Sparpolitik und Krisenmanagement

 

1. Gewachsene Schulden infolge der Krise

Im Ergebnis der epochalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 ist die öffentliche Verschuldung fast überall kräftig gestiegen. Bei näherer Betrachtung zeichnet sich jedoch ein differenziertes Bild: In einigen Staaten ist sie geradezu explodiert und dauerhaft zu hoch, in anderen dagegen scheint der starke Anstieg nur ein temporäres Phänomen zu sein und die eingetretene Verschuldung volkswirtschaftlich durchaus tragbar (vgl. Tabelle 1). Griechenland, Italien, Irland, Portugal, Ungarn, Japan und die USA gehören zur ersten Gruppe, Deutschland, die Niederlande, Österreich, die skandinavischen Länder und Luxemburg zur zweiten. Obwohl die Evidenz dieser Unterscheidung von niemandem bestritten wird, ebenso wenig die Tatsache, dass sich hieraus ganz unterschiedliche Krisenbewältigungsstrategien ableiten, werden gegenwärtig alle Staaten von der gleichen „Sparwut“ erfasst, wird überall versucht, die Verschuldung aufzuhalten und den Schuldenberg durch rigide Sparmaßnahmen abzubauen. Diese „kollektive Sparwut“, die schon im Ergebnis der letzten Krise zu beobachten war (vgl. Weder di Mauro 2005), führt jedoch nicht zwangsläufig und überall zu Wachstum und Stabilität. Vielmehr steigt dadurch die Gefahr einer Stagnations- und Deflationsspirale und es entstehen neue Ungleichgewichte in der Welt, die zu neuen Krisen führen.

2008 und 2009 reagierten die Staaten auf die Finanzkrise fast ohne Ausnahme mit umfassenden Stützungsmaßnahmen und Garantieleistungen für Banken, Versicherungen und Finanzintermediäre. Hinzu kamen 2009 und 2101 kreditfinanzierte Konjunkturprogramme, um der Rezession entgegenzuwirken und die sozialen Folgen der Wirtschaftskrise abzuschwächen. Die Mittel dafür wurden von den öffentlichen Haushalten am Kapitalmarkt aufgenommen bzw. durch die Notenbanken über Sonderkonditionen bei der Refinanzierung des Bankensektors und durch den Ankauf von Staatsanleihen bereitgestellt. Die Europäische Zentralbank (EZB) senkte im Verlauf der Krise ihre Schlüsselzinsen auf ein historisch noch nie da gewesenes Niveau von nominal einem Prozent beim Hauptrefinanzierungszins und 0,25% für im Rahmen der Einlagefazilität gehaltene Guthaben. Da die Inflationsrate in der Eurozone positiv blieb, ist das reale Zinsniveau seit dem Frühjahr 2009 negativ. Aber damit nicht genug: Mit dem Ankauf von Staatsanleihen im Umfang von fast 80 Mrd. Euro betrat die EZB zudem finanzpolitisches Neuland, indem sie die Haushalte „klammer“ Euro-Staaten indirekt finanziert – ein Schritt, der unter Ökonomen kontrovers diskutiert wird und der für die Stabilität des Euro unabsehbare Folgen nach sich ziehen kann.

Durch die Maßnahmen zur Krisenbewältigung und -prävention wurde der Bankensektor vor einem Kollaps bewahrt und die konjunkturelle Belebung der Wirtschaft befördert, die Haushalte der Staaten jedoch gerieten hierdurch in eine bedenkliche Schieflage. Dies gilt besonders für jene Staaten, die bereits vor der Krise eine unzureichende Haushaltsdisziplin aufwiesen und hohe Schulden angehäuft hatten (vgl. Tabelle 1, Spalte 2008) wie Griechenland, Italien und Ungarn, aber auch für kleine Volkswirtschaften mit einem übergroßen Bankensektor wie Island, Irland und die Schweiz. Besonders betroffen von der Krise waren auch Staaten, deren Wirtschaft von der „Finanzindustrie“ dominiert wird wie Großbritannien oder wo die Wirtschaftskrise in eine Depression überzugehen droht wie die USA und einige Staaten Mittel- und Osteuropas.

 

Tabelle1: Öffentliche Haushaltssalden und Schuldenquote1 für ausgewählte Länder

 

Haushaltssalden

Schuldenquote

 

2008

2009

2010

2011

2008

2009

2010

2011

Deutschland

0,1

-3,0

-3,7

-2,7

66,3

73,4

75,7

75,9

Belgien

-1,3

-6,0

-4,8

-4,6

89,6

96,2

98,6

100,5

Griechenland

-9,4

-15,4

-9,6

-7,4

110,3

126,8

140,2

150,2

Frankreich

-3,3

-7,5

-7,7

-6,3

67,5

78,1

83,0

86,8

Italien

-2,7

-5,3

-5,0

-4,3

106,3

116,0

118,9

120,2

Irland

-7,3

-14,4

-32,3

-10,3

44,3

65,5

97,4

107,0

Spanien

-4,2

-11,1

-9,3

-6,4

39,8

53,2

64,4

69,7

Niederlande

+0,6

-5,4

-5,8

-3,9

58,2

60,8

64,8

66,6

Luxemburg

+3,0

-0,7

-1,8

-1,3

13,6

14,5

18,2

19,6

Österreich

-0,5

-3,5

-4,3

-3,6

62,5

67,5

70,4

72,0

Estland

-2,8

-1,7

-1,0

-1,9

4,6

7,2

8,0

9,5

Finnland

4,2

-2,5

-3,1

-1,6

34,1

43,8

49,0

51,1

Malta

-4,8

-3,8

-4,2

-3,0

63,1

68,6

70,4

70,8

Portugal

-2,9

-9,3

-7,3

-4,9

65,3

76,1

82,8

88,8

Slowakei

-2,1

-7,9

-8,2

-5,3

27,8

35,4

42,1

45,1

Slowenien

-1,8

-5,8

-5,8

-5,3

22,5

35,4

40,7

44,8

Zypern

0,9

-6,0

-5,9

-5,7

48,3

58,0

62,2

65,2

Euroraum

-2,0

-6,3

-6,3

-4,6

69,7

79,1

84,1

86,5

Bulgarien

1,7

-4,7

-3,8

-2,9

13,7

14,7

18,2

20,2

Dänemark

3,2

-2,7

-5,1

-4,3

34,1

41,5

44,9

47,5

Lettland

-4,2

-10,2

-7,7

-7,9

19,7

36,7

45,7

51,9

Litauen

-3,3

-9,2

-8,4

-7,0

15,6

29,5

37,4

42,8

Polen

-3,7

-7,2

-7,9

-6,6

47,1

50,9

55,5

57,2

Rumänien

-5,7

-8,6

-7,3

-4,9

13,4

23,9

30,4

33,4

Schweden

2,2

-0,9

-0,9

-0,1

38,2

41,9

39,9

38,9

Tschechien

-2,7

-5,8

-5,2

-4,6

30,0

35,3

40,0

43,1

Ungarn

-3,7

-4,4

-3,8

-4,7

72,3

78,4

78,5

80,1

GB

-5,0

-11,4

-10,5

-8,6

52,1

68,2

77,8

83,5

EU

-2,3

-6,8

-6,8

-5,1

61,8

74,0

79,1

81,8

USA

-6,2

-11,2

-11,3

-8,9

71,5

84,7

92,2

98,4

Japan

-2,1

-6,3

-6,5

-6,4

194,7

188,9

192,3

195,9

1) in % des nominalen BIP.

