Die Persistenz der arabischen Golfmonarchien, trotz des sogenannten „arabischen Frühlings“ (2010-11), ist bemerkenswert. Zwar gab es am arabischen Golf Proteste gegen autoritäre Herrscher, doch erreichten diese, mit Ausnahme von Oman und besonders Bahrain, nicht die gleiche Intensität wie in anderen arabischen Staaten. Und auch in Bahrain führten die Proteste nicht zum Sturz der Monarchie. Somit stellt sich erneut die Frage nach den Gründen für das Überleben und die Legitimität der monarchischen Regime. Normative Betrachtungen, die von der Illegitimität nicht-demokratischer Regime und einer früher oder später einsetzenden Transformation hin zur Demokratie ausgehen, werden dabei seit der Einräumung der Konzepte ‚autoritärer Legitimität‘ oder ‚autoritärer Konsolidierung‘ weitgehend ausgespart. ‚Autoritäre Legitimität‘ setzt am Legitimitätsglauben der Bürger an und fragt, warum diese ein nicht-demokratisches Regime als rechtmäßig ansehen könnten.
Ein beliebter Erklärungsansatz, um sich der autoritären Legitimität der arabischen Golfmonarchien zu nähern, ist die „rentier state theory.“ Ihr zufolge erlauben die Öl- und Gaseinnahmen es den monarchischen Herrschern, sich über materielle Leistungen zu legitimieren und Forderungen nach politischer Partizipation abzuwehren. Mit dem Regimetypus ‚dynastischer Monarchien‘ wird eine breite Familienherrschaft mit und durch den Staat beschrieben, die, abgesehen von Oman, in den Golfmonarchien zu finden ist. Des Weiteren wird oft auf traditionelle Gesellschaftsstrukturen und eine einmalige (sub-)regionale „Golfidentität“ hingewiesen. Zunehmend wird das Zusammenkommen von mehreren und auch internationalen Faktoren betont. Zu letzteren gehören die amerikanische Unterstützung der Golfmonarchien wie auch die wechselseitige Legitimierung in der (sub-)regionalen Organisation des Golf-Kooperationsrates (GCC). 1
Ich möchte diese Perspektive ergänzen. 2 Dabei geht es mir nicht darum, zu der verworfenen Vorannahme, dass Demokratie die einzig legitime Herrschaftsform ist und Demokratisierung früher oder später einsetzen wird, zurückzukehren. Demokratisierung und Demokratie sind nicht unabwendbar oder notwendigerweise progressiv, auch wenn Demokratie oft über die Wahrung der Menschenrechte begründet wird. 3 Demokratische Vorbilder wie die antiken Stadtstaaten sind vielmehr dafür bekannt, dass demokratische Rechte und Partizipation seitens der Bürger mit Exklusion (und Versklavung) von ‚Außenseitern‘ einhergingen. Einige haben bereits Parallelen zwischen diesen kleinen und exklusiven politischen Gemeinschaften und den Golfmonarchien gezogen. Der Vergleich drängt sich auf, bedenkt man, dass Arbeitsmigranten, die den Großteil der Bevölkerungen in den arabischen Golfstaaten ausmachen, abgeschottet von den Golfbürgern leben, und keinerlei Aussichten auf Erhalt der Staatsbürgerschaft haben. Politische und ökonomische Ungleichheit kennzeichnet das Verhältnis zwischen Golfbürgern und Arbeitsmigranten.
In diesem kurzen Essay möchte ich monarchische Legitimation in Zusammenhang mit Arbeitsmigration thematisieren. Dazu werde ich, erstens, betonen, was die ökonomisch ausgerichtete rentier-state theory unbetont lässt: Nämlich, dass die sogenannte materielle Legitimation von dem massiven Einbezug (bzw. der Ausbeutung) von Arbeitsmigranten abhängt, deren Präsenz jedoch wiederum konservative und exklusive Vorstellungen politischer Gemeinschaft begünstigt. In einem zweiten Schritt werde ich auf die internationale Kritik an der Stellung der Arbeitsmigranten am arabischen Golf eingehen. In einem Fazit werde ich abschließend argumentieren, dass die Persistenz der arabischen Golfmonarchien sich u.a. über ihre Fähigkeit zwischen den unterschiedlichen materiellen und normativen Anforderungen und Möglichkeiten lokaler, regionaler, und internationaler Ordnungen zu manövrieren erklären lässt. Das Ende der Ausbeutung der Arbeitsmigranten wird am vehementesten im internationalen Diskurs gefordert.
