Kartoffel-Schleuder-Anarchie

Bernd Drücke im Gespräch mit dem Graswurzelrevolutionär Heinz Wittmer

Am 26. Mai 2015 produzierte GWR-Redakteur Bernd Drücke im Studio des Medienforums Münster eine Radio Graswurzelrevolution-Sendung, die am 12. Juni 2015 von 20:04 bis 20:55 Uhr als Livestream unter www.antenne-muenster.de und im Bürgerfunk auf Antenne Münster (95,4 Mhz.) zu hören sein wird. Anlass der Sendung ist das Erscheinen der GWR Nr. 400. An der Technik saß Klaus Blödow, per Telefon zugeschaltet aus Mecklenburg-Vorpommern war der Bewegungsaktivist und Graswurzelrevolution-Mitherausgeber Heinz Wittmer (geboren 1968). Wir veröffentlichen das Interview in einer redaktionell überarbeiteten Version. (GWR-Red.)

 

Bernd Drücke (GWR): Heinz, Du bist seit Anfang der 1990er Jahre aktiv in den Neuen Sozialen Bewegungen der Bundesrepublik. Wie fing das alles an? Wie begann Deine „politische Sozialisation“?

 

Heinz Wittmer: Ich bin in der Region von Heidelberg groß geworden. Geprägt war ich durch die Friedens- und Umweltbewegungen in den 1980ern, auch wenn ich da noch nicht aktiv mitgemacht habe. Ein Startpunkt als Aktivist war für mich der Golfkrieg 1990/91. Ich war zu dem Zeitpunkt Zivildienstleistender und wir hatten uns dann in der Selbstorganisation der Zivildienstleistenden (SOdZDL) organisiert. Wir haben uns gewehrt und zum Beispiel Briefe an die Ministerien für Jugend, Arbeit und Verteidigung geschrieben, dass wir in einem Ernstfall nicht dabei sein werden bei jeder Art von Krieg, auch nicht für den „Dienst ohne Waffe“. Als Reaktion kam ein offener Brief aus dem Ministerium, für den ich auf der Dienststelle den Empfang zu bestätigen hatte. Im Brief wurde die Moralkeule geschwungen, aber auch gedroht. Zum Glück hatte ich eine sympathisierende Dienststelle.

 

GWR: Du warst auch in der Graswurzelgruppe Heidelberg. Dann bist Du nach Meck-Pomm gezogen, in ein Bundesland, das bekannt dafür ist, dass dort besonders viele Nazis ihr Unwesen treiben. Was hat Dich ausgerechnet dahin verschlagen?

 

Heinz: Das war nach dem G8-Gipfel in Heiligendamm 2007. Zu dem Zeitpunkt war ich  zur Zwischenmiete in  Berlin für ein paar Monate. Ich merkte damals, dass die Großstadt nix für mich ist. Im Zusammenhang mit den Aktionen gegen G8 habe ich dann  viel zum Schwerpunkt Landwirtschaft gemacht.  Ich habe bei den Protesten nette Leute kennengelernt und gedacht, zu denen ziehe ich aufs Land und lebe dort in einer Gemeinschaft in Mecklenburg-Vorpommern. Das gefällt mir bis heute, so im Grünen zu wohnen.

 

GWR: Du spielst mit in dem „Mit dir“-Musikvideo von „Feine Sahne Fischfilet“ (1), einer mittlerweile sehr bekannten, politischen, radikal linken Punkband aus Mecklenburg-Vorpommern. Kannst Du dazu etwas sagen?

 

Heinz: Wir haben uns über das antifaschistische Engagement hier kennengelernt. Das war bei den Ereignissen um den 8. Mai in Demmin. Da laufen die Nazis jährlich auf. Die Mitglieder der Punkband sind in der Region aufgewachsen und zur Schule gegangen. Da ich in der Nähe von Demmin wohne, sind wir uns über den Weg gelaufen und dann, als wir uns schon gut kannten, haben sie gefragt: „Hast Du Lust, in einem Video mitzuspielen?“

 

GWR: Wie u.a. auch die GWR wird Feine Sahne Fischfilet vom Verfassungsschutz als „linksextremistisch“ stigmatisiert.