Quelle: BMF 2011/02: 111f. (Stand: November 2010: OECD)

 

Auch wenn sich die Lage inzwischen etwas entspannt hat, ein Teil der Kredite zurückgezahlt wurde und die Notenbanken damit begonnen haben, die zusätzlich geschaffene Liquidität wieder „einzusammeln“, werden die fiskalischen Folgen der Krise noch lange zu spüren sein. Die öffentliche Verschuldung, ihr Umfang wie ihre Dynamik, ist mithin „eines der dringendsten Probleme unserer Zeit“ und ihre Lösung wohl zu einer „Schicksalsfrage der westlichen Zivilisation“ (Konrad/Zschäpitz 2010: 19) geworden. Die Unterschiede zwischen den Staaten, die es hier jedoch zu beachten gilt, zeigen sich insbesondere in den differenzierten Belastungsquoten (Nettoneuverschuldung und Schuldenstandsquote). Deutschland schneidet hier vergleichsweise günstig ab, sowohl was den Umfang der Neu- und Gesamtverschuldung in Relation zur jährlichen Wirtschaftsleistung anbetrifft als auch in Bezug auf die Zinsbelastung, die sich aus dem Sockelbestand der Verschuldung, deren Anstieg und dem Zinssatz im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) ergibt (vgl. Abb. 1 und 2).

Die Analyse der Gesamtproblematik lässt erkennen, dass Deutschland trotz einer Staatsverschuldung von rund 1,8 Billionen Euro und einer Schuldenquote von mehr als 75% bis jetzt kein die gesamtwirtschaftliche Stabilität gefährdendes Schuldenproblem aufweist und dass von den deutschen Staatsschulden keine die Währung destabilisierenden oder die Wirtschaft überfordernden Wirkungen ausgehen. Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass es in Deutschland keine private (Netto-)Verschuldung gibt und die Handels- und Leistungsbilanz einen positiven Saldo aufweist. Die Gefahren für die Stabilität der deutschen Wirtschaft kommen eher von außen, von der europäischen Währungsunion als einem aus heutiger Sicht „deprimierenden Experiment“ (Gygi 2010), von den Instabilitäten an der Peripherie Europas und von der abenteuerlichen Geld- und Finanzpolitik der USA, welche die Finanzstabilität weltweit gefährdet. In der öffentlichen Wahrnehmung und im politischen Diskurs erscheint dies jedoch anders. Hier werden die finanzielle Lage Deutschlands als „katastrophal“ und die Verschuldung als „gigantisch“ hingestellt, so dass als Auswege fast nur noch der „Staatsbankrott“ und eine „Währungsreform“ infrage kommen (Grandt 2010: 262). Es entsteht der Eindruck, als seien die Staatsfinanzen während der Krise gänzlich „aus dem Ruder“ gelaufen, die Verschuldung in einem unvertretbaren Ausmaß gestiegen, die Geld- und Währungsstabilität akut gefährdet und der Euro kaum noch zu retten. Dieses apokalyptisch anmutende Bild wird mit der Behauptung verknüpft, die Verschuldung sei mit einer überproportionalen Ausdehnung der Geldmenge verbunden, was nach neomonetaristischer Logik unabweislich zu einer Aushöhlung des Geldwertes führt. Kurzum: die Staatsverschuldung führt zum Anstieg der Inflation, zur Hyperinflation, zur völligen Zerrüttung des Geld- und Finanzwesens und schließlich zum Ruin der Volkswirtschaft und des Staates.

Dieses populäre und von den Medien spektakulär kolportierte Schreckensszenario ist jedoch durch nichts belegt. Bewiesen ist lediglich, dass es einen Zusammenhang zwischen ausufernder Staatsverschuldung, Inflation und Geld- und Währungskrisen gibt, nicht aber, dass es sich hierbei um eine Kausalkette handelt, die im Anstieg der Staatsschulden ihren Ausgang nimmt und in der völligen Zerrüttung der Währung und dem Zusammenbruch der Geldordnung ihr unvermeidliches Ende findet. Indem die Staatsverschuldung zur entscheidenden Ursache für die Verwerfungen und Fehlentwicklungen erklärt wird, erfolgt eine Umkehrung der Kausalität. Die wahren Ursachen sind in den Ungleichgewichten in der Welt, im Auseinanderdriften der Volkswirtschaften hinsichtlich ihrer Wettbewerbsfähigkeit, in den Leistungs- und Kapitalströmen sowie in der Deregulierung der Finanzmärkte und den Konstruktionsfehlern der Europäischen Währungsunion auszumachen. Der Anstieg der Staatsverschuldung ist eine Folge dieser Entwicklung und damit ein Symptom ungelöster ökonomischer und politischer Probleme, mehr nicht (vgl. Busch/Hirschel 2011: 3).

Ebenso wenig scheint es angebracht, von singulären historischen Ereignissen wie den Inflationen von 1918/1923 oder 1945/1948 unvermittelt auf die Gegenwart zu schließen, wo die gesamtwirtschaftlichen Bedingungen doch ganz andere sind. Wie ließe es sich sonst erklären, dass eine große Volkswirtschaft wie Japan trotz extrem hoher Staatsschulden seit zwanzig Jahren mit Deflation zu kämpfen hat, nicht aber mit Inflation? Oder wie passt es zusammen, dass Deutschland seit sechs Jahrzehnten einen zunehmend steigenden Schuldenstand aufweist, seit drei Jahrzehnten aber eine tendenziell sinkende Inflationsrate? Offensichtlich sind für die Entwicklung des Preisniveaus und die Kaufkraft des Geldes noch andere Determinanten ausschlaggebend als die Verschuldung des Staates. Dies gilt zumindest solange, wie diese sich innerhalb bestimmter Grenzen bewegt und nicht jedes vernünftige Maß übersteigt. Wie dies aktuell für Deutschland und andere Staaten Europas zu beurteilen ist, bleibt zu prüfen.

2. Ersparnisse und Schulden

Sparen und Sparsamkeit gelten gemeinhin als „Tugend“, besonders in Deutschland, den Niederlanden, Skandinavien und der Schweiz, wo traditionell eine hohe Sparneigung anzutreffen ist. Möglicherweise hat dies etwas mit der protestantisch-christlichen bzw. kalvinistisch geprägten Tradition dieser Länder zu tun, ganz sicher aber mit dem Lebensstil, der hier noch nicht gänzlich in den Sog eines hemmungslosen und kreditfinanzierten Konsumismus geraten ist, wie ihn der American way of life oktroyiert. Symptomatisch für die „Kultur des Sparens“ sind stabile positive Sparquoten der privaten Haushalte von zehn und mehr Prozent[1] und ein relativ geringer Grad privater Verschuldung, sowohl der Haushalte als auch der Unternehmen, sowie eine lediglich moderate Verschuldung der öffentlichen Haushalte. Als Kehrseite des Sparens verzeichnen diese Volkswirtschaften, sofern sie nicht massiv in neue Anlagen im Inland investieren, jedoch permanente Leistungsbilanzüberschüsse und einen hoher Kapitalexport. Eine Volkswirtschaft als Ganze kann nur sparen, indem sie im Inland Investitionen tätigt oder indem sie Forderungen gegenüber dem Ausland aufbaut. Das heißt, die Ersparnisse, die im Inland keine Verwendung finden, denen keine Verschuldung gegenübersteht, fließen ins Ausland. 2009 entsprach der Nettokapitalexport Deutschlands 73,3% der privaten Ersparnisse (Deutsche Bundesbank 2011/1: 67*, 72*).

 

Tabelle 2: Sparquote und Ersparnis privater Haushalte 1991 bis 2010 in % bzw. Mrd. Euro

Jahr

1991

1992

1993

1994

1995

1996

1997

1998

1999

2000

Sparquote

13,0

13,0

12,3

11,6

11,2

10,8

10,4

10,3

9,8

9,8

Ersparnis

127,9

136,1

133,6

129,9

131,7

128,7

125,5

127,5

122,7

123,2

Jahr

2001

2002

2003

2004

2005

2006

2007

2008

2009

2010

Sparquote

10,3

9,9

10,3

10,4

10,5

10,6

10,8

11,7

11,1

11,4

Ersparnis

130,9

139,3

147,2

151,4

155,6

160,9

166,8

187,5

176,8

186,2

Quelle: Deutsche Bundesbank: Monatsbericht 2003/6: 66* und 2011/3: 67*.