Das Thema ist von aktueller und gesellschaftlicher Bedeutung: Noch vor dem ‚arabischen Frühling‘ und Forderungen nach Demokratisierung begannen Arbeitsmigranten für grundlegende Arbeitsrechte zu protestierten. 4 Seit der Vergabe der FIFA WM 2022 an Qatar wird die Lage der Arbeitsmigranten nun zunehmend in einem internationalen Diskurs und in den deutschen Medien thematisiert. Fußball kann kaum apolitisch sein, wenn er international Formen moderner Sklaverei fördert. Zu Recht kritisierten der DGB-Vorsitzende Michael Sommer und die Nichtregierungsorganisation Amnesty International (AI) den deutschen Fußballfunktionär Franz Beckenbauer für die Aussage, dass es in Qatar keine Sklaverei gebe. 5
Monarchische Legitimität und Arbeitsmigration
Monarchische Legitimation hängt von Arbeitsmigration ab, kann aber auch von ihr gefährdet werden. Schließlich erlaubt nur der massive Einbezug von Arbeitsmigranten den Aufbau einer modernen Infrastruktur und die Bereitstellung von Wohlfahrtsleistungen ohne Rückgriff auf nationale Arbeitskräfte. In den stark segmentierten Arbeitsmärkten arbeiten Golfbürger meist für staatliche, (neo-)patrimoniale Institutionen und werden so an das Regime gebunden. Die rasante Modernisierung und die hohe Zahl der Arbeitsmigranten – sie machen in Qatar und den Vereinigten Arabischen Emiraten ca. 90% der Bevölkerungen aus – schüren jedoch Verfremdungsängste. Dies ist monarchischer Legitimität zunächst nicht abträglich. Vielmehr ermöglicht es die Allgegenwärtigkeit der ökonomischen Globalisierung den monarchischen Regimen, als Bewahrer der Tradition aufzutreten und essentialistisch und exklusiv gedachte Konzepte von Kultur und politischer Gemeinschaft zu kreieren. 6 Da sie diese Traditionskonzepte mit modernen und von der Globalisierung abhängigen Mitteln manipulieren (Museumsbauten, Kamelrennen in modernen Stadien mit minderjährigen indischen Jockeys usw.), handelt es sich um neo-traditionelle Regime oder ‚globalisierte Monarchien‘. 7
Dass Arbeitsmigranten keine anti-monarchischen Ideen in den Bevölkerungen verbreiten, haben die neo-traditionellen Regime durch die Substituierung von arabischen mit asiatischen Arbeitsmigranten sichergestellt. Damit begannen sie schon vor politischen Unruhen. Besonders palästinensische Arbeitsmigranten wurden als potentielle Quelle radikaler und anti-monarchischer Ideen identifiziert. Hingegen gelten Arbeitsmigranten asiatischer und afrikanischer Herkunft als politisch ungefährlich. Gegenwärtig kommen die meisten Arbeitsmigranten aus Nepal, Indien, Sri Lanka und Bangladesch. International hat der breite Austausch von arabischen mit asiatischen Arbeitsmigranten kaum Aufsehen oder Kritik geschürt. Aussichten auf Erhalt der Staatsbürgerschaft haben verbleibende arabische wie asiatische Arbeitsmigranten so gut wie keine.