 

Heinz: 2012 ist ihre Platte „Scheitern und Verstehen“ herausgekommen. Kurz danach sind sie auch im Verfassungsschutzbericht Mecklenburg-Vorpommern aufgetaucht. Das war eigentlich wie eine Art Promotion. Der Verfassungsschutzbericht hat der sechsköpfigen Punkband zweieinhalb Seiten gewidmet, mehr als allen neofaschistischen Bands zusammen, mehr als dem NSU, der zu dem Zeitpunkt schon bekannt war. Das war gruselig.

 

GWR: Ja, das ist absurd. 2009 warst Du in Mecklenburg-Vorpommern an einer bundesweit Aufsehen erregenden Aktion gegen ein Genkartoffelfeld beteiligt. Das hat dazu beigetragen, dass die Pläne der Gentechnik-Konzerne durchkreuzt wurden. Wie habt Ihr das gemacht? Was genau ist da passiert?

 

Heinz: Es gab um diesen Amflora-Gentech-Kartoffelacker schon viele Aktionen gegen Gentechnik, auch in dem Jahr vor dieser Aktion. Wir hatten zum Beispiel eine Besetzung des Ackers organisiert. Wir merkten aber, dass wir mit den Aktionen relativ wenig Aufmerksamkeit bekamen. Auch weil die BASF, die die Amflora angebaut hat, immer wieder die Aktionen verschwiegen hat. Es wurde geleugnet, dass Anti-Gendreck-Aktive zwischen die Amflora-Kartoffeln viele Bio-Kartoffeln gepflanzt hatten. Als dann 2009, kurz vor der Aussaat, bei der örtlichen Bürgerinitiative das ZDF und die ARD anriefen, weil sie ein Interview haben wollten, sind wir einfach zu diesem Interview dazu gekommen und haben gesagt: „Wir machen jetzt eine Gegen-Saat vor laufender Kamera.“ Wir haben Linda-Bio-Kartoffeln in den Gen-Kartoffel-Acker buddeln wollen. Eigentlich gingen wir davon aus, dass dort schon eine Absperrung oder ein Schutzzaun ist, weswegen ich gedacht habe, na ja, die zehn Meter dahinter ist ja dieser Absperrbereich. Wie kommen wir da überhaupt sinnvoll drüber? Wenn da noch ein Wachtrupp ist, muss man ja schon richtig weit werfen. Dann habe ich eine Schleuder mitgenommen und wir hatten das Glück, als wir hinkamen, dass keine Absperrung da und der Wachschutz ein bisschen verpennt war. Deshalb haben wir die Bio-Kartoffeln gut einbuddeln können. Wir haben die Schleuder trotzdem ausgepackt und dann damit auf den riesigen 30 Hektar-Acker Bio-Kartoffeln verschossen.

Bio-Kartoffeln sind äußerlich nicht von Gen-Kartoffeln zu unterscheiden. Wegen unserer Aktion konnten zwei Hektar des Ackers nicht mehr wie geplant mit Gen-Kartoffeln bepflanzt werden.

 

GWR: Diese Sabotage des Gentech-„Versuch-Ackers“ war medienwirksam. Im heute-journal und in der Tagesschau war zu sehen, wie ihr die Kartoffeln aufs Feld geschleudert habt und ein wütender Genbauer versucht hat, Euch daran zu hindern. Stefan Raab hat den heute-Ausschnitt in seiner TV-total-Sendung gezeigt und dann in seiner typisch ironischen Art über „diese Öko-Terroristen mit ihren Mega-Schleudern“ gesprochen. Insgesamt war das sehr erfolgreich. Auch vor dem Hintergrund, dass sich Mecklenburg-Vorpommern eigentlich als Gentechnik-Land definiert hat. Was war dort von Landesregierung und Gentechnik-Konzernen geplant? Wie ist das letztlich gescheitert?