Von Seiten der Politik erfährt das Sparen der Bürger viel Lob und Zuspruch. Bilden die Ersparnisse doch eine wichtige Kreditquelle und sind damit eine Voraussetzung für Investitionen und Wirtschaftswachstum. Der Staat fördert die Ersparnisbildung und sorgt dafür, dass diese im normativen Wertekanon einen hohen Stellenwert einnimmt, auch wenn die dafür vorgebrachten Argumente mitunter antiquiert anmuten und an frühkapitalistische und vorindustrielle Verhältnisse erinnern.[2]

Unter den Bedingungen des globalen Finanzmarktkapitalismus richtet sich die Ersparnisbildung jedoch nicht nach den Vorgaben der „Hausväterpädagogik“ des 18. Jahrhunderts, welche zwischen Ersparnisbildung, Investitionen und Wirtschaftsentwicklung noch einen direkten sozialökonomischen und lokalen Zusammenhang unterstellte (vgl. Stratmann 1987: 54f.). Sie ist vielmehr Moment der globalen Kapitalakkumulation und folglich, was die Renditeerwartungen, das Risiko und die konkrete Ausgestaltung anbetrifft, gänzlich anderen Regeln unterworfen. Auch vollzieht sich die Investitionstätigkeit heute weitgehend unabhängig vom inländischen Sparen. Beide Prozesse, die traditionell eine Einheit bildeten, sind in der Gegenwart zeitlich und räumlich entkoppelt. Dies kann für eine Volkswirtschaft positiv sein, denn dadurch wird es möglich, dass die Wirtschaft wächst, obwohl die Ersparnisbildung zurück geht, wie dies in den USA bis zur Krise 2008/09 der Fall war. Der Zufluss von Kapital aus dem Ausland gleicht die „Sparlücke“ dann aus. Dieser „Ausgleich“ kann aber auch negativ gewertet werden, da die Kapital exportierenden Volkswirtschaften selbst zu wenig investieren. Beispiele dafür sind Japan und Deutschland.

In Deutschland werden regelmäßig mehr als zwei Drittel der Ersparnisse von der inländischen Sachkapitalbildung nicht absorbiert. Sie fließen ins Ausland, um dort Investitionen zu finanzieren oder die Spekulation anzuheizen. Zwischen 2002 und 2009 betrug der Kapitalabfluss 1.059 Mrd. Euro, während lediglich 562 Mrd. Euro im Inland investiert wurden (vgl. Fischer 2011). In der Folge entstehen Auslandsvermögen, deren Erträge inländischen Rentiers zufließen, und spekulative Kapitalbewegungen. Zugleich aber ist eine Unterinvestition im Inland zu konstatieren. In bestimmtem Maße ist dies Ausdruck für die fortschreitende Globalisierung in der Welt. Nicht zuletzt zeigen sich hierin aber auch globale Ungleichgewichte, die zu „Blasen“ führen können und sich in Krisen entladen (vgl. Dullien 2010). Unter diesen Bedingungen verliert das Sparen seine „Unschuld“ und wirkt eindeutig Krisen verschärfend.

Gelegentlich wird die Ersparnisbildung bei fehlender Investitionsneigung als „Geldhortung“ kritisiert, welche die inländische Konsumnachfrage schwäche und daher für die Wirtschaftsentwicklung schädlich sei. Diese, sich an J. M. Keynes anlehnende Argumentation, greift jedoch zu kurz: Sie unterstellt erstens, dass dem volkswirtschaftlichen Kreislauf durch die Ersparnisbildung Geld „entzogen“ wird und zweitens, dass, wenn dieses Geld ausgegeben, statt gespart werden würde, der Wirtschaft besser gedient wäre. Aber beides ist Unsinn. Bei dem heute zirkulierenden Geld handelt es sich um internationales Kreditgeld. Es bleibt sich daher letztlich gleich, ob dieses konsumtiv ausgegeben oder gespart wird: Es verbleibt unter allen Umständen im volkswirtschaftlichen Kreislauf. Wird es konsumtiv ausgegeben, so fließt es via Umsatz den Unternehmen zu und über die Tilgung zuvor aufgenommener Kredite zurück an die Bank. Wird es dagegen gespart, so fließt es direkt zur Bank, um als Kredit Investitionen, Konsumausgaben oder Spekulationsgeschäfte im In- oder im Ausland zu finanzieren. Der Kreislauf ist jeweils derselbe, lediglich die Zirkulationsfigur ist eine andere.

Da in einer wachsenden Wirtschaft immer mehr Kredite ausgegeben als getilgt werden, wächst im Zeitverlauf das Kredit- und Geldvolumen mit dem BIP. Der Zuwachs bedeutet eine Erweiterung des Kreislaufs, in welchem es weder Stillstand noch Ruhepunkte gibt. Eine „Hortung“ von Geld findet also nicht statt und der Umfang der Investitionen ist unabhängig vom inländischen Sparaufkommen. Dies belegen der Kapitalexport Deutschlands als Hauptverwendungsposition der Ersparnisse und analog dazu der Kapitalimport anderer Staaten (zum Beispiel Griechenlands) als Grundlage ihres Wirtschaftswachstums (vgl. Tabelle 3).

 

Tabelle 3: Sektorale Vermögensbildung und Finanzierung 2009 (Mrd. €)

Position

Inländische nichtfinanzielle Sektoren

Inländische finanzielle Sektoren

Übrigen Welt

Insgesamt

 

Private Haushalte

Nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften

Staat

Sachvermögensbildung/Sparen

 

 

 

 

 

 

 Nettoinvestitionen

36,0

9,9

-0

-1,5

-

44,5

 Sparen

186,8

30,2

-80,4

27,4

-119,7

44,5

 Finanzierungs überschuss/-defizit

150,1

19,9

-79,3

29,0

-119,7

0

Geldvermögensbildung

146,9

37,4

41,0

-67,2

-115,0

43,0

Außenfinanzierung

-3,2

-0,3

120,3

-96,2

22,5

43,0

Quelle: Deutsche Bundesbank: Finanzierungsrechnung 2010, S.76f.

Die hierin zum Ausdruck kommende Verschiebung in der Verwendungsstruktur der gesamtwirtschaftlichen Ersparnis und die damit verbundene Veränderung der Zahlungs- und Einkommensströme, der grenzüberschreitenden Kapitalflüsse, der Risiken, Renditen usw., hat zu einem Wandel im Bankgeschäft geführt: Dieses ist zunehmend ein globales Geschäft geworden, in dem die Banken als länderübergreifende Akteure agieren. Es ist daher absurd, wenn Politiker fordern, die Banken sollten zu ihren „Kernaufgaben“ zurückkehren, das heißt Spargelder einsammeln und diese im regionalen Umfeld als Kredite verleihen. Noch alberner aber ist es, wenn Grundsätze von anno dazumal – die Vorgaben eines „guten Hausvaters“ oder einer „schwäbischen Hausfrau“ – auf das gegenwärtige Staatswesen übertragen und zu Maximen der aktuellen Finanzpolitik gemacht werden.

Derartige Ansinnen müssen auf Kritik stoßen, nicht nur, weil hier a-historisch argumentiert wird und zeitbedingte Handlungsvorgaben als ewige Wahrheiten ausgegeben werden, sondern auch, weil hier die haushalts- bzw. betriebswirtschaftliche mit der volkswirtschaftlichen Ebene verwechselt werden. Die Wirkungen der Ersparnisbildung sind im betriebs- und im volkswirtschaftlichen Kontext jedoch grundverschieden! In der ökonomischen Theorie spricht man deshalb von einem Sparparadoxon. Dieses besagt, dass vermehrtes Sparen einen privaten Haushalt oder ein Unternehmen in der Regel reicher macht, eine Volkswirtschaft aber ärmer. „Das“, so Paul A. Samuelson, „was für den einzelnen richtig ist, nämlich, dass außergewöhnliche Sparsamkeit zu höheren Ersparnissen und größerem Wohlstand führt, kann sich für eine Volkswirtschaft verhängnisvoll auswirken.“ „Private Klugheit“ wird u. U. zu „sozialer Torheit“, wenn man mikroökonomische Wahrheiten auf die makroökonomische Ebene überträgt und so dem „Trugschluss der Verallgemeinerung“ obliegt (Samuelson I 1981: 302).