Vielmehr reflektiert die polit-ökonomische Struktur in den arabischen Golfstaaten internationale Ungleichheiten, die durch die Globalisierung noch verstärkt wurden. Da die lokale Struktur systematisch internationale Ungleichheiten ausnutzt, wird zu Recht von einer strukturellen Ausbeutung gesprochen. Arbeiter aus bestimmten, ökonomisch eher schwachen Ländern werden für bestimmte Aufgaben angeheuert und entsprechend ihres Herkunftslandes und weniger nach der verrichteten Arbeit bezahlt (männliche Inder und Pakistaner arbeiten als Bauarbeiter, Philippiner(innen) als Haushaltsangestellte, Ägypter in Verwaltungen usw.). Die ungleiche Behandlung und Bezahlung verringert die Solidarisierungstendenz unter den Arbeitsmigranten. Über die letzten Jahrzehnte hinweg hat sie unter Golfbürgern auch einen neuartigen Rassismus geschürt. Dieser Rassismus scheint sich weniger an naturalistischen Rasse-Konzepten und mehr an Religion und dem Wohlstand des Herkunftslandes zu orientieren. Seine Logik ordnet andere Araber den Golfarabern unter und schätzt asiatische Arbeitsmigranten am geringsten. (Asiatische) Arbeitsmigranten werden eher als Besitz denn als Menschen mit gleichen Rechten betrachtet. 8 Selbstverständlich möchte ich nicht aussagen, dass diese Einstellungen durch alle Golfbürger vertreten werden. Sie sind jedoch geläufig genug, um als gesellschaftliches Phänomen benannt zu werden.
Diese hochproblematischen Einstellungen implizieren Ambivalenzen in der (ausstehenden) Demokratisierung. Sie deuten darauf hin, dass auch die vorsichtige Gewährung von mehr zivilen Rechten sich nicht unbedingt positiv auf die Menschenrechtslage, bzw. auf die Rechtslage der am schlechtesten Gestellten in den Golfstaaten auswirken muss. Von den heftigsten und strukturell bedingten Menschenrechtsverletzungen betroffen sind schließlich nicht die Golfbürger, sondern die Arbeitsmigranten. Golfbürger fungieren oft selbst als individuelle Rentiers, die Hausangestellte haben und nachgewiesenermaßen auch häufig ausbeuten. Angeblich sind sich viele Golfbürger nicht bewusst, dass Praktiken wie das Einbehalten von Pässen von Arbeitsmigranten schon heute gegen nationales und internationales Arbeitsrecht verstoßen. Angesichts dieser Situation und des verbreiteten Rassismus fordert Francois Crepeau, UN Menschenrechtsbeauftragter, von den politischen Eliten am Golf edukative Maßnahmen, um die Bevölkerungen für Menschen- und Arbeitsrechte zu (re-)sensibilisieren. Die durch monarchische Legitimationsinstrumente geschürten Diskriminierungen sollen also nun durch top-down verordnete Bildung wieder revidiert werden. Bisher kommen die Regime dieser Forderung unzureichend nach.
Wo Gewerkschaften zugelassen sind (Bahrain, Kuwait, Oman), erlauben diese keine Arbeitsmigranten als Mitglieder. Ihre Positionierungen gegenüber den Interessen der Arbeitsmigranten sind allerdings unterschiedlich. Hervorzuheben sind bahrainische Gewerkschaften, da sie sich für die Interessen von Arbeitsmigranten einsetzten. 9 Nach den Protesten in Bahrain, auf welche mit Inhaftierungen, Folter, und dem Einsatz von GCC Truppen reagiert wurde, versucht das Regime nun auch die General Federation of Bahrain Trade Unions (GFBTU) zu schwächen. Die neu gegründete, regierungsnahe Bahrain Labour Union Free Federation (BLUFF) soll mit der GFBTU konkurrieren und deren Ansehen mindern. Die BLUFF wurde allerdings von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) nicht anerkannt. 10 Ich betone dies, um auf einen unbeachteten (Neben-)Effekt des „arabischen Frühlings“ am arabischen Golf aufmerksam zu machen: Das Regime in Bahrain unterdrückte nicht nur 2011 gewaltsam Proteste, sondern versucht auch, die lokale Organisation zu schwächen, die sich traditionell für die Rechte von Arbeitsmigranten einsetzt.
