Windhundrennen

Stefan Schoppengerd zum Konflikt zwischen ver.di und IGM über die Zuständigkeit in der Logistikbranche

Streiks bei der Bahn und im Flugverkehr sorgen derzeit wieder für böse Presse, und die vorübergehend aus der Debatte verschwundene Idee einer Verpflichtung auf »Tarifeinheit« erfährt neuerliche Unterstützung. Konkurrenz und Konflikte um die Zuständigkeit für Branchen und Betriebe gibt es aber nicht nur zwischen den »Etablierten« und den lauten Kleinen, sondern auch innerhalb des DGB. Ein aktuelles Beispiel für solche Reibereien findet sich bei Stute Logistics in Norddeutschland, wo  ver.di und IG Metall um die Tarifhoheit ringen.

Die IG Metall hat mit einer Reihe von Warnstreiks einen Tarifvertrag an drei Standorten der Kühne & Nagel-Tochter »Stute Logistics« durchgesetzt, an denen für Airbus gearbeitet wird. ver.di findet das gar nicht gut und wirft der IG Metall eine grobe Verletzung der Spielregeln vor. In der Belegschaft scheint die IG Metall nach den Ereignissen der letzten Monate allerdings die größere Gunst zu genießen.

Am 2. September vermeldete die Facebook-Kampagnenseite mit dem Titel »Ein passender IG Metall-Tarifvertrag für Stute« einen Erfolg: Ein Verhandlungsergebnis sei erreicht, die Tarifkommission habe »vorbehaltlich der Zustimmung unserer Mitglieder« einstimmig beschlossen, es anzunehmen. Ein paar Tage später folgte eine große Mehrheit auf der Mitgliederversammlung diesem Votum. Einer Vertragsunterzeichnung scheint nichts mehr im Wege zu stehen, nachdem inzwischen auch die Widerrufsfrist verstrichen ist. Vor der Einigung hatte es bei Stute Logistics mehrere Warnstreiktage gegeben, die Einleitung der Urabstimmung über einen unbefristeten Streik stand kurz bevor.

Für die insgesamt 750 Beschäftigten an den drei Standorten Bremen, Hamburg-Finkenwerder und Hamburg-Hausbruch bedeutet der Abschluss 250 Euro mehr im Monat, 100 davon als nicht tabellenwirksame »monatliche Einmalzahlung«. Es gibt 28 Urlaubstage im Jahr, und LeiharbeiterInnen sollen nach zwölf Monaten im Betrieb unbefristet übernommen werden.

Als die IG Metall mit den Warnstreiks begann, war es allerdings nur ein gutes halbes Jahr her, dass ver.di mit dem Unternehmen einen Haustarifvertrag abgeschlossen hatte, der die Anbindung an den Flächentarif für die Logistikbranche regelte. Die Arbeitgeberseite versuchte vorm Arbeitsgericht, die IGM-Aktionen verbieten zu lassen, weil aufgrund des laufenden Tarifvertrages die Friedenspflicht gelte. Das Gericht kam zu einem anderen Urteil, so dass die Warnstreiks legal stattfinden konnten. Aber auch bei ver.di wertet man den Vorstoß der IG Metall als grobes Foul und hat sich an die Schiedsgerichtsbarkeit des DGB gewandt: »Wir halten eigentlich die Regularien, die wir uns im Deutschen Gewerkschaftsbund gegeben haben, für eindeutig genug«, so ver.di-Pressesprecher Jan Jurczyk. »Wir glauben, dass die IG Metall eklatant gegen die Spielregeln verstoßen hat.«

Der Ärger bei ver.di ist auch in strategischen Grundsatzpositionen der IG Metall begründet, mit denen diese auf Restrukturierungs- und Outsourcingprozesse reagiert: Nicht die nominale Zuordnung eines Betriebes soll demnach bei »industrienahen Dienstleistungen« ausschlaggebend sein, sondern die Bedeutung für den Produktionsprozess. »Die IG Metall konstruiert Wertschöpfungsketten, wir organisieren nach Branchenzugehörigkeit«, so Jurczyk.

Dass es dabei zu Reibungen mit anderen DGB-Gewerkschaften kommt, ist vorprogrammiert. Das weiß man auch bei der IG Metall. In einer über Google auffindbaren Powerpoint-Präsentation für die Geschäftsführerkonferenz des IG Metall-Bezirks Mitte vom Mai diesen Jahres heißt es zu dem Thema mahnend: »Aus kleinen Konflikten werden schnell grundsätzliche Auseinandersetzungen.« Außer Stute werden hier bundesweit zehn weitere schwelende »Organisationskonflikte« mit ver.di, IG BCE und IG BAU genannt. Neben Logistikunternehmen geht es etwa um Hersteller von Kunststoffteilen und um Callcenter. Die häufigste Vorgehensweise ist, mit der jeweiligen »Schwestergewerkschaft« eine einvernehmliche Lösung zu suchen – oder, wie es in der Randbemerkung zu einem Betrieb in der Auflistung heißt, nach dem »Windhundprinzip« zu handeln, bis die laufende Erschließung eines Betriebs bei den FunktionärInnen von nebenan zu Unmut führt.

