Euro-Zerfallspropheten

Ein Debattenführer rund um die Zukunft der Währungsunion

in (09.11.2012)

Der Streit, ob die Krise in Europa zu einem Austritt einzelner Länder oder gar einem Zerfall der Währungsunion führen wird oder soll, hat die kontroversen Grundsatzpositionen wieder hervortreten lassen, die die Wirtschafts- und Währungsunion in Europa von Anfang an begleiteten. Interessanterweise sind beide großen wirtschaftspolitischen Lager diesbezüglich gespalten. Eine Kurz-Führung durch die vier Positionen:

1. Die Euro-skeptische Position von rechts

… sieht schwächere Mitglieder als Klotz am Bein von stärkeren Staaten, wenn sie eine gemeinsame Währung bilden. Diese Leute sehnen sich nach einer Welt der nationalen Wirtschaftskreisläufe zurück: Wenn schon Europäische Einigung, dann maximal eine Freihandelsunion. Die gemeinsame Währung wird jedoch als unerwünschte Zentralisierung abgelehnt (noch dazu weil sie von der Politik und nicht vom Markt geschaffen wurde). Leute wie Frank Stronach und Hans Christian Strache haben sich folglich für eine Rückkehr zum Schilling oder für eine drastische Verkleinerung der Währungsunion ausgesprochen, in Deutschland meint Thilo Sarazin „Europa braucht den Euro nicht“. Demnach sollte eine Währungsunion höchstens zwischen gleich starken Mitgliedern geschlossen werden. Eine gemeinsame Währung und Geldpolitik für unterschiedlich wirtschaftsstarke Staaten führe hingegen unweigerlich in eine Zerreißprobe. Konkurrenz der Währungen ist für den liberalen Flügel dieser Position ein wichtiger Aspekt des Wettbewerbs, für den nationalen Flügel sind nationale Währungen Ausdruck nationaler Identität und Selbstbestimmung. Sie sehen sich durch die jüngste Krise bestätigt: Griechenland habe seine Probleme selbst verursacht, und solle sie auch selbst lösen, notfalls aus dem Euroraum austreten, statt Hilfeleistungen der anderen Euro-Mitglieder zu fordern. Der Präsident der Tschechischen Republik, Vaclav Klaus, sieht die Krise der EU als Ergebnis von zu viel Staatseingriffen, einer „fast schon kommunistischen“ Zentralisierung, Regulierung und Vereinheitlichung, einer unproduktiven und paternalistischen sozialen Marktwirtschaft, deren Krönung die Währungsunion sei, mit der „heterogene Völker in eine Einheitsnation gezwungen“ würden. Man müsse akzeptieren, dass die Krise ein Prozess kreativer Zerstörung ist, wo sich die „Gesetze der Wirtschaft“ durchsetzen. Notfalls müssten auch einige Staaten fallengelassen werden. Dass die vermeintliche Stärke der wirtschaftsstarken Staaten auf Absatzmärkte im Ausland gebaut ist, wird von dieser Position systematisch ausgeblendet.