Neben Bahrain gilt Kuwait aufgrund seiner politischen Kultur als Ausnahme am arabischen Golf. Trotz ihrer Rhetorik haben sich kuwaitische Gewerkschaften jedoch kaum für die Interessen von Arbeitsmigranten eingesetzt. In Kuwait, das 2006 das Palermo-Protokoll gegen Menschenhandel und Zwangsarbeit ratifiziert hat, steht die Implementierung des Protokolls noch aus. Auf zivilgesellschaftlicher Ebene und mit einem stark religiös geprägten Vokabular versucht die Kuwaiti Association for the Evaluation of Basic Human Rights Bewusstsein und gesellschaftliche Anerkennung für grundlegende Arbeitsrechte, z.B. dem Recht auf den ausgemachten Lohn, zu schaffen. 11
Arbeitsrechte und die FIFA WM 2022
Die strukturelle Ausbeutung der Arbeitsmigranten wird deutlicher in dem internationalen Diskurs adressiert, der durch die umstrittene und von Korruptionsvorwürfen begleitete Vergabe der FIFA WM 2022 an Qatar angestoßen wurde. Entgegen dem Kalkül des Regimes von Qatar hat der Erhalt dieses Sportevents bisher keinen Prestigegewinn zur Folge gehabt – Qatar wäre das erste arabische Land, das eine Fußballweltmeisterschaft ausrichten würde. Vielmehr hat die Vergabe der FIFA WM an Qatar dem Regime, international betrachtet, erst einmal einen Ansehensverlust beschert. 12
Dass in den Golfstaaten Menschen- und Arbeitsrechte verletzt werden, ist allerdings bekannt. 2003 forderte die Nichtregierungsorganisation Human Rights Watch (HRW) den Weltbankpräsidenten James Wolfensohn auf, die Lage der Arbeitsmigranten in den Golfstaaten zu verbessern. 2004 veröffentlichte HRW einen umfassenden Bericht zur Lage von Arbeitsmigranten in Saudi-Arabien. Gegenwärtig wird geschätzt, dass zwischen 2010 und 2012 ca. 400 nepalesische Arbeiter und in den letzten zwei Jahren ca. 500 indische Arbeiter auf Baustellen in Qatar umgekommen sind. Doch trotz der Drastik der Situation und der hohen Zahl von Todesfällen auf Baustellen scheinen Nichtregierungsorganisationen wie AI und HRW sowie national und international organisierte Gewerkschaften auf ein Event wie die FIFA WM angewiesen zu sein, um internationale Aufmerksamkeit wecken zu können. Deutsche Medien greifen das Thema nun auch zunehmend auf. Führend und positiv hervorzuheben ist jedoch der britische Manchester Guardian, der in exzellenten und teils investigativen Reportagen Formen moderner Sklaverei in Qatar und anderen Golfstaaten attackiert.
Von Menschenrechts- und internationalen Organisationen wird das Sponsorensystem (Kafala-System) regelmäßig als Menschenhandel und Formen moderner Sklaverei ermöglichendes System identifiziert. Es bedingt eine absolute Abhängigkeit des Arbeitsmigranten vom Arbeitgeber. Entsprechend des Sponsorensystems sind Arbeitsmigranten auf einen Golfbürger als Arbeitgeber angewiesen und verlieren ihre Aufenthaltserlaubnis, wenn das Arbeitsverhältnis endet. Es ist ihnen meist verboten, den Arbeitgeber zu wechseln. Arbeitsmigranten fallen nicht unter nationales Arbeitsrecht und werden nicht von ihm geschützt. 13 Sie werden meist von Vermittlungsagenturen angeheuert und ins Land gebracht. Dafür werden ihnen Vermittlungsgebühren, Reisekosten usw. in Rechnung gestellt und vom Lohn abgezogen. D.h., dass sie nach ihrer Einreise zunächst monatelang keinen Lohn ausgezahlt bekommen. Es sind auch Fälle bekannt, in denen Golfbürger ihren Namen an ausländische Unternehmer verkauft haben, um als stille Teilhaber von den Geschäften zu profitieren. Während sie in den Golfstaaten sind, leben die Arbeitsmigranten, die auf den Baustellen arbeiten, unter menschenunwürdigen Bedingungen. Sie leben streng abgeschottet in Gebäuden ohne grundlegende Einrichtungen, mit zehn Menschen in einem Zimmer, erhalten ihre Löhne nicht, genießen keine Bewegungsfreiheit usw.