 

Heinz: Wir hatten hier ein Versuchszentrum für Gentechnik, vom Staat finanziert mit mehreren Millionen Euro, auch von der Landesregierung. Nachdem es auch an verschiedenen anderen Stellen in Deutschland Widerstand gegen die Gentechnik gab, hat Frau Professorin Broer von der Uni Rostock gesagt: „Bringt doch eure Versuche nach Mecklenburg-Vorpommern, hier gibt es nicht so viel Widerstand. Hier können wir das durchsetzen.“ Plötzlich waren viele Versuchsfelder hier in Mecklenburg-Vorpommern: Tabak, Weizen, Raps, Amflora und andere Gen-Kartoffelsorten, die im Freiland angebaut werden sollten. Aber dann haben sich viele Leute gefunden, die sich dagegen gewehrt haben. Die haben gesagt: „Das wollen wir hier nicht haben!“ Da gab es dann recht breite Bündnisse und unterschiedliche Aktionen. Was ich skurril fand: Am Anfang war der Landwirtschaftsminister Backhaus (SPD) komplett für die Gentechnik. Irgendwann hat sich dieser Wind gedreht. 2010 hatten wir eine Pressekonferenz mit europäischen Feldbefreiern unter anderem aus England und Frankreich. Der Minister tauchte auf und wollte bei der Pressekonferenz eine Rolle spielen. Er saß dann mit am Tisch, an dem er nur eine Ecke bekommen hat. Er wollte unbedingt mit aufs Bild, mit den Leuten, die  die Gentech-Pflanzen kaputt machen. Das war absurd.

 

GWR: Es gab dann Prozesse, auch gegen Dich.

 

Heinz: Ja. Der Prozess gegen mich endete in der zweiten Instanz mit Freispruch. Viele andere Verfahren wurden eingestellt, oft mit unterschiedlichen Begründungen. (2) Bei mir war es so, dass Kartoffeln verteilen auf einem Acker, der für Kartoffelanbau vorgesehen ist, keine Sachbeschädigung oder Nötigung ist. Das ist kein Strafdelikt. Zwar könnte die Betreibergesellschaft sagen, dass ihr ein Schaden entstanden sei, aber das müsste sie zivilrechtlich einklagen. Das wollte die BASF nicht, weil sie ansonsten auch alle Verträge mit dem Landwirt, dem die Fläche gehörte, offenlegen müsste. Da wären Fakten aufgetaucht, die wir gerne gewusst hätten. Das haben sie lieber verschwiegen. Deshalb haben sie diesen Prozess gar nicht erst angefangen.

 

GWR: Das war eine geniale Direkte Gewalfreie Aktion. Kannst Du beschreiben, was Gewaltfreie Aktion für Dich bedeutet?

 

Heinz: Gewaltfreie Aktion heißt, sich direkt zu wehren gegen das Unrecht, gegen Unterdrückung, gegen die Scheiße, die einfach läuft. Allerdings nicht mit allen Mitteln, sondern mit Mitteln, wie ich mir eine zukünftige Gesellschaft auch vorstelle. Das heißt, dass ich einige Sachen beachte, dass wir Entscheidungen gemeinsam treffen, dass wir während der Aktion auch gegenseitig auf uns und andere achten, dass die Aktion vermittelbar ist, dass man also nicht Exzesse der eigenen Subkultur auslebt, wenn man zum Beispiel Aktionen gegen Tierhaltung macht,…

 

GWR: …phantasievoll und ohne, dass Menschen verletzt werden. Du bist sehr aktiv, nicht in Parteien, sondern in den Neuen Sozialen Bewegungen. Was für Erfahrungen hast Du da gemacht? Was war gut? Was vielleicht nicht so gut?

 

Heinz: Ich denke, dass man einen langen Atem braucht. Es ist ja so, dass vieles nicht schon nach zwei, drei Jahren die vollen Erfolge einheimst, sondern dass sich das ziehen kann. Komisch ist, dass man Hochphasen von Protestbewegungen hat, Forderungen stellt und ein paar Jahre später kommen dann Politiker und verkaufen dasselbe dann als ihre Neuerung, die sie jetzt umsetzen. Die feiern das dann als ihren Erfolg, was absurd ist, weil ja die Soziale Bewegung den Stimmungsumschwung innerhalb der Bevölkerung erreicht hat. Damit man etwas erreicht, braucht man eine vielfältige, phantasievolle und breite Bewegung, nicht nur ein, zwei Aktionsformen. Dabei darf man sich stimmungsmäßig nicht unterkriegen lassen. Ab und zu ist das zäh, gerade wenn man länger dabei ist, dann merkt man: „hmm, jetzt schon wieder das“. Man muss dran bleiben und irgendwann merkt man, das wird jetzt  erfolgreich.