Die Erklärung für dieses Paradoxon besteht darin, dass, da die Ausgaben der einen die Einnahmen der anderen sind, wenn alle sparen, Umsätze und Produktion zurückgehen und folglich die Einkommen sinken. Auch Investitionen würden zunehmend unterbleiben. Die Konsequenz wäre, dass die Ersparnis insgesamt, also das volkswirtschaftliche Sparvolumen, nicht weiter wächst, sondern sinkt. Allgemeines Sparen führt folglich zu allgemeiner Verarmung und wäre für eine Volkswirtschaft in der Tat ein Verhängnis.

Andererseits ist es für den Erfolg oder Misserfolg einer Sparpolitik von Bedeutung, in welchem Zustand sich eine Volkswirtschaft gerade befindet, im konjunkturellen Aufschwung oder im Abschwung, in einem Boom oder in einer Depression. Während einer Depression würde verstärktes Sparen weniger Konsum bedeuten, aber auch weniger Investitionen, da es an Nachfrage fehlt. Die Wirkung wäre also kontraproduktiv. Im Aufschwung dagegen könnte eine höhere Ersparnisbildung zu mehr Investitionen führen, zu mehr Wachstum, höheren Einkommen usw., wäre also bis zu einem bestimmten Grade vernünftig. Bedingung dafür ist allerdings, dass die Unternehmen im Inland investieren und sich dafür verschulden. Sonst geht die Rechnung nicht auf.

 

Tabelle 4: Sektorale Geldvermögensrechnung 2009 in Mrd. Euro

Position

Inländische nichtfinanzielle Sektoren

Inländische finanzielle Sektoren

Übrigen Welt

insgesamt

Private Haushalte

Nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften

Staat

Geldvermögen

4.671,7

2.637,9

670,7

9.650,8

4.367,1

21.998,1

Verbindlichkeiten

1.532,0

4.059,4

1.832,7

9.489,9

5.000,1

21.914,1

Nettogeldvermögen

3.139,6

-1.421,5

-1.162,0

160,9

-633,0

84,1*

Quelle: Deutsche Bundesbank 2010: Finanzierungsrechnung: 114f.; * Währungsgold und Sonderziehungsrechte.

Eine Analyse des Sparens im Kontext der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung macht dies plausibel: Hier erscheint die Akkumulation nominaler Vermögen als Gegenposition zur Verschuldung bzw. diese als Gegenbuchung zu jener. Tabelle 4 verdeutlicht dies für die Sektoren der deutschen Volkswirtschaft. Aus der Rechnung geht hervor, dass die Geldvermögen (Forderungen) und die Schulden (Verbindlichkeiten) innerhalb einer geschlossenen Volkswirtschaft einander entsprechen, die Summe aller nominalen Nettogrößen also gleich null ist. Dabei stehen den positiven Geldvermögen der privaten Haushalte Verbindlichkeiten im Unternehmenssektor und beim Staat gegenüber. In einer offenen Volkswirtschaft finden zudem die Auslandsbeziehungen Berücksichtigung. Die Differenz aus den Verbindlichkeiten des Auslands gegenüber Deutschland und den Forderungen an Deutschland erscheint als Nettoauslandsposition, hinter welchem sich der Kapitalexport bzw. -import verbirgt. Im Falle Deutschlands tritt hier ein Minussaldo auf, welcher für einen Kapitalexport steht. Saldenmechanisch bedeutet dies, dass eine Zunahme der Spartätigkeit der Bevölkerung eine Zunahme der Verschuldung beim Staat oder bei den Unternehmen voraussetzt. Andernfalls bleibt nur das Ausland.

Jeder Forderung entspricht eine Verbindlichkeit und jedem nominalen Vermögenswert steht eine entsprechende Schuld gegenüber. Verändert sich eine Position innerhalb eines Sektors, so schließt dies eine gegenläufige Veränderung einer anderen Position ein. Forderungen und Verbindlichkeiten gleichen sich dabei in der Regel nicht aus, so dass ein Saldo verbleibt. Dieser korrespondiert mit den Salden der anderen Sektoren, so dass insgesamt ein Ausgleich stattfindet. Dies gilt gleichermaßen für Stromgrößen (Tabelle 5) wie für Bestandsgrößen (Tabelle 4). Es ist daher unsinnig zu fordern: „alle“ sollten sparen. Dies ist ebenso wenig möglich, wie das Gegenteil, nämlich dass alle mehr Schulden machen.

 

Tabelle 5: Vermögensbildung der Sektoren und ihre Finanzierung 2009 in Mrd. Euro

Position

Inländische nichtfinanzielle Sektoren

Inländische finanzielle Sektoren

Übrigen Welt

Insgesamt

 

Private Haushalte

Nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften

Staat

Geldvermögensbildung

146,9

37,4

41,0

-67,2

-115,0

43,0

Außenfinanzierung

-3,2

-0,3

120,3

-96,2

22,5

43,0

Nettogeldvermögensbildung

150,1

37,7

-79,3

29,0

-137,5

0

Quelle: Deutsche Bundesbank 2010: Finanzierungsrechnung: 76f.

3. Zwei Fazite

In einer entwickelten Geldwirtschaft, in welcher Geld auf dem Kreditwege in die Zirkulation gelangt und ebenso wieder heraus und wo es demzufolge kein Geld ohne Kredit und keinen Kredit ohne Geld gibt, das volkswirtschaftliche Kreditvolumen also dem Geldvolumen entspricht, gibt es, so ein erstes Fazit, immer exakt so viele nominale Schulden wie Vermögen. Die Nettogrößen saldieren sich also auf null. Die Ersparnis der einen ist mithin die Verschuldung der anderen. Will einer mehr sparen, so muss sich ein anderer im selben Umfang zusätzlich verschulden. Dies gilt zunächst für jeden Sektor (private Haushalte, Unternehmen und Staat) im Einzelnen, dann aber, vermittelst der intermediären Funktion von Banken und Finanzmärkten, auch übersektoral, im volkswirtschaftlichen Maßstab. Typisch ist dabei, dass der Sektor der privaten Haushalte Nettovermögen bildet, also mehr spart als er Schulden aufnimmt, der Unternehmenssektor und der Staat aber verschuldet sind.

Reduzieren die Unternehmen ihre Schulden, wie seit einiger Zeit zu beobachten ist, so muss der Staat einspringen und mehr Schulden aufnehmen, damit die Bilanz aufgeht. Ist er dazu nicht bereit, so fließt das Geld ins Ausland. Das heißt, im Inland wird weniger konsumiert und investiert als erwirtschaftet, im Ausland dafür entsprechend mehr. Sparende Volkswirtschaften leben mithin unter ihren Verhältnissen, verschuldete Volkswirtschaften darüber. Dem Vermögensaufbau im Ausland entspricht eine Verschuldung des Auslandes bei den Sparernationen – ein Szenario, wie wir es gegenwärtig in Europa und in der Welt finden. Übersteigt das Ungleichgewicht zwischen den Volkswirtschaften ein bestimmtes Maß, so kommt es zu internationalen Zahlungsproblemen, zu Währungsturbulenzen, zu Finanzkrisen.

Ein zweites Fazit lautet: Eine kreditbasierte Wirtschaft, deren Funktionsmechanismus Wirtschaftswachstum impliziert – und das gegenwärtige Akkumulationsregime ist darauf angelegt (vgl. Binswanger 2006) – funktioniert nur, wenn die Verschuldung und die Vermögensakkumulation unablässig zunehmen. Ist dies binnenwirtschaftlich nicht gegeben, so wachsen Kapitalexporte und -importe sowie Auslandsvermögen und Auslandsverschuldung. Wird letztere gestoppt, wie 2010 in Griechenland, und stattdessen auf der ganzen Linie gespart, so führt dies realwirtschaftlich zu Rezession und Stagnation – zuerst in den Schuldnerstaaten, in der Folge aber auch bei den Überschussländern, den Gläubigern, deren Wachstum ja auf Exporten basiert, wofür sich jetzt keine Abnehmer mehr finden. Dies löst die nächste Krise aus. Es wird offenbar, dass sich die Probleme auf diese Weise nicht wirklich lösen lassen.

