Zum "Memorandum of Understanding" zwischen Argentinien und Iran

Schon die Ermittlungen zum AMIA-Anschlag waren fehlgeleitet

in (21.02.2013)

Weitgehend unbemerkt von der Weltöffentlichkeit, haben die Regierungen der Islamischen Republik Iran und Argentiniens Ende Januar ein “Memorandum of Understanding” unterschrieben und die Einrichtung einer Wahrheitskommission beschlossen, die untersuchen soll, wer der Urheber des terroristischen Anschlags gegen das argentinisch-jüdische Gemeindezentrum AMIA ("Asociacion Mutual Israelita Argentina") 1994 in Buenos Aires war, bei dem 85 Menschen getötet wurden. Die Übereinkunft wurde in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba in Farsi, Spanisch und Englisch von den Außenministern Héctor Timerman und seinem iranischen Amtskollegen Ali Akbar Salehi unterschrieben.

<--break->Die Wahrheitskommission soll aus einem Team internationaler Juristen bestehen, das sämtliche Dokumentationen und Unterlagen einer Revision unterzieht, die die Justizbehörden in Argentinien und Iran über den Fall verfügen und die entsprechend an sie zu übergeben sind. Genauer soll die Kommission aus fünf unabhängigen Richtern und zwei weiteren Mitgliedern zusammengesetzt sein. Alle werden von Argentinien und Iran eingesetzt, dürfen aber weder die iranische noch die argentinische Staatsbürgerschaft haben. Die Kommission ist bevollmächtigt, Vertreter beider betroffener Länder vorzuladen. 2007 baten die argentinischen Behörden Interpol um Amtshilfe bei der Verhaftung von fünf verdächtigen Iranern und eines Libanesen. Sie sollen bei dem AMIA-Bombenanschlag eine Rolle gespielt haben. Nun können sie im Iran verhört werden.

Die Einsetzung der Wahrheitskommission stieß in den USA und in Israel auf heftige Kritik. Beide Länder streuten die Behauptung, dass ein solcher Schritt nur bedeuten könne, dass Argentinien jegliches Interesse an der Untersuchung des AMIA-Attentats verloren habe, auch an dem Bombenanschlag auf die israelische Botschaft 1992. Bei diesem wurden 29 Menschen getötet.

 

 

Fall Burgas – Neuauflage der AMIA-Ermittlungen?

 

Ein Argument mehr dafür, dass gerade jetzt, nach dem Abkommen zwischen Iran und Argentinien, das Burgas-Bus-Attentat vom 18. Juni 2012 (6 Tote, davon 5 Israelis) auf die Tagesordnung gehievt wird. Denn auch bei diesem haben sich die USA und Israel bisher alle Mühe gegeben, Iran und/oder Hizbullah die Tat anzuhängen, was ihnen aber bei den Anschlägen von Argentinien anscheinend nur höchst unvollständig gelungen ist.

Prompt meldete sich am 5. Februar 2013 der bulgarische Innenminister Tsvetan Tsvetanov zu Wort und verstieg sich zu der Stellungnahme, dass die beiden mysteriösen Männer, die nun schon seit Monaten in den verschiedensten Berichten mit dem Burgas-Attentat in Verbindung gebracht werden, Kontakt zur Hizbullah gehabt hätten. Beide seien mit australischen und kanadischen Pässen gereist und hätten zwischen 2006 und 2010 im Libanon gelebt, hieß es. Tsvetanov fügte hinzu: "Es gibt Beweise, dass die beiden Verdächtigen mit Hizbullah in Verbindung standen und von dieser finanziert wurden."

So einfach scheinen die Auskünfte des Innenministers jedoch bereits von der Opposition im eigenen Land nicht hingenommen zu werden. Der Oppositionsführer von der Sozialistischen Partei, Sergei Stanishev, meinte, dass die Vorwürfe gegen Hizbullah unbegründet und politisch motiviert seien. "Sofia News Agency" zufolge habe Stanishev darauf aufmerksam gemacht, dass Israel schon am Tag nach dem Attentat diese Version ins Spiel brachte - zu einer Zeit, als die Untersuchung noch gar nicht begonnen habe und wichtige Indizien noch gar nicht ins Blickfeld geraten seien.