 

GWR: Ein Erfolg waren auch die antimilitaristischen Aktionen gegen das Gefechtsübungszentrum (GÜZ) bei Magdeburg, an denen Du dich beteiligt hast. Was ist das GÜZ? Was lief dagegen? Was ist weiter geplant?

 

Heinz: Das GÜZ ist eine der zentralen Übungsstellen, wo alle NATO-Soldaten nochmal ein konkretes Feindbild bekommen, bevor sie dann in weltweite Einsätze gehen. Sie üben im GÜZ die Transportsicherung durch gegnerisches Gebiet und den Häuserkampf in extra gebauten Dörfern, die nach Afrika, Balkan oder Afghanistan aussehen. Alles, was sie üben, wird aufgezeichnet und anschließend zur Manöverkritik ausgewertet. Das sind 232 Quadratkilometer Gelände, die in den 1930er Jahren von den Nazis eingerichtet wurden, wo sie den Zweiten Weltkrieg vorbereitet haben. Das Gelände ist nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs von der Roten Armee und dann von der NVA übernommen worden. Jetzt trainiert die Bundeswehr hier intensiv das Kriegführen.

Es gibt seit einigen Jahren immer wieder Proteste gegen den Truppenübungsplatz (siehe GWR-Berichte in GWR Nr. 392 ff.). Im letzten Jahr fand das war-starts-here-Camp zum dritten Mal statt. In diesem Jahr zum vierten Mal. (3) 2014 ist die Gewaltfreie Aktion GÜZ abschaffen öffentlich angekündigt drei Mal in größeren Gruppen auf das Gelände gelaufen und wir haben eine Besiedlungsaktion gemacht, unsere Zelte aufgebaut und dort buntes Leben hingebracht. Wir haben Buchweizen verteilt, weil man ja auch etwas anbauen möchte, wenn man siedeln will. Eine Folge dieser Aktion ist, dass über 50 Leute jetzt Bußgeldbescheide über jeweils 400 oder 500 (statt wie sonst üblich bis zu 100) Euro bekommen und dagegen Widerspruch eingelegt haben. Die Bußgeldbescheide sollen abschrecken und Angst davor machen, eine solche Aktion zu wiederholen. Auch wenn wir vorher schon wussten, worauf wir uns eingelassen haben, hat uns die Höhe der Bescheide überrascht. Aber eigentlich ist das für viele eine Motivation, das Gerichtsverfahren jetzt trotzdem durchzuziehen.

Wir wollen eine große, medial begleitete Prozesskampagne machen, mit einer Website, Öffentlichkeitsarbeit, öffentlichen Aktionen zu den Prozessen. Ein Prozesstraining zur Vorbereitung auf die Gerichtsverhandlungen mit Rollenspielen, juristischen Informationen usw. gab es schon. In der Hochphase der Kampagne (also wenn die Prozesse laufen) kostet uns die juristische Begleitung durch das Rechtshilfebüro Hamburg gut 750 Euro pro Monat. Wir rechnen insgesamt mit Kosten von mindestens 10.000 Euro. Wenn die Urteile gegen uns gefällt werden, drohen Bußgelder, Gerichtskosten usw. bis wahrscheinlich über 34.000 Euro. Wir würden uns über Leute freuen, die uns finanziell und/oder aktiv unterstützen. (4) 

 

GWR: Wann und wie bist Du mit der Zeitung Graswurzelrevolution in Berührung gekommen?

 

Heinz: 1994 bin ich enger mit der Graswurzelrevolution in Kontakt gekommen. Eine der ersten Sachen dabei war, dass wir die Proteste gegen den Castor-Transport von Philippsburg nach Gorleben mitgemacht haben. Die Aktionsform, die wir damals gewählt haben, ist von der Graswurzelgruppe Kiel initiiert worden. Wir haben da bundesweit, koordiniert von Graswurzelgruppen, gemeinsam Aktionen gemacht. Zum Beispiel wurde in Zügen an der Strecke die Notbremse gezogen und dann wurden Flugblätter an die Fahrgäste verteilt. Das lief gut.