Unter „Sparen“ wird nicht nur die Ersparnisbildung verstanden, sondern auch das Einsparen von Ressourcen und Geld. Der Begriff des Sparens umfasst beide Bedeutungsinhalte, die Akkumulation (von Geldvermögen) ebenso wie die Enthaltung (von Geldausgaben). Wenn im fiskalpolitischen Kontext von Sparen die Rede ist, dann immer in letzterem Sinne, als Budgetkonsolidierung und Austeritätspolitik. Dies führt zu weiteren Überlegungen, welche die Finanzpolitik des Staates und den Umgang mit den Staatsschulden betreffen.

4. Rationalität der Staatsverschuldung und ihre Grenzen

Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass die dauerhafte und sich im Laufe der Zeit erhöhende Verschuldung der öffentlichen Haushalte in modernen Gesellschaften eine vernünftige Einrichtung darstellt. Dies setzt jedoch voraus, dass der Staat Investitionen tätigt und dass die Schuldenaufnahme vornehmlich dazu dient, Investitionen zu finanzieren. Es handelt sich dabei um Ausgaben, die sich in der Regel für private Investoren nicht rechnen bzw. um Zukunftsinvestitionen, wo es zweckmäßig ist, die Kosten auf mehrere Generationen zu verteilen, da sich auch der Nutzen über einen größeren Zeitraum erstreckt. Darüber hinaus ermöglicht die Kreditaufnahme dem Staat die Finanzierung seiner Ausgaben, auch wenn die Einnahmen konjunkturell bedingt temporär zurückgehen. Es ist ihm dadurch möglich, antizyklisch und überkonjunkturell zu agieren (vgl. Busch 2006).

Diese Argumentation wird von vielen Ökonomen geteilt und ist in ihren Kernaussagen kaum strittig. Keine Einigkeit hingegen gibt es bei der Beantwortung der Fragen nach dem möglichen Umfang der Staatsschulden, nach den Kriterien für ihre Tragbarkeit und nach den Bestimmungsfaktoren für ihre Dynamik. In der Diskussion überwiegt gegenwärtig die Ansicht, dass Staatsschulden generell von Übel seien und daher nur temporär und „gedeckelt“ zu tolerieren (vgl. Grömling 2005; Brügelmann/Kroker 2010). Mit der Aufnahme der „Schuldenbremse“ in das Grundgesetz (Art. 109, 115, 143d GG) hat sich diese Position auch politisch durchgesetzt. Sie findet Unterstützung in der Forderung, die Staatsschulden sollten nicht nur in ihrer Dynamik begrenzt, sondern auch in ihrem Umfang zurückgeführt (zurückgezahlt) werden. Friedrich Heinemann zum Beispiel erkennt eine öffentliche Schuld nur dann als „tragbar“ an, wenn erwartet werden darf, dass „in der Zukunft Budgetüberschüsse erzielt werden, aus denen die Schuld getilgt werden kann“ (Heinemann 1994: 12). Dies aber ist ebenso illusionär wie naiv. Zudem auch irreführend, denn der Staat nimmt Kredite auf, um Ausgaben zu tätigen, das Geld ist also ausgegeben: „Es existiert nicht mehr“ (Marx 1894: 482). Eine Rückzahlung, wenn sie denn verfügt würde, könnte nur aus zusätzlichen Einnahmen (Steuern, Abgaben) erfolgen. Dies gilt analog für Auslandsschulden. Auch diese sind ausgegeben und lassen sich deshalb nur aus neuen Einnahmen, also Überschüssen im Außenhandel mit den Kreditgebern, tilgen. Ist dies nicht möglich, so können sie nur abgeschrieben werden.

Solange sich die Kreditaufnahme eines Staates innerhalb bestimmter Grenzen bewegt, ist sie volkswirtschaftlich „unproblematisch“ (vgl. SVR 2007). Dies gilt auch für den Anstieg der Staatsschuld, sofern dieser mit einem Wachstum des BIP und einer Zunahme des gesellschaftlichen Reichtums einhergeht, die Schuldenquote (Staatsschulden/BIP) also konstant bleibt. Die Staatsschulden müssen lediglich bedient, nicht aber zurückgezahlt werden. Dies unterscheidet sie substanziell von privaten Schulden, welche irgendwann immer zu tilgen sind. Die „unendliche Lebensdauer des Staates“ hingegen macht „eine Münchhausen-Lösung der dauerhaften Finanzierung von Staatsverschuldung durch Staatsverschuldung“ möglich (Konrad/Zschäpitz 2010: 141). Und was möglich ist, darf auch Realität sein.

Trotzdem gibt es für die Verschuldung eine Grenze. Diese wird durch den Zins gesetzt. Die Zinsbelastung des Staates darf dauerhaft nicht höher sein als die durch die durchschnittliche Wachstumsrate des BIP bestimmte Entwicklung seiner Einnahmen. Ist diese Bedingung gegeben, so kann der Schuldenberg unendlich wachsen. Die Tilgung der fälligen Kredite erfolgt über die Aufnahme neuer Kredite und die Zinszahlung wird aus den durch das Wachstum generierten zusätzlichen Einnahmen geleistet. Reichen diese nicht aus, so müssten auch die Zinsen über neue Kredite finanziert werden. Dies aber wäre ein untrügliches Indiz dafür, dass der Staat in eine „Schuldenfalle“ geraten ist und aus der normalen Verschuldung eine Überschuldung geworden ist. Dem kann verschieden begegnet werden: a) durch Maßnahmen, welche die Steuereinnahmen erhöhen sowie durch zusätzliche Investitionen oder b) durch Ausgabenkürzungen und eisernes Sparen. Mitunter lässt sich auch beides kombinieren (vgl. Eicker-Wolf/Truger 2003). Nicht Erfolg versprechend ist es dagegen, die öffentliche Verschuldung willkürlich einzuschränken, wie dies mit der „Schuldenbremse“ geschieht. „Je mehr man bremst, umso mehr Schulden wird man am Ende haben“, meint Heiner Flassbeck, weil „weder die privaten Haushalte noch die Unternehmen dem Staat das Schuldenmachen abnehmen.“ An der Weisheit, „dass dort, wo gespart wird, auch Schulden gemacht werden müssen, geht überhaupt kein Weg vorbei“ (Flassbeck 2009: 28).

 

Abb. 1: Staatsverschuldung und BIP in Deutschland 1991 bis 2010, in Mrd. €,

Legende: linke Skala: Schuldenstand gem. Maastricht-Vertrag in Mrd. €; rechte Skala: BIP in jeweiligen Preisen in Mrd. €.

Quelle: Deutsche Bundesbank 2011/3: 61* und 54*.

5. Auf die Quoten kommt es an

Eine intakte Volkswirtschaft zeichnet sich dadurch aus, dass mit der Wirtschaft der Reichtum wächst, das Sachvermögen wie das Geldvermögen, und mit diesem die Schulden, wovon die Staatsschulden einen wesentlichen Teil bilden. Dabei ist es volkswirtschaftlich unerheblich, welchen absoluten Umfang Schulden und Geldvermögen aufweisen: Was allein zählt, ist ihr relatives Niveau, ihr Verhältnis zum BIP (Schuldenquote) und zum Realvermögen sowie die Relationen zwischen Zinsen und Gesamtausgaben (Zins-Ausgabenquote) bzw. Zinsen und Steuereinnahmen (Zins-Steuer-Quote). Hiervon hängen die Tragfähigkeit der Verschuldung und der Handlungsspielraum einer Volkswirtschaft ab.

 

Abb. 2: Zinsausgaben des Staates, Zins-Steuerquote und Zins-Abgabenquote 1991-2010

Quelle: BMF 2011 (Finanzstatistik), eigene Darstellung; linke Skala: Zinsausgaben in Mrd. €; rechte Skala: Quoten in Prozent.

