Editorial

In: express 6/2019

Geneigte Leserinnen und Leser,

»Ich mach Homeoffice, Chef, ich steh nicht auf«, sang der Liedermacher Friedemann Weise 2012 auf seinem CD-Erstling »Friede allein zu Haus«. Dass Homeoffice tatsächlich ganz anders aussieht, darauf weist Peter Kern in der vorliegenden Ausgabe (S. 1) angesichts des EuGH-Urteils zur Zeiterfassung hin.

Auch wenn wir die Segnungen des digitalen Kapitalismus wie die vermeintliche Flexibilität ebenfalls skeptischer beäugen, als Friedemann Weise es augenzwinkernd tut, mussten wir die Erstellung des Juni-express größtenteils auch im Homeoffice erledigen und fragen uns nebenbei, wie wir es eigentlich je geschafft haben, diese Zeitung im Prä-Internet-Zeitalter fertigzustellen. Unser Frankfurter Büro entpuppte sich nämlich just in der Produktionsphase als eine Zeitmaschine, die uns in eben jene Epoche zurückversetzt hat. Alles, was wir dorthin aus dem 21. Jahrhundert mitnehmen durften, war eine andere zweifelhafte Segnung – die Betreuung durch Callcenter samt der Warteschleifen-Lullabies und die Abhängigkeit von Dienstleistern, deren Kommen ein ums andere Mal für »Morgen!« angekündigt wird. Auch nicht gut für die Homeoffice-Romantik.

Aber kommen wir zu wichtigeren Malaisen: Gegen die Segnungen des Kapitalismus hat sich in den vergangenen zwei bis drei Jahren in der linken Gegenöffentlichkeit Deutschlands eine Debatte um eine »neue Klassenpolitik« entfaltet. Der express ist dazu bislang still gewesen, schlicht in dem Wissen darum, dass das, was wir hier publizieren und vorantreiben, stets und zu allen Zeiten Klassenfragen waren, sind und sein werden: The Dead don’t die (Jim Jarmusch), aber manchmal ist es Zeit, der Tagwelt einen Besuch abzustatten: In einer Doppelrezension zu dem Sammelband aus dem Hause analyse & kritik und dem gleichnamigen Buch Bernd Riexingers (siehe auch das Interview mit Bernd Riexinger in express 12/2018) lässt Andreas Meinzer die Diskussion Revue passieren (S. 9), und Alt-Redakteur Slave Cubela bespricht den Einwurf von Jung-Redakteur Torsten Bewernitz (S. 11). Damit aber nicht genug: Im September werden wir Euch nach Frankfurt einladen, hauptsächlich, um mal mit Euch die Zukunft unseres Projekts zu besprechen, aber auch – als kleines Bonbon – um unser Unbehagen mit der Debatte zu konkretisieren.

Bis dahin fließt allerdings noch viel Wasser den Main hinunter und es gibt bereits vorher eine feine Gelegenheit, die express-Redaktion und ihre Tradition live zu erleben: Denn andere Formen von Klassenpolitik praktisch zu erproben, war auch immer Ansatz des Sozialistischen Büros, des SB, dessen Kind auch der express ist. Das SB wird dieser Tage 50 Jahre, und aus diesem Anlass laden wir und das SB Euch am 13. Juli 2019 in das Frankfurter Medico-Haus zu unserer kleinen Jubiläumstagung »50 Jahre SB: neue, antiautoritäre, undogmatische Linke?« (siehe S. 16).

Das Alter des SB bringt es mit sich, dass liebe GenossInnen von uns gehen: Edgar Weick hat einen bewegenden Nachruf auf Gründungsmitglied Klaus Vack geschrieben (S. 13), der auch eine subjektive Geschichte des SB ist. Und diese Geschichte, die des SB wie die unsere und einer neuen, antiautoritären, undogmatischen Klassenpolitik geht weiter. Wir wünschen eine erbauliche Lektüre!

express im Netz unter: www.express-afp.info