Die meisten Golfstaaten haben Reformen unternommen und weitere angekündigt. Diese gingen jedoch nie so weit, das Sponsorensystem abzuschaffen. Vielmehr sollten Arbeitsmigranten materiell besser gestellt werden und ihren Lohn ausgezahlt bekommen. Bahrain ging hier voran als es 2009 Reformen des Sponsorensystems beschloss. Ein 2011 beschlossenes Gesetz sieht allerdings vor, dass Arbeitsmigranten ein Jahr warten müssen, bis sie ihren Arbeitgeber wechseln dürfen. 14 Es drückt die ambivalente Haltung des Regimes gegenüber Reformen des Sponsorensystems aus.
Unter dem internationalen Druck, den die FIFA WM-Vergabe ausgelöst hat, sieht sich nun auch Qatar genötigt, Reformen einzuleiten. Qatar wird sehr viele Arbeitsmigranten brauchen, um die für die Fußballweltmeisterschaft notwendige Infrastruktur aufzubauen. Qatar hat 1998 die Konvention der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) gegen Zwangsarbeit (Nr. 29) und 2007 die Konvention (Nr. 105) zur Abschaffung der Zwangsarbeit ratifiziert. Andere Konventionen speziell zum Schutz von Arbeitsmigranten (Nr. 97; 143; 181) hat Qatar nicht angenommen und auch nicht die Absicht signalisiert, dies bald nachzuholen. Experten der ILO sehen allerdings nicht in der ausbleibenden Ratifizierung relevanter Konventionen, sondern in der mangelnden Umsetzung des bestehenden internationalen und nationalen Arbeitsrechts das Hauptproblem. Das Qatar 2022 Supreme Committee und die von dem Komitee publizierten Dokumente signalisieren auch kaum ernsthafte Absichten, zum rechtlichen Schutz von Arbeitsmigranten beizutragen. Vielmehr verstärkt das Komitee die Inkohärenz, die durch das Nebeneinanderbestehen unterschiedlicher, nicht aufeinander abgestimmter Institutionen bedingt wird. Das Arbeitsministerium ist in diesem Geflecht die Institution, die am ehesten geeignet ist, zum Schutz der auf Baustellen arbeitenden Personen beizutragen. Rechtlich ist das Arbeitsministerium verpflichtet, deren Arbeitsbedingungen durch Inspektionen zu kontrollieren. Viele der Inspekteure sind allerdings arabische Migranten, deren Aufenthaltsrecht von dem Regime abhängt. AI hat wiederholt auf unzureichende Reaktionen aufmerksam gemacht und ineffiziente Kontrollen kritisiert. 15 Trotz der Kontrollen gibt es (weiter) tödliche Arbeitsunfälle. Die Inkohärenz der Institutionen und die ineffektiven Kontrollen verdeutlichen, dass auch das Regime in Qatar kaum ernsthaft gewillt ist, ein System abzuschaffen, dass viele einflussreiche Golfbürger befürworten.