Dass das bis vors Schiedsgericht geht, ist eher die Ausnahme. Das betont auch der Tätigkeitsbericht des DGB für die Jahre 2010 bis 2013. In den drei Jahren hat es demnach nur 18 Vermittlungs- oder Schiedsgerichtsverfahren gegeben, »schwerpunktmäßig in den Bereichen Logistik oder Autozulieferer (ver.di / IG Metall), Abfallbeseitigung (ver.di / IG BCE), Servicegesellschaften in Krankenhäusern (ver.di / IG BAU / NGG) und Papiererzeugung / Papierverarbeitung (ver.di / IG BCE). Fünfzehn Verfahren konnten erfolgreich mit einer Vereinbarung abgeschlossen werden, acht im Vermittlungsverfahren, sieben im Schiedsgerichtsverfahren. Lediglich in drei Fällen musste ein Schiedsgerichtsurteil gefällt werden.«

Ein Blick auf frühere Entscheidungen beim DGB über Logistikunternehmen ergibt kein eindeutiges Bild. Während das Schiedsgericht 2012 im Fall des Wolfsburger Standortes der Logistikfirma Schnellecke zugunsten der IGM entschied, wurde der IGM im darauffolgenden Jahr die Zuständigkeit für das Unternehmen Egerland abgesprochen – was von Arbeitgeberseite mit Erleichterung aufgenommen wurde.1 Ein Abschluss mit der IGM hätte, wie jetzt bei Stute, über dem Niveau des Logistik-Flächentarifvertrags gelegen. Ausschlaggebend für die Entscheidungen war jeweils die Frage, wie tief die »Kontraktlogistiker« in den Produktionsprozess des beauftragenden Unternehmens eingebunden waren.

Darüber gehen die Meinungen im Fall Stute wiederum weit auseinander. Emanuel Glass, der als Hamburger IG Metall-Sekretär die Mobilisierung der Belegschaft für den neuen Tarifvertrag vorangetrieben hat, betont gegenüber dem express die enge Anbindung an den Flugzeugbauer. »Bei Stute werden Tätigkeiten ausgeübt, die vorher von Airbus-Mitarbeitern ausgeübt wurden. Bei Airbus sind die Kolleginnen und Kollegen aus der Logistik in andere Bereiche versetzt worden, die Leiharbeitnehmer, die da waren, wurden bei Stute beschäftigt. Gearbeitet wird zu hundert Prozent für Airbus, teilweise auf dem Airbus-Gelände und mit Airbus-Material. Die Kolleginnen und Kollegen wurden von Airbus-Mitarbeitern eingearbeitet. Für uns ist also klar: Das ist ein industrienaher Bereich, der an Airbus angegliedert ist. Deshalb sind wir dafür zuständig.«

Aus ver.di-Sicht ist entscheidend, dass die Arbeit bei Stute keine als Dienstleistung getarnte Zuliefer-Produktion ist, sondern das Unternehmen eindeutig der Logistik-Branche zugerechnet werden kann. Die IG Metall dringe in Unternehmen vor, die schon bereit waren, einen Flächentarifvertrag anzunehmen, und füge damit der konkurrenzvermeidenden Funktion des Tarifgefüges Schaden zu. Jan Jurczyk: »Das ist jetzt eine Frage des Glaubens an die zivilisatorische Wirkung eines Deutschen Gewerkschaftsbundes. Ich halte aber alle DGB-Gewerkschaften, uns eingeschlossen, grundsätzlich für einigungsfähig.«

Dass ver.di mit Stute ein starkes Unternehmen abgejagt worden sei, will Emanuel Glass nicht gelten lassen. Erst durch die langwierigen Bemühungen der IGM sei es überhaupt zu nennenswerter gewerkschaftlicher Präsenz gekommen. Mit einigen aktiven Mitgliedern hat er über Monate eine Betriebsratswahl vorbereitet, die dann im November 2013 stattfand und in der zu fast hundert Prozent für die Listen der IGM gestimmt wurde (am Standort Hausbruch reichte es nur für neun von elf Sitzen, inzwischen sind auch hier alle in der IGM). Der Tarifabschluss von ver.di gehe nicht auf die gute Verankerung im Betrieb zurück, sondern sei auf Initiative der Geschäftsleitung zustande gekommen, als die Metall-Kampagne schon Fahrt aufgenommen hatte. Das sei beim Prozess um die Rechtmäßigkeit der Warnstreiks deutlich geworden: »Als Beweis dafür, dass ver.di zuerst im Betrieb vertreten war, hat die Arbeitgeberseite ein Schreiben von Herrn Blesius, dem Arbeitsdirektor von Kühne & Nagel vorgelegt, in dem er die Gewerkschaft ver.di zu Gesprächen über einen Tarifvertrag auffordert.«

Obwohl die Vertreter beider Gewerkschaften mit Nachdruck vertreten, sich der Rechtmäßigkeit ihres Vertretungsanspruchs sicher zu sein, will keine Seite einen Ausgang des DGB-Verfahrens prognostizieren. Anfang Oktober findet ein erster Schlichtungstermin statt. Kommt es zu keiner Einigung, wird also ein Urteilsspruch notwendig, kann sich das Verfahren noch eine ganze Weile hinziehen. Der jetzt abgeschlossene IGM-Tarifvertrag bliebe davon aber zunächst unberührt. Er hat eine Laufzeit bis Ende 2015.

Anmerkung:

1)           www.verkehrsrundschau.de/dgb-schiedsgericht-bestaetigt-verdi-1246741.html