 

GWR: Du bist seit Ende der 1990er Jahre auch Mitherausgeber der Graswurzelrevolution. Wie bist Du direkt mit der Redaktion in Kontakt gekommen?

 

Heinz: Also, es gab einen GWR-Mitherausgeber, der stand oft an der Uni Heidelberg und hat versucht, dort die Graswurzelrevolution zu verkaufen. Das fand ich von Anfang an sympathisch, wie er das gemacht hat, auch bei vielen Veranstaltungen. Ich habe ihn dann näher kennengelernt, eigentlich mit diesen Anti-Castor-Aktionen. Dann hatte eine Freundin, bevor sie bei uns zu studieren angefangen hat, ein Praktikum im Graswurzelrevolution-Redaktionsbüro in der Kurve Wustrow im Wendland gemacht, beim damaligen GWR-Koordinationsredakteur Jochen Stay. Als sie dann bei uns in der Foodcoop aufgetaucht ist, hat sie gemeint: „Willst Du nicht mitkommen in die örtliche Graswurzelgruppe? Ich habe rausbekommen, wo die sich trifft und dann gehen wir da einfach mal hin.“ Genau. Dann bin ich da aufgetaucht und zum ersten Mal vegan bekocht worden. Dann haben wir unsere ersten gemeinsamen Aktionen gemacht. Das war eine runde Sache, da einfach reinzurutschen. Es gab dann ein paar Spannungen in der Heidelberger Graswurzelgruppe, weshalb ich dann erstmal noch nicht so tief reingerutscht bin. Wir haben dann eher unsere Anti-Atom-Gruppe gemacht, weil die Graswurzelgruppe ein internes Problem mit sich hatte.

Ende der 90er bin ich dann richtig reingekommen, als der Handverkauf an der Uni weitgehend eingestellt wurde, weil der GWR-Mitherausgeber, als er versuchte, eine Zeitung zu verkaufen, vor der Mensa angemacht worden ist mit Sprüchen wie: „Ich dachte ihr hattet eure Auflösungserklärung heute Morgen veröffentlicht. Warum steht ihr denn immer noch hier?!“ Gemeint war die Auflösungserklärung der RAF. Da war dann eine säuerliche Miene zu sehen: „Was hat denn die RAF mit der Graswurzelrevolution zu tun?!“ Aber das war einer der Gründe zu sagen: „Die Jungstudis sind so überdreht, das rentiert sich nicht mehr, hier Handverkauf zu machen.“

 

GWR: Was bedeutet Graswurzelrevolution für Dich? Was unterscheidet diese Bewegungszeitung von anderen Zeitungen?

 

Heinz: Als ich angefangen habe, gab es noch die FögA, die Föderation der Gewaltfreien Aktionsgruppen, die ich kurz vor ihrer Auflösung kennengelernt habe. Für mich war die Graswurzelrevolution immer eine Bewegungszeitung, die ganz nah an diesen Graswurzelbewegungen und Gewaltfreien Aktionsgruppen dran war. Und das, was sich ereignet hat und was mir wichtig ist, die Gewaltfreie Aktion, das hat die Zeitung immer wieder vermittelt, in vielfältiger Weise, in theoretischen Grundlagenartikeln, aber auch in Erfahrungsberichten, in allen möglichen Ebenen. Deswegen habe ich angefangen in der Zeitung mitzuarbeiten und selber auch Artikel zu schreiben.

 

GWR: Die Graswurzelrevolution ist ein anarchistisches Organ. Viele Menschen denken leider immer noch, Anarchie sei Chaos und Terror. Was ist Anarchie für Dich?