 

Da die Staatsschuld nicht zurückgezahlt wird, kommt es darauf an, ihre Verhältnismäßigkeit zu wahren, sie also nicht schneller steigen zu lassen als die Wirtschaft wächst. Dies erweist sich in einer dynamischen Volkswirtschaft als kein allzu großes Problem, in einer stagnierenden oder gar krisenbedingt schrumpfenden Wirtschaft dagegen schon. Evident wird dies in den Zinsausgaben: Steigen die Zinsaufwendungen rascher als das BIP, so erhöht sich die relative Zinslast und damit die steuerliche Belastung für die Bürger. Zugleich verengt sich der finanzpolitische Spielraum des Staates, denn die Steuerquote lässt sich nicht unbegrenzt steigern und die Zinsausgaben absorbieren immer mehr Mittel. Der Staat reagiert hierauf mit einer zusätzlichen Kreditaufnahme, wodurch die Gesamtschuld weiter ansteigt. Damit erhöht sich abermals seine Zinsbelastung und der Spielraum für andere Ausgaben wird eingeengt. Den Ausweg bietet wiederum nur eine höhere Neuverschuldung, wodurch sich die Schuldenspirale weiter dreht. Es ist dies ein „Teufelskreis“, aus dem nur schwer herauszufinden ist. Als Lösungsansatz kommt neben Einnahmeverbesserungen und Sparmaßnahmen die Privatisierung von Staatsvermögen in Betracht, aber auch die Initiierung einer inflationären Entwertung der nominalen Schuld sowie eine Umschuldung und partielle Entschuldung.

Für Deutschland stellt sich das Zinsproblem derzeit kaum. Der Fiskus konnte in der Vergangenheit erheblich von dem niedrigen Zinsniveau profitieren. Lag die Emissionsrendite öffentlicher Anleihen 1991 noch bei 8,5%, so beträgt sie aktuell kaum 2,5%. Fällige Schulden mit hoher Verzinsung konnten so im Zeitablauf durch niedrig verzinste Titel ersetzt werden. Dieser Refinanzierungseffekt hatte zur Folge, dass sich die Zinsausgaben trotz steigender Verschuldung nicht erhöht haben (2008: 66,7 Mrd. €, 2009: 62,2 Mrd. €; 2010: 59,8 Mrd. €) und die Zinslast- sowie die Zins-Steuerquote in den letzten Jahren gesunken sind (vgl. Abb. 2).

Trotzdem ist es eine aktuelle Frage, ob die Staatsschuld im Ergebnis der Krise weiter wachsen darf oder ob sie durch rigides Sparen reduziert werden muss. Die theoretische Antwort orientiert sich an den Maastricht-Kriterien. Danach darf die Staatsschuld im Einklang mit der Wirtschaft wachsen, die Schuldenquote aber sollte die 60 Prozent-Marke nicht dauerhaft übersteigen. Für Deutschland heißt das: moderates Sparen, um die Schuldenquote von derzeit 75,7% sukzessive auf 60% zurückzuführen. Die jährliche Neuverschuldung, welche 2010 noch 3,3% betrug, wäre dazu vorübergehend unter die 3-Prozent-Marke zu drücken.

Eine ähnliche Situation zeichnet sich für die Niederlande, für Österreich und für andere Staaten ab. Einige Staaten, so Estland, Luxemburg, die Slowakei, Slowenien und Finnland, stehen jedoch besser da, andere schlechter, so Frankreich und Belgien, oder sehr viel schlechter, wie Italien, Irland, Portugal und Griechenland. Bei Schuldenquoten von 100 und mehr Prozent und Haushaltssalden im zweistelligen Bereich (vgl. Tab. 1) ist der Weg einer allmählichen Konsolidierung nicht Ziel führend. Andererseits aber entfalten drastische Sparmaßnahmen eine rezessive Wirkung, so dass das BIP schrumpft und die Quoten sich dadurch weiter verschlechtern. Staaten außerhalb der EU und der Eurozone versuchen deshalb auf anderen Wegen aus der Krise herauszukommen. Die Stichworte dafür lauten: zusätzliche Kreditaufnahme (Deficit spending), Währungsabwertung und Inflation.[3] Für Staaten innerhalb der Eurozone scheiden diese Wege, soweit sie nicht generell für alle Staaten praktiziert werden, aus. Hier bleiben nur die Umschuldung und die Schuldenreduktion durch den Forderungsverzicht bzw. Vermögensverlust der Gläubiger.

6. Folgen hoher Verschuldung für Stabilität und Wachstum

So rational und zweckdienlich die staatliche Kreditaufnahme auch ist, so sind ihr doch Grenzen gesetzt, deren dauerhafte Überschreitung nachhaltige Folgen mit sich bringt. Hohe staatliche Finanzierungsdefizite und ausufernde Schulden wirken sich unmittelbar auf die Refinanzierungskosten des Staates und auf das allgemeine Zinsniveau einer Volkswirtschaft aus. Untersuchungen zufolge führt die Ausweitung des öffentlichen Defizits um einen Prozentpunkt in Relation zum BIP zu einem nominalen Renditeanstieg bei zehnjährigen Staatsanleihen um 17 Basispunkte und einem Anstieg der realen Verzinsung um 29 Basispunkte.[4] Dabei wird die tatsächliche Stärke des Effekts von mehreren Faktoren und deren Zusammenwirken beeinflusst: vom Ausgangsniveau der Verschuldung, vom Entwicklungs- und Organisationsgrad staatlicher Institutionen, von der Verunsicherung auf den Finanzmärkten, von den Inflationserwartungen der Akteure, von der Sparquote der Bevölkerung, von der Finanzierungsstruktur der Unternehmen (Bankkredite vs. Finanzmarkt), vom Kapitalzufluss aus dem Ausland usw. In Europa konnte unlängst beobachtet werden, wie eine bestimmte Konstellation dieser Faktoren bei Staatsanleihen zu sehr heftigen (Griechenland) oder weniger starken (Portugal, Spanien) Renditeaufschlägen geführt hat. Die unterschiedlich starken Reaktionen auf den Kapitalmärkten lassen sich durch verschiedene Wirkungszusammenhänge erklären: Zum einen erhöht sich mit dem Verschuldungsniveau der Finanzierungsbedarf der Staaten. Es werden also verstärkt Anleihen emittiert. Trifft das vergrößerte Angebot an Staatsanleihen auf den Finanzmärkten auf eine konstante Nachfrage, so erhöht sich die Rendite. Zum anderen weckt eine höhere Staatsverschuldung die Furcht vor steigenden Inflationsraten, so dass die Anleger eine erhöhte Risikoprämie in Form von Zinsaufschlägen verlangen. Nur wenn dem nachgegeben wird, lassen sich bestimmte Papiere noch verkaufen. Schließlich treten Zweifel auf (oder werden solche von den Medien geschürt), ob der Staat seine Verbindlichkeiten fristgemäß bedienen wird oder ob er überhaupt noch in der Lage ist, die Zins- und Tilgungszahlungen zu leisten. Je größer diese Zweifel sind, umso höher klettert die Rendite.

Kommt es infolge dieser Wirkungszusammenhänge zu einem allgemeinen Zinsanstieg, so hat dies negative Auswirkungen auf die Wachstumsdynamik einer Volkswirtschaft. Dies erklärt sich im Wesentlichen über den Kreditmechanismus als Grundlage des Wirtschaftswachstums und den Zins als maßgeblichen Kostenfaktor bei Investitionen. Verteuert sich durch den Zinsanstieg die Finanzierung der Investitionen, so unterbleiben diese oder werden auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Hinzu kommt die Verunsicherung darüber, ob der Staat seine Schulden durch Ausgabensenkungen, Steuererhöhungen, durch Inflation oder durch Umstrukturierungen im Budget reduzieren wird. Dies bliebe nicht ohne Wirkung auf die Kalkulation der Unternehmen und hemmt deshalb deren Handeln. Dadurch werden auch die übrigen Sektoren einer Volkswirtschaft in Mitleidenschaft gezogen, über die Beschäftigung und die Einkommen die privaten Haushalte, über die Steuern und Sozialausgaben der Staat, über den Außenhandel, den Kapitalexport/-import usw. das Ausland. Zudem schränken ein hoher Schuldenstand und ein entsprechender Schuldendienst den Spielraum des Staates ein, öffentliche Infrastrukturprojekte zu tätigen, Bildung, Forschung, Kultur zu fördern usw., was langfristig ebenfalls die Wachstumspotenziale des Landes verringert.