Anders als die bulgarische Opposition, zeigte sich der oppositionelle Block des "14. März" im Libanon, darunter vor allem die "Zukunftsbewegung" ("Al Mustaqbal" Saad Hariris, von den Behauptungen Tsvetanovs höchst angetan. Dort spekulierte man schon auf den Sturz der Regierung Najib Mikati, an der Hizbullah beteiligt ist. Man wollte zwar auf das neue Wahlgesetz warten, aber das Burgas-Attentat sei eine gute Gelegenheit, endlich die Regierung zu Fall zu bringen. Diese sprach allerdings ungerührt von einem bloßen “Wunschdenken“ des "14. März".

Einer der ersten, der sich zu Tsvetanovs Erklärung zu Wort meldete, war übrigens der israelische Premier Benjamin Netanjahu. Er bedankte sich für die "gründliche und professionelle Untersuchung" der bulgarischen Ermittler – obwohl diese noch längst nicht abgeschlossen ist.

 

 

Im Hintergrund das iranische Nuklearprogramm

 

2006 schrieb Gareth Porter in "MIDDLE EAST", dass neue Informationen bisherige Vermutungen in Frage stellten, Iran sei für die Bombenanschläge auf die israelische Botschaft in Buenos Aires vom 17. März 1992 (29 Tote) und auf das Hauptquartier der AMIA am 18. Juli 1994 (85 Tote) verantwortlich. Bisher hatte es nämlich geheißen, Iran habe die Anschläge deswegen in Auftrag gegeben, weil Argentinien auf Druck der USA eine Nuklearkooperation mit dem Iran plötzlich eingestellt habe. Unterstützt wurde diese Theorie durch die Aussage eines übergelaufenen ehemaligen iranischen Geheimdienstoffiziers, Abdolghassem Mesbahi. Der argentinische Staatsanwalt, der im Fall des AMIA-Bombenanschlags ermittelt, fand ein weiteres Argument für eine Urheberschaft Irans: Demnach habe dieser sich von Argentinien herausgefordert gefühlt, weil die Regierung Carlos Menem enger an die USA heranrückte und 1991 sogar Kriegsschiffe in den Persischen Golf entsandte.

Aber der Bericht des Staatsanwalts belege Porter zufolge nebenher auch, dass Argentinien seine nukleare Kooperation mit dem Iran niemals vollständig einstellte und gerade in den Jahren 1992 bis 1994 um die Wiederaufnahme von Verhandlungen über drei entsprechende Verträge auf dem Programm stand, die zwischen 1987 und 88 geschlossen worden waren. Im ersten Vertrag ging es um die Lieferung von um 20% angereichertem Uran, zu schwach übrigens, um zur Herstellung von Waffen verwendet werden zu können. Im zweiten und dritten Vertrag ging es um technische Hilfe.

Der Anschlag auf die israelische Botschaft 1992, bei dem die USA und Israel umgehend Iran als Schuldigen benannten, versetzte der Kooperation zwischen Buenos Aires und Teheran einen merklichen Dämpfer, beendete sie aber nicht. Menem setzte den zweiten und dritten Vertrag aus - der erste dagegen blieb in Kraft, wie aus dem Bericht des Staatsanwalts hervorgeht. Zusätzlich zitiert Porter den "Christian Science Monitor" (CSM) vom 18. Februar 1993, nach dem ein iranischer Politiker zum damaligen Zeitpunkt bestätigt haben soll, dass sein Land immer noch niedrig angereichertes Uran aus Argentinien beziehe. Auch die Internationale Atomenergiebehörde soll damals mitgeteilt haben, dass eine Lieferung niedrig angereicherten Urans Iran "innerhalb eines Jahres" erreichen werde.