 

Heinz: Anarchie ist für mich Freiheit. Das heißt, die Abwesenheit von Chefstrukturen, keine Politiker, keine Manager, niemand, der mir sagt, was ich zu tun und zu lassen habe, niemand, der mir einen Rahmen vorgibt. Ich will einen selbstorganisierten Rahmen. Es ist ja nicht so, dass ich keine Strukturen will, aber selbstorganisierte, keine von oben, keine, die von anderen vorgegeben werden. Selbstorganisation! Und Gewaltfreie Aktion ist ein Mittel, das einzufordern. Ich hoffe, in einer anarchistischen Gesellschaft muss man das dann nicht mehr machen, dass man so krass agiert, wie das aktuell notwendig ist.

 

GWR: Die Graswurzelrevolution erscheint jetzt seit 43 Jahren. Das ist für eine Alternativzeitung ein biblisches Alter. Wie erklärst Du dir diese Kontinuität? Welche Perspektiven siehst Du in den nächsten 43 Jahren für die „Monatszeitung für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft“, auch angesichts der allgemeinen Printmedienkrise?

 

Heinz: Ich hoffe natürlich, dass die Graswurzelrevolution große Perspektiven hat. Wobei sie durch ihre Art immer eine spezielle „Sparte“ von Menschen angesprochen hat. Eigentlich braucht es noch ein paar mehr Zeitungen, die ähnliche Inhalte vermitteln. In der Zukunft wird die Zeitschrift vermutlich auch mehr und mehr online gelesen werden. Irgendwann kann man das Ganze auch als PDF lesen. Was meinst Du?

 

GWR: Na ja, ich will die Zeitung ja auch weiterhin schön durchblättern können und nicht nur am Computer lesen.

 

Heinz: Natürlich. Ich genieße das auch immer noch total, gemütlich im Café zu sitzen und die Zeitung zu lesen. Das war vor 20 Jahren schon so. Die Zeitung zeigt ja auch, dass wir seit vielen Jahren eine recht konstante Anhängerschaft haben. Es gibt viele, die die GWR seit Jahren lesen und immer wieder lesen. Ich glaube, dadurch, dass wir diese außergewöhnliche Message haben, wird sie nicht diese Abwärtsbewegung wie andere Printmedien haben. Die Abozahlen zeigen das ja.

 

GWR: Es ist erstaunlich, dass es trotz Printmedienkrise fast jeden Monat mehr Neuabos als Kündigungen gibt.

Möchtest Du am Schluss dieses Gesprächs Deine Utopie noch ein bisschen beschreiben? Hast Du noch ein schönes Schlusswort?

 

Heinz: Wie die zukünftige Gesellschaft aussieht, kann ich ja nicht entscheiden. Das können nur ganz viele Menschen gemeinsam. Ich kann nur sagen, was mir wichtig wäre. Einmal möchte ich, dass es ökologischer zugeht, dass man mehr auf die Lebensgrundlagen achtet, an vielen Stellen weniger industrialisiertes Vorgehen. Und dass die Welt solidarischer ist, miteinander, viel gastfreundlicher, viel offener, warmherziger. Dass man dann Sachen selbst organisiert, auch in der Produktion, dass man Gemeinschaften bildet, gemeinsam entscheidet, was man auch produzieren will, und in welchen Mengen und das dann bedarfsorientiert macht. Das ist das Wichtige bei der Produktion, dass man guckt, was brauchen die Leute, nicht nur irgendwelche Ersatzbefriedigungen stillt, nur weil es Geld bringt und unnötige Dinge in die Landschaft setzt, die nur die Umwelt verpesten und andere Menschen nerven.

 

GWR: Herzlichen Dank für das Gespräch.

 

Anmerkungen:

1) Siehe: https://www.youtube.com/watch?v=JtGg5xvOyjE

1) Artikel zum Gerichtsprozess, siehe GWR 340 (Sommer 2009) & http://de.indymedia.org/2009/05/249389.shtml

Video vom Gerichtsprozess:

https://www.youtube.com/watch?v=u2jo2Qev03M

http://de.indymedia.org/2012/02/324300.shtml

3) Termin: War starts here. Antimilitaristisch campen und handeln. 25. Juli bis 3. August am  Gefechtsübungszentrum (GÜZ) bei Magdeburg. Infos: www.war-starts-here-camp2015.org

4) Infos: www.gewaltfreie-aktion-guez-abschaffen.de/

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