Nun ist hieraus nicht zu schlussfolgern, dass eine Staatsverschuldung von Null „die beste aller Welten“ wäre. Keineswegs. Vielmehr gilt es, ausgehend von den Vorteilen einer öffentlichen Kreditaufnahme für die wirtschaftliche Entwicklung möglichst exakt zu bestimmen, wo die Grenze für dieselbe liegt. Eine Studie der Weltbank schätzt den „Schwellenwert, ab dem die Verschuldung sich signifikant negativ auf das Wachstum auswirkt, […] auf 77% des BIP“ (Finanzstabilitätsbericht 2010: 29). Dies gilt für Industrieländer; für Entwicklungsländer gelten 64%. Eine Studie der EZB geht von einem Schwellenwert zwischen 90 und 100% bzw. zwischen 70 und 80% aus, wobei es jeweils um die „anfängliche Verschuldung“ geht, um den Schuldenstand also, bevor sich die „Schuldenspirale“ zu drehen beginnt (ebenda).

Bewertet man, hiervon ausgehend, die Lage der Wirtschaftsräume und einzelner Staaten (Vgl. Tabelle 1), so zeigt sich, dass sich die EU und die Eurozone mit Verschuldungsquoten von 74,0% (2009) und 79,1% (2010) bzw. 79,1% und 84,1% dicht an der Schwelle zur Gefahrenzone befinden.

Im Einzelnen ist die Situation jedoch außerordentlich differenziert. Für Deutschland besteht kein Grund zur Panik, zumal die konjunkturelle Krise überwunden ist, die Wirtschaft wächst und die Quoten dadurch in den nächsten Jahren wieder fallen werden. Trotzdem setzt die Regierung auf eine als „wachstumsfreundliche Konsolidierungspolitik“ (Schäuble 2010) apostrophierte Sparpolitik. Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung dämpfen jedoch das Wachstum, zumindest temporär, und bewirken über teilweise rigide Anpassungsprozesse nicht selten strukturelle Verwerfungen. Andererseits aber tragen sie dazu bei, dass das Vertrauen in eine Volkswirtschaft bzw. einen Staat wieder zunimmt und die Zinsen sinken. So hat eine Untersuchung gezeigt, dass eine Reduzierung des Primärsaldos im Budget um mehr als 1,5% des BIP gegenüber dem Vorjahr zu einem robusten Rückgang der Renditen zehnjähriger Staatsanleihen um 124 Basispunkte führt (Finanzstabilitätsbericht 2010: 29). Dadurch würden sich die Wachstumsbedingungen verbessern, so dass die Einbußen durch die Sparmaßnahmen relativiert würden.

Auch wenn dies zutrifft und die Wachstumseinbußen im Euroraum infolge einer synchronen Konsolidierung nur gering sind, so differieren die Wirkungen in Bezug auf die einzelnen Staaten doch erheblich. In Deutschland, wo die Zinsen ohnehin niedrig sind und das Vertrauen in den Staat groß, sind von einer strikten Konsolidierung kaum positive Effekte zu erwarten. In Griechenland, Portugal, Irland, Spanien und Italien dagegen sehr wohl. Hier ist aber auch die Gefahr groß, dass die realwirtschaftliche Anpassung infolge der Konsolidierung statt zu Wachstum zu Rezession und Deflation führt, wodurch sich die Lage drastisch verschlimmern würde.[5] Radikale Sparmaßnahmen und Kürzungen im Staatshaushalt führen kurzfristig nicht zu weniger, sondern zu mehr Schulden, da sie Produktion, Einkommen und Verbrauch und folglich auch Steuern und Abgaben schrumpfen lassen. Richtig geht die Konsolidierungsstrategie erst auf, wenn die Exportnachfrage aus dem Ausland steigt. Wie aber soll diese steigen, wenn die hoch verschuldeten Staaten im Wettbewerb auf den globalen Märkten unterlegen sind und die überlegenen Volkswirtschaften wie Deutschland denselben Kurs fahren, also sparen, um ihre Haushalte zu konsolidieren? Im Alternativszenario zu einer Konsolidierung jedoch würden die Finanzierungskosten der Staatsverschuldung extrem steigen, so dass sie letztlich nicht mehr aufzubringen sind. Am Ende würde der Staatsbankrott stehen, wodurch die Gläubiger mehr einbüßen würden als dies bei einer geordneten Umschuldung der Fall wäre. Um diese aber, und damit um einen teilweisen Vermögensverlust, wird man nicht herumkommen. Nicht in Griechenland und auch nicht in Portugal und anderen Schuldnerstaaten.

Hieran zeigt sich, dass eine einmal aus dem Ruder gelaufene Staatsverschuldung nur schwer wieder zurückzuführen ist. „Heraussparen“ kann sich ein Staat nicht, da Sparen zu weniger Wachstum führt, wodurch die relative Verschuldung steigt. Ein „Herauswachsen“ aus den Schulden erweist sich aber als nicht weniger schwierig, da die Verschuldung die Wachstumspotenziale reduziert. Die beste Lösung scheint deshalb ein begrenzter Forderungsverzicht der Gläubiger zu sein, ein „haircut“, wodurch der Teufelskreis steigender Verschuldung durchbrochen würde.

7. Knapsen oder Wachsen: zwei gegensätzliche Strategien

Bezugsgröße für den Schuldenstand und die Zinsbelastung ist das nominale BIP. Dieses wird in Höhe und Dynamik durch den Umfang der jährlichen Wertschöpfung bestimmt, ebenso aber durch die Inflation. Dies bedeutet, dass ein Anstieg der Inflationsrate um ein oder zwei Prozentpunkte nicht nur die Staatsschuld in ihrem realen Wert um Milliardenbeträge verringern würde, es würde auch die reale Zinslast sinken und das nominale BIP stärker wachsen. Dadurch würde sich der Schuldenstand relativieren und es vergrößerte sich der Spielraum für neue Schulden. Da eine moderate Inflation zudem Wachstum fördernd wirkt, gelangen Staaten, die diese Strategie wählen, voraussichtlich schneller aus der Krise als Staaten, welche „eisern“ sparen. Ein Vergleich zwischen den USA und der Eurozone bzw. bestimmten europäischen Staaten verdeutlicht die unterschiedlichen Strategien, die bei der Krisenbewältigung verfolgt werden (vgl. Abb. 3 bis 6).

Die USA stehen für eine Strategie, welche auf eine rasche Rückführung der Schulden verzichtet, ja diese sogar weiter erhöht, dafür aber beim BIP deutliche Wachstumserfolge anstrebt. Flankiert wird dieses Vorgehen durch einen moderaten Anstieg der Inflation. Demgegenüber verzeichnen die Staaten in der Eurozone kaum geringere Schulden, versuchen diese aber durch Sparen und eine sinkende Neuverschuldung stabil zu halten oder zu verringern. Die Inflationsrate ist niedrig und verändert sich im Zeitverlauf nur wenig. Die Wachstumsaussichten aber sind vergleichsweise gering.

 

Abb. 3: Wirtschaftswachstum 2009 – 2012 (BIP real, Veränderung zum Vorjahr in %)

 

Abb. 4: Inflationsrate 2009 – 2012 (Veränderung zum Vorjahr in %)

 

Abb. 5: Jährliche Neuverschuldung in Prozent des BIP 2009 – 2012

Abb. 6: Schuldenstandsquote (öffentliche Gesamtschulden in Prozent des BIP) 2009 – 2012

Quellen Abb. 3 bis 6: BMF 12/2010; EU-Kommission 2010; Morgan Stanley 2010, 2011 und 2012 Prognose, EUR: Euroraum.