Neben diesen nationalen Reformen haben die Golfstaaten signalisiert, auf (sub-)regionaler Ebene im GCC zu einer Vereinheitlichung der Behandlung und zum Schutz von Arbeitsmigranten beizutragen. Bisher wurden hier jedoch kaum Fortschritte erzielt, die angekündigten Reformen werden das Sponsorensystem nicht in dem Maße antasten, 16 wie es international gefordert wird. Das letzte Treffen (Dezember 2014) des Supreme Councils des GCC, bestehend aus den sechs Staatsoberhäuptern, war weniger Themen ökonomischer Integration als der Terrorismusbekämpfung gewidmet. 17 Die Niederschlagung der Proteste in Bahrain durch GCC-Truppen und die Berufung von Abdul Latif bin Rashid Al Zayani, einem bahrainischen Experten für ‚innere Sicherheit‘, zum Generalsekretär des GCC, zeigt, dass der GCC weiter primär dem gemeinsamen Schutz der monarchischen Regime dient.
Ein weiterer Vorschlag von ILO- und anderen Experten lautet, die bilateralen Verträge zwischen Qatar und entsendenden Staaten um strengere Arbeitsschutzregeln zu ergänzen. Einige Klauseln der bestehenden Verträge betreffen bereits die Regulierung der Arbeitsverträge (Vertragsdauer, Reisekosten, Lohnzahlungen usw.), ihre Einhaltung solle von gemeinsamen Komitees kontrolliert werden. Diese Komitees existieren jedoch entweder gar nicht oder arbeiten nur sehr unregelmäßig. 18 Es scheint sich um Alibiinstitutionen zu handeln. Die Regierungen u.a. von Nepal und Indien haben bisher ebenfalls bemerkenswert wenig unternommen, um die Rechte ihrer im Ausland arbeiteten Staatsbürger zu schützen.
Die Interessen der Arbeitsmigranten werden weder in ihren Heimatländern noch in den Golfstaaten effektiv vertreten: Nepalesische und indische Gewerkschaften sehen sich nicht in der Pflicht, die Interessen derer zu vertreten, die es geschafft haben, der Armut ihres Heimatlandes zu entrinnen. Und am arabischen Golf, wo Interessenvertretungen generell kaum institutionalisiert sind, sehen Golfbürger nur partiell die Notwendigkeit, sich für die Rechte von Arbeitsmigranten einzusetzen. Eine Ausnahme stellt wie gesagt die GFBTU dar. Dieses Dilemma erkennend, versucht die ILO nun Gewerkschaften der Entsender- und Empfängerländer zu sensibilisieren und z.B. Aufklärung in Bezug auf die Arbeitsbedingungen am arabischen Golf u.a. in Nepal und Indien zu initiieren. Die dreifache Struktur der ILO, in der die Interessenvertretung von Regierungen, Arbeitgebern und Arbeitnehmern institutionalisiert ist, setzt starke Gewerkschaften voraus, die jedoch in Entwicklungsländern wie Nepal oft nicht gegeben sind.
Fazit
Die Persistenz der arabischen Golfmonarchien lässt sich auch über ihre Fähigkeit, zwischen den unterschiedlichen Anforderungen und Möglichkeiten internationaler, regionaler, und lokaler Ordnungen zu manövrieren, erklären. 19 Diese Ordnungen bleiben in normativer und sozio-ökonomischer Hinsicht, trotz der durch die Globalisierung und den Ölreichtum kreierten ökonomischen Verflechtungen, bemerkenswert different. Kommentatoren, welche in der Fußballweltmeisterschaft 2022 in Qatar einen möglichen Anstoß zu sozialem und politischem Wandel in Qatar sehen, setzen jedoch darauf, dass dieses internationale Ereignis zu lokalem Wandel führt. Angesichts des internationalen Drucks sieht sich das Regime auch zum Handeln genötigt, versucht aber bisher substantielle Reformen, wie eine Abschaffung des Sponsorensystems, zu umgehen. Eine Abschaffung dieses Systems hätte schwer abschätzbare Folgen für die lokale Legitimität des Regimes.
1 Holthaus L. (2010) Regimelegitimität und regionale Kooperation im Golf-Kooperationsrat (Gulf Cooperation Council), Frankhurt am Main: Peter Lang. Holthaus L. (2015) Der Golf-Kooperationsrat. In: Grimmel A. and Jakobeit C. (eds) Regionale Integration. Baden-Baden: Nomos.