2. Die Euro-freundliche Position von rechts

… sieht die Währungsunion als notwendige Ergänzung zum Binnenmarkt und ist für eine Währungsunion, die sich von einem Nationalstaat klar unterscheidet (zumindest solange keine politische Union erreicht ist): Jede Umverteilungs- oder Solidarausgleichs-Mechanismen sollen durch klare Verhaltensregeln ausgeschlossen sein, stattdessen sollen die ökonomisch starken Länder in einer Art Erziehungsdiktatur die schwächeren zur Anpassung und damit zur Entwicklung zwingen. Deshalb sind gemeinsame Regeln wichtig, die von allen eingehalten werden, auch damit die Schwierigkeiten des einen nicht die anderen mitreissen. Im Zentrum dieser Sicht stand bislang vor allem eine Europäische Zentralbank, die – dem Modell der Deutschen Bundesbank folgend – einen strikten Antiinflationskurs zu halten habe. Die Budgetdisziplin der Mitgliedstaaten sollte durch den Stabilitätspakt gewahrt werden – dass dieser steigende Budgetdefizite in der Krise nicht verhindert hat, liegt nach Meinung dieser Position nicht an seiner Undurchführbarkeit, sondern an zu großen politischen Schlupflöchern. Deshalb soll er jetzt durch den berüchtigten Fiskalpakt (der nicht nur Obergrenzen für die Staatsverschuldung vorsieht, sondern noch tiefer in Details nationaler Budgetpolitiken eingreift) und verschiedene weitere Integrationsschritte ergänzt werden, die eine neoliberale Wirtschaftspolitik auf EU-Ebene für immer festschreiben. Für die aktuellen Probleme von Griechenland und anderen Mitgliedstaaten mit Budgetproblemen liegt aus dieser Sicht die Verantwortung und die Lösung bei den betroffenen Staaten selbst – für die heißt es eisern sparen. Dadurch würde auch gegenüber privaten InvestorInnen Glaubwürdigkeit aufgebaut, sodass diese dann wieder investieren und die Wirtschaft in Schwung bringen.

3. Die Euro-skeptische Position von links

… hingegen sieht im Euro ein imperiales Projekt der Kernstaaten um Deutschland, das im Dienste des europäischen Kapitals auf globaler Ebene die US-Dollar-Hegemonie angreifen will, und innerhalb Europas die peripheren Länder unter seine Vorgaben zu unterwerfen versucht. Die Austeritätsprogramme, mit denen die Krisenstaaten im Süden jetzt konfrontiert werden, sind aus dieser Sicht nur die Fortsetzung der Unterwerfung durch Einbindung in einen gemeinsamen Markt und ein gemeinsames Währungsprojekt, dessen Vorteile bislang einseitig dem Norden zugutekommen. Demgegenüber befürworten die AnhängerInnen dieser Position den Weiterbestand nationaler Währungen als Instrument, das wirtschaftspolitische Handlungsspielräume eröffnet – durch gelegentliche gezielte Abwertungen könne die internationale Wettbewerbsposition verbessert werden, und durch Steuer- und Zollpolitik ein Modell autonomer wirtschaftlicher Entwicklung ermöglicht werden. Für diese Position war der Beitritt Griechenlands und anderer wirtschaftlich schwacher EU-Länder zur Währungsunion ein Fehler, der durch Austritt wieder rückgängig zu machen sei.

4. Die Euro-freundliche Position von links

… sieht im Euro ein Schutzschild gegen Währungsspekulation, der kleine Länder mit schwachen Währungen auf sich allein gestellt ohne Euro immer wieder ausgesetzt wären. In einer Währungsunion hingegen sind die Exportländer und die Importländer in einer Solidargemeinschaft, in der die Überschüsse der Exportländer mit den Importländern geteilt werden sollten, damit diese weiterhin als KäuferInnen auftreten können. Durch eine solche Einbindung und diverse Ausgleichsmechanismen sollten letztlich auch die wirtschaftlichen Niveauunterschiede schrittweise abgebaut werden, so die Hoffnung – anstatt dass wirtschaftlich schwache Länder auf sich allein gestellt in einem Kreislauf der Unterentwicklung gefangen bleiben. Diese Position sieht die Probleme der Krisenstaaten an der EU-Peripherie als Spiegelbild der wirtschaftspolitischen Strategie Deutschlands (und in seinem Windschatten Länder wie Österreich und die Niederlande): Deutschland habe mit einer extremen Lohnzurückhaltungsstrategie in den letzten Jahren die Exportmärkte überschwemmt und Länder wie Griechenland nieder-konkurriert. Gleichzeitig sind „Exportweltmeister“ wie Deutschland aber auf die Kaufkraft der südeuropäischen Bevölkerung als AbnehmerInnen angewiesen. Wenn die Lohneinkommen angesichts von Unterlegenheit im Wettbewerb nicht reichen, kann diese Kaufkraft nur aus Verschuldung finanziert werden.

