Risse im System

Der Kampf gegen den Flughafen bei Nantes in Frankreich. Ein Bericht aus einem der größten besetzten Gebiete Europas

Zwischen Rucksack und Rücken klemmt eine Spitzhacke. Der Mensch vor mir hat sich eine Brechstange zwischen die Schultern und einen Hammer an den Gürtel gebunden. Überall sind Menschen mit Werkzeug und Baumaterial zu sehen. Notre Dame des Landes ist am 17.11.2012 der Startpunkt zur Wiederbesetzung der ZAD.

 

Das kleine Dorf platzt aus allen Nähten. Auch Bürger_innenini­tia­tiven, Parteien, NGOs und weitere Angereiste haben sich hier versammelt. Zahlreiche mit Holz beladene Traktoren warten auf ihre Mission. Zehntau­sende Menschen stehen in den Startlöchern um ein Stück Land mit neuem Leben zu überfluten.

 

Die ZAD

Die Zone A Défendre - zu verteidigende Zone - im Nord-Westen Frankreichs ist eines der größten besetzten Gebiete Euro­pas. Wo seit 1972 ein Flughafen für die nahegelegene Stadt Nantes geplant ist, leben mehrere hundert Menschen in besetzten Gebäuden, selbstge­bauten Hütten und Baumhäusern.

Auch einige Bewohner_innen aus der Zeit vor der Besetzung wollen ihre Häuser und Felder nicht verlassen und leisten ebenfalls Widerstand. Über ca. 2000ha erstreckt sich ein weitläufiges Gebiet.

Auf den ersten Blick fallen hier und da Reste von Barrikaden und Banner an Häusern auf.

Auf den zweiten Blick verändert sich jedoch das Bild. Es ist als würde ich einen Waldboden aus der Nähe betrachten, plötzlich ist alles voller Leben.

Hinter der ein oder anderen Baumreihe erscheint eine kleine Hüttensiedlung, viele der al­ten Häuser sind bewohnt und einige werden gemeinschaftlich genutzt. Es sind ständig irgend­wo kleine Grüppchen von Menschen auf den Straßen, die durch ihre abgewetzte, vom Matsch verkrustete Kleidung aussehen als seien sie einem Endzeitfilm entsprungen.

Ruinierte Gebäude, abstruse Schrott-Skulpturen und der häufige Nebel in diesem Landstrich geben mir als Neuankömmling den Eindruck, als wä­re ich in eine andere Welt oder Zeit gestolpert.

Einige Orte sind so entlegen, dass sie nur über schlammige Feld- und Waldwege zu erreichen sind.

Möglicherweise sind auch noch fünf Barrikaden zu überwinden. Irgendwo schnell anzukommen ist nicht wichtig und vor allem kaum möglich.

Es gibt keinen Sinn für Zentralismus. Konzerte und Kabarett finden mitten im Matsch in einem Ort namens ‘No Name’ statt. Neben Lagerfeuer und Bar wurde hier aus Stöcken und Planen eine beeindruckende, überdachte Theaterbühne gebaut.

 

15. Oktober

Am 15. Oktober 2012 begannen Polizei und Militär mit einer Welle gewaltsamer Räumun­gen. Besonders Häuser von infrastruktureller Wichtigkeit mussten dran glauben.

Der Sozialist, ehemalige Bürgermeister und jetzige Regierungschef Ayrault will den Flughafen um jeden Preis durchsetzen und kündigte vor kurzem den Beginn der Bauarbeiten für 2013 an.

Die Grünen, die derzeit mit den Sozialisten koalieren, kommen ins rotieren, da sie auf der Seite der Umweltaktivist_innen gegen den Flughafen gesehen werden wollen. Doch bei vielen Menschen vor Ort schwindet die Lust auf politische Spielchen.

Mit den Räumungen flammte auch die Solidarität auf. Viele Menschen kamen zur Unterstützung. Es wurden Barrikaden gebaut, Zufahrtsstraßen zerstört und nicht zuletzt die durch die Polizei zerstörte Infrastruktur durch zahlreiche ge­spendete Decken, Nahrung von lokalen Landwirt_innen, Planen, Taschenlampen etc. kompensiert.

Gleichzeitig startete überall in Frankreich die Mobilisierung für eine Demo zur Wiederbe­setzung.

Währenddessen wurden auf der ZAD Feuertonnen gebastelt, Schilder gemalt und ein Camp für die Demonstrierenden aufgebaut.

Das Übergangszentrum ‘La Va­che Rit’ (Die Kuh lacht) ist für viele, die auf der ZAD ankommen, der erste Anlaufpunkt.

Hier gibt es einen gigantischen Freeshop für Klamotten und Medikamente. Außerdem massenhaft gespendete Nahrung und kollektive Koch- und Schlafmöglichkeiten.

In etwas kleinerer, persönlicherer Form verteilen sich ähnliche kollektive Schlaf- bzw. Lebensmöglichkeiten auf der ganzen ZAD.

Manche sind schwerer zu entdecken als andere und alle haben ihre Vor- und Nachteile, aber alle verändern sich durch die Menschen, die sie nutzen und durch die jeweiligen Herausforderungen, welche die Ge­schehnisse auf der ZAD an sie stellen. Selten sind feste Zuständigkeiten zu entdecken.

