu gab es eine Intervention aus dem Publikum: Syriza habe noch weitere sinnvolle Programmpunkte – zum Beispiel die Bekämpfung von Korruption und Steuerhinterziehung, eine Unterstützung der Armen und eine Umverteilung von oben nach unten. Syriza sei im Unterschied zu rechtspopulistischen Strömungen im eigenen Land und in den anderen Ländern der EU nicht europafeindlich, sondern suche Bündnispartner in Europa für den Kampf gegen die neo-liberale Austeritätspolitik unter deutscher Führung. Syriza verdiene nicht die Häme, die in unseren tonangebenden Medien über sie ausgegossen wird, sondern unsere Unterstützung.
Der Abend endete in einer solidarischen Atmosphäre.
Aus BIG Business Crime Nr. 2/2015