Die neuen Beweise für eine Zusammenarbeit beider Länder über das Botschaftsattentat hinaus machen die Anklage gegen Rafsanjani und andere Iraner, die Mesbahi zufolge auf einem Treffen am 14. August 1993 den Plan für den Anschlag auf das AMIA-Kulturzentrum beschlossen hätten, unglaubwürdig. Außerdem wusste Mesbahi nichts von dem im Bericht des Staatsanwalts erwähnten Uranexport – obwohl er doch vorgab, über Insiderwissen zu verfügen. Mesbahis Glaubwürdigkeit verflog zudem endgültig, als er seine spektakuläre Behauptung, Menem hätte 10 Mio. US-Dollar vom Iran erhalten, damit er diesen nicht wegen des AMIA-Attentats beschuldige, wieder zurücknehmen musste.

Das lässt nur den Schluss zu, dass die Verantwortlichen im Iran, allen voran Ali Akbar Rafsanjani, zum Zeitpunkt des AMIA-Bombenanschlags 1994 nach wie vor davon ausgingen, dass Argentinien mit Teheran in Sachen Nukleartechnologie kooperieren wolle. Argentinien war sogar entschlossen, die Zusammenarbeit weiter zu vertiefen. Das ist der Hintergrund des Anschlags auf das AMIA-Kulturzentrum in Buenos Aires. Wie schon bei dem Anschlag auf die Botschaft, machten die USA und Israel Iran erneut für den Anschlag verantwortlich. Aber sollte, fragt Porter, die iranische Führung ein solches Attentat tatsächlich angeordnet haben, zu einem Zeitpunkt, wo sie sich bemühte, die Zusammenarbeit mit Argentinien wieder zu vertiefen?

 

 

Irreführung statt Ermittlungen?

 

Am 4. Februar 2008 setzte Gareth Porter seine Recherche in "The Nation" fort. In der Zwischenzeit waren der Öffentlichkeit neue Spuren präsentiert worden. So behaupteten die Ermittler 2005, sie hätten den angeblichen Selbstmordattentäter, ein "libanesisches Hizbullah-Mitglied" namens Ibrahim Hussein Berro, identifizieren können. Zwar hätten libanesische Rundfunkstationen zwei Monate nach den AMIA-Bombenanschlägen gemeldet, Berro sei in einem Feuergefecht mit dem israelischen Militär im Südlibanon gefallen. Das habe aber lediglich davon ablenken sollen, dass er die Bombe in das AMIA-Gebäude gesteuert habe. Doch die "Beweise" gegen Berro erwiesen sich schließlich als manipuliert und gefälscht.

Die offizielle Story ist die: Berros Name soll den Geheimdiensten SIDE und CIA von einem libanesischen Informanten vermittelt worden sein, der behauptete, befreundet zu sein mit einem Hizbullah-Chauffeur und einem Hizbullah-Führer namens Abu Mohamad Yassin, der ihm wiederum erzählt habe, dass Berro der Selbstmordattentäter gewesen sei. Porter hielt die Geschichte für wenig glaubwürdig, weil Geheimdienste niemals Namen enthüllen oder die frühere Tätigkeit eines aktuellen Informanten. Auch Patricio Pfinnen, der im Auftrag des SIDE in Sachen AMIA ermittelte, bis der Fall ihm im Januar 2002 entzogen wurde, habe Zweifel an Berros Täterschaft geäußert: Auf mehr als Widersprüche sei er bei seinen eigenen Recherchen im Libanon nicht gestoßen. "Haaretz" hatte übrigens schon im März 2003 berichtet, dass der Mossad den Selbstmordattentäter identifiziert und einen Telefonanruf gespeichert habe, in dem Berro sich von seinen Eltern verabschiedete. Als jedoch am 2006 die Anklage vorgestellt wurde, kam dieser "Beweis" darin nicht vor.