Irgendein Mensch ergreift einfach die Initiative, andere springen mit ein und Dinge passieren.

In der Regel wird auf veganer Basis gekocht. Nicht selten werden individuell Milch-, Ei- und sogar Fleischprodukte hinzugefügt. Immerhin stammen diese, wenn nicht aus den Containern irgendwelcher Supermärkte, so doch meistens aus lokaler Produktion.

Es sind nur wenig Räumlichkeiten zu finden, in denen nicht geraucht wird.

In Notre Dame des Landes verschwimmen die Grenzen zwischen bürgerlichem Protest und militantem Widerstand.

Nicht nur, dass hier die Bür­ger_inneninitiativen und Parteien der Initiative von Autonomen folgen um eine illegale Besetzung zu erhalten, sondern auch die Art in der alteingesessene Bewohner_innen mit den Aktivist_innen durch ihren gemeinsamen Kampf zusammenwachsen.

„Viele Menschen auf beiden Seiten haben jahrelang an den Beziehungen zwischen Aktivis­t_innen und Bewohner_innen gearbeitet“, sagt Forest Dweller, die viele Monate in den Bäumen wohnte, „seit den Räumun­gen haben uns diese Freundschaften wirklich gerettet“.

„Es gibt unserem Zusammenleben eine besondere Bedeutung jeden Tag von dem Kampf gegen den Flughafen umgeben zu sein“, sagt Pete, welcher eben­falls seit einiger Zeit hier lebt, „es ist unmöglich hier zu leben, ohne das Gesetz zu brechen und mit der Polizeigewalt konfrontiert zu sein“.

Und nochmals Forest Dweller: „Was auch immer deine Stärke ist, ich habe das Gefühl, dass es immer einen Weg gibt, sie gegen Kapitalismus und gegen dieses Flughafenprojekt zu nutzen.“ 

 

17. November

Die Wiederbesetzung verläuft ohne Störung. Es ist keine Polizei zu sehen und in rasender Geschwindigkeit wird ein neues Hüttendorf errichtet. Auf einem Feld entsteht innerhalb weniger Stunden eine Art Zeltstadt mit verschiedenen Volxküchen, Konzerten und Filmvorführun­gen.

Doch das ungestörte Treiben trügt nicht über die Bedrohung hinweg. Jede_r weiß, dass die Polizei nur auf den richtigen Moment wartet, in welchem sie mit der nächsten Räumung zuschlagen kann - und so werden um das besetzte Landhaus Les Rosiers mit Hilfe von Traktoren höhere Barrikaden gebaut.

In feierlichen Nachtaktionen werden mit Spitzhacke und Schaufel, bei Wein und Feuertonne tiefe Gräben in die Straßen gerissen.

Im Rohannewald beginnt zwei Tage nach der Wiederbeset­zung ein Skillsharing mit verschiedenen Kletter- und Kon­struktionsworkshops. Im Zuge dessen entstehen bereits neue Baumhäuser.

 

23. November                                       

Am 23.11., ist die Ruhe vorbei. Als die Polizei am frühen Morgen die ersten Spähtrupps in den Wald schickt, schlafen be­reits einige Menschen auf Plattformen und in Zeltkonstruktio­nen, die in bis zu 10m Höhe wie Tropfen von Bäumen hängen.

Innerhalb weniger Stunden mo­bilisieren sich hunderte Menschen aus den Städten Nantes und Rennes und es gelingt ihnen die Bulldozer aufzuhalten.

Die Polizei muss am folgenden Tag mit vielfacher Verstärkung anrücken.  Den ganzen Tag lang ist der Wald erfüllt von Tränengas. Schockgranaten und Gummige­schosse auf der einen Seite, Steine und Farbbeutel auf der anderen.

Doch letztlich sind alle potenziellen Baumhäuser zerstört, auch das Landhaus Les Rosiers. Mit einem öffentlichen Brief schlagen die Demosanitäter Alarm: Dutzende Aktivist_in­nen wurden durch Splitter-Schockgranaten zum Teil schwer verletzt.

„Dieser von morgens bis abends ununterbrochene Zug verletzter Demonstrant_innen weckt Erinnerungen an die Massenaktion gegen Hoch­spannungsmasten vom Sommer“, erklären sie in einer Pres­semitteilung. (s. GWR 371)

 

Resignation? Nicht die Spur.

Die Bäumhäuser wurden nicht nur mit Liebe und Sorgfalt errichtet, sondern auch mit dem Bewusstsein, dass sie schon morgen wieder zerstört werden könnten. Doch der Kampf hat Menschen erreicht und dazu gebracht, nachzudenken, aktiv zu werden und Fähigkeiten zu teilen.

Die Zuversicht der Menschen auf der ZAD wird nicht aus der Sicherheit gezogen, dass ir­gendetwas von Dauer wäre, sondern daraus, dass es immer weitergeht. Es wird neue Baumhäuser geben, neue Hütten, neue Erfahrungen, neue Kämpfe und neue Risse im System. Ob Stuttgart 21 in Deutschland, NO TAV in Italien oder la ZAD in Frankreich: Gegen unsinnige und aufgezwungener Großprojekte gibt es über die Grenzen hinaus Widerstand.

 

Pan & Eichhörnchen

 

Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 375, 42. Jahrgang, Januar 2013, www.graswurzel.net