Eine Unterstützung der Krisenstaaten durch die starken Euro-Mitglieder wird deswegen als eine gerechtfertigte Kompensation für diese ungleiche Arbeitsteilung gesehen. Zudem werden die aktuellen Probleme der Krisenstaaten, Kredite zu leistbaren Konditionen auf dem Kapitalmarkt aufzunehmen, auch als Ergebnis von Finanzmarkt-Spekulationen gesehen, die ein gemeinsames Einschreiten der EU-Politik erfordern, vor allem um ein Überschwappen auf andere Länder zu verhindern. Allein durch Sparen könnten sich die Krisenstaaten jedenfalls nicht aus ihrer Lage befreien, weil in einer Krise staatliches Sparen die Krise weiter verschärft.

Ein Zerfall der Währungsunion würde zu einer Rückkehr zu nationalen Währungen führen, was der Währungsspekulation Tür und Tor öffnen und die internationalen Handelsbeziehungen stören würde, auf die vor allem kleine Staaten ökonomisch angewiesen sind. Deshalb sei auch die Hoffnung auf einen Zugewinn an wirtschaftspolitischer Autonomie durch einen Austritt Illusion.

Wer gewinnt die Debatte?

Die vorherrschende Krisenbewältigungsstrategie in der EU setzt darauf, Zeit zu gewinnen. Weitere Abschreibungen von Forderungen und Fälligwerden von Schulden sollen mit den Rettungsschirm-Programmen hinausgezögert werden, sodass die Schulden bewältigbar werden. Voraussetzung dafür wäre jedoch, dass bald die Wirtschaft wieder in Schwung kommt, wodurch Geld in die Kassen der SchuldnerInnen gespült wird. Doch ohne vorhandene Expansionsperspektiven wird der Wirtschaftsmotor anhaltend stottern.

Die realpolitische Stärke der rechten Positionen vor allem in Deutschland (und anderen Gläubigerstaaten wie Österreich, Finnland, Niederlande etc.) schlägt sich in der zögerlichen und restriktiven Unterstützungspolitik gegenüber Griechenland und anderen Krisenstaaten nieder. Mit dem Nebeneffekt einer sich selbsterfüllenden Prophezeiung: Nach monatelangem Zögern, und Zusagen, Hin und Her und allzu vorsichtigem Taktieren statt klaren massiven Hilfszusagen wurde Panik auf den Finanzmärkten geradezu geschürt, statt sie zu beruhigen, und so die krisenbetroffenen Staaten immer weiter an den Rand des Abgrunds manövriert. Möglicherweise hätte mit hohen Kreditzusagen im letzten Herbst die Situation stabilisiert werden können, ohne dass die Geberländer tatsächlich Geld verloren hätten. Jetzt hingegen liegen die Nerven auf den Kapitalmärkten blank. Wegen dem Glauben an ein steigendes Risiko eines Zahlungsausfalls bei einer zunehmenden Anzahl von Staaten werden hohe Risikoprämien für Kredite verlangt, und die Unsicherheit über die Zukunft der Währungsunion lähmt die wirtschaftlichen Prozesse.

Die ersten Verluste haben sich mit dem Schuldenschnitt für Griechenland auch bei den GläubigerInnen in Kerneuropa eingestellt, als Preis dafür, dass die Staatengemeinschaft den Löwenanteil übernimmt. Das Spiel darum, wer die Krisenkosten letztlich tragen muss, geht indes weiter, und hat viele Dimensionen: Die rechte Deutung konzentriert sich auf die nationale Dimension (Kerneuropa vs. Peripherie). Dadurch werden zentrale Dimensionen ausgeblendet, allen voran der erforderliche Beitrag privater Vermögen zum Abbau öffentlicher Schulden.