Als weitere "heiße Spur" in Richtung Iran und Hizbullah wurde eine Zeit lang Manoucher Moatamer präsentiert, ein weiterer iranischer Überläufer. Es hieß, er kenne die Hintergründe des AMIA-Bombenanschlags genau, bis jedoch herauskam, dass er absolut nichts wusste und nicht mehr als ein kleiner frustrierter Beamter war. James Cheek, Clintons US-Botschafter in Buenos Aires, nannte ihn schlicht "unglaubwürdig". Doch Cheek ließ Porter gegenüber keinen Zweifel, dass es die Anklagen gegenüber Iran und Hizbullah bisher rein politisch motiviert, aber durch keinerlei Beweise gedeckt sind: "Meines Wissens gab es niemals einen echten Beweis (für eine iranische Täterschaft) Ein solcher wurde zu keinem Zeitpunkt vorgelegt." Auch der damalige stellvertretende US-Botschafter in Argentinien, Ron Goddard, bestätigte: "Die ganze Iran-Sache ist fadenscheinig." Im Oktober 1997 wurde vom FBI-Büro, zuständig für Hizbullah, ein Spezialistenteam zusammengestellt, um in Buenos Aires den Fall zu lösen. Leiter dieses Teams war James Bernazzani: Auch dieser hatte 2006 in einem Interview festgestellt, dass er keinerlei Anhaltspunkte über die Verwicklung des Iran oder der Hizbullah in den Anschlag gefunden habe.

 

 

Letztes Hilfsmittel: Telefonanalysen

 

Porter berichtet weiter: "Mangels irgendeiner konkreten Spur machte sich der der argentinische Geheimdienst SIDE daran, die iranische Schuld auf dem Umweg eines Indizienbeweises mit Hilfe von Telefonanalysen zu beweisen. Die SIDE-Ermittler behaupteten, dass eine Reihe von Telefonanrufen, die im Zeitraum 1. bis 18. Juli 1994 auf einem Handy in der brasilianischen Grenzstadt Foz de Iguazu eingegangen sein sollen, nur von dem 'Einsatzkommando' stammen konnten, das den Bombenanschlag durchführen sollte – und vor allem dass das Handy (eines Verdächtigen namens) Rabbani diesem Kommando zugeordnet werden könne. FBI-Mitarbeiter Bernazzani sagte mir, dass er über die Verwendung der Analyse von Telefonverbindungen zur Überführung der Täter, wie SIDE sie vorlegte, entsetzt gewesen sei. 'das ist einfach nur gefährlich,' meinte er. 'Auf diese Weise können Sie mein Telefon mit dem von Ben Laden in Verbindung bringen.' Bernazzani schloss, dass es sich bei den argentinischen Ermittlungsergebnissen um reine 'Spekulationen' handele und weder er noch irgendwer in Washington darin einen Beweis für eine iranische Schuld gesehen haben."

Miguel Bronfmann, der Anwalt, der AMIA vertritt, und Richter Rodolfo Canicoba Corral, der später die Haftbefehle gegen die beschuldigten iranischen Politiker unterzeichnete, sagten schließlich gegenüber dem BBC: "Druck aus Washington war entscheidend bei der Entscheidung, Anklage (gegen Iran) zu erheben." Corral hatte keine Zweifel, dass die argentinischen Behörden schlicht gezwungen worden seien, die internationalen Versuche zu unterstützen, Teheran zu isolieren.

Die Geschichte der AMIA-Ermittlungen sollte zur Warnung gereichen, bevor man über das Attentat in Burgas vorschnell urteilt.

 

http://www.atimes.com/atimes/Middle_East/HK15Ak03.html

http://www.thenation.com/article/bushs-iranargentina-terror-frame?page=0,2

http://english.al-akhbar.com/node/14887

http://www.buenosairesherald.com/article/122741/argentina-iran-sign-agreement-toward-solving-amia-case

http://www.bbc.co.uk/news/world-middle-east-21250245