Vergleicht man die einzelnen Staaten, so zeichnet sich ein differenziertes Bild: Deutschland weist eine geringe Neuverschuldung und einen unterdurchschnittlichen, aber stabilen Schuldenstand auf, zudem eine hohe Geldwertstabilität. Die Wachstumsaussichten übertreffen die der meisten Eurostaaten, liegen aber klar unter denen der USA und Großbritanniens. Griechenland dagegen verzeichnet trotz rigidem Sparkurs nicht nur die höchste, sondern zudem eine weiter wachsende Staatsverschuldung, die wegen des Rückgangs der Inflation auch noch real zunimmt. Zu mehr Wachstum führt diese Strategie aber nicht. Bis 2012 wird hier bestenfalls das Durchschnittsniveau der Eurozone erreicht werden.

Das griechische Beispiel, das hier stellvertretend für Staaten mit hoher Verschuldung steht, lässt Zweifel am Erfolg der Sparstrategie aufkommen. Eine Umschuldung und ein Forderungsverzicht würden hier eher zum Erfolg führen. Es ist aber auch nicht sicher, ob die Strategie der USA, durch mehr Wirtschaftswachstum aus den Schulden herauszuwachsen, wirklich funktioniert. Scheitert dieses Experiment, so würden die USA 2012 vor einem unvertretbar hohen Schuldenberg stehen. Eine massive Währungsabwertung wäre dann unvermeidlich und würde der Weltwirtschaft weitere Turbulenzen bescheren.

 

Literatur

Binswanger, H. C. (2006): Die Wachstumsspirale. Geld, Energie und Imagination in der Dynamik des Marktprozesses, Marburg

Brügelmann, R./Kroker, R. (2010): Haushaltskonsolidierung. Argumente für ein Begrenzung der staatlichen Defizite und Schulden, Köln (Hg.: INSM)

Bundesministerium der Finanzen (BMF) (2003ff.): Monatsberichte, lfd. Jg., 1-12

Busch, K./Hirschel, D. (2011): Europa am Scheideweg. Wege aus der Krise, FES, Bonn

Busch, U. (2006): Über Wohl und Wehe der Staatsverschuldung, in: Berliner Debatte Initial, 17. Jg., 4, 49-69

Busch, U. (2010): Inflation als Rettungsanker. Warum eine moderate Inflation nützlich ist, in: Berliner Debatte Initial, 21. Jg., 1, 73-88

Deutsche Bundesbank (1990ff.): Monatsberichte, lfd. Jg., Nr. 1-12

Deutsche Bundesbank (2010): Zur Verschuldung und Zinsbelastung des Staates in Deutschland, in: Monatsberichte, 62. Jg., Nr. 4, 15-34

Deutsche Bundesbank (2010): Finanzstabilitätsbericht 2010, November

Deutsche Bundesbank (2010): Ergebnisse der gesamtwirtschaftlichen Finanzierungsrechnung für Deutschland 1991 bis 2009, Statistische Sonderveröffentlichungen 4, Juni

Dullien, S. (2010a): Fehlgeleitete Stabilitätspakt-Debatte, in: WSI Mitteilungen 12, 609-610

Dullien, S. (2010b): Ungleichgewichte im Euro-Raum. Akuter Handlungsbedarf auch für Deutschland, FES, Bonn.

Eicker-Wolf, K./Truger, A. (2003): Alternativen zum Sparen in der Krise – für eine nachfrageschonende Konsolidierungspolitik, in: WSI Mitteilungen, Nr. 6, 344-352

Fischer, P. (2011): Neues Umschuldungsverfahren soll den Euro retten, in: NZZ v. 24.02.

Flassbeck, H. (2009): die Schuldenbremser, in. Wirtschaft und Markt, H. 3-4, 28

Grandt, M. (2010): Der Staatsbankrott kommt! Hintergründe, die man kennen muss, Rottenburg

Grömling, M. (2005): Fiskalpolitik kontrovers. Konjunkturpolitische Optionen für Deutschland, Köln

Gygi, B. (2010): Die Währungsunion als deprimierendes Experiment, in: Neue Zürcher Zeitung, 20.11.

Heinemann, F. (1994): Staatsverschuldung. Ursachen und Begrenzung, Köln

Helmedag, F. (2010): Staatsschulden als permanente Einnahmequelle, in: Wirtschaftsdienst, 90. Jg., 9, 611-615

Horn, g. et al. (2010): Konjunktur am Scheideweg. Prognose der wirtschaftlichen Entwicklung 2011, IMK Report Nr. 58, Dezember.

Keynes, J. M. (1936): Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes, Berlin 1983

Konrad, K. A./Zschäpitz, H. (2010): Schulden ohne Sühne? Warum der Absturz der Staatsfinanzen uns alle trifft, München

Krugman, P. (2009): Die neue Weltwirtschaftskrise, Frankfurt/New York

Marx, K. (1894): Das Kapital. Dritter Band, in: Marx/Engels: Werke, Bd. 25, Berlin 1969

Peukert, H. (2010): Die große Finanzmarktkrise, Marburg

US-Privathaushalte: Unter Sparzwang, in: IW Köln (Hg.): iwd Nr. 16/2010, 2

Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) (2007): Staatsverschuldung wirksam begrenzen. Expertise, Stuttgart

Samuelson, P. (1981): Volkswirtschaftslehre, Bd. 1, Köln

Schäuble, W. (2010): Finanzpolitik auf ordnungspolitischem Fundament, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 198, 27. 08., 12

Stratmann, K. (1987): Erziehung zur Sparsamkeit in der vorindustriellen Gesellschaft, in: Bayerischer Sparkassen- und Giroverband (Hg.): Zeitschrift für Bayerische Sparkassengeschichte Heft 1, 39-98

Weder die Mauro, B. (2005): Die globale „Sparwut“ – fast ein makroökonomischer Krimi, in: NZZ, 30.07.



Anmerkungen

[1] Die Sparquote gibt an, wie viel Prozent des verfügbaren Einkommens die privaten Haushalte jährlich sparen. In Deutschland schwankte die Sparquote zwischen 1991 und 2010 zwischen 9,8 und 13,0% (Deutsche Bundesbank 3/2011: 67*). In den USA lag sie dagegen in den Jahren 2005 bis 2009 im Durchschnitt lediglich bei 2,5%, stieg dann aber 2010 auf 6,7% an (iwd 16/2010: 2).

[2] Erinnert sei an Hans Eichel, der 2002 als Bundesfinanzminister zur Begründung seines Sparkurses die Grundsätze eines „guten Hausvaters“ bemühte und an Bundeskanzlerin Angela Merkel, welche 2010 ihre Sparpolitik zur Krisenbewältigung mit den Prinzipien einer „schwäbischen Hausfrau“ zu begründen versuchte.

[3] Zu den Möglichkeiten und Risiken einer Krisenbewältigung mittels Inflation vgl. Busch 2010.

[4] Vgl. Baldacci/Kumar 2010, zitiert in: Deutsche Bundesbank: Finanzstabilitätsbericht 2010: 28. Ein Basispunkt bedeutet 0,01 Prozentpunkte.

[5] Dies gilt besonders für Spanien und Irland, wo der Schuldenstand gar nicht das zentrale Problem darstellt, sondern die hohen Haushaltsdefizite infolge der Krise in Kombination mit dem schwachen Wirtschaftswachstum. Wäre das Wachstum höher, so würde sich die Schuldendynamik stabilisieren. Bleibt dieses aber, nicht zuletzt wegen der Verschuldung, weiterhin aus, so ist damit zu rechnen, dass die Schulden in den nächsten Jahren rapide ansteigen werden und damit auch diese Länder in eine gefährliche Verschuldungsspirale hineingeraten.

 

Berliner Debatte INITIAL 22 (2011) 2, S. 14-27