2 Schlumberger O. (2010) Opening Old Bottles in Search of New Wine: On Nondemocratic Legitimacy in the Middle East. Middle East Critique 19: 233-250 und Bank A., Richter T. and Sunik A. (2013) Long-term monarchical survival in the Middle East: a configurational comparison, 1945–2012. Democratization: 1-22.
3 Manche mögen diese Ansicht nach dem arabischen Frühling und mit Blick auf den Erfolg der Islamisten teilen. Allerdings sollte man doch nicht orientalistischen Interpretationen verfallen und dies als rein arabisches oder islamisches Problem betrachten. Viele Vertreter liberaler Demokratien, wie John Stuart Mill, hegten beträchtliche Vorbehalte gegenüber den illiberalen Tendenzen europäischer Gesellschaften. Kurki M. (2013) Democratic Futures. Revisioning democracy promotion, New York: Routledge.
4 Khalaf A. (2006) Das andere Golf-Syndrom. inamo: 15-18.
5 http://www.focus.de/sport/fussball/wm-2014/wm-dgb-chef-sommer-kritisiert-beckenbauer_id_3443323.html Zugriff am 16.11.2014
6 Dresch P. (2006) Foreign matter. The place of strangers in Gulf society. In: John W. Fox NM-S, Mohammed al-Mutawa (ed) Globalization and the Gulf. London and New York: Routledge, 200-222. S. 203. Longva A.N. (2005) Neither Autocracy nor Democracy but Ethnocracy: Citizens, Expatriates and the Socio-Political System in Kuwait. In: Dresch P. and Piscatori J. (eds) Monarchies and Nations. Globalisation and Identity in the Arab States of the Gulf. London and New York: I.B. Tauris, 114-135.
7 Henry C.M. and Springbord R. (2010) Globalization and the Politics of Development in the Middle East, Cambridge: Cambridge University Press. S. 212.
8 Crepeau F. (2014) Report of the Special Rapporteur on human rights of migrants. United Nations. S.15.
9 Eigenes Interview mit Azfar Khan, Head of Policy Research and Knowledge Building
Fundamental Principles and Rights at Work Branch Governance Department, International Labour Organization, 16.12.2014.
10 Internationaler Gewerkschaftsbund, http://survey.ituc-csi.org/Bahrain.html?lang=en#tabs-3
11 Harroff-Travel H. and Nasri A. (2013) Tricked and Trapped. Human Trafficking in the Middle East. International Labour Organization. S. 150.
12 Dorsey J. M. (2014) The 2022 World Cup: A Potential Monkey Wrench for Change. The International Jounral of the History of Sport 31: 1739-1754.
13 Khan A. and Harroff-Tavel H. (2011) Reforming the Kafala: Challenges and Opportunities in Moving Forward. Asian and Pacific Migration Journal 20: 293-313. S. 297.
14 Harroff-Travel H. and Nasri A. (2013) Tricked and Trapped. Human Trafficking in the Middle East. International Labour Organization. S. 26.
15 Organization IL. (2014) Labour Inspection in Arab States: Progress and Challenges. http://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/@arabstates/@ro-beirut/documents/publication/wcms_325618.pdf. S. 28-9.
16 Gulf: yes to unified minimum contract for domestic workers (26.11.14). http://www.ansamed.info/ansamed/en/news/sections/generalnews/2014/11/26/gulf-yes-to-unified-minimum-contract-for-domestic-workers_e1fb7ce6-ca7b-4e45-9cf3-88e66b0e6938.html
17 Young K.E. (2014) The GCC in 2015: Domestic Security Trumps Regional Integration
18 Crepeau, F: S. 10.
19 Nonneman G. (2005) Introduction. In: Nonneman G. (ed) Analyzing Middle East Foreign Policies and the Relationship with Europe. New York: Routledge, 1